Gegen die Widersacher der Losung

“Arbeiterkontrolle der Produktion”

(Neuer Brief an die WeIl-Gruppe)

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Kadiköy, 12. September 1931

Werte Genossen!

Sie widersprechen der Losung der Arbeiterkontrolle über die Produktion im allgemeinen und im besonderen dem Versuch ihrer Verwirklichung durch die Betriebsräte. Ihr Hauptargument besteht in der “Feststellung”, daß die “gesetzlichen” Betriebsräte in Deutschland dazu nicht fähig seien.

Ich habe in meinem Artikel nirgends von “gesetzlichen” Betriebsräten gesprochen. Nicht nur das: ich habe ganz eindeutig darauf hingewiesen, daß die Betriebsräte zu Organen der Arbeiterkontrolle nur dann werden können, wenn der Druck der Arbeitermassen ausreicht, um eine Doppelherrschaft im Betrieb und im Lande teils vorzubereiten, teils aufzurichten. Es ist klar, daß dies im Rahmen des herrschenden Gesetzes über die Betriebsräte ebensowenig vor sich gehen kann wie die Revolution im Rahmen der Weimarer Verfassung.

Nur Anarchisten können daraus aber die Schlußfolgerung ziehen, daß man weder die Weimarer Verfassung, noch das Betriebsrätegesetz ausnützen dürfe. Ausnützen muß man sowohl das eine wie das andere. Aber auf revolutionäre Weise. Die Betriebsräte sind nicht das, wozu das Gesetz sie macht sondern das, was die Arbeiter aus Ihnen machen. Auf einer bestimmten Stufe “verschieben” dIe Arbeiter den Rahmen des Gesetzes oder sie sprengen ihn oder gehen einfach über ihn hinweg. Darin besteht eben der Übergang zu einer revolutionären Situation. Dieser Übergang liegt noch vor uns, nicht aber hinter uns. Man muß ihn vorbereiten.

Daß in den Betriebsräten nicht selten Karrieristen, Faschisten, sozialdemokratische Bonzen usw. sitzen, spricht nicht gegen die Ausnutzung der Betriebsräte, sondern beweist nur die Schwäche der revolutionären Partei der Arbeiterklasse. Solange die Arbeiter solche Betriebsräte dulden, werden sie keine Revolution machen. Abseits von den Arbeitern kann die Partei nicht stärker werden. Der Hauptschauplatz der Tätigkeit der Arbeiter ist aber der Betrieb.

Aber in Deutschland gibt es doch Millionen Arbeitslose!, antworten Sie. - Das übersehe ich nicht. Doch was folgt daraus? Ganz und gar auf die beschäftigten Arbeiter verzichten und alle Hoffnungen nur auf die erwerbslosen Arbeiter übertragen? Das wäre eine rein anarchistische Taktik. Natürlich bilden die Arbeitslosen, besonders in Deutschland, einen gewaltigen revolutionären Faktor. Aber nicht als selbständige proletarische Armee, sondern nur als “linker Flügel” einer solchen. Den Hauptkern der Arbeiter hat man dennoch in den Betrieben zu suchen. Also bleibt die Frage der Betriebsräte in ihrer ganzen Schärfe bestehen.

Weiter. Auch für die Arbeitslosen ist es ganz und gar nicht gleichgültig, was in den Unternehmungen und überhaupt im Produktionsprozeß vor sich geht. Zur Kontrolle über die Produktion sind unbedingt auch die Arbeitslosen heranzuziehen. Die organisatorischen Formen hierfür wird man finden, sie werden sich aus der Praxis selbst ergeben. Natürlich wird alles das nicht im Rahmen des gegenwärtig bestehenden Gesetzes vor sich gehen. Man muß aber Formen finden, die geeignet sind, sowohl die Beschäftigten wie die Arbeitslosen zu umfassen, und sich nicht zur Rechtfertigung der eigenen Schwäche und Passivität einfach auf das Vorhandensein der Arbeitslosen berufen.

Sie sagen, die Brandlerianer seien auch für die Arbeiterkontrolle durch die Betriebsräte. - Ich habe leider aus Zeitmangel seit langem aufgehört, die Literatur der Brandlerianer zu verfolgen, und weiß daher nicht, wie sie die Frage stellen. Es ist höchst wahrscheinlich, daß die Brandlerianer auch hier den Geist des Opportunismus und der Borniertheit nicht loswerden. Aber kann etwa die Position der Brandlerianer für uns entscheidende Bedeutung haben, sei es auch nur im negativen Sinn? Die Brandlerianer haben auf dem Dritten Weltkongreß der Kommunistischen Internationale etwas gelernt. Sie versuchten, die bolschewistischen Methoden des Kampfes um die Massen mit opportunistischen Entstellungen anzuwenden oder zu propagieren. Müssen wir wirklich deshalb auf diese Methoden selbst verzichten?

Wenn ich Ihren Brief richtig verstehe, sind Sie auch Gegner der Arbeit in den Gewerkschaften und der Teilnahme am Parlament. Aber dann sind wir durch einen Abgrund voneinander getrennt. Ich bin Marxist, aber kein Bakuninist. Ich stehe auf dem Boden der Wirklichkeit der bürgerlidien Gesellschaft, um in ihr selbst die Kräfte und die Hebel zu ihrem Sturz zu finden.

Sie stellen den Betriebsräten, den Gewerkschaften, dem Parlamentarismus das Räte-System entgegen. Dazu gibt es im Deutschen einen schönenVers: “Schön ist ein Zylinderhut, wenn man ihn besitzen tut.” Sie haben nicht nur keine Räte, sondern nicht einmal eine Brücke zu ihnen, keine Straße zu dieser Brücke, keinen Fußweg zu dieser Straße. Pfemferts “Aktion” verwandelte die Sowjets (Räte) in einen Fetisch, in ein übersoziales Gespenst, in einen religiösen Mythos. Jede Mythologie dient den Menschen dazu, ihre eigene Schwäche zu verdecken oder mindestens, sich mit ihr zu trösten... “Weil wir auf den Tod ohnmächtig sind, weil wir in den Betrieben nichts machen können, so ... so steigen wir zum Lohn dafür auf einmal in eine solche Höhe, daß zu unserer Hilfe die Räte vom Himmel fallen.” - Da haben Sie die ganze Philosophie der deutschen Ultra-Linken.

Nein, mit dieser Politik habe ich nichts gemein. Unsere Meinungsverschiedenheiten betreffen ganz und gar nicht das deutsche “Betriebsrätegesetz”, sondern die marxistischen Gesetze der proletarischen Revolution.