Über Arbeiterkontrolle der Produktion

(Brief an Genossen) 20. August 1931

In Beantwortung Eurer Frage will ich hier vorläufig einige allgemeine Erwägungen zur Frage der Arbeiterkontrolle über die Produktion skizzieren.

Zuerst stellt sich die Frage: Kann man sich die Arbeiterkontrolle über die Produktion als ein stabiles Regime vorstellen, das zwar nicht ewig, aber doch lange Zeit dauert? Um sie zu beantworten, muß die Klassennatur eines solchen Regimes klarer bestimmt werden. Die Arbeiter haben die Kontrolle, d. h.: Eigentum und Verfügungsrecht bleiben in Händen der Kapitalisten. Also hat dies Regime einen widersprüchlichen Charakter, es stellt so etwas wie ein wirtschaftliches Interregnum dar.

Die Arbeiter brauchen die Kontrolle nicht zu platonischen Zwecken, sondern um Produktion und Handelsgeschäfte der Unternehmungen praktisch zu beeinflussen. Das aber ist nur zu erreichen, wenn die Kontrolle auf die eine oder andere Art, mehr oder weniger beschränkt in direkte Verfügung übergeht. In entwickelter Form bedeutet Arbeiterkontrolle also eine Art Doppelherrschaft in der Fabrik, den Banken, Handelsunternehmen usw.

Soll die Beteiligung der Arbeiter an der Produktionsleitung dauerhaft, widerstandsfähig, "normal" sein, so muß ihre Basis die Arbeitsgemeinschaft der Klassen, nicht der Klassenkampf sein. Aber eine solche Klassenzusammenarbeit ist nur zwischen den Gewerkschaftsführungen und den kapitalistischen Verbänden möglich. Das ist oft versucht worden, in Deutschland mit der Wirtschaftsdemokratie, in England mit dem sog. "Mondismus" usw. Aber in all diesen Fällen handelte es sich nicht um Arbeiterkontrolle über das Kapital, sondern um die Zähmung der Arbeiterbürokratie durch das Kapital. Diese Form der Herrschaft kann, wie die Erfahrung lehrt, lange dauern - je nach der Geduld des Proletariats.

Je näher man aber an die Produktion, die Fabrik, die Werkstatt herankommt, desto unmöglicher wird dieses Regime, denn hier handelt es sich um die unmittelbaren Lebensinteressen der Arbeiter, und der ganze Prozeß vollzieht sich hier unter den Augen der Arbeiter selbst. Arbeiterkontrolle durch Betriebsräte ist nur denkbar auf der Basis des harten Klassenkampfes, nicht auf der der Arbeitsgemeinschaft. Aber das heißt: Doppelherrschaft im Unternehmen, im Trust, in allen Industriezweigen, in der gesamten Wirtschaft.

Welches politische Regime entspricht der Arbeiterkontrolle über die Produktion? Offensichtlich liegt die Macht noch nicht in Händen des Proletariats, sonst hätten wir keine Arbeiterkontrolle der Produktion, sondern Produktionskontrolle durch den Arbeiterstaat als Einleitung zum Regime der staatlichen Produktion auf Basis der Nationalisierung. Wir sprechen hier nur von der Arbeiterkontrolle unter kapitalistischen Verhältnissen, unter der Herrschaft der Bourgeoisie. Aber eine Bourgeoisie, die sich fest im Sattel fühlt, wird niemals Doppelherrschaft in ihren Betrieben dulden. Arbeiterkontrolle ist folglich nur durchführbar unter der Voraussetzung einer schroffen Veränderung des Kräfteverhältnisses zuungunsten der Bourgeoisie und ihres Staates. Die Arbeiterproduktionskontrolle kann der Bourgeoisie vom Proletariat nur auf dem Weg zur Eroberung der Macht und damit der Produktionsmittel gewaltsam aufgezwungen werden. Somit kann das Regime der Arbeiterkontrolle nur ein provisorisches, ein Übergangsregime sein und nur der Periode der Erschütterung des bürgerlichen Staates, der proletarischen Offensive und des Zurückweichens der Bourgeoisie entsprechen, das heißt: der Periode der proletarischen Revolution im weitesten Sinne des Wortes.

Ist der Bourgeois nicht mehr Herr, d. h. nicht mehr ganz Herr in seinem Betriebe, so ist er es auch nicht mehr in seinem Staate. Dem Regime der Doppelherrschaft in den Betrieben entspricht also das Regime der Doppelherrschaft im Staat.

Dies Verhältnis darf aber nicht mechanisch aufgefaßt werden, so als erblickten die Doppelherrschaft im Betrieb und die im Staat an ein und demselben Tage das Licht der Welt. Das entwickelte Regime der Doppelherrschaft kann sich - als eine wahrscheinliche Etappe der proletarischen Revolution in jedem Lande - in verschiedenen Ländern in höchst verschiedener Weise entwickeln.

So kann z. B. die Arbeiterkontrolle der Produktion unter bestimmten Umständen (schwere, anhaltende Wirtschaftskrise, starke Organisation der Arbeiter in den Betrieben, relative Schwäche der revolutionären Partei, relative Stärke des Staates, der eine starke faschistische Bewegung in Reserve hält, usw.) der politischen Doppelherrschaft beträchtlich vorauseilen.

Unter den eben mit groben Strichen skizzierten Bedingungen, wie sie vor allem für Deutschland charakteristisch sind, kann die Doppelherrschaft im Lande gerade aus der Arbeiterkontrolle - als aus ihrer Hauptquelle - sich entwickeln. Man muß das festhalten, schon um den Fetischkult mit der Räteform zu zerstören, den die Komintern-Epigonen aufgebracht haben. Nach der jetzt geltenden, offiziellen Ansicht kann sich die proletarische Revolution einzig vermittels von Räten vollziehen, die nur unmittelbar zum Zwecke des bewaffneten Aufstands gebildet werden dürfen. Dies ganze Schema taugt nichts. Die Räte sind nur eine Organisationsform, entscheidend ist aber der Klasseninhalt der Politik, nicht seine Form.

In Deutschland hat es Räte gegeben, die für Ebert-Scheidemann waren. In Rußland griffen im Juli 1917 die versöhnlerischen Sowjets Arbeiter und Soldaten an. Darum rechnete Lenin eine Zeitlang damit, daß wir den bewaffneten Aufstand nicht mit Hilfe der Sowjets, sondern der Fabrikkomitees durchführen würden. Diese Erwartung wurde durch den weiteren Verlauf der Ereignisse widerlegt, da uns in den zweieinhalb Monaten bis zum Aufstand Zeit genug blieb, die wichtigsten Sowjets zu erobern. Aber schon dies Beispiel zeigt, wie wenig wir dazu neigten, die Sowjets für ein Allheilmittel zu halten. Als ich im Herbst 1923 gegen Stalin und andere die dringende Notwendigkeit verteidigte, zur revolutionären Offensive überzugehen, kämpfte ich gleichzeitig dagegen, in Deutschland neben den Betriebsräten, die faktisch schon anfingen, die Rolle von Arbeiterräten zu spielen, auf Kommando "Sowjets" zu schaffen.

Vieles spricht dafür, daß die Betriebsräte in Deutschland auch beim jetzigen revolutionären Aufschwung - in einem bestimmten Stadium ihrer Entwicklung - die Funktion von Sowjets übernehmen und sie ersetzen können. Worauf gründet sich diese Annahme? Auf die Analyse der Bedingungen, unter denen die Räte in Rußland im Februar-März 1917 und in Deutschland und Österreich im November 1918 entstanden. In beiden Fällen waren die Hauptorganisatoren der Räte Menschewisten, Sozialdemokraten, die durch die Umstände der .demokratischen Revolution während des Krieges dazu gezwungen waren. In Rußland gelang es den Bolschewisten, die Räte den Versöhnlern zu entreißen. In Deutschland gelang das nicht, und deshalb verschwanden die Räte.

Heute, im Jahre 1931, hat das Wort "Sowjet" einen ganz anderen Klang als 1917-18. Heute ist es das Synonym der bolschewistischen Diktatur, folglich ein Schreckgespenst der Sozialdemokratie.

In Deutschland werden die Sozialdemokraten kein zweites Mal die Initiative zur Schaffung von Räten ergreifen oder sich freiwillig einer solchen Initiative anschließen, sondern mit allen Mitteln dagegen arbeiten. Für den bürgerlichen Staat und besonders für seine faschistische Leibwache wäre eine kommunistische Initiative zur Bildung von Räten gleichbedeutend mit der direkten Erklärung des Bürgerkriegs durch das Proletariat und könnte daher zum entscheidenden Konflikt führen, ehe noch die Kommunistische Partei selbst das für zweckmäßig hält.

Diese Überlegungen lassen uns zweifeln, daß es in Deutschland gelingen könnte, vor dem Aufstand, ehe die Machteroberung auf der Tagesordnung steht, Räte zu bilden, die wirklich die Mehrheit der Arbeiter umfassen. Es ist meines Erachtens wahrscheinlicher, daß die Räte in Deutschland erst am Tage nach dem Sieg, schon als direkte Machtorgane entstehen werden.

Ganz anders ist es mit den Betriebsräten. Sie bestehen schon jetzt. Sie werden von Kommunisten und Sozialdemokraten gebildet. In gewissem Grade realisieren die Betriebsräte die Einheitsfront der Arbeiterklasse. Mit dem Steigen der revolutionären Flut werden sie diese ihre Funktion noch besser erfüllen. Ihre Bedeutung wird wachsen, je mehr sie in das Leben der Fabrik, der Stadt, der Industriezweige, der Bezirke, schließlich des Staates eingreifen. Kreis-, Bezirks- und Reichskongresse der Betriebsräte können als Basis von Organen dienen, die faktisch die Rolle von Sowjets als Organen der Doppelherrschaft spielen werden.

Es wird viel leichter sein, die sozialdemokratischen Arbeiter mittels der Betriebsräte in das Regime der Doppelherrschaft hineinzuziehen, als durch den Aufruf, an einem bestimmten Tage, zu bestimmter Stunde Sowjets zu bilden.

Die Zentralversammlung der Betriebsräte einer Stadt kann durchaus die Funktion eines Stadtsowjets erfüllen. Man konnte das 1923 in Deutschland beobachten. Die Betriebsräte können, indem sie ihre Funktion erweitern, sich immer kühnere Aufgaben stellen und Reichsorgane bilden, zu Sowjets werden, die die sozialdemokratischen und kommunistischen Arbeiter vereinigen und Stützpunkte des Aufstands abgeben. Nach dem Sieg des Proletariats werden diese Betriebsräte-Sowjets sich natürlich in Betriebsräte im eigentlichen Sinn des Wortes und Sowjets als Organe der proletarischen Diktatur aufgliedern müssen.

Damit wollen wir keineswegs sagen, die Bildung von Sowjets sei in Deutschland vor der proletarischen Revolution von vornherein gänzlich auszuschließen. Man kann keineswegs alle denkbaren Varianten der Entwicklung voraussehen. Würde der Zer- fall des bürgerlichen Staates lange vor der proletarischen Revolution einsetzen und der Faschismus sich noch vor dem proletarischen Aufstand den Kopf einrennen oder auseinanderfallen, so wären Bedingungen für die Bildung von Räten als Organen des Kampfes um die Macht gegeben. In solchem Falle würden die Kommunisten natürlich beizeiten die Situation erkennen und die Parole zur Bildung von Räten ausgeben. Es wäre die denkbar günstigste Situation für den proletarischen Aufstand. Würde sie sich ergeben, so müßte sie restlos ausgenutzt werden. Damit aber im voraus zu rechnen, ist ganz unmöglich. Soweit die Kommunisten mit einem hinlänglich starken bürgerlichen Staatsapparat und mit der hinter ihm verborgenen faschistischen Reservearmee rechnen müssen, ist der Weg über die Betriebsräte wahrscheinlicher als der über die Sowjets.

Die Epigonen klammern sich ganz mechanisch an die Vorstellung, Arbeiterkontrolle der Produktion wie Sowjets seien nur unter revolutionären Umständen möglich. Würden die Stalinisten versuchen, ihre Vorurteile in ein System zu bringen, so würden sie zweifellos folgendermaßen argumentieren: Die Arbeiterkontrolle ist als eine Art wirtschaftliche Doppelherrschaft nicht vorstellbar ohne politische Doppelherrschaft im Lande, die wiederum nur möglich ist, wenn Sowjets der bürgerlichen Macht entgegengestellt werden; folglich - würden die Stalinisten sagen -kann die Parole der Arbeiterkontrolle der Produktion nur gleichzeitig mit der Parole der Sowjets ausgegeben werden.

Aus allem oben Gesagten geht klar hervor, wie falsch, schematisch und irreal eine solche Konstruktion ist. Praktisch wird daraus eine Art Ultimatum, das die Partei den Arbeitern stellt: Ich, die Partei, werde euch nur dann erlauben, für die Arbeiterkontrolle zu kämpfen, wenn ihr bereit seid, gleichzeitig Sowjets zu bilden. Aber das ganze Problem liegt darin, daß diese beiden Prozesse keineswegs unbedingt parallel und gleichzeitig verlaufen müssen. Unter dem Einfluß von Krisen, Arbeitslosigkeit und von räuberischen Manipulationen der Kapitalisten kann die Mehrheit der Arbeiterklasse bereit sein, für die Aufhebung des Geschäftsgeheimnisses und für die Kontrolle über Banken, Handel und Produktion zu kämpfen, noch ehe sie die Notwendigkeit der revolutionären Machteroberung erkennt.

Einmal auf dem Weg der Produktionskontrolle, wird das Proletariat unvermeidlich zur Eroberung der Macht und der Produktionsmittel übergehen müssen. Probleme des Kredits, der Rohstoffe und des Marktes werfen sofort die Frage der Kontrolle jenseits der Grenzen der isolierten Unternehmen auf. In einem industriell so hoch entwickelten Lande wie Deutschland müssen schon die Probleme von Export und Import die Arbeiterkontrolle auf allgemeine Staatsaufgaben übergreifen lassen und die zentralen Organe der Arbeiterkontrolle den offiziellen bürgerlichen Staatsorganen entgegenstellen. Die Widersprüche eines solchen Regimes, das mit dem Prinzip der Arbeiterkontrolle unvereinbar ist, werden sich, je mehr deren Basis und Aufgaben sich erweitern, unvermeidlich verschärfen und rasch als unerträglich erweisen. Ein Ausweg aus diesen Widersprüchen eröffnet sich entweder in Gestalt der Machteroberung durch das Proletariat (das Beispiel Rußlands) oder als faschistische Konterrevolution, die die offene Diktatur des Kapitals errichtet (das Beispiel Italiens). Gerade in Deutschland - mit seiner starken Sozialdemokratie - wird der Kampf um die Arbeiterkontrolle der Produktion sehr wahrscheinlich die erste Etappe der revolutionären Einheitsfront der Arbeiter sein, die dem offenen Kampf um die Macht vorausgeht.

Darf man aber schon heute die Parole der Arbeiterkontrolle ausgeben? Ist die revolutionäre Situation "reif" genug dafür? Es ist schwierig, diese Frage aus der Ferne zu beantworten. Es gibt kein Maß, mit dem es möglich wäre, das Niveau der revolutionären Situation auf einen Schlag und fehlerfrei zu bestimmen. Man ist gezwungen, es in der Aktion, im Kampf, mit den verschiedenartigsten Instrumenten zu testen. Eins dieser Instrumente, augenblicklich vielleicht eins der wichtigsten, ist eben die Losung der Arbeiterproduktionskontrolle.

Ihre Bedeutung liegt vor allem darin, daß man auf der Basis dieser Parole die Einheitsfront der kommunistischen mit den sozialdemokratischen, parteilosen, christlichen usw. Arbeitern vorbereiten kann. Die Haltung der sozialdemokratischen Arbeiter ist von entscheidender Bedeutung. Die Einheitsfront der Kommunisten und der Sozialdemokraten: genau das ist die politische Grundbedingung, die in Deutschland für eine unmittelbar revolutionäre Situation fehlt. Die Existenz einer starken faschistischen Bewegung ist sicher ein ernstliches Hindernis auf dem Weg zum Siege. Aber der Faschismus behält seine Anziehungskraft nur, solange das Proletariat zersplittert und schwach ist, was ihm die Möglichkeit nimmt, das deutsche Volk auf den Weg einer siegreichen Revolution zu führen. Die revolutionäre Einheitsfront der Arbeiterklasse wäre schon der politische Todesstoß für den Faschismus.

Gerade deshalb ist, nebenbei gesagt, die Politik der KPD-Führung in der Frage des Volksentscheids so besonders verbrecherisch. Auch der schlimmste Feind hätte kein sichereres Mittel erfinden können, um die sozialdemokratischen Arbeiter gegen die Kommunistische Partei aufzubringen und die Entwicklung der Einheitsfrontpolitik des Proletariats aufzuhalten.

Jetzt heißt es, diesen Fehler wieder gutzumachen. Die Parole der Arbeiterkontrolle kann viel dazu beitragen. Aber man muß richtig an sie herantreten. Ohne die nötige Vorbereitung, als bloße bürokratische Anweisung ausgegeben, kann sich die Parole der Arbeiterkontrolle nicht nur als ein Schlag ins Wasser erweisen, sondern die Partei in den Augen der Arbeitermassen noch mehr kompromittieren und das Vertrauen auch jener Arbeiter unterminieren, die heute noch für sie stimmen. Bevor man diese Kampfparole von größter Tragweite ausgibt, muß man die Situation gründlich testen und den Boden dafür vorbereiten.

Man muß von unten anfangen, in der Fabrik, in der Werkstatt. Man muß die Probleme der Arbeiterkontrolle am Beispiel einiger typischer Industrie-, Bank- und Handelsunternehmen durchexerzieren. Als Ausgangspunkt können besonders krasse Fälle von Spekulation, verschleierter Aussperrung, betrügerischer Verkleinerung von Profiten oder betrügerischer Übertreibung der Herstellungskosten - beides zum Zweck der Lohnsenkung - dienen. In den von solchen Machenschaften betroffenen Unternehmen muß man mit Hilfe der kommunistischen Arbeiter die Stimmung der rückständigeren Arbeitermassen erforschen, vor allem die der sozialdemokratischen Arbeiter, um herauszufinden, inwieweit sie bereit wären, der Forderung nach Aufhebung des Geschäftsgeheimnisses und Aufrichtung der Arbeiterkontrolle über die Produktion entgegenzukommen. Ausgehend von besonders krassen Beispielfällen muß man die Frage zunächst rein technisch aufwerfen, hartnäckig propagieren, um so die Widerstandskraft des sozialdemokratischen Konservatismus zu messen. Das ist eines der besten Mittel, um herauszufinden, in welchem Grade die revolutionäre Situation "reif" ist.

Dies Testen der Situation muß Hand in Hand gehen mit einer gründlichen theoretischen und propagandistischen Bearbeitung der Frage durch die Partei. Sie muß die fortgeschrittenen Arbeiter, vor allem die Betriebsratsmitglieder, die hervorragenden Gewerkschaftler usw. aufrichtig und sachgemäß instruieren. Nur sofern diese Vorbereitungsarbeit Erfolg hat, kann die Partei von der bloßen Propaganda zur offenen Agitation und zu praktischen Handlungen unter der Losung der Arbeiterkontrolle übergehen.

Die Politik der Linken Opposition ergibt sich aus dem Gesagten - wenigstens in den Grundzügen - klar genug. Es handelt sich zunächst um Propaganda für ein richtiges Verständnis der Sache und zugleich um das Studium der konkreten Bedingungen des Kampfes für die Arbeiterkontrolle. Die Opposition muß in bescheidenem Rahmen, so wie es ihren Kräften entspricht, jene Vorbereitungsarbeit beginnen, die oben als eine der aktuellen Aufgaben der Partei bezeichnet wurde. In diesem Zusammenhang muß die Opposition Verbindung mit den Kommunisten suchen, die in den Betriebsräten und Gewerkschaften arbeiten, ihnen unsere Auffassung der Gesamtsituation erklären und von ihnen lernen, wie unsere richtige Auffassung von der revolutionären Entwicklung sich unter den Verhältnissen von Fabrik und Werkstatt konkretisieren läßt.

P S. Ich wollte damit schließen, doch mir kommt der Gedanke, daß die Stalinisten folgenden Einwand vorbringen könnten: Ihr seid bereit, in Deutschland auf die Losung der Räte zu "verzichten", uns aber habt Ihr aufs schärfste kritisiert und angeklagt, als wir uns seinerzeit weigerten, die Sowjets in China zu proklamieren. Dieser Einwand. ist aber nur ein primitiver Sophismus, der auf dem immer gleichen Organisationsfetischismus beruht: auf der Gleichsetzung des Klasseninhalts mit der Organisationsform. Hätten die Stalinisten seinerzeit Argumente angeführt, die gegen die Übertragung der Sowjetform auf China gesprochen hätten, und eine andere, den chinesischen Verhältnissen angemessenere Organisationsform der revolutionären Einheitsfront der Massen vorgeschlagen, so hätten wir selbstverständlich einen solchen Vorschlag mit der gebotenen Aufmerksamkeit geprüft. Man schlug uns aber vor, die Sowjets durch die Kuomintang zu ersetzen, d. h.: die Arbeiter den Kapitalisten zu unterwerfen. Der Streit ging um den Klasseninhalt der Organisation, nicht um Organisations-"Technik". Aber man muß gleich hinzufügen, daß es gerade in China keinerlei subjektive Hindernisse für die Errichtung von Sowjets gegeben hat, wenn man das Bewußtsein der Massen - und nicht das der damaligen Verbündeten Stalins: Tschiang Kai-schek und Wang Tsching-wei - vor Augen hat. Es gab keinerlei sozialdemokratische und konservative Traditionen bei den chinesischen Arbeitern. Die Begeisterung für die Sowjetunion war wahrlich ungeteilt. Selbst die heutige Bauernbewegung in China tendiert zu Räteformen. Die Tendenz der Massen, sich in Räten zu organisieren, war in den Jahren 1925-1927 entsprechend stärker.

Leo Trotzki