Die Internationale Linksopposition.

Ihre Aufgaben und Methoden.

(Zur bevorstehenden internationalen Konferenz)[1]:

Die Aufgabe der kommenden Konferenz der Linken Opposition (Bolschewiki-Leninisten) besteht darin, eine klar und genau formulierte Plattform und ein Organisationsstatut anzunehmen, sowie die leitenden Körperschaften zu wählen. Die vorausgegangene theoretische, politische und organisatorische Arbeit der Linken Opposition in den verschiedenen Ländern, insbesondere in den letzten vier Jahren, hat hinlängliche Voraussetzungen für die Lösung dieser Aufgabe geschaffen.

Die grundlegenden programmatischen und politischen Dokumente der Linken Opposition sind in nicht weniger als 15 Sprachen herausgegeben. Die Linke Opposition verfügt über 32 periodische Organe in 16 Ländern. Sie hat ihre Sektionen in 9 Ländern reorganisiert und gefestigt und in den letzten drei Jahren in 7 Ländern neue Sektionen geschaffen. Doch die wichtigste und wertvollste Errungenschaft ist die unleugbare Hebung des theoretischen Niveaus der internationalen Linken Opposition, das Wachstum ihrer ideologischen Geschlossenheit und revolutionären Initiative.

Die Entstehung der Linken Opposition in der UdSSR .

Die Linke Opposition ist im Jahre 1923, vor zehn Jahren, im Lande der Oktoberrevolution, in der regierenden Partei des ersten Arbeiterstaates entstanden. Die Verzögerung in der Entwicklung der Oktoberrevolution hatte zwangsweise eine politische Reaktion im Lande der Oktoberrevolution hervorgerufen. Die vollendete Konterrevolution bedeutet die Ablösung der Herrschaft einer Klasse durch die einer anderen, die Reaktion beginnt und entwickelt sich noch unter der Herrschaft der revolutionären Klasse. Als Träger der Reaktion gegen den Oktober trat das Kleinbürgertum, hauptsächlich die Spitzen der Bauernschaft, auf. Ihr Sprecher wurde die dem Kleinbürgertum nahestehende Bürokratie. Gestützt auf den Druck der kleinbürgerlichen Massen gewann sie sehr weitgehende Unabhängigkeit vom Proletariat. Nachdem sie in der Tat das Programm der internationalen Revolution durch den Nationalreformismus ersetzt hatte, machte sie die Theorie des Sozialismus in einem Lande zu ihrer offiziellen Doktrin. Der linke Flügel des Proletariats geriet unter die Schläge des Bündnisses der Sowjetbürokratie mit den kleinbürgerlichen, vorwiegend bäuerlichen Massen und den zurückgebliebenen Schichten der Arbeiter selbst. Das ist die Dialektik der Ablösung des Leninismus durch den Stalinismus.

Nach der organisatorischen Zerschlagung der Linken Opposition wurde die offizielle Politik endgültig eine Politik des empirischen Lavierens zwischen den Klassen. Die Unabhängigkeit der Bürokratie vom Proletariat drückte sich indes darin aus, daß sie trotz einer Reihe von Anschlägen es nicht wagte oder nicht vermochte, die wesentlichen Errungenschaften der Oktoberrevolution umzustoßen. Noch mehr: Als sich die Parteibürokratie im Jahre 1928 durch ihren kleinbürgerlichen Bundesgenossen, den Kulaken, gefährdet fühlte, vollzog sie, in der Angst, ihre gesamte Stütze beim Proletariat einzubüßen, eine scharfe Wendung nach links. Die extremsten Ergebnisse des Zickzacks waren: die abenteuerlichen Industrialisierungstempos, durchgehende Kollektivierung und administrative Zerschlagung des Kulaken. Die durch diese unbedachte Politik hervorgerufene Zerrüttung der Wirtschaft hat zu Beginn dieses Jahres zu einer neuen Wendung nach rechts geführt.

Den Bedingungen ihrer privilegierten Lage und ihren administrativen Denkmethoden nach hat die Sowjetbürokratie viele gemeinsame Züge mit der reformistischen i Bürokratie der kapitalistischen Länder. Sie ist weitaus geneigter, auf die "revolutionäre" Kuomintang zu vertrauen, auf die "linke" Bürokratie der britischen Trade Unions: die kleinbürgerlichen "Freunde" der Sowjetunion, die liberalen und radikalen Pazifisten als auf die selbständige revolutionäre Initiative des Proletariats. Doch gerät die Sowjetbürokratie durch die Notwendigkeit, ihre Position im Arbeiterstaat zu verteidigen, jedesmal in scharfe Zusammenstöße mit der reformistischen Magd des Kapitals. So hat sich in eigenartigen geschichtlichen Bedingungen aus dem proletarischen Bolschewismus eine Fraktion des bürokratischen Zentrismus abgesondert, die auf eine ganze Entwicklungsepoche der Sowjetrepublik und des Weltproletariats ihre schwere Hand gelegt hat. Der bürokratische Zentrismus ist übelste Entartung des Arbeiterstaates. Aber auch in ihrer bürokratisch entarteten Gestalt bleibt die Sowjetunion ein Arbeiterstaat. Den Kampf gegen die zentristische Bürokratie in einen Kampf gegen den Sowjetstaat umzuwandeln, heißt, sich auf eine Ebene mit der Stalinschen Clique zu stelIen, die erklärt: "Der Staat bin ich."

Die rückhaltlose Verteidigung der Sowjetunion vor dem Weltimperialismus ist eine so elementare Aufgabe jedes revolutionären Proletariers, daß die Linke Opposition in dieser Frage in ihrer Mitte weder Schwankungen noch Zweifel zuläßt. Wie bisher wird sie unbarmherzig mit allen Gruppierungen und Elementen brechen, die versuchen, eine "neutrale" Rolle zwischen der Sowjetunion und der kapitalistischen Welt einzunehmen (Monatte-Louzon in Frankreich, Urbahnsgruppe in Deutschland)[2].

Die Linke Opposition in den kapitalistischen Ländern

Die Dritte Internationale entstand als unmittelbares Ergebnis der Erfahrung der fortgeschrittenen Arbeiter im imperialistischen Krieg, in der Epoche der Nachkriegserschütterungen und insbesondere in der Oktoberrevolution. Dies bestimmte die führende Rolle des russischen Bolschewismus in der III. Internationale und folglich auch den Einfluß seiner inneren Kämpfe auf die Entwicklung der übrigen nationalen Sektionen. Es ist jedoch vollkommen falsch, die Evolution der Komintern während der letzten zehn Jahre als bloße Widerspiegelung des Kampfes der Fraktionen in der WKP [Allunions (Allrussische) Kommunistische Partei] anzusehen. In der Entwicklung der internationalen Arbeiterbewegung gab es eigene innere Ursachen, die die jungen kommunistischen Sektionen Zur Stalinschen Bürokratie hinstießen.

Die ersten Nachkriegsjahre waren überall, insbesondere in Europa, eine Zeit der Erwartung des nahen Sturzes der Bourgeoisherrschaft. Doch im Augenblick, als die innere Krise der WKP ausbrach, hatten die meisten europäischen Sektionen die ersten großen Niederlagen und Enttäuschungen davongetragen, Eine besonders niederdrückende Wirkung übte der kraftlose Rückzug des deutschen Proletariats im Oktober 1923 aus. Eine neue politische Orientierung wurde für die Mehrheit der kommunistischen Parteien zur inneren Notwendigkeit. Als die Sowjetbürokratie unter Ausnutzung der Enttäuschung der russischen Arbeiter in bezug auf die europäische Revolution die nationalreformistische Theorie des Sozialismus in einem Lande aufstellte, atmete die junge Bürokratie der anderen Sektionen erleichtert auf; die neue Perspektive eröffnete ihr einen Weg zum Sozialismus; unabhängig vom Gang der internationalen Revolution. So fiel die innere Reaktion in der UdSSR mit der Reaktion in den kapitalistischen Ländern zusammen und schuf die Bedingungen für ein erfolgreiches administratives Strafgericht der zentristischen Bürokatie über die linke Opposition.

Bei ihrer weiteren Rechtsbewegung stießen indes die offiziellen Parteien auf die reale Kuomintang, auf die reale Bürokratie der Trade Unions und der Sozialdemokratie, ähnlich wie die Stalinisten auf den realen Kulaken stießen. Der danach eingeleitete neue Zickzack auf die Seite der ultralinken Politik führte zur Spaltung der offiziellen Kominternmehrheit in das herrschende Zentrum und den oppositionellen rechten Flügel.

Im Lager des Kommunismus lassen sich daher während der letzten Jahre klar drei grundlegende Gruppierungen verfolgen: der marxistische Flügel (Bolschewiki-Leninisten), die zentristische Fraktion (Stalinisten) und schließlich der rechte, eigentlich rechtszentristische Flügel {Brandlerianer), der direkt in den Reformismus übergeht. Die politische Entwicklung fast aller Länder ohne Ausnahme bestätigte, und jeder weitere Tag bestätigt die Richtigkeit und Lebenswirklichkeit dieser Klassifizierung.

Für den Zentrismus war und bleibt In höchstem Grade charakteristisch, daß er lange Zeitabschnitte hindurch Hand in Hand ging mit den Rechten als der ihm prinzipiell verwandten Strömung, niemals aber mit den Bolschewiki-Leninisten gegen die Rechten Block machte. Was den rechten Flügel im internationalen Maßstab gesehen anlangt, so zeichnet er sich wie jeder Opportunismus durch außerordentliche Verschiedenartigkeit und Gegensätzlichkeit seiner nationalen Bestandteile aus, bei einer ihnen allen gemeinsamen Feindseligkeit gegenüber den Bolschewiki-Leninisten.

In der UdSSR, unter den Bedingungen der Diktatur, beim Fehlen legaler Oppositionsparteien, wird die rechte Opposition[3] unvermeidlich zum Werkzeug des Druckes der dem Proletariat feindlichen KIassenkräfte. Darin besteht die Hauptgefahr der rechten Opposition; andererseits paralysiert das Bewußtsein dieser Gefahr jene Führer der rechten Opposition, die durch ihre gesamte Vergangenheit mit der Partei verbunden sind. In den kapitalistischen Ländern, wo sich rechts von der kommunistischen Partei alle Schattierungen des Reformismus ausbreiten, hat der rechte Flügel (Brandlerianer[4]) sein Tätigkeitsfeld. Ihre Massenorganisationen übergibt die rechte Opposition, soweit sie solche besessen, überall direkt oder indirekt der Sozialdemokratie (Tschechoslowakei, Schweden), mit Ausnahme der revolutionären Elemente, die den Weg zu den Bolschewiki-Leninisten finden (Tschechoslowakei, Polen). Die da und dort noch erhalten gebliebenen unabhängigen brandlerianischen Kaders (Deutschland, USA) bauen ihre Berechnungen darauf auf, daß die Stalinsche Bürokratie sie früher oder später begnadigen und zurückberufen werde; im Namen dieser Perspektive führen sie gegen die Linke Opposition eine ganz im Geiste des Stalinismus gehaltene Lügen- und Verleumdungskampagne.

Grundprinzipien der Linken Opposition

Die Internationale Linke Opposition steht auf dem Boden der ersten vier Kongresse der Komintern. Das bedeutet nicht, daß sie sich vor jedem Buchstaben ihrer Beschlüsse verneigt, von denen manche rein konjunkturellen Charakter hatten, und die sich in einzelnen praktischen Schlußfolgerungen durch die weitere Praxis [als] widerlegt erwiesen. Doch alle wesentlichen Leitsätze (Verhältnis zum Imperialismus und zum bürgerlichen Staat, zu Demokratie und Reformismus, Problem des Aufstands, Diktatur des Proletariats, Verhältnis zur Bauernschaft und den unterdrückten Nationen, Sowjets, Arbeit in den Gewerkschaften, Parlamentarismus, Einheitsfrontpolitik)bleiben auch heute der höchste Ausdruck der proletarischen Strategie.

Die Linke Opposition lehnt die revisionistischen Beschlüsse des V. und VI. Weltkongresses ab und hält eine radikale Umarbeitung des Programms der Komintern für notwendig, in dem das Gold des Marxismus durch die zentristische Legierung vollständig entwertet wurde.

Entsprechend dem Geiste und dem Sinne der Beschlüsse der ersten vier Weltkongresse und in Weiterführung dieser Beschlüsse stellt die Linke Opposition folgende Prinzipien auf, entwickelt sie theoretisch und führt sie praktisch durch:

1. Unabhängigkeit der proletarischen Partei, immer und unter allen Bedingungen; Verurteilung der Kuomintangpolitik von 1924 bis 1928; Verurteilung der Politik des Anglo-Russischen Komitees; Verurteilung der Theorie Stalins über die Zweiklassen- (Arbeiter- und Bauern-) Parteien und der gesamten auf dieser Theorie begründeten Praxis; Verurteilung der Po!itik des Amsterdamer Kongresses[5], wo sich die Kommunistische Partei im pazifistischen Sumpf auflöste.

2. Anerkennung des internationalen und somit permanenten Charakters der proletarischen Revolution, Verwerfung der Theorie des Sozialismus in einem Lande wie auch der sie ergänzenden Politik des Nationalbolschewismus in Deutschland (Plattform der "nationalen Befreiung")[6].

3. Anerkennung des Sowjetstaates als Arbeiterstaat, trotz wachsender Entartung des bürokratischen Regimes. Bedingungsloses Gebot für jeden Arbeiter, den Sowjetstaat sowohl vor dem Imperialismus als auch vor der inneren Konterrevolution zu verteidigen.

4. Verurteilung der Wirtschaftspolitik der Stalinfraktion sowohl in ihrem Stadium des wirtschaftlichen Opportunismus der Jahre 1923 bis 1928 (Kampf gegen die "Überindustrialisierung" und Einsatz auf den Kulaken als auch im Stadium des wirtschaftlichen Abenteurertums der Jahre 1928 bis 1932 (überspannte Industrialisierungstempos, durchgehende Kollektivierung, administrative Liquidierung des Kulakenturns als Klasse). Verurteilung der verbrecherischen bürokratischen Legende, der Sowjetstaat sei bereits "in den Sozialismus eingetreten". Anerkennung der Notwendigkeit einer Rückkehr zur realistischen Wirtschaftspolitik des Leninismus.

5. Anerkennung der Notwendigkeit einer systematischen kommunistischen Arbeit in den proletarischen Massenorganisationen, insbesondere in den reformistischen Gewerkschaften; Verurteilung der Theorie und Praxis der RGO[7] in Deutschland und analoger Gebilde in den übrigen Ländern.

6. Ablehnung der Formel der "demokratischen Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft" als einem besonderen Regime, das von der Diktatur des Proletariats, die die bäuerlichen und überhaupt die unterdrückten Massen anführt, unterschieden ist. Ablehnung der antimarxistischen Theorie des friedlichen "Hineinwachsens" der demokratischen Diktatur in die sozialistische.

7. Anerkennung der Notwendigkeit der Massenmobilisierung, unter Übergangslosungen entsprechend der konkreten Lage jedes Landes und insbesondere unter demokratischen Losungen, soweit es sich um den Kampf gegen Feudalverhältnisse, nationale Unterdrückung oder verschiedene Abarten der offenen imperialistischen Diktatur (Faschismus, Bonapartismus usw.) handelt.

8. Anerkennung der Notwendigkeit einer entfalteten Einheitsfrontpolitik gegenüber den Klassenorganisationen der Arbeiterklasse, sowohl den gewerkschaftlichen als auch den politischen, einschließlich der Sozialdemokratie als Partei. Verurteilung der ultimatistischen Losung "nur von unten", die praktisch den Verzicht auf die Einheitsfront und folglich den Verzicht auf die Schaffung von Sowjets bedeutet. Verurteilung der opportunistischen Anwendung der Einheitsfrontpolitik wie im Anglo-Russischen Komitee (Block mit den Führern ohne Massen und gegen die Massen); doppelte Verurteilung der Politik des gegenwärtigen deutschen Zentralkomitees, das die ultimatistische Losung "nur von unten". mit der opportunistischen Praxis gelegentlicher parlamentarischer Pakte mit den sozialdemokratischen Spitzen verbindet.

9. Verzicht auf die Theorie des Sozialfaschismus und der gesamten mit ihr verbundenen Praxis, als einerseits dem Faschismus, andererseits der Sozialdemokratie dienend.

10. Unterscheidung von drei Gruppierungen im Lager des Kommunismus: der marxistischen, der zentristischen und der rechten. Anerkennung der Unzulässigkeit politischer Bündnisse mit den Rechten gegen den Zentrismus; Unterstützung des Zentrismus gegen die Klassenfeinde; unversöhnlicher und systematischer Kampf gegen den Zentrismus und seine Zickzackpolitik."

Neufassung (Sommer 1933)[8]:

Der Kampf für die Umgruppierung der revolutionären Kräfte der internationalen Arbeiterbewegung unter dem Banner des internationalen Kommunismus. Anerkennung der Notwendigkeit, eine wirkliche kommunistische Internationale zu schaffen, die fähig ist, die angeführten Prinzipien anzuwenden.

11. Anerkennung der Parteidemokratie nicht nur in Worten, sondern auch in der Tat; unbarmherzige Verurteilung des stalinistischen plebiszitären Regimes (Knebelung von Willen und Gedanken der Partei, Usurpatorentum, böswillige Unterdrückung der Informierung der Partei usw.)

Die oben aufgezählten Grundprinzipien, die für die proletarische Strategie in der heutigen Epoche von grundlegender Bedeutung sind, stellen die linke Opposition der gegenwärtig in der UdSSR und in der KI herrschenden zentristischen Fraktion unversöhnlich gegenüber. Die Anerkennung dieser Grundsätze auf Basis der Beschlüsse der ersten vier Kongresse der Komintern ist eine unerläßliche Bedingung für die Aufnahme einzelner Organisationen, Gruppen und Personen in den Bestand der Internationalen Linken Opposition.

Fraktion und nicht Partei

Die Internationale Linksopposition betrachtet sich als Fraktion der Komintern wie die einzelnen Sektionen als Fraktionen der nationalen kommunistischen Parteien. Das bedeutet, daß die Linke Opposition das von der Stalinschen Bürokratie geschaffene organisatorische Regime nicht als endgültig betrachtet. Im Gegenteil, sie stellt sich zum ZieI, das Banner des Bolschewismus aus den Händen der usurpatorischen Bürokratie zu entreißen und die Kommunistische Internationale wieder auf die Grundlagen von Marx und Lenin zu bringen. Daß eine solche Politik unter den gegebenen Bedingungen die einzig richtige ist, ist durch die theoretische Analyse wie durch die geschichtlichen Erfahrungen gleichermaßen erwiesen.

Obwohl die besonderen Bedingungen Rußlands den Bolschewismus schon im Jahre 1912 zum endgültigen Bruch mit dem Menschewismus geführt hatten, blieb die bolschewistische Partei weiter in der II. Internationale bis zum Ende des Jahres 1914. Es war die Lehre des Weltkrieges notwendig, um die Frage einer neuen Internationale zu stellen; es war die Oktoberrevolution notwendig, um die neue Internationale ins Leben zu rufen.

Eine solche historische Katastrophe wie der Zusammenbruch des Sowjetstaates würde selbstverständlich auch die III. Internationale hinwegraffen. Genau so würde der Sieg des Faschismus in Deutschland und die Zertrümmerung des deutschen Proletariats der Komintern kaum gestatten, die Folgen ihrer verhängnisvollen Politik zu überleben. Wer im Lager der Revolution würde indes heute die Behauptung wagen, der Zusammenbruch der Sowjetrnacht und der Sieg des Faschismus in Deutschland sei unvermeidlich und unabwendbar? Jedenfalls nicht die linke Opposition. Ihre Politik ist im Gegenteil ganz darauf gerichtet, die Sowjetunion von der durch den Zentrismus genährten Gefahr des Thermidor zu schützen und dem deutschen Proletariat zu helfen nicht nur mit dem Faschismus fertig zu werden, sondern auch die Macht zu erobern.

Auf dem Boden der Oktoberrevolution und der III. Internationale stehend, verwirft die linke Opposition die Idee paralleler kommunistischer Parteien. Die Verantwortung für die Spaltung des Kommunismus liegt natürlich gänzlich auf der Stalinschen Bürokratie. Die Bolschewiki-Leninisten sind in jedem Augenblick bereit, in den Bestand der Komintern zurückzukehren und strenge Aktionsdisziplin zu wahren, während sie zugleich aufgrund der Parteidemokratie einen unversöhnlichen Kampf gegen den bürokratischen Zentrismus führen. Doch heute, unter den Bedingungen der Spaltung, kann unsere Zugehörigkeit zur Kommunistischen Internationale nicht in unserer organisatorischen Selbstbeschränkung, nicht im Verzicht auf selbständige politische Initiative und auf Massenarbeit zum Ausdruck kommen, sondern im Inhalt unserer Politik selbst. Die Linke Opposition paßt sich der Stalinschen Bürokratie nicht an, verschweigt nicht deren Fehler und Verbrechen, im Gegenteil. Sie unterzieht diese einer unversöhnlichen Kritik. Doch liegt das Ziel dieser Kritik nicht darin, den bestehenden kommunistischen Parteien Konkurrenzparteien gegenüberzustellen, sondern darin, den proletarischen Kern der offiziellen Parteien auf unsere Seite zu ziehen und sie auf diese Weise auf marxistischer Grundlage wiederzubeleben.

Krasser und schärfer als überall steht diese Frage in der UdSSR. Die Politik einer zweiten Partei würde dort die Politik des bewaffneten Aufstandes und einer neuen Revolution bedeuten. Die Politik der Fraktion bedeutet den Kurs auf innere Reform der Partei und des Arbeiterstaates. Allen Verleumdungen der Stalinschen Bürokratie und ihrer Nachbeter zum Trotz bleibt die Opposition voll und ganz auf dem Wege der Reform.

Unser Verhältnis zur Kommunistischen Internationale ist durch den Namen unserer Fraktion bestimmt: Linke Opposition. Der Inhalt unserer Ideen und Methoden ist klar genug charakterisiert durch den Namen Bolschewiki-Leninisten. Jede Sektion muß diese beiden einander ergänzenden Bezeichnungen tragen.


[1]Der Text wurde erstmals in deutscher Übersetzung veröffentlicht in Unser Wort, Halbmonatsschrift der deutschen Sektion der Internationalen Linken Opposition, 1. Jhg., Nr. 1, Mitte März 1933. Die Übersetzung aus dem russischen ist sprachlich leider etwas holprig.
[2]Pierre Monatte (1881-1960) und Robert Louzon (1882-1976) waren Syndikalisten, die sich der KPF angeschlossen hatten. Monatte wurde 1924 wegen Unterstützung Trotzkis ausgeschlossen, Louzon trat aus Solidarität mit Monatte aus. Hugo Urbahns wurde 1926 als Linksabweichler aus der KPD ausgeschlossen. Er war 1928 Mitgründer des Leninbundes. Von letzterem spaltete sich 1930 eine Minderheit um Anton Grylewicz ab, nachdem es zu Auseinandersetzungen über die Haltung zur Sowjetunion gekommen war. Diese Gruppe beteiligte sich an der Gründung der Vereinigten Linken Opposition (Bolschewiki-Leninisten).
[3]Die Parteirechte wurde geführt von Bucharin, Rykow und Tomski
[4]Heinrich Brandler (1881-1967) war Mitbegründer der KPD, 1923 ihr wichtigster Führer. Er wurde 1924 aus der Parteiführung entfernt und gründete mit August Thalheimer die Kommunistische Partei-Opposition KPO. Brandler wurde 1929 aus der KPD ausgeschlossen. Die 1930 gegründete Internationale Vereinigung der Kommunistischen Opposition (IVKO) löste sich 1939 auf.
[5]1932 wurde in Amsterdam auf Initiative der Kommunistischen Internationale ein internationaler Kongreß gegen den Krieg durchgeführt.
[6]Das ZK der KPD nahm 1930 eine "Programm-Erklärung zur nationalen und sozialen Befreiung des deutschen Volkes" an, um den Nazis das Wasser abzugraben. Der nationalistische Kurs der KPD schadete jedoch nur der KPD und gab den Nazis eher noch Auftrieb.
[7]so wurde die Politik der Revolutionären Gewerkschaftsopposition genannt, die seit 1929 in den Aufbau eigener "roter" Gewerkschaftsorganisationen mündete, die mit den reformistisch geführten Gewerkschaftsorganisationen konkurrierten. Trotzkis Hauptkritik an dieser Politik war, daß sich die KPD damit selbst von den Anhängern der reformistischen Führungen und damit von der Mehrheit der organisierten Arbeiterklasse isolierte.
[8]Die Neufassung erfolgte, weil sich die Komintern als unfähig erwies, aus der dem Sieg des Faschismus Konsequenzen zu ziehen. Die Internationale Linke Opposition zog daraus den Schluß, daß die Komintern unreformierbar war und orientierte auf den Aufbau neuer revolutionärer Parteien.