Produktionsstillstand bei AEG Nürnberg

Spontaner Streik gegen geplante Werksschließung beim Haushaltesgerätehersteller

Dienstag Vormittag standen die Bänder beim traditionsreichen Haushaltsgerätehersteller AEG Nürnberg still. Spontan versammelten sich die rund 800 Arbeiter der Frühschicht vor den Werkstoren, um gegen die geplante Schließung des Werkes zu protestieren. "Jetzt bestimmt nicht mehr Electrolux, ob wir arbeiten dürfen, sondern jetzt bestimmen wir. Dies ist unser Werk", rief AEG-Betriebsratsvorsitzender Harald Dix den Arbeitern vor den Werkstoren zu.

Der Aufsichtsrat des Mutterkonzerns Electrolux hatte die endgültige Schließung des Standorts bis zum Jahr 2007 und die Verlagerung der Produktion von Waschmaschinen und Geschirrspülern nach Polen beschlossen. 1750 in der Produktion beschäftigte Mitarbeiter des Nürnberger Werkes werden so ihre Arbeit verlieren.

Diese langerwartete Hiobsbotschaft wurden den Beschäftigten auf einer außerordentlichen Belegschaftsversammlung am Montag Nachmittag verkündet. “Es tut mir leid”, konnte der zuständige Manager Horst Winkler gerade noch sagen bevor seine weiteren Ankündigungen in einem ohrenbetäubenden Pfeifkonzert untergingen und Gegenstände auf das Rednerpult geworfen wurden. Nachdem der Manager fluchtartig den Saal verlassen hatte, strömten auch die Arbeiter nach draußen zur Demonstration. Rund 1500 Beschäftigte der Früh- und Spätschicht beteiligten sich an dem spontanen Protest und der anschließenden Kundgebung der IG-Metall. “Wir werden Electrolux in den nächsten Monaten ordentlich verprügeln”, versprach der zweite Bevollmächtige der Nürnberger IG-Metall Jürgen Wechsler. Für die AEG-Arbeiter könnte es sich als Vorteil erweisen, daß die geplante Schließung relativ früh bekannt wurde. Noch benötigt Electrolux den deutschen Standort und könnte im Falle eines längeren Streiks finanziell empfindlich getroffen werden, während die Belegschaft nichts mehr zu verlieren hat. Ab Januar will die Gewerkschaft den unbefristeten Streik für einen Sozialtarifvertrag ausrufen. Die Urabstimmung werde an Heiligabend eingeleitet. Bis dahin sollen täglich um 12 Uhr Info-Stunden für die ganze Belegschaft stattfinden.

Seit Monaten haben die AEG-Beschäftigten ihre Kampfbereitschaft unter Beweis gestellt. So kam es schon nach der ersten Schließungsankündigung im Juli zu einem Warnstreik. Ende Oktober blockierten die Beschäftigten im Rahmen eines europaweiten Electrolux-Protesttages die Werkstore. Auch ein mehrstündiger Warnstreik Anfang Dezember verursachte einen Produktionsausfall von mehreren tausend Geräten.

Betriebsrat und Gewerkschaft hatten sich zu Einsparungen in Höhe von 15 Millionen Euro durch Stellenabbau und der Reduzierung der Fertigung auf 800.000 statt 1,2 Millionen Geräten bereit erklärt, wenn es im Gegenzug eine Bestandsgarantie für das Werk bis 2010 gäbe. Weder diese weitreichenden Zugeständnisse noch das persönliche Vorsprechen des ehemaligen Bundeswirtschaftsministers Wolfgang Clement bei der Electrolux-Zentrale in Stockholm konnten die Konzernführung erweichen. “In unserer Branche reicht es nicht, die Löhne um 20 oder 30 Prozent zu senken”, hatte Electrolux-Chef Hans Straberg gegenüber dem Handelsblatt erklärt.

Der neben Whirlpool weltgrößte Haushaltsgeräteproduzent Electrolux will bis zum Jahr 2008 eine Milliarde Euro an Kosten einsparen. Hierfür sollen von weltweit 43 Werken 14 Standorte in “Hochlohnländern” geschlossen werde. Das 1994 von Electrolux aufgekaufte Nürnberger AEG-Werk war 1922 als Hersteller von elektrischen Heizungen und Kochgeräten errichtet worden. Nach dem zweiten Weltkrieg wurden dort Waschmaschinen und später auch Geschirrspülmaschinen und Trockner gefertigt. 2003 liefen noch 1,8 Millionen Geräte vom Band, in diesem Jahr werden es etwa 1,4 Millionen sein, die zu 60 Prozent in den Export gehen. Doch der Preis für “Weiße Ware”, wie Haushaltsgeräte in der Branche genannt werden, verfällt auf dem Weltmarkt rapide. Die veränderte weltweite Arbeitsteilung hat zu verschärfter Konkurrenz zwischen den Produzenten geführt. Etablierte Hersteller wie AEG zahlten inzwischen nach eigenen Angaben drauf, um gegenüber den von Discountern vertriebene Waschmaschinen aus türkischer oder koreanischer Fertigung unter 300 Euro überhaupt im Geschäft zu bleiben. Für den bayerischen IG-Metall-Vorsitzende Neugebauer ist dies "Dummschwätzerei". Durch Investitionen in neue Technologien hätte das Werk in Nürnberg "völlig konkurrenzfähig" werden können, erklärte der Gewerkschafter im Bayerischen Rundfunk.

Protest löste die angekündigte Werksschließung in Nürnberg auch in der Linksfraktion des Deutschen Bundestags aus. “Der verwilderte Kapitalismus braucht schnellstens Grenzen”, erklärte Klaus Ernst, stellvertretender Fraktionschef und IG-Metallbevollmächtigter in Schweinfurt. Innerhalb weniger Wochen sei in Bayern beim Chiphersteller Infineon in München-Perlach, dann bei den Gelddruckern von Giesecke und Devrient am Tegernsee und jetzt bei AEG das gleiche Erpressungsschema abgelaufen: auf Kosten hiesiger Arbeitsplätze werde an anderen Standorten investiert und damit die Beschäftigten, Betriebsräte und Gewerkschaften vor vollendete Tatsachen gestellt.

Der Nürnberger Schließungsbeschluß hat nach einem Bericht des Handelsblatts bereits eine weitere Entlassungsspirale in Gang gesetzt. So kündigte der Haushaltsgerätehersteller Miele in Gütersloh die Streichung von 1100 Arbeitsplätzen an. Und Bosch-Siemens-Hausgeräte möchte seine Fertigung von Berlin ins brandenburgische Nauen verlagern, wo keine Tarifbindung gilt.

Nikolaus Brauns