Solidarität mit den Eisenbahnern!

Verteidigt das Streikrecht!

Keine Privatisierung der Bahn!

Zuerst versuchten der Bahnvorstand und Mehdorn gemeinsam mit der Transnet unter Hansen und der GDBA die Lokomotivführer in der GDL durch den schnellen Abschluß eines Tarifvertrages beiseitezuschieben. Es ging darum, die Bahn durch "maßvolle" Tarifabschlüsse besonders profitabel und dadurch reif für den Börsengang, sprich die Privatisierung zu machen. Die GDL-Führung wollte trotz dieser von Anfang an politischen Dimension des Kampfes des Fahrpersonals den einen rein wirtschaftlich geführten Arbeitskampf. Dieses unpolitische Konzept erwies sich bald als irreal. Aber die Entschlossenheit der GDL-Basis und ihre trotz der sehr zögerlichen Haltung der GDL-Führung nicht nachlassende Kampfbereitschaft ließen die Pläne Mehdorns scheitern.

Der Bahnvorstand suchte sich dann (buchstäblich) in der ganzen Republik besonders konservative Richter, die den Lokführern Streiks verbieten sollten. Der damit verbundene Angriff auf das Streikrecht erschütterte auch die DGB-Gewerkschaften, deren Spitzen sich gegen den Streik und die Forderung nach einem eigenständigen Tarifvertrag gestellt hatten. Immer mehr aktive Gewerkschafter stellten fest, daß die GDL einen Kampf führte, der alle anging.

Als die Angriffe auf das Streikrecht an der insoweit klaren bisherigen verfassungsrechtlichen Rechtsprechung scheiterten, griff die herrschende Klasse zur psychologischen Kriegführung.

Schon am 14.Oktober ereiferte sich der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Rainer Wend, dass Art. 9 des Grundgesetzes die GDL vor der Politik schütze: "Sie missbrauchen dieses Grundrecht schamlos auf Kosten des Gemeinwohls". Laurenz Meyer erklärte gegenüber der Netzzeitung, es sei "völlig inakzeptabel, wie sich die Vertretung einer Minderheit auf Kosten der Allgemeinheit austobt." Obwohl alle Meinungsumfragen bewiesen, daß die Arbeiterklasse und die GDL-Basis sich nicht durch den durchsichtigen Versuch irritieren ließen, Allgemeinwohl und Kapitalinteressen gleichzusetzen und weiter den Streik unterstützten, beeilten sich mehr und mehr Politiker der Regierungsparteien, die SPD in vorderster Front, sich hinter die Bahnchefs zu stellen.

SPD-Fraktionschef Peter Struck — derselbe Herr, der als Kriegsminister die deutschen Interessen am Hindukusch verteidigen ließ - tönte: "Ich stehe klar auf der Seite von Bahnchef (Hartmut) Mehdorn und dem Transnet-Vorsitzenden (Norbert) Hansen, dass es keinen eigenständigen Tarifvertrag für die Lokführer geben kann." Und: "Es muß gelten, ein Betrieb, ein Tarif". Wieso das gelten muß, erklärt uns Struck nicht. Er ignoriert auch, daß es in jedem Betrieb Lohndifferenzierungen geben kann und daß Koalitionsfreiheit auch bedeutet, daß verschiedene Gewerkschaften nebeneinander handeln können müssen, so, wie z.B. in Frankreich. Strucks Parteinahme gegen den Streik war verbunden mit dem Appell an die GDL-Spitze, ihre Verantwortung für die deutsche Wirtschaft wahrzunehmen. Letzterer Appell umschreibt punktgenau, worin die SPD-Führung die Hauptfunktion einer Gewerkschaft sieht. Die sozialen Interessen der Arbeiterklasse haben aus dieser Sicht den Kapitalinteressen untergeordnet zu werden.

Der Transnet-Vorsitzende Hansen rechtfertigt in der Süddeutschen Zeitung unter Berufung auf die von ihm selbst herbeigeführte Friedenspflicht der Transnet-Mitglieder den systematischen Streikbruch seiner Gewerkschaft wie folgt: "Ich verliere langsam meine Geduld. Der Kurs der GDL führt zu einer Entsolidarisierung unter den Beschäftigten". Er werde jedenfalls nicht tatenlos zusehen "wie andere Geld verbrennen, das wir dringend brauchen." Tatsächlich spielen Transnet und GDBA die Trittbrettfahrer: Holen die Lok-Führer mit ihrem Kampf mehr heraus als Hansen & Co., gibt es für alle Eisenbahner einen Nachschlag.

Unerwartete Schützenhilfe erhielt die Fronde aus Kapital, bürgerlichen Spitzenpolitkern und Sozialdemokraten auch von Teilen der Bundestagsfraktion der Linken. Gregor Gysi, Bodo Ramelow (ehem. langjähriger thüringischer Vorsitzender der Gewerkschaft HBV) und Ulrike Zerhau (stellvertretende Vorsitzende der Partei Die Linke, ehemals WASG und ver.di-Funktionärin) stellen sich gegen einen eigenen Tarifvertrag für die GDL, weil sie durch einen eigenen Tarifvertrag der GDL den Anfang vom Ende der Branchentarifverträge und die strategischen Möglichkeiten eingeschränkt sehen, Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklären zu lassen.

Sie übersehen dabei die Kleinigkeit, daß die "Einheit" der Gewerkschaftsbewegung unter der Führung von Ausverkäufern und Streikbrechern wie Hansen seit Jahren den Verzicht auf eine effektive Interessenvertretung für alle Beschäftigten bedeutete. Hinzu kommt, daß diese Art der Einheit keine zwischen Führung und Gewerkschaftsbasis bedeutete, sondern faktisch eine Einheit zwischen Gewerkschaftsführern und Kapitalisten gegen die Gewerkschaftsbasis war.

Auch der DKP-Vorsitzende Heinz Stehr beschwört "eine objektive Gefahr zur Spaltung der Gewerkschaft". Immerhin betont er im Gegensatz zu den genannten Politikern der Linken die Verantwortung derjenigen, "die die Privatisierung tolerieren oder sogar Teile dieses Konzepts aktiv unterstützen, die in der Vergangenheit nicht für die konsequente Interessenvertretung der Kolleginnen und Kollegen eingetreten sind." Er möchte, daß die Mitglieder der Eisenbahnergewerkschaften "schnellstens zusammenkommen, die Lage diskutieren und daraus Schlussfolgerungen entwickeln". Dem laufenden Arbeitskampf werden diese frommen Wünsche nicht helfen, und die Streikbrecherei machen sie nicht ungeschehen. Die Realität der Existenz von drei Gewerkschaften lässt sich nicht einfach hinwegwünschen.

Vordergründig scheinen die reformistischen Einheitsbefürworter durch den FDP-Wirtschaftspolitiker Rainer Brüderle bestätigt zu werden, der in der FAZ vom 2.11.07 erklärte: "Es könnte zum bleibenden Verdienst der GDL werden, das Tarifkartell der Monopolgewerkschaften dauerhaft aufgebrochen zu haben. Wir brauchen auch bei Tarifverhandlungen mehr Flexibilität."

Ob ein neuer kämpferischer Aufbruch von Teilen der Gewerkschaftsbewegung zu einer Zersplitterung und Schwächung der Gegenwehr gegen das Kapital führt, hängt aber nicht zuletzt davon ab, inwieweit es gelingt, den Einfluß der reformistischen Ausverkäufer in den Gewerkschaften zurückzudrängen. Bleiben diese unangefochten am Drücker, wäre das der Super-GAU der Gewerkschaftsbewegung. Kampflose Kapitulationen vor dem Kapital, bloß symbolische Mobilisierungen in punktuellen Warnstreiks, unentschlossen und zaghaft geführte Arbeitskämpfe, die dem Kapital nicht weh tun, wären die Folge und ein weiterer Niedergang der früher errungenen sozialen Standards wäre vorprogrammiert.

Einheit kann nur heißen, daß gemeinsam gekämpft wird. Alles andere ist bloßes Wunschdenken und läuft auf die Schwächung des tatsächlichen Kampfes hinaus.

Gefahr für die Tarifautonomie?

Kurt Beck droht den Gewerkschaften mit der "kurzen Leine"

"Was sich da in Deutschland sehr zögerlich abzeichnet, hat in Großbritannien unter Maggie Thatcher dazu geführt, dass die Gewerkschaften hart an die kurze Leine genommen wurden", erklärte SPD-Chef Kurt Beck in der Bild am Sonntag (BamS) vom 18.11.07.

Was ist der Hintergrund dieses Droh-Szenarios?

Die gesellschaftliche Arbeitsteilung ist in der jetzigen Phase der kapitalistischen Entwicklung so verfeinert, dass jede Störung des Wirtschaftskreislaufs droht, enorme Schäden zu verursachen. Fast jeder länger andauernde und/oder große Streik stellt damit das Wohlergehen des Systems in Frage. Der moderne Monopolkapitalismus ist daher auf Kompromisse mit der Gewerkschaftsbewegung angewiesen, d.h. auf die Disziplinierung der Gewerkschaftsbewegung durch ihre Apparate, also von innen heraus. Dafür wird den Funktionären ein gewisser Einfluß auf den Staatsapparat und auf Unternehmen eingeräumt (Mitbestimmung). In Zeiten, in denen wie jetzt die Verteilungsspielräume immer enger werden, wird der den Gewerkschaftsapparaten vom Kapital zugedachte "Job" immer schwieriger. Wo Versuche scheitern, den willfährigen Gewerkschaftsapparaten ein Monopol zu sichern, werden gewerkschaftliche Rechte beschnitten und die Gewerkschaften nötigenfalls zwangsweise in den Staat und die Betriebsorganistion eingebunden (Korporatismus).

Wenn Kurt Beck jetzt "die kurze Leine" ins Spiel bringt, droht er selbst mit der formellen Einschränkung der Tarifautonomie, mit der Änderung der Verfassung in Richtung eines korporativen Systems. Er zeigt damit trotz seiner in jüngster Zeit demonstrierten sozialen Rhetorik seine Bereitschaft, notfalls den Kettenhund des Kapitals zu spielen. Gleichzeitig zeigt seine Äußerung, daß für das Kapital jetzt die Schmerzgrenze erreicht ist.

Nachdem entsprechende Appelle von Merkel, Tiefensee und anderen in der Vergangenheit kein Gehör fanden, mahnt selbst die EU-Kommission Verhandlungen an und warnt vor den ökonomischen Folgen des Streiks der Lokomotivführer. Die BamS lässt die DIW-Verkehrsexpertin Claudia Kernfert sekundieren, der Streik könnte die deutsche Wirtschaft bereits bis zum 17.11.07 Verluste von 112,8 Millionen Euro gekostet haben. Das Mitglied im Bahnaufsichtsrat Georg Brunnhuber (CDU-MdB) warnt bereits vor dem Verlust von Arbeitsplätzen und verweist darauf, daß Bahnkunden ihre Aufträge kündigen könnten.

Stillschweigend hat die Regierung ihre gegenüber den Appellen von GDL-Chef Schell, sich als Eigentümer der Bahn einzumischen, offiziell erklärte Haltung aufgegeben, sich aus dem Kampf der autonomen Tarifparteien herauszuhalten.

Der sozialdemokratische Verkehrsminister Tiefensee verkündete an Stelle des Bahnvorstands, dieser werde der GDL ein neues Angebot unterbreiten. Merkel drängt in der Bildzeitung auf eine zügige Einigung. Schell wiederum, der mit der GDL-Spitze schon seit einiger Zeit den Forderungen der Gewerkschaftsbasis nach einem unbefristeten Streik auswich, ließ sich in Anne Wills Talkshow und dem anschließenden Chat nur zu gern in neue Verhandlungen nötigen. Seine Feststellung, die GDL könne länger streiken, als Deutschland vertragen könne, zielte nicht auf die Mobilisierung der Basis, sondern darauf, in neue Verhandlungen zu treten. Flugs verzichtete er unmittelbar nach der Sendung auf die Forderung, die Bahn müsse vor Aufnahme der Verhandlungen ein neues Angebot vorlegen. Diese begannen dann mit Tiefensee als Vermittler. In diesen Verhandlungen, die transparent zu machen Schell der Basis versprochen hatte, wurde dann wieder Stillschweigen vereinbart. Doch wieder nur business as usual? Nicht ganz.

Die Warnstreiks der GDL zeigen nicht nur wirtschaftlich Wirkung. Vielen Gewerkschaftern wurde seit langer Zeit erstmals bewusst, daß Streik Machtausübung bedeutet, daß die Aufgabe von Gewerkschaften darin besteht, die Interessen ihrer Mitglieder zu vertreten, daß Gewerkschaften sich nicht am Gemeinwohlverständnis der herrschenden Klasse orientieren müssen, das Gemeinwohl und Kapitalinteresse gleichsetzt. Symptomatisch hierfür ist die jetzt von ver.di in Baden-Württemberg formulierte Forderung nach Lohnerhöhungen von 9,4% - ebensoviel wie die Diätenerhöhung der Abgeordneten im Bundestag. Die Bürokraten in den Gewerkschaften werden es künftig schwerer haben, Bescheidenheit zu predigen. Dies dürfte der Hauptgrund sein, weshalb Regierung und Kapital jetzt massiv darauf drängen, durch einen Kompromiß einen unbefristeten Streik abzuwenden. Es stellt sich allerdings die Frage, ob Regierung und Kapital bereits jetzt — ohne einen massiven und für das Kapital wirklich schmerzhaften Streik - reif für einen für das gesamte Fahrpersonal akzeptablen Kompromiß gemacht wurden. Hinzu kommt, daß die Chance besteht, Regierung und Kapital die Bahnprivatisierungspläne erst einmal kräftig und nachhaltig zu versauern.

Es erscheint nahezu sicher, dass die GDL einen eigenständigen Tarifvertrag erhalten wird und darüberhinaus auch spürbare materielle Verbesserungen durchsetzen wird. Fraglich erscheint, was neben den Regelungen für die Lokführer bezüglich des Fahrpersonals insgesamt vereinbart werden wird. Hier war schon die Vereinbarung mit Biedenkopf im August zweideutig. Ein schlechter Kompromiß auf Kosten des übrigen Fahrpersonals würde den gewerkschaftspolitischen Aufbruch der GDL möglicherweise schnell beenden und den Mitgliederzustrom zur GDL stark schwächen. Daß die GDL-Führung zunächst ein Gespräch darüber akzeptierte, wo für sie bei Verhandlungen die Schmerzgrenze beginnt - bevor die Bahn überhaupt ein Angebot unterbreitete - und daß die GDL-Führung bis zum 26.11.07 Geheimhaltung über den Inhalt des danach übermittelten Angebots gelobte, deutet an, daß die Basis der GDL von der Beschlußfassung erst einmal ausgeschlossen bleiben soll. Hier sollten die GDL-Mitglieder auf ihre Beteiligung drängen.

D. Elken, 22.11.2007