Leo Trotzki:

Die Agonie des Kapitalismus und die Aufgaben der IV. Internationale (1938) -Auszug-

Das Minimalprogramm und das Übergangsprogramm

Die strategische Aufgabe der nächsten Periode - einer vorrevolutionären Periode der Agitation, Propaganda und Organisierung - besteht darin, den Widerspruch zwischen der Reife der objektiven Bedingungen der Revolution und der Unreife des Proletariats und seiner Vorhut (Verwirrung und Entmutigung der alten Generation, mangelnde Erfahrung der jungen) zu überwinden. Man muß der Masse im Verlauf ihres täglichen Kampfes helfen, die Brücke zu finden zwischen ihren Sofortforderungen und dem Programm der sozialistischen Revolution. Diese Brücke muß aus einem System von Übergangsforderungen bestehen, die ausgehen von den augenblicklichen Bedingungen und dem heute vorhandenen Bewußtsein breiter Schichten der Arbeiterklasse und die unabänderlich zu ein und demselben Schluß führen: der Eroberung der Macht durch das Proletariat.

In der Epoche, in der der Kapitalismus noch eine fortschrittliche Rolle spielte, teilte die klassische Sozialdemokratie ihr Programm in zwei voneinander unabhängige Teile auf: das Minimalprogramm, das sich auf Reformen im Rahmen der bürgerlichen Gesellschaft beschränkte, und das Maximalprogramm, das für eine unbestimmte Zukunft die Ersetzung des Kapitalismus durch den Sozialismus versprach.

Zwischen dem Minimalprogramm und dem Maximalprogramm gab es keine Brücke. Die Sozialdemokratie brauchte keine solche Brücke, denn den Sozialismus erwähnte sie nur in Sonntagsreden. Die Kommunistische Internationale hat den Weg der Sozialdemokratie in der Epoche des faulenden Kapitalismus beschritten, wo im allgemeinen weder die Rede sein kann von systematischen Sozialreformen noch von der Hebung des Lebensstandards der Massen; wo die Bourgeoisie sich jedesmal mit der rechten Hand das Doppelte von dem nimmt, was sie mit der linken Hand gegeben hat (Steuern, Zölle, Inflation, "Deflation", Teuerung, Arbeitslosigkeit, Schlichtung des Streiks durch Polizei usw.); wo jede ernsthafte Forderung des Proletariats und sogar jede fortschrittliche Forderung des Kleinbürgertums unausweichlich über die Grenzen des kapitalistischen Eigentums und des bürgerlichen Staates hinausführt.

Die strategische Aufgabe der IV. Internationale besteht nicht darin den Kapitalismus zu reformieren, sondern darin, ihn zu stürzen. Ihr politisches Ziel ist die Eroberung der Macht durch das Proletariat, um die Bourgeoisie zu enteignen. Die Lösung dieser strategischen Aufgabe ist jedoch undenkbar ohne die größtmögliche Sorgfalt gegenüber allen, auch den kleinsten und partiellen taktischen Fragen. Alle Teile des Proletariats, alle seine Schichten, Berufe und Gruppen müssen in die revolutionäre Bewegung hineingezogen werden. Was die Besonderheit der gegenwärtigen Epoche ausmacht, ist nicht, daß sie die revolutionäre Partei von der Alltagsarbeit befreit, sondern daß sie es ermöglicht, die Tagesarbeit unauflösbar mit den Aufgaben der Revolution zu verbinden.

Die IV. Internationale verwirft die alten Minimalforderungen nicht, soweit diese wenigstens noch einen Teil ihrer Mobilisierungskraft haben. Sie verteidigt unermüdlich die demokratischen Rechte der Arbeiter und ihre sozialen Errungenschaften. Aber sie führt diese Tagesarbeit aus im Rahmen einer richtigen aktuellen, d.h. revolutionären Perspektive. In dem Maße wie die alten partiellen Minimalforderungen der Massen auf die zerstörerischen und erniedrigenden Tendenzen des verfallenden Kapitalismus stoßen - und das geschieht auf Schritt und Tritt -, stellt die IV. Internationale ein System von Übergangsforderungen auf, deren Sinn es ist, sich immer offener und entschlossener gegen die Grundlagen der bürgerlichen Herrschaft selbst zu richten. Das alte Minimalprogramm wird ständig überholt vom Übergangsprogramm, dessen Aufgabe darin besteht, die Massen systematisch für die proletarische Revolution zu mobilisieren.

Gleitende Lohnskala und Verringerung der Arbeitszeit (gleitende Arbeitszeitskala)

Unter den Bedingungen des sich zersetzenden Kapitalismus führen die Massen weiter das kärgliche Leben von Unterdrückten, die jetzt mehr denn je Gefahr laufen, in den Abgrund des Pauperismus geworfen zu werden. Sie sind gezwungen, ihr Stück Brot zu verteidigen, wenn sie es schon nicht vergrößern oder verbessern können. Hier besteht weder die Möglichkeit noch die Notwendigkeit, all die verschiedenen partiellen Forderungen aufzuzählen, die jeweils aus den konkreten nationalen, lokalen und beruflichen Bedingungen hervorgehen. Aber zwei wirtschaftliche Grundübel, in denen sich die wachsende Sinnlosigkeit des kapitalistischen Systems zusammen faßt, nämlich die Arbeitslosigkeit und die Verteuerung des Lebens, erfordern verallgemeinerte Losungen und Kampfmethoden.

Die IV. Internatonale erklärt der Politik der Kapitalisten einen unversöhnlichen Krieg, einer Politik, die zu einem beträchtlichen Teil - genauso wie die Politik ihrer Agenten, der Reformisten-, in dem Versuch besteht, auf die Arbeiterklasse die ganze Last des Militarismus, der Krise, der Zerrüttung der Geldsysteme und andere Übel des kapitalistischen Niedergangs abzuwälzen. Sie fordert Arbeit und eine würdige Existenz für alle.

Weder Inflation noch Stabilitätspolitik können dem Proletariat als Losungen dienen, denn das sind nur die zwei Gesichter ein und derselben Medaille. Gegen die Teuerung, die mit dem Herannahen des Krieges einen immer zügelloseren Charakter annehmen wird, kann man nur kämpfen mit der Losung der Gleitenden Lohnskala. Die Tarifverträge müssen die automatische Erhöhung der Löhne gleichlaufend mit den Preissteigerungen der Verbrauchsgüter garantieren.

Will es sich nicht selbst dem Untergang ausliefern, dann darf das Proletariat nicht dulden, daß ein wachsender Teil der Arbeiterschaft zu chronisch Arbeitslosen, zu Elenden gemacht wird, die von den Krümeln einer sich zersetzenden Gesellschaft leben. Das Recht auf Arbeit ist das einzig ernsthafte Recht, das der Arbeiter in einer auf Ausbeutung begründeten Gesellschaft besitzt. Ihm wird jedoch in jedem Augenblick dieses Recht genommen. Gegen die Arbeitslosigkeit - sowohl die strukturelle wie die konjunkturelle - ist es an der Zeit, neben der Parole der öffentlichen Arbeiten die Losung der Gleitenden Skala der Arbeitszeit (Verringerung der Arbeitszeit) auszugeben. Die Gewerkschaften und andere Massenorganisationen müssen diejenigen, die Arbeit haben und diejenigen, die keine haben, durch die gegenseitige Verpflichtung zur Solidarität verbinden. Auf dieser Basis muß die verfügbare Arbeit unter alle vorhandenen Arbeitskräfte aufgeteilt und so die Dauer der Arbeitswoche bestimmt werden. Der Durchschnittslohn jedes Arbeiters bleibt der gleiche wie bei der bisherigen Arbeitswoche. Der Lohn, mit einem fest garantierten Minimum, folgt der Bewegung der Preise. Kein anderes Programm ist für die jetzige Periode der Katastrophen annehmbar.

Die Besitzenden und ihre Anwälte werden die "Unmöglichkeit der Verwirklichung" dieser Forderungen darlegen. Die kleinere Kapitalisten, insbesondere diejenigen, die vor dem Ruin stehen, werden außerdem auf ihre Buchführung verweisen. Die Arbeiter werden diese Argumente und Empfehlungen kategorisch zurückweisen. Es handelt sich nicht um den "normalen" Zusammenstoß entgegengesetzter materieller Interessen. Es geht darum, das Proletariat vor Verfall, Demoralisierung und Ruin zu bewahren. Es geht um Leben und Tod der einzig schöpferischen und fortschrittlichen Klasse und damit um die Zukunft der Menschheit selbst. Wenn der Kapitalismus nicht in der Lage ist, die Forderungen zu befriedigen, die unausweichlich aus den Übeln hervorgehen, die er selbst erzeugt hat, dann soll er untergehen! Die "Möglichkeit" oder "Unmöglichkeit", diese Forderungen zu verwirklichen, ist hierbei eine Frage des Kräfteverhältnisses, die nur durch den Kampf gelöst werden kann. Auf der Grundlage dieses Kampfes werden die Arbeiter - was auch immer seine unmittelbaren praktischen Erfolge sein mögen - am besten die Notwendigkeit begreifen, die kapitalistische Sklaverei zu liquidieren.

Die Gewerkschaften in der Übergangsepoche

Im Kampf für die Teil- und Übergangsforderungen benötigen die Arbeiter mehr denn je Massenorganisationen, vor allem Gewerkschaften. Der mächtige Anstieg der Gewerkschaften in Frankreich und den Vereinigten Staaten ist die beste Antwort an die ultralinken Doktrinäre der Passivität, die gepredigt haben, die Gewerkschaften seien "überholt".

Die Bolschewiki-Leninisten stehen in der vordersten Reihe aller Kämpfe der verschiedensten Formen, selbst wenn es sich um die bescheidensten materiellen Interessen oder demokratischen Rechte der Arbeiterklasse handelt. Sie nehmen aktiv teil am Leben der Massengewerkschaften und bemühen sich, sie zu stärken und ihren Kampfgeist zu erhöhen. Sie kämpfen unversöhnlich gegen jeglichen Versuch, die Gewerkschaften dem bürgerlichen Staat zu unterwerfen und das Proletariat durch die "Zwangsschlichtung" und alle anderen Formen polizeilicher Intervention zu binden, und zwar nicht nur der faschistischen, sondern auch der" demokratischen".

Nur auf der Grundlage dieser Arbeit ist es möglich, innerhalb der Gewerkschaften mit Erfolg gegen die reformistische Bürokratie zu kämpfen, insbesondere gegen die stalinistische Bürokratie. Die sektiererischen Versuche, kleine "revolutionäre" Gewerkschaften aufzubauen oder aufrechtzuerhalten als eine zweite Ausgabe der Partei, bedeutet in Wirklichkeit den Verzicht auf den Kampf um die Führung der Arbeiterklasse. Hier muß als unumstößlicher Grundsatz gelten: die kapitulierende Selbstisolierung außerhalb der Massengewerkschaften ist gleichbedeutend mit dem Verrat der Revolution, ist unvereinbar mit der Zugehörigkeit zur IV. Internationale.

Zugleich verwirft und verurteilt die IV. Internationale entschieden jeglichen Gewerkschaftsfetischismus, wie er gleichermaßen Nur-Gewerkschaftern und Syndikalisten eigen ist:

a) Die Gewerkschaften haben kein vollkommenes revolutionäres Programm und können es angesichts ihrer Aufgaben, ihrer Zusammensetzung und der Art und Weise ihrer Mitgliederaufnahme auch gar nicht haben; deshalb können sie die Partei nicht ersetzen. Der Aufbau nationaler revolutionärer Parteien als Sektionen

der IV. Internationale ist die zentrale Aufgabe der Übergangsepoche.

b) Die Gewerkschaften, selbst die mächtigsten, umfassen nicht mehr als 20 - 25 % der Arbeiterklasse und im übrigen nur ihre qualifiziertesten und bestbezahlten Schichten. Die unterdrücktere Mehrheit der Arbeiterklasse wird nur episodisch Kampf hineingezogen, in den Perioden eines außergewöhnlichen Aufschwungs Arbeiterbewegung. Dann muß man darangehen, ad hoc der Notwendigkeit des Augenblicks entsprechende Organisationen zu schaffen, die die gesamte Masse im Kampf umfassen: Streikausschüsse, Fabrikräte und schließlich Räte.

c) Als Organisationen der oberen Schichten des Proletariats entwickeln die Gewerkschaften, wie die gesamte historische Erfahrung - einschließlich der noch ganz frischen Erfahrung der anarchosyndikalistischen Gewerkschaften Spaniens - zeigt, starke Tendenzen zur Versöhnung mit dem demokratisch-bürgerlichen Regime. In Perioden zugespitzter Klassenkämpfe bemühen sich die Gewerkschaften krampfhaft, der Massenbewegung Herr zu werden, um sie zu neutralisieren. Das geschieht schon bei einfachen Streiks und besonders bei Massenstreiks mit Fabrikbesetzungen. In Kriegszeiten oder in revolutionäre Perioden, wenn die Lage für die Bourgeoisie besonders schwierig wird, werden Gewerkschaftsführer häufig zu bürgerlichen Ministern.

Deshalb müssen sich die Sektionen der IV. Internationale ständig bemühen, nicht nur den Gewerkschaftsapparat zu erneuern, in dem sie in kritischen Augenblicken mutig und entschlossen anstelle der routinierten Funktionäre und Karrieristen neue kämpferische Führer vorschlagen, sondern auch überall da, wo es möglich ist, eigenständige Kampforganisationen schaffen, die den Aufgaben des Kampfes der Massen gegen die bürgerliche Gesellschaft besser entsprechen. Sie dürfen notfalls auch nicht davor haltmachen, mit dem konservativen Gewerkschaftsapparat offen zu brechen. Wenn es verbrecherisch ist, den Massenorganisationen den Rücken zuzukehren, um sich mit sektiererischen Fiktionen zu begnügen, so ist es nicht weniger verbrecherisch, passiv die Unterordnung der revolutionären Massenbewegung unter die Kontrolle der offen reaktionären oder verhüllt konservativen "progressiven" bürokratischen Cliquen zu dulden. Die Gewerkschaft ist kein Ziel an sich, sondern nur eines der Mittel auf dem Weg zur proletarischen Revolution.

Fabrikräte

Die Bewegung der Arbeiterklasse in der Übergangsepoche verläuft nicht ruhig und gleichförmig, sondern in Schüben und manchmal explosionsartig. Die Losungen sowie die Organisationsformen müssen diesem Charakter der Bewegung entsprechen. Die Routine wie die Pest verabscheuend, muß die Führung auf die Initiative der Massen mit höchster Sensibilität antworten.

Streiks mit Fabrikbesetzungen, eine der jüngsten Erscheinungsformen dieser Masseninitiative, sprengen die Grenzen der "normalen" kapitalistischen Herrschaft. Unabhängig von den Forderungen der Streikenden versetzt die zeitweilige Besetzung der Unternehmen dem Götzenbild des kapitalistischen Eigentums einen schweren Schlag. Jeder Besetzungsstreik stellt praktisch die Frage, wer der Herr in der Fabrik ist: der Kapitalist oder die Arbeiter.

Wenn der Besetzungsstreik diese Frage zeitweilig stellt, so gibt der Fabrikrat derselben Frage einen organisierten Ausdruck. Von allen Arbeitern und Angestellten des Betriebes gewählt, schafft der Fabrikrat unmittelbar ein Gegengewicht gegen den Willen der Eigentümer.

Der reformistischen Kritik an den Bossen alten Schlags, wie Ford, denen man ihren "Herr im Haus-Standpunkt" vorwirft und dem die "guten, demokratischen" Ausbeuter entgegengehalten werden, stellen wir die Losung der Fabrikräte als Zentren des Kampfes gegen die eine wie die andere Sorte entgegen.

Die Gewerkschaftsbürokraten werden sich in der Regel der Bildung von Fabrikräten widersetzen, ebenso wie sie sich jedem kühnen Schritt auf dem Weg zu Mobilisierung der Massen entgegenstellen werden. Es wird jedoch um so leichter sein, ihren Widerstand zu brechen, je weiter die Bewegung um sich greift. Dort, wo die Arbeiter des Betriebes bereits in "ruhigen" Zeiten vollständig in der Gewerkschaft organisiert sind ("closed shop"), wird der Fabrikrat formal mit der Gewerkschaftsorganisation zusammenfallen, aber seine Zusammensetzung erneuern, und seinen Wirkungsbereich erweitern. Die zentrale Bedeutung des Komitees liegt jedoch darin, im Kampf einen Generalstab zu bilden für diejenigen Arbeiterschichten, die in normalen Zeiten von der Gewerkschaft nicht erfaßt werden. Es werden gerade aus diesen besonders ausgebeuteten Schichten der Klasse die der Revolution ergebensten Truppen hervorgehen.

Sobald ein solcher Fabrikrat entsteht, ergibt sich in der Fabrik tatsächlich eine Situation der Doppelherrschaft. Ihrem Wesen nach ist diese Doppelherrschaft eine Übergangssituation, denn sie schließt zwei unversöhnliche Herrschaftsformen in sich ein: das kapitalistische und das proletarische Regime. Die grundsätzliche Bedeutung der Fabrikräte besteht genau darin, eine vorrevolutionäre wenn nicht gar revolutionäre Periode zwischen der bürgerlichen und der proletarischen Herrschaft zu eröffnen. Daß die Propaganda für die Fabrikkomitees weder verfrüht noch künstlich ist, bezeugt am deutlichsten die Welle der Fabrikbesetzungen, die über eine Reihe von Ländern hinweggegangen ist. Weitere Wellen dieser Art werden in naher Zukunft unausweichlich sein. Es ist notwendig, rechtzeitig eine Kampagne für die Fabrikräte zu beginnen, um nicht unvorbereitet von den Ereignissen überrascht zu werden.

Das Geschäftsgeheimnis

und die Arbeiterkontrolle über die Industrie

Der liberale Kapitalismus, der auf der freien Konkurrenz und der Handelsfreiheit beruhte, ist weit in der Vergangenheit versunken. Der monopolistische Kapitalismus, der an seine Stelle getreten ist, hat nicht nur nicht die Anarchie des Marktes eingeschränkt, sondern ihr im Gegenteil einen besonders krampfhaften Charakter verliehen. Die Notwendigkeit einer "Kontrolle" über die Wirtschaft, einer staatlichen "Führung", einer "Planung", wird nunmehr - zumindest in Worten - von fast allen bürgerlichen und kleinbürgerlichen Denkrichtungen anerkannt, vom Faschismus bis hin zur Sozialdemokratie. Für die Faschisten handelt es sich vor allem um eine geplante Ausplünderung des Volkes für militärische Zwecke. Die Sozialdemokraten versuchen, den Ozean der Anarchie mit dem Löffel einer bürokratischen "Planung" auszuschöpfen. Ingenieure und Professoren schreiben Artikel über die "Technokratie". Die demokratischen Regierungen stoßen bei ihren Versuchen der "Regulierung" auf die unüberwindliche Sabotage des Großkapitals.

Das wirkliche Verhältnis zwischen den Ausbeutern und den demokratischen "Kontrolleuren" wird am deutlichsten durch die Tatsache enthüllt, daß die Herren "Reformer" voller heimlicher Ehrfurcht vor den Schwellen der Konzerne mit ihren Betriebs- und geschäftlichen "Geheimnissen" haltmachen. Hier hält man sich heraus. Die Rechnungslegung zwischen dem einzelnen Kapitalisten und der Gesellschaft bleibt das Geheimnis des Kapitalisten: die Gesellschaft geht das nichts an. Das Geschäftsgeheimnis wird noch heute mit den Erfordernissen der "Konkurrenz" gerechtfertigt - wie in der Epoche des liberalen Industriekapitalismus. In Wirklichkeit haben die Trusts keine Geheimnisse voreinander. In der gegenwärtigen Epoche ist das Geschäftsgeheimnis eine ständige Verschwörung des Monopolkapitals gegen die Gesellschaft. Die Pläne zur Beschränkung des Absolutismus der "Unternehmerwillkür" bleiben klägliche Farcen, solange die Privateigentümer der gesellschaftlichen Produktionsmittel vor den Produzenten und Verbrauchern die Mechanismen der Ausbeutung, der Plünderung und des Betrugs verbergen können. Die Aufhebung des "Geschäftsgeheimnisses" ist der erste Schritt zu einer wirk1ichen Kontrolle über die Industrie.

Die Arbeiter haben ebenso wie die Kapitalisten ein Recht darauf, die "Geheimnisse" des Betriebes, des Konzerns, des Industriezweigs, der gesamten Volkswirtschaft zu kennen. Die Banken, die Schwerindustrie und das zentralisierte Transportwesen müssen als erstes unter die Lupe genommnen werden.

Die ersten Aufgaben der Arbeiterkontrolle bestehen darin, Soll und Haben der Gesellschaft zu analysieren, angefangen beim einzelnen Unternehmen; den wirklichen Anteil des Einzelkapitalisten und aller Ausbeuter in ihrer Gesamtheit am Nationaleinkommen zu bestimmen; die Kulissenschiebereien und den Schwindel der Banken und Trusts bloßzustellen und schließlich, vor den Augen der Gesellschaft, die gewissenlose Vergeudung menschlicher Arbeitskraft zu enthüllen, die das Ergebnis kapitalistischer Anarchie und Profitjagd ist.

Kein Beamter des bürgerlichen Staates kann diese Aufgabe durchführen, welche Vollmachten man ihm auch geben mag. Die ganze Welt hat die Ohnmacht Präsident Roosevelts und des Ministerpräsidenten Leon Blum gegenüber der Verschwörung der "60" oder der "200" Familien miterlebt. Um den Widerstand der Arbeiter zu brechen, bedarf es des Drucks von Seiten des Proletariats. Die Fabrikräte, und nur sie, können eine wirkliche Kontrolle über die Produktion garantieren, indem sie die ehrlichen und dem Volk ergebenen Fachleute als Berater und nicht als "Technokraten" heranziehen: Buchhalter, Statistiker, Ingenieure, Wissenschaftler usw.

Insbesondere ist der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit nicht denkbar ohne die Forderung nach einer umfassenden und energischen Organisierung großer öffentlicher Arbeiten. Aber die öffentlichen Arbeiten können nur dann eine dauerhafte und fortschrittliche Bedeutung für die Gesellschaft wie für die Arbeitslosen selbst haben, wenn sie Teil eines allgemeinen Plans sind, der für eine Reihe von Jahren entworfen ist. Im Rahmen eines solchen Plans werden die Arbeiter die Wiederaufnahme der Arbeit in den als Folge der Krise geschlossenen privaten Betrieben auf Kosten der Gesellschaft fordern. In diesen Fällen wird die Arbeiterkontrolle einer unmittelbaren Verwaltung durch die Arbeiter Platz machen.

Die Ausarbeitung eines Wirtschaftsplans, selbst des elementarsten, ist vom Standpunkt der Arbeiterinteressen und nicht dem der Ausbeuter undenkbar ohne Arbeiterkontrolle, ohne die Einsichtnahme der Arbeiter in alle offenen und geheimen Reservefonds der kapitalistischen Ökonomie. Die Fabrikräte der verschiedenen Unternehmen müssen auf entsprechenden Konferenzen neue Ausschüsse wählen, die jeweils die Konzerne, die Industriezweige, die Wirtschaftsregionen und schließlich die nationale Industrie in ihrer Gesamtheit umfassen. So wird die Arbeiterkontrolle zur Schule der Planwirtschaft. Durch die Erfahrung der Kontrolle bereitet sich das Proletariat darauf vor, unmittelbar die Führung der nationalisierten Industrie zu übernehmen, wenn dafür die Stunde gekommen ist.

Den Kapitalisten, vor allem die kleineren und mittleren, die gelegentlich selbst anbieten, den Arbeitern ihre Bücher offenzulegen - vor allem, um ihnen die Notwendigkeit von Lohnkürzungen zu beweisen -, werden die Arbeiter antworten, daß sie sich für die Bücher einzelner maroder Unternehmer oder baldiger Bankrottmacher nicht interessieren, sondern nur die Bücher aller Ausbeuter. Die Arbeiter können und wollen ihren Lebensstandard nicht den Erfordernissen einzelner Kapitalisten anpassen, die ihrem eigenen System zum Opfer gefallen sind. Die Aufgabe besteht darin, das ganze Produktions- und Verteilungssystem auf rationelleren und sinnvolleren Grundlagen zu reorganisieren. Wie die Aufhebung des Geschäftsgeheimnisse die notwendige Bedingung der Arbeiterkontrolle ist, so ist diese Kontrolle der erste Schritt auf dem Wege zur sozialistischen Leitung der Wirtschaft.

Die Enteignung bestimmter Gruppen von Kapitalisten

Das sozialistische Programm der Expropriation, d.h. des politischen Sturzes der Bourgeoisie und der Beseitigung ihrer wirtschaftlichen Herrschaft, darf uns, wenn sich die Gelegenheit dafür bietet, auf keinen Fall davon abhalten zu fordern, daß bestimmte Industriezweige, die für die nationale Existenz am wichtigsten sind, oder bestimmte Gruppen der Bourgeoisie, die am parasitärsten sind, enteignet werden.

So stellen wir dem pathetischen Gejammere der Herren Demokraten über die Diktatur der "60" Familien in den Vereinigten Staaten oder der "200" Familien in Frankreich die Forderung nach Enteignung dieser 60 oder 200 Großkapitalisten entgegen. Ebenso fordern wir die Enteignung der monopolistischen Gesellschaften der Rüstungsindustrie, der Eisenbahnen, der wichtigsten Rohstoffquellen usw.

Der Unterschied zwischen diesen Forderungen und der verwaschenen reformistischen Losung der "Nationalisierung" besteht in folgendem:

1. Wir lehnen Entschädigungen ab; 2. wir warnen die Massen vor den Scharlatanen der Volksfront, die zwar Lippenbekenntnisse für die Nationalisierung abgeben, in Wirklichkeit aber Agenten des Kapitals bleiben; 3. wir rufen die Massen dazu auf, nur auf ihre revolutionäre Kraft zu vertrauen; 4. wir verbinden die Frage der Enteignung mit der Frage der Arbeiter- und Bauernmacht.

Die Notwendigkeit, die Losung der Enteignung in der täglichen Agitation, und dem

zufolge bruchstückhaft, und nicht nur von einem propagandistischen Gesichtspunkt

aus unter ihrer verallgemeinerten Form auszugeben, ergibt sich aus der Tatsache,

daß die verschiedenen Industriezweige unterschiedliche Entwicklungsstufen erreicht haben, im Leben der Gesellschaft unterschiedliche Bedeutung haben und unterschiedliche Stadien im Klassenkampf durchlaufen. Nur der allgemeine revolutionäre Aufschwung des Proletariats kann die allgemeine Enteignung der Bourgeoisie auf die Tagesordnung setzen. Die Übergangsforderungen zielen darauf ab, das Proletariat auf die Lösung dieses Problems vorzubereiten.

Enteignung der Privatbanken und Verstaatlichung des Kreditsystems

Imperialismus bedeutet die Herrschaft des Finanzkapitals. Neben den Konzernen und Trusts, und oft über ihnen, konzentrieren die Banken in ihren Händen die wirkliche Verfügungsgewalt über die Wirtschaft. In ihrer Struktur spiegeln die Banken in konzentrierter Form die ganze Struktur des heutigen Kapitalismus wider: sie verbinden die Tendenzen zur Monopolbildung mit Tendenzen zur Anarchie. Sie organisieren technische Wunder, gigantische Unternehmen, mächtige Trusts, und sie organisieren auch die Teuerung, die Krisen und die Arbeitslosigkeit. Ernsthafte Schritte voran sind im Kampf gegen die Despotie der Monopole und gegen die kapitalistische Anarchie (die sich gegenseitig in ihrem Zerstörungswerk ergänzen)unmöglich, wenn man die Steuerknüppel der Banken in den Händen raubgieriger Finanzmagnaten beläßt.

Um ein einheitliches Investitions- und Kreditsystem zu schaffen, das nach einem

rationellen Plan arbeitet, der den Bedürfnissen des ganzen Volkes entspricht, muß man alle Banken in einer einzigen nationalen Institution zusammenfassen. Erst die Enteignung der Privatbanken und Vereinigung des Kreditsystems in Staatshand verschaffen dem Staat die notwendigen, wirksamen - und d.h. materiellen und nicht nur ausgedachten bürokratischen - Mittel für die wirtschaftliche Planung.

Die Enteignung der Banken bedeutet auf keinen Falt die Enteignung der kleinen Bankeinlagen. Im Gegenteil: für die kleinen Sparer kann die Vereinigte Staatsbank günstigere Bedingungen schaffen als die Privatbanken. Ebenso kann nur die Staatsbank den Bauern, den Handwerkern und kleinen Kaufleuten billige Vorzugskredite verschaffen.

Noch wichtiger aber ist, daß die ganze Wirtschaft, vor allem die Schwerindustrie und die Transportwirtschaft, von einem einzigen Finanzstab geführt wird, der den grundlegenden Bedürfnissen der Arbeiter und aller anderen Werktätigen dienen wird.

Die Verstaatlichung der Banken bringt jedoch nur dann diese günstigen Ergebnisse, wenn die Staatsmacht selbst aus den Händen der Ausbeuter vollständig in die Hände der Arbeiter übergeht.

Streikposten, Selbstverteidigungsgruppen, Arbeitermilizen

- die Bewaffnung des Proletariats

Streiks mit Fabrikbesetzungen sind eine sehr ernste Warnung der Massen an

die Adresse nicht nur der Bourgeoisie, sondern auch an die Arbeiterorganisationen, einschließlich der IV. Internationale. 1919 bis 1920 besetzten die italienischen Arbeiter aus eigener Initiative die Betriebe und zeigten damit ihrer eigenen "Führung", daß die Revolution herannahte. Die "Führer" beachteten dieses Zeichen nicht. Der Sieg des Faschismus war das Ergebnis.

Die Besetzungsstreiks sind noch keine Inbesitznahme der Fabriken nach italienischer Art, aber sie sind ein entscheidende Schritt auf dem Weg dorthin. Die aktuelle Krise kann den Klassenkampfes zu einem Höhepunkt treiben und die Entscheidung schneller herbeiführen: Man darf jedoch nicht glauben, daß eine revolutionäre Situation auf einen Schlag entsteht. In Wirklichkeit wird ihr Herannahen durch eine Reihe von gewaltigen Unruhen gekennzeichnet sein. Eine Streikwelle mit Fabrikbesetzungen ist eines dieser Vorzeichen. Es ist die Aufgabe der Sektionen der IV. Internationale, der proletarischen Vorhut zu helfen, den allgemeinen Charakter und die Bewegungsabläufe unserer Epoche zu verstehen und rechtzeitig den Kampf der Massen durch immer entschiedenere Losungen und organisatorische Kampfmaßnahmen zu befruchten.

Die Verschärfung des Kampfes des Proletariats führt zur Verschärfung der Methoden des Gegenangriffs von Seiten des Kapitals. Die neuen Streikwellen mit Fabrikbesetzungen können und werden unausweichlich energische Gegenmaßnahmen der Bourgeoisie als Reaktion hervorrufen. Die Vorbereitungen dazu werden schon jetzt in den Generalstäben der Konzerne getroffen. Wehe den revolutionären Organisationen, wehe dem Proletariat, wenn sie wieder unvorbereitet überrascht werden und sich auf Improvisationen verlassen!

Die Bourgeoisie gibt sich nirgendwo mit der offiziellen Polizei und Armee zufrieden. In den Vereinigten Staaten unterhält sie selbst in "ruhigen" Zeiten paramilitärische, gelbe Streikbrechertruppen und private bewaffnete Banden in den Fabriken. Hinzu kommen noch die Banden der amerikanischen Nazis! Die französische Bourgeoisie hat beim ersten Herannahen der Gefahr halblegale und illegale faschistische Abteilungen bis in die offizielle Armee hinein mobilisiert. So braucht nur der Druck der englischen Arbeiter wieder zuzunehmen und schon verdoppeln, verdreifachen, verzehnfachen sich die Banden Mosleys und beginnen einen blutigen Kreuzzug gegen die Arbeitet. Die Bourgeoisie ist sich vollkommen klar darüber, daß der Klassenkampf in der gegenwärtigen Epoche unausweichlich in einen Bürgerkrieg umzuschlagen droht. Aus den Beispielen Italiens, Deutschlands, Österreichs, Spaniens und anderer Länder haben die Magnaten und Lakaien des Kapitals viel mehr gelernt als die offiziellen Führer des Proletariats.

Die Politiker der II. und der III. Internationale sowie die Gewerkschaftsbürokraten schließen mit vollem Bewußtsein die Augen vor der Privatarmee der Bourgeoisie. Sonst könnten sie nicht einen Tag lang ihr Bündnis mit der Bourgeoisie aufrechterhalten. Die Reformisten hämmern den Arbeitern systematisch die Vorstellung ein, daß die hochheilige Demokratie dann am besten gesichert ist, wenn die Bourgeoisie bis an die Zähne bewaffnet ist und die Arbeiter entwaffnet.

Es ist die Pflicht der IV. Internationale, ein für allemal mit dieser unterwürfigen Politik Schluß zu machen. Die kleinbürgerlichen Demokraten - einschließlich der Sozialdemokraten, Stalinisten und Anarchisten -, schreien um so lauter vom Kampf gegen den Faschismus, je feiger sie in Wirklichkeit vor ihm kapitulieren. Den Banden des Faschismus können erfolgreich nur bewaffnete Arbeiterabteilungen standhalten, die die Unterstützung von Millionen Werktätigen hinter ihrem Rücken spüren. Der Kampf gegen den Faschismus beginnt nicht in der Redaktionsstube liberale Blätter, sondern in der Fabrik und endet auf der Straße. Die Streikbrecher und die Privatgendarmen in den Fabriken sind die Grundzellen der Armee des Faschismus. Die Streikposten sind die Grundzellen der Armee des Proletariats. Hiervon muß man ausgehen. Bei jedem Streik und jeder Straßendemonstration muß man die Notwendigkeit propagieren, Arbeiterselbstverteidigungsgruppen zu schaffen. Man muß diese Losung in das Programm des revolutionären Flügels der Gewerkschaften einbringen. Man muß überall, wo es möglich ist - angefangen bei den Jugendorganisationen - die Organisierung von Selbstverteidigungsgruppen praktisch in die Hand nehmen und sie im Gebrauch von Waffen üben.

Der neue Aufschwung der Massenbewegung muß dazu dienen, nicht nur die Zahl dieser Einheiten zu vergrößern, sondern auch sie zusammenzufassen nach Stadtvierteln, Städten und Regionen. Man muß dem berechtigten Haß der Arbeiter auf die Gelben, die Gangster- und Faschistenbanden einen organisierten Ausdruck geben. Man muß die Losung der Arbeitermiliz aufstellen als der einzig ernstzunehmenden Garantie für die Unverletzlichkeit der Arbeiterorganisationen, ihrer Versammlungen und der Arbeiterpresse.

Nur eine systematische, beharrliche, unermüdliche und mutige Agitation und Propaganda, die immer in Verbindung stehen muß mit der Erfahrung der Massen selbst, kann aus ihrem Bewußtsein die Gewohnheiten des Gehorsams und der Passivität vertreiben. Nur sie kann heldenmütige Einheiten von Kämpfern erziehen, die allen Arbeitern ein Beispiel sind, die den Banden der Konterrevolution eine Reihe von taktischen Niederlagen beibringen, die das Selbstbewußtsein der Ausgebeuteten und Unterdrückten stärken, die den Faschismus in den Augen des Kleinbürgertums diskreditieren und die der Eroberung der Macht durch das Proletariat den Weg bahnen.

Engels definierte den Staat als "besondere Formation bewaffneter Menschen". Die

Bewaffnung des Proletariats ist ein unabdingbarer wesentlicher Teil seines Befreiungskampfes. Wenn das Proletariat es will, findet es Mittel und Wege, sich zu bewaffnen. Auch auf diesem Gebiet fallt die Führung natürlich den Sektionen der IV. Internationale zu.

Das Bündnis der Arbeiter und Bauern

Der Landarbeiter ist der Waffenbruder und Gefährte des Industriearbeiters auf dem Dorf. Sie bilden zwei Teile ein und derselben Klasse. Ihre Interessen sind nicht zu trennen. Das Programm der Übergangsforderungen der Industriearbeiter ist (mit Modifikationen) auch das Programm des Landproletariats.

Die Bauern (Farmer) repräsentieren eine andere Klasse: das Kleinbürgertum des Dorfes, Das Kleinbürgertum setzt sich aus verschiedenen Schichten zusammen, von den Halbproletariern bis hin zu den Ausbeutern. Deshalb besteht die politische Aufgabe des Industrieproletariats darin, den Klassenkampf in das Dorf zu tragen: Nur so kann es seine Verbündeten von seinen Feinden trennen.

Die Besonderheiten der nationalen Entwicklung eines jeden Landes finden ihren schärfsten Ausdruck in der Lage der Bauern und teilweise in der des städtischen Kleinbürgertums (Handwerker und Kaufleute), denn diese Klassen - wie stark sie zahlenmäßig auch sein mögen - stellen im Grunde Überbleibsel vorkapitalistischer Produktionsweisen dar. Die Sektionen der IV .Internationale müssen so konkret

wie möglich Programme von Übergangsforderungen für die Bauern und das städtische Kleinbürgertum ausarbeiten, die den Bedingungen des jeweiligen Landes entsprechen. Die fortgeschrittenen Arbeiter müssen es lernen, auf die Fragen ihrer künftigen Verbündeten klare und korrekte Antworten zu geben.

Solange der Bauer ein "unabhängiger" Kleinproduzent bleibt, braucht er billige Kredite, erschwingliche Preise für Landmaschinen und Dünger, günstige Transportmöglichkeiten und eine funktionierende Organisation für den Absatz landwirtschaftlicher Erzeugnisse. Doch die Banken, die Konzerne und die Kaufleute plündern den Bauern von allen Seiten. Nur die Bauern selbst können mit Hilfe der Arbeiter diesem Raub Einhalt gebieten. Es ist notwendig, daß Ausschüsse der Kleinbauern gebildet werden, die gemeinsam mit den Arbeiterkomitees und den Ausschüssen der Bankangestellten die Kontrolle der Transport-, Kredit- und Handelsoperationen in die Hand nehmen, die die Landwirtschaft betreffen.

Indem die Großbourgeoisie verlogen die "maßlosen Forderungen" der Arbeiter hochspielt, benutzt sie die Frage der Warenpreise als künstlichen Keil, den sie zwischen die Arbeiter und Bauern ebenso wie zwischen die Arbeiter und das Kleinbürgertum der Städte treibt. Der Bauer, der Handwerker, der kleine Händler können im Unterschied zum Arbeiter, zum Angestellten, zum kleinen Beamten keine Lohnerhöhungen parallel zum Ansteigen der Preise fordern. Der offizielle bürokratische Kampf gegen die Teuerung dient nur dazu, die Massen~ zu betrügen. Die Bauern, die Handwerker, die Kaufleute müssen sich jedoch in ihrer Eigenschaft als Verbraucher Hand in Hand mit den Arbeitern aktiv in die Preispolitik einschalten.

Auf das Gejammer der Kapitalisten über die Produktions-, Transport- und Handelskosten antworten die Verbraucher: "Zeigt uns eure Bücher; wir verlangen die Kontrolle über die Preispolitik". Die Organe dieser Kontrolle müssen die Preisüberwachungsausschüsse sein, gebildet aus Delegierten der Fabriken, der Gewerkschaften, der Genossenschaften, der Bauernorganisationen, der "kleinen Leute" der Städte, der Hausfrauen usw. Auf diesem Wege werden die Arbeitet den Bauern zeigen können, daß die wahre Ursache für die überhöhten Preise nicht in den hohen Löhnen liegt, sondern in maßlosen Profiten der Kapitalisten und in den toten Kosten der kapitalistischen Anarchie.

Das Programm der Nationalisierung des Bodens und der Kollektivierung der Land-

wirtschaft muß so gefaßt sein, daß daraus der Gedanke der Enteignung der Kleinbauern oder ihrer zwangsweisen Kollektivierung absolut ausgeschlossen bleibt. Der Bauer bleibt der Besitzer seines Stückchen Landes, solange er es für notwendig und möglich hält. Um in den Augen der Bauern das sozialistische Programm wieder zu Ehren zu bringen, muß man unbarmherzig die stalinistischen Methoden der Kollektivierung brandmarken, die von den Interessen der Bürokratie diktiert sind und nicht von denen der Bauern oder Arbeiter.

Die Expropriation der Expropriateure bedeutet auch nicht die zwangsweise Enteignung der kleinen Handwerker und der kleinen Landeigentümer. Im Gegenteil, die Arbeiterkontrolle über die Banken und Trusts, erst recht die Nationalisierung dieser Unternehmen, können für das städtische Kleinbürgertum unvergleichlich günstigere Kredit-, Einkaufs- und Verkaufsbedingungen schaffen als unter der uneingeschränkten Herrschaft der Monopole. An die Stelle der Abhängigkeit vom Privatkapital wird die Abhängigkeit vom Staat treten, der seinen sozial schwachen Mitarbeitern und Vertretern gegenüber um so aufmerksamer sein wird, je fester die Werktätigen selbst den Staat in der Hand haben.

Die praktische Teilnahme der ausgebeuteten Bauern an der Kontrolle der verschiedenen Wirtschaftsbereiche wird es den Bauern erlauben, selbst zu entscheiden, ob sie es für günstiger halten oder nicht, zur kollektiven Bearbeitung des Bodens überzugehen, in welchen Fristen und in welchem Umfang. Die Industriearbeiter verpflichten sich, den Bauern auf diesem Wege ihre volle Unterstützung zu geben: über die Gewerkschaften, die Fabrikkomitees und vor allem die Arbeiter- und Bauernregierung.

Das Bündnis, das das Proletariat nicht den "Mittelklassen" im allgemeinen, sondern den ausgebeuteten Schichten in Stadt und Land gegen alle Ausbeuter - ein schließlich denjenigen der "Mittelklassen" - vorschlägt, kann sich nicht auf Zwang gründen, sondern nur auf Freiwilligkeit. Dies muß in einem besonderen "Pakt" bekräftigt werden. Bei diesem "Pakt" handelt es sich genau um das Programm der Übergangsforderungen, das beide Seiten freiwillig angenommen haben.

Der Kampf gegen Imperialismus und Krieg

Die ganze Weltlage und demzufolge auch das innere politische Leben der einzelnen

Länder stehen unter der Drohung des Weltkriegs. Die bevorstehende Katastrophe

durchdringt schon die tiefsten Schichten der Menschheit mit Angst.

Die II. Internationale wiederholt ihre Politik des Verrats von 1914 mit um so größerer Zuversicht als die "Kommunistische" Internationale jetzt die erste Geige des Chauvinismus spielt. Kaum hatte die Kriegsgefahr eine konkrete Gestalt angenommen, machten sich die Stalinisten zu den eifrigsten Verfechtern der sogenannten "Nationalen Verteidigung" und ließen dabei die bürgerlichen und kleinbürgerlichen Pazifisten weit hinter sich. Von dieser Politik nehmen sie nur die faschistischen Länder aus, d.h. diejenigen Ländern, wo sie selbst überhaupt keine Rolle spielen. Der revolutionäre Kampf gegen den Krieg ruht somit alleine auf den Schultern der IV. Internationale.

Die Politik der Bolschewiki-Leninisten in dieser Frage wurde in den programmatischen Thesen des Internationalen Sekretariats formuliert, die noch heute ihre volle Gültigkeit besitzen ("Die IV. Internationale und der Krieg", 1. Mai 1934). Der Erfolg der revolutionären Partei wird in der nächsten Periode vor allem von ihrer Politik in der Kriegsfrage abhängen. Eine korrekte Politik umfaßt zwei Elemente: die Unerbittlichkeit gegenüber dem Imperialismus und einen Kriegen und die Fähigkeit sich auf die Erfahrung der Massen selbst zu stützen.

In der Kriegsfrage wird das Volk schlimmer als in jeder anderen Frage von dei Bourgeoisie und ihren Agenten mit Hilfe von Abstraktionen, Leerformeln und pathetischen Phrasen irregeführt. "Neutralität", "Nationale Verteidigung", "Kampf gegen den Faschismus" usw. Alle diese Formeln enthalten letztlich nichts anderes, als die Entscheidung über Krieg und Frieden - d.h. das Schicksal der Völker - in die Hände der Imperialisten, ihrer Regierungen ,ihrer Diplomatie, ihrer Generalstäbe, all ihrer Intrigen und Anschlägen gegen die Völker zu legen.

Die IV. Internationale weist empört all diese Abstraktionen zurück, die bei den Demokraten die gleiche Rolle spielen wie "Ehre", "Blut", "Rasse" bei den Faschisten. Aber Empörung genügt nicht. Es ist notwendig, mit Hilfe eindeutiger Kriterien, geeigneter Parolen und Übergangsforderungen die Massen instand zu setzen, die konkreten Tatsachen hinter diesen trügerischen Abstraktionen zu erkennen.

"Abrüstung"? Aber alles dreht sich um die Frage, wer entwaffnet und wem die Waffen abgenommen werden. Die einzige Form der Abrüstung, die den Krieg verhindern oder aufhalten kann, ist die Entwaffnung der Bourgeoisie durch die Arbeiter. Aber um die Bourgeoisie zu entwaffnen, müssen sich die Arbeiter selbst bewaffnen.

"Neutralität"? Aber das Proletariat ist auf keinen Fall neutral in einem Krieg zwischen Japan und China oder zwischen Deutschland und der Sowjetunion. Bedeutet das die Verteidigung Chinas und der Sowjetunion? Selbstverständlich!

Aber nicht durch die Vermittlung der Imperialisten, die China und die Sowjetunion erdrosseln würden.

"Verteidigung des Vaterlandes"? Aber unter dieser Abstraktion versteht die Bourgeoisie die Verteidigung ihrer Profite und Plünderungen. Wir sind dazu bereit, das Vaterland gegen die ausländischen Kapitalisten zu verteidigen, wenn wir zuvor unseren eigenen Kapitalisten die Hände gebunden haben und sie daran hindern, das Vaterland anderer anzugreifen, wenn die Arbeiter und Bauern unseres Landes seine wirklichen Herren werden, wenn die Reichtümer des Landes aus den Händen einer verschwindenden Minderheit in die Hände des Volkes übergehen, wenn die Armee aus dem Werkzeug der Ausbeuter zum Werkzeug der Ausgebeuteten wird.

Man muß diese Grundsätze in einzelne, konkrete Gedanken zu übersetzen verstehen, die dem Verlauf der Ereignisse sowie der Orientierung und dem Bewußtseinsgrad der Massen entsprechen. Außerdem muß man streng unterscheiden zwischen dem Pazifismus des Diplomaten, des Professors, des Journalisten und dem Pazifismus des Zimmermanns, des Landarbeiters und der Wäscherin. Im ersten Fall ist der

Pazifismus nichts anderes als der Deckmantel des Imperialismus, im zweiten der verworrene Ausdruck des Mißtrauens gegenüber dem Imperialismus.

Wenn ein Kleinbauer oder Arbeiter von der Verteidigung des Vaterlandes spricht, denkt er dabei an die Verteidigung seines Hauses, seiner Familie und der Familien anderer gegen Invasion, gegen Bomben, gegen Giftgase. Der Kapitalist und sein Journalist verstehen unter Verteidigung des Vaterlandes die Eroberung von Kolonien und Märkten, die Ausdehnung des "nationalen" Anteils am Welteinkommen durch Plünderung. Der bürgerliche Pazifismus und Patriotismus sind reine Lüge. Im Pazifismus und selbst im Patriotismus der Unterdrückten sind Elemente enthalten, die einerseits den Haß gegen zerstörerischen Krieg und andererseits ihre Anhänglichkeit an das, was sie für ihre Habe halten, ausdrücken und die man erfassen muß, um daraus die notwendigen revolutionären Konsequenzen zu ziehen. Man muß diese beiden Formen des Pazifismus und des Patriotismus einander gegenüber stellen.

Ausgehend von diesen Überlegungen unterstützt die IV. Internationale jede, selbst für sich genommen unzureichende Forderung, wenn sie geeignet ist, auch nur zu einem geringen Grad die Massen in die aktive Politik hineinzuziehen, ihre Kritik zu wecken und ihr die Machenschaften der Bourgeoisie bewußt zu machen.

In diesem Sinne unterstützt unsere amerikanische Sektion zum Beispiel kritisch den Vorschlag, einen Volksentscheid über die Frage der Kriegserklärung durchzuführen.

Keine demokratische Reform an sich kann selbstverständlich die Herrschenden daran hindern, einen Krieg vom Zaun zu brechen, wann immer sie wollen. Davor muß man offen warnen. Aber welche Illusionen auch die Massen bezüglich des Volksentscheids haben mögen, diese Forderung spiegelt das Mißtrauen der Arbeiter und der Bauern gegenüber der Regierung und dem Parlament wider. Ohne Illusionen zu schüren, aber auch ohne sie zu ignorieren, muß man mit allen Kräften das wachsende Mißtrauen der Unterdrückten gegen die Unterdrücker stärken.

Je mächtiger die Bewegung für den Volksentscheid um sich greift, um so schneller trennen sich von ihr die bürgerlichen Pazifisten, um so eindeutiger werden sich die Verräter der "Kommunistischen" Internationale bloßgestellt sehen, um so kraftvoller äußert sich das Mißtrauen der Werktätigen gegen die Imperialisten.

Vom gleichen Gesichtspunkt aus muß die Forderung nach dem Wahlrecht für Männer und Frauen ab 18 Jahren vorgebracht werden. Wer morgen zu den Fahnen gerufen wird, um für das "Vaterland" zu sterben, der muß das Recht haben, heute wählen zu dürfen. Der Kampf gegen den Krieg muß vor allem mit der revolutionären Mobilisierung der Jugend beginnen.

Man muß das Problem des Krieges von allen Seiten beleuchten, dabei aber immer den Aspekt herausstellen, unter dem die Massen jeweils mit dem Krieg konfrontiert sind. Der Krieg ist ein gigantisches kommerzielles Unternehmen, vor allem für die Kriegsindustrie. Deshalb sind die "60 Familien" die größten Patrioten und die Hauptkriegstreiber. Die Arbeiterkontrolle über die Kriegsindustrie ist der erste Schritt im Kampf gegen die "Produzenten" des Krieges.

Der Losung der Reformisten nach Besteuerung der Kriegsgewinne setzen wir die Losung entgegen: Beschlagnahme der Kriegsgewinne und Enteignung der für den Krieg arbeitenden Betriebe.

Wo, wie in Frankreich, die Kriegsindustrie bereits "nationalisiert" ist, behält die Losung der Arbeiterkontrolle ihre volle Geltung: das Proletariat vertraut dem Staat der Bourgeoisie ebensowenig wie dem einzelnen Bourgeois.

Keinen Mann, keinen Groschen für die bürgerliche Regierung!

Kein Aufrüstungsprogramm, sondern ein Programm öffentlicher gemeinnütziger Arbeiten!

Vollkommene Unabhängigkeit der Arbeiterorganisationen von militärischer und polizeilicher Kontrolle!

Das Schicksal der Völker muß ein für allemal die freie Entscheidung der Völker selbst sein und den Händen der raubgierigen und unerbittlichen imperialistischen Cliquen entrissen werden, die hinter dem Rücken der Völker handeln. In Übereinstimmung damit fordern wir:

Vollständige Abschaffung der Geheimdiplomatie; alle Verträge und Abkommen müssen jedem Arbeiter und Bauern zugänglich sein.

Militärische Ausbildung und Bewaffnung der Arbeiter und Bauern unter der unmittelbaren Kontrolle der Arbeiter- und Bauernräte.

Schaffung von Militärschulen für die Ausbildung von Offizieren, die aus den Reihen der Arbeiterschaft kommen und von den Arbeiterorganisationen gewählt werden.

Ersetzung des stehenden Heeres, d.h. der Armee der Kasernen, durch eine untrennbar mit den Fabriken, Bergwerken, Bauernhöfen usw. verbundene Volksmiliz.

Der imperialistische Krieg ist die Fortsetzung und Verschärfung der Raubpolitik der Bourgeoisie; der Kampf des Proletariats gegen den Krieg ist die Fortsetzung und Verschärfung seines Klassenkampfes. Der Ausbruch des Krieges verändert die Lage und zum Teil die Methoden des Klassenkampfes, weder seine Ziele noch seine Grundrichtung.

Deshalb wird der nächste Krieg wesentlich ein imperialistischer Krieg sein. Der fundamentale Inhalt der Politik des internationalen Proletariats wird demzufolge der Kampf gegen den Imperialismus und seinen Krieg sein. Der Grundsatz dieses Kampfes lautet: "Der Hauptfeind steht im eigenen Land" oder: "Die Niederlage unserer eigenen (imperialistischen) Regierungen ist das kleinere Übel".

Aber nicht alle Länder der Welt sind imperialistisch. Im Gegenteil, die Mehrzahl der Länder sind Opfer des Imperialismus. Bestimmte koloniale oder halbkoloniale Länder werden ohne Zweifel versuchen, den Krieg auszunützen, um das Sklavenjoch abzuwerfen. Auf ihrer Seite wird der Krieg kein imperialistischer, sondern

ein Befreiungskrieg sein. Es ist die Pflicht des internationalen Proletariats, unterdrückten Ländern im Krieg gegen die Unterdrücker zu helfen. Dieselbe Pflicht erstreckt sich auch auf die Sowjetunion oder jeden anderen Arbeiterstaat, der vor oder während des Krieges entstehen mag. Die Niederlage jeder imperialistischen Regierung im Kampf gegen einen Arbeiterstaat oder ein Kolonialland ist das kleinere Übel.

Die Arbeiter eines imperialistischen Landes können einem antiimperialistischen Land nicht vermittels ihrer eigenen Regierung helfen, gleichgültig, welche diplomatischen und militärischen Beziehungen die beiden Länder gerade unterhalten. Wenn die Regierungen ein zeitweiliges und letztlich unsicheres Bündnis geschlossen haben, bleibt das Proletariat des imperialistischen Landes in Klassenopposition gegenüber seiner Regierung und unterstützt seinen nicht-imperialistischen "Verbündeten" durch seine eigenen Methoden, d.h. durch die Methoden des internationalen Klassenkampfes (Agitation zugunsten des Arbeiterstaates und des Koloniallandes nicht nur gegenüber seinen Feinden, sondern auch gegenüber seinen falschen Verbündeten: Boykott und Streik in bestimmten Fällen, Verzicht auf Streik und Boykott in anderen usw.).

Wenn das Proletariat ein Kolonialland oder die Sowjetunion im Krieg unterstützt, solidarisiert es sich nicht im geringsten mit der bürgerlichen Regierung des Koloniallandes oder der thermidorianischen Bürokratie in der Sowjetunion. Im Gegenteil, es wahrt seine völlige politische Unabhängigkeit sowohl der einen wie der anderen gegenüber. Indem das revolutionäre Proletariat einen gerechten und fortschrittlichen Krieg unterstützt, erobert es sich die Sympathien der Werktätigen der Kolonien und der Sowjetunion, festigt so die Autorität und den Einfluß der IV. Internationale und kann um so besser den Sturz der bürgerlichen Regierung im Kolonialland, der reaktionären Bürokratie in der Sowjetunion fördern.

Am Anfang des Krieges werden sich die Sektionen der IV. Internationale unvermeidlich isoliert finden: jeder Krieg überrascht die Volksmassen und drängt sie an die Seite des Regierungsapparates. Die Internationalisten werden gegen den Strom schwimmen müssen. Doch werden die Verwüstungen und Leiden des neuen Krieges, die schon in den ersten Monaten die blutigen Schrecken von 1914-18 weit hinter sich lassen werden, die Massen bald ernüchtert haben. Die Unzufriedenheit der Massen und ihr Widerstand wird sprunghaft wachsen. Die Sektionen der IV. Internationale werden sich an der Spitze der revolutionären Strömung befinden.

Das Programm der Übergangsforderungen wird eine brennende Aktualität erlangen. Das Problem der Machteroberung durch das Proletariat wird sich in seiner ganzen Tragweite stellen.

Bevor er die Menschheit völlig auszehrt oder in Blut ertränkt, vergiftet der Kapitalismus die Weltatmosphäre mit dem verderblichen Dunst des Völker- und Rassenhasses. Der Antisemitismus ist heute eine der bösartigsten Zuckungen des kapitalistischen Todeskampfes.

Die unerbittliche Brandmarkung aller Rassenvorurteile und aller Schattierungen nationaler Anmaßung und des Chauvinismus, insbesondere des Antisemitismus, muß in der täglichen Arbeit aller Sektionen der IV. internationale als grundlegende Erziehungstätigkeit im Kampf gegen Imperialismus und Krieg eingehen.

Unsere grundlegende Losung ist und bleibt: "Proletarier aller Länder, vereinigt euch!"

Die Arbeiter- und Bauernregierung

Die Formel der "Arbeiter- und Bauernregierung" tauchte zum ersten Mal 1917 in der Agitation der Bolschewiki auf und wurde endgültig nach dem Oktoberaufstand angenommen. In diesem Falle stellte sie nur eine populäre Bezeichnung der bereits errichteten Diktatur des Proletariats dar. Die Bedeutung dieser Benennung bestand darin, die Idee des Bündnisses zwischen Proletariat und Bauernschaft als Grundlage der Sowjetmacht in den Vordergrund zu stellen.

Als die Kommunistische Internationale der Epigonen versuchte, die von der Geschichte längst begrabene Formel der "demokratischen Diktatur der Arbeiter und Bauern" wieder aufleben zu lassen, gab sie der Formel der "Arbeiter- und Bauernregierung" einen völlig verschiedenen, rein "demokratischen"; d.h. bürgerlichen Inhalt, indem sie sie der Diktatur des Proletariats entgegenstellte. Die Bolschewiki-Leninisten haben die Losung der "Arbeiter- und Bauernregierung" in ihrer bürgerlich-demokratischen Umdeutung entschieden verworfen. Sie haben erklärt und erklären, daß, wenn die Partei des Proletariats darauf verzichtet, den Rahmen der bürgerlichen Demokratie zu überschreiten, ihr Bündnis mit dem Bauerntum bloß auf eine Unterstützung des Kapitals hinausläuft. So war es bei den Menschewiki und den Sozialrevolutionären 1917, bei der Kommunistischen Partei Chinas in den Jahren 1925-27, und so ist es jetzt bei den "Volksfronten" Spaniens, Frankreichs und anderer Länder.

Von April bis September 1918 forderten die Bolschewiki, die Sozialrevolutionäre und die Menschewiki sollten mit der liberalen Bourgeoisie brechen und die Macht in ihre eigenen Hände nehmen. Unter dieser Bedingung versprachen die Bolschewiki den Menschewiki und den Sozialrevolutionären, als den kleinbürgerlichen Vertretern der Arbeiter und Bauern ihre revolutionäre Unterstützung gegen die

Bourgeoisie; sie lehnten es jedoch kategorisch ab, sowohl in die Regierung der Menschewiki und Sozial-Revolutionäre einzutreten, als auch die politische Verantwortung für ihre Handlungen zu übernehmen. Wenn die Menschewiki und die Sozialrevolutionäre wirklich mit den (liberalen) Kadetten und dem ausländischen Imperialismus gebrochen hätten, dann hätte die von ihnen geschaffene "Arbeiter- und Bauernregierung" nur die Errichtung der Diktatur des Proletariats beschleunigen und erleichtern können. Aber gerade aus diesem Grund stemmten sich ja die Spitzen der kleinbürgerlichen Demokratie mit aller Gewalt gegen die Errichtung ihrer eigenen Regierung. Die Erfahrung Rußlands hat gezeigt, und die Erfahrung Spaniens und Frankreichs bestätigt es von neuem, daß selbst unter günstigsten Bedingungen die Parteien der kleinbürgerlichen Demokratie (Sozialrevolutionäre, Sozialdemokraten, Stalinisten und Anarchisten) unfähig sind, eine Arbeiter- und Bauernregierung, d.h. eine von der Bourgeoisie unabhängige Regierung, zu schaffen.

Trotzdem hatte die an die Menschewiki und Sozial-Revolutionäre gerichtete Forderung der Bolschewiki: "Brecht mit der Bourgeoisie! Nehmt die Macht in eure eigenen Hände!" einen unschätzbaren erzieherischen Wert für die Massen. Die hartnäckige Weigerung der Menschewiki und Sozialrevolutionäre, die Macht zu ergreifen, die in den Julitagen auf so tragische Weise offenbar wurde, verurteilte sie endgültig in den Augen des Volkes und bereitete den Sieg der Bolschewiki vor.

Die Hauptaufgabe der IV. Internationale besteht darin, das Proletariat von der alten Führung zu befreien, deren Konservatismus der katastrophalen Lage des niedergehenden Kapitalismus völlig widerspricht und das stärkste Hindernis für den geschichtlichen Fortschritt bildet. Die Hauptanklage, die die IV. Internationale gegen die traditionellen Organisationen des Proletariats erhebt, besteht darin, daß sie sich nicht vom politischen Halbkadaver der Bourgeoisie trennen wollen.

Unter diesen Bedingungen ist die systematisch an die alte Führung gerichtete Forderung: "Brecht mit der Bourgeoisie, übernehmt die Macht!" ein äußerst wichtiges Werkzeug, um den verräterischen Charakter der Parteien und Organisationen der II. und III. Internationale sowie der Internationale von Amsterdam zu entlarven.

Die Losung der "Arbeiter und Bauernregierung" wird von uns einzig und allein in dem Sinne gebraucht, den sie 1917 im Munde der Bolschewiki hatte, d.h. als eine antibürgerliche Losung, aber auf keinen Fall im "demokratischen" Sinn, den ihr später die Epigonen unterlegten. Damit haben sie die Losung, die eine Brücke zur sozialistischen Revolution darstellt, zum Haupthindernis auf diesem Weg gemacht.

Von allen Parteien und Organisationen, die sich auf die Arbeiter und auf die Bauern stützen und in ihrem Namen sprechen, verlangen wird, daß sie politisch mit der Bourgeoisie brechen und den Weg des Kampfes um die Arbeiter- und Bauernregierung einschlagen. Auf diesem Weg versprechen wir ihnen volle Unterstützung gegenüber der kapitalistischen Reaktion. Gleichzeitig entfalten wir eine unermüdliche Agitation um die Übergangsforderungen, die nach unserer Ansicht das Programm der "Arbeiter- und Bauernregierung" ausmachen sollten.

Ist die Errichtung einer solchen Regierung durch die traditionellen Arbeiterorganisationen möglich? Die bisherige Erfahrung zeigt uns, wie gesagt, daß dies zumindest unwahrscheinlich ist. Man kann jedoch nicht von vornherein kategorisch die theoretische Möglichkeit ausschließen, daß unter dem Einfluß eines außergewöhnlichen Zusammentreffens bestimmter Umstände (Krieg, Niederlage, Finanzkrach, revolutionäre Offensive der Massen usw.) kleinbürgerliche Parteien - die Stalinisten eingeschlossen - auf dem Weg des Bruchs mit der Bourgeoisie weiter gehen können, als ihnen selbst lieb ist. Jedenfalls steht eines außer Zweifel: selbst wenn diese wenig wahrscheinliche Variante irgendwann und irgendwo verwirklicht und eine "Arbeiter- und Bauernregierung" im oben bezeichneten Sinn tatsächlich gebildet würde, so stellte sie nur ein kurzes Zwischenspiel auf dem Wege zur wirklichen Diktatur des Proletariats dar.

Es ist jedoch müßig, sich in Mutmaßungen zu verlieren. Die Agitation unter der Losung der "Arbeiter- und Bauernregierung" behält unter allen Umständen einen großen erzieherischen Wett. Und das nicht zufällig: diese verallgemeinernde Losung entspricht tatsächlich der Richtung der politischen Entwicklung unserer Epoche (Bankrott und Zersetzung der alten bürgerlichen Parteien, Versagen der Demokratie, Aufstieg des Faschismus, wachsendes Verlangen der Werktätigen nach einer aktiveren und offensiveren Politik). Deshalb muß jede unserer Übergangsforderungen zu ein und derselben politischen Konsequenz führen: die Arbeiter müssen mit den traditionellen Parteien der Bourgeoisie brechen, um zusammen mit den Bauern Ihre eigene Macht zu errichten.

Es ist unmöglich, die konkreten Stadien der revolutionären Mobilisierung der Massen vorauszusehen. Die Sektionen der IV. Internationale müssen sich in jedem neuen Stadium kritisch orientieren und diejenigen Losungen ausgeben, welche die Hinwendung der Arbeiter zu einer unabhängigen Politik fördern, den Klassencharakter dieser Politik vertiefen, die reformistischen und pazifistischen Illusionen zerstören, die Verbindung der Vorhut mit den Massen festigen und die revolutionäre Machtergreifung vorbereiten.

Die Räte

Die Fabrikräte sind, wie schon gesagt, ein Element der Doppelherrschaft in der Fabrik. Deshalb ist ihr Entstehung an das Wachstum des Drucks der Massen gebunden. Dies gilt ebenso für die besonderen Massenorganisationen für den Kampf gegen den Krieg, für die Preisüberwachungsausschüsse und für alle neuen Zentren der Bewegung, deren Auftauchen selbst bezeugt, daß der Klassenkampf den Rahmen der traditionellen Organisationen des Proletariats überschritten hat.

Jedoch werden diese neuen Organe und Zentren bald ihren mangelnden Zusammenhalt und Ihre Grenzen spüren. Keine der Übergangsforderungen kann bei Aufrechterhaltung der bürgerlichen Herrschaft vollständig verwirklicht werden. Nun wird die Vertiefung der sozialen Krise aber nicht nur die Leiden der Massen vergrößern, sondern auch ihre Ungeduld, ihre Entschlossenheit und ihren Angriffsgeist. Immer neue Schichten von Unterdrückten werden sich erheben und ihre Forderungen erheben. Millionen Unterprivilegierter, an die die reformistischen Führer niemals irgendeinen Gedanken verschwendeten, beginnen an die Pforten der Arbeiterorganisationen zu klopfen. Die Arbeitslosen werden in Bewegung geraten. Die Landarbeiter, die ruinierten und halb ruinierten Bauern, die niederen Schichten der Stadt, die Arbeiterinnen, die Hausfrauen, die proletarischen Schichten der Intelligenz - sie alle werden nach einem Zusammenhalt und einer Führung suchen.

Wie sind diese verschiedenen Forderungen und Kampfformen in Einklang zu bringen, sei es auch nur in den Grenzen einer einzigen Stadt? Die Geschichte hat auf diese Frage bereits eine Antwort gegeben: durch Räte, die die Vertreter aller kämpfenden Gruppen vereinen. Niemand hat bisher eine andere Organisationsform vorgeschlagen, und es ist fraglich, ob es eine andere gibt. Die Räte sind a priori an kein Programm gebunden. Sie öffnen allen Ausgebeuteten ihre Türen. Die Vertreter aller Schichten, die in den allgemeinen Strom des Kampfes hineingezogen werden, finden in ihr ihren Platz. Die Organisation erweitert sich mit der Bewegung und sie erneuert sich dadurch ständig. Alle politischen Richtungen des Proletariats können bei uneingeschränkten demokratischen Freiheiten um die Führung der Räte kämpfen. Deshalb krönt die Losung der Sowjets das Programm der Übergangsforderungen.

Räte können nur dort entstehen, wo die Massenbewegung in ein offen revolutionäres Stadium eintritt. Als Angelpunkt, um den sich Millionen von Arbeitern in ihrem Kampf gegen die Ausbeuter sammeln, werden die Räte vom ersten Augenblick ihres Erscheinens an zu Rivalen und Gegnern der örtlichen Behörden und schließlich der Zentralregierung selbst. So, wie der Fabrikrat Elemente der Doppelherrschaft in der Fabrik herstellt, so eröffnen die Räte eine Periode der Doppelherrschaft im ganzen Land.

Die Doppelherrschaft ist ihrerseits der Höhepunkt der Übergangsperiode. Zwei Herrschaftsformen, die bürgerliche Herrschaft und die proletarische Herrschaft, stehen einander unversöhnlich gegenüber. Der Zusammenstoß zwischen beiden ist unvermeidlich. Von seinem Ausgang hängt das künftige Los der Gesellschaft ab: Erleidet die Revolution eine Niederlage, errichtet die Bourgeoisie eine faschistische Diktatur. Siegt die Revolution, errichten die Räte ihre Herrschaft, d.h. die Diktatur des Proletariats und es beginnt der sozialistische Wiederaufbau der Gesellschaft.