Folgende Artikel wurden von Dr. Nikolaus Brauns in der jungen Welt veröffentlicht:

Zum Infineon-Streik:

jW - 30.09.2005

1. Beschäftigte wollen bleiben

Erster Warnstreik bei Infineon in München gegen drohende Werksschließung

»Wir bleiben hier, dafür kämpfen wir«, skandierten Infineon-Beschäftigte am Werk München-Neuperlach am Donnerstag. Mit einem ersten Warnstreik wandten sie sich gegen die drohende Schließung des Betriebes im Jahr 2007. Die rund 160 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Früh- und Spätschicht hatten sich nach Auskunft von Vertrauenskörperleiter Rudi Steinberger vollständig dem Streikaufruf der IG Metall angeschlossen.

»Warnstreik — unser Recht«, hieß es auf einem Transparent inmitten eines Meeres von roten Gewerkschaftsfahnen. Delegationen anderer Münchner Infineon-Standorte sowie von Siemens und BMW zeigten ihre Solidarität. Tarifverhandlungen zwischen der IG Metall und dem Unternehmerverband waren am Dienstag ergebnislos vertagt worden. »Infineon ist wild entschlossen, das Werk in München-Perlach tatsächlich zu schließen«, berichtete der bayerische IG-Metall-Bezirksleiter Werner Neugebauer.

Das vor 20 Jahren als Forschungsstelle gegründete älteste Infineon-Werk in Deutschland sei »technisch überholt«, eine weitere Nutzung wirtschaftlich nicht sinnvoll, behauptet das Management. Die Produktion von Hochfrequenzbauteilen für Mobiltelefone soll nach Regensburg sowie ins österreichische Villach verlagert werden.

Im Perlacher Werk arbeiten derzeit 800 Mitarbeiter. Viele sind seit Jahren in dem Unternehmen tätig und haben auf dem Arbeitsmarkt kaum Chancen. Nach Gewerkschaftsangaben sind zudem weitere 200 Arbeitsplätze bei Zulieferern betroffen. Obwohl es seit drei Jahren keine Neuinvestitionen gegeben habe, arbeite der Perlacher Betrieb mit Gewinn. Die Schließungskosten betrügen dagegen mehr als 100 Millionen Euro. »Wenn Infineon unsere Tarifvorschläge annimmt, kommt das billiger als die geplante Werksschließung«, so Steinberger zu jW.

Bis zum Gesprächstermin am 13.Oktober will die Gewerkschaft mit weiteren Warnstreiks Druck machen. Sollte sich die Unternehmensleitung nicht verhandlungsbereit zeigen, ruft die IG Metall dann die Beschäftigten zur Urabstimmung über eine unbefristete Arbeitsniederlegung auf. Auch über eine Betriebsbesetzung werde diskutiert, berichteten Arbeiter.


jw - 20.10.2005

2.  Infineon München vor Streik

Urabstimmung bis Freitag. Gelbe Gewerkschaften setzen auf Spaltung der Belegschaft

Die Zeichen stehen auf Streik beim Chip-Hersteller Infineon in München-Neuperlach. Seit Mittwoch fünf Uhr früh können die IG Metall-Mitglieder aus der Belegschaft im mobilen Urabstimmungslokal vor dem Perlacher Werksgelände ihre Stimme für oder gegen einen Streik abgeben zur Rettung des ältesten Infineon-Standort Deutschlands abgeben. Das Ergebnis wird am Freitag bekanntgegeben. Da schon die Beteiligung an einer Reihe von Warnstreiks in den vergangenen Wochen groß war, werden die nötigen 75 Prozent Zustimmung wohl problemlos erreicht. Ohne weitere Fristen kann dann ein Vollstreik beginnen.

Am 13. Oktober war die zweite Verhandlungsrunde zwischen der IG-Metall-Verhandlungskommission und Infineon sowie dem Arbeitgeberverband andererseits gescheitert. Weiterhin besteht das Management auf der Schließung des Werks, obwohl dort Profite erwirtschaftet werden. 800 Beschäftigte und 200 Zulieferer werden ihre Arbeitsplätze verlieren, wenn die Produktion im Jahr 2007 zum zweiten bayerischen Infineon-Standort Regensburg sowie ins österreichische Villach verlagert wird.

Unterdessen ist ein offener Konflikt zwischen der gelben Gewerkschaft »Arbeitsgemeinschaft Unabhängiger Betriebsangehöriger« (AUB) und der IG Metall ausgebrochen. In einem offenen Brief an den bayerischen IG-Metall-Vorsitzenden Werner Neugebauer behauptet der Betriebsratsvorsitzende Jakob Hauser von der AUB, »die Belegschaft und die Mehrheit des Betriebsrates« beobachte »mit Entsetzen« die Vorgehensweise der gewerkschaftlich organisierten Betriebsräte und empfinde deren »aggressives Auftreten als Nötigung«. Die IG-Metall-Betriebsräte heizten die Stimmung zum Selbstzweck auf und würden so die Belegschaft spalten. Neugebauer wird aufgefordert, »diese Leute sofort zur Räson zu bringen«.

Man habe schon öfter festgestellt, daß die AUB »nur ein verlängerter Arm des Arbeitgebers sei«, weist der Münchner IG-Metall-Sekretär Michael Leppek die Vorwürfe der AUB zurück. Doch seit Bekanntwerden des Schließungsbeschlusses hatten die IG-Metall-Betriebsräte mit der gelben Betriebsratsmehrheit konstruktiv zusammengearbeitet. Auch die AUB hatte die Linie der Gewerkschaft mitgetragen.

Offensichtlich habe Infineon nun den Druck auf die AUB verstärkt, jede Zusammenarbeit selbst dann zu verweigern, wenn essentielle Interessen der Beschäftigten auf dem Spiel stehen, wird in der IG Metall gemutmaßt. Nach Aussage des Vertrauensleutesprechers und IG-Metall-Betriebsrats Rudi Steinberger seien viele Beschäftigte »sauer und menschlich tief enttäuscht von der Polemik«, mit der »Arbeitgeber und AUB uns spalten wollen«.


jW - 25.10.2005

3. Streikbrecher abgewehrt

Kampf um 800 Arbeitsplätze bei Infineon München: Wenige Minuten nach Mitternacht begannen am Montag die Beschäftigten einen unbefristeten Ausstand

Seit Montag ruht die Produktion beim Chiphersteller Infineon in München-Neuperlach. Eine Minute nach Mitternacht übernahmen Streikposten der IG Metall die Kontrolle über alle zehn Werkstore. »Wir bleiben hier, dafür kämpfen wir«, skandierten Hunderte Arbeiter des von der Schließung bedrohten Werkes immer wieder. Vergangene Woche hatten sich 93 Prozent der gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten in der Urabstimmung für den unbefristeten Streik ausgesprochen, nachdem Tarifverhandlungen zur Abfindung der 800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gescheitert waren.

Das Management des einst von Siemens abgespaltenen Dax-Konzerns hatte angekündigt, die Produktion auch während der Dauer des Ausstandes aufrechterhalten zu wollen. Ungeniert wurden im Dresdner Infineon-Werk Ende vergangener Woche Streikbrecher geworben: »Wir bitten Sie alle um die Unterstützung der Mitarbeiter, die in dieser schwierigen Situation durch ihren Einsatz helfen, einen wirtschaftlichen Schaden von unserem Unternehmen und unseren Kunden abzuwenden«, argumentierte die Konzernleitung. Nach Aussagen von Dresdner Beschäftigten wurde ihnen für einen freiwilligen Einsatz in München eine Prämie von 50 Euro sowie 20 Euro Spesen geboten. Doch die sächsischen IG-Metall-Vertrauensleute riefen zur Solidarität mit ihren Kollegen in München auf. »Dresdner IG-Metaller unterstützen euren Streik — Streikbrecher nach Hause!« war auf einem Transparent am Haupttor des Perlacher Werks zu lesen.

Kurzfristig hatte die IG Metall ihren erst für die Frühschicht angekündigten Streik vorverlegt, als bekannt wurde, daß Infineon bereits nachts Streikbrecher ins Werk bringen wollte. Von Polizei begleitet traf dann um sechs Uhr früh ein Buskonvoi mit »Arbeitswilligen« ein. Schnell hatten über hundert Beschäftigte den Streikposten verstärkt. Die Streikenden umringten die Busse und forderten deren Insassen unter einem Pfeifkonzert auf, sich entweder ihnen anzuschließen oder aber schleunigst wieder abzufahren.

Nachdem die mit einer Einsatzhundertschaft bereitstehende Polizei einen gewaltsamen Durchbruch angedroht hatte, erklärte sich die Streikleitung bereit, die Businsassen zu Fuß ins Werk zu lassen. »Wir wollen ihre Gesichter sehen und mit ihnen diskutieren«, begründete Michael Leppek von der Münchner IG-Metall-Verwaltungstelle diesen Vorschlag. Angesichts des drohenden Spießrutenlaufs durch ein Spalier Hunderter aufgebrachter Arbeiter zogen es die Streikbrecher vor, wieder heimzufahren.

Unterstützung bekamen die streikenden Infineon-Arbeiter von über hundert Beschäftigten aus anderen bayerischen Betrieben. Die größte Abordnung kam von BMW. Außerdem schlossen sich Beschäftigte von Siemens, MAN und Audi den Protesten an.

»Wir hoffen, sehr bald Signale von Infineon zu bekommen und sind frohen Mutes, die Verhandlungen wieder aufnehmen zu können«, zeigte sich Streikleiter Leppek optimistisch. Der Konzern will das Werk Neuperlach schließen, obwohl es Gewinn erwirtschaftet. 800 Beschäftigte würden ihre Arbeitsplätze verlieren, wenn die Produktion im Jahr 2007 wie geplant zum zweiten bayerischen Infineon-Standort Regensburg sowie ins österreichische Villach verlagert wird.


jW - 26.10.2005

4. Die Streikfront steht

Zweiter Tag des Widerstands gegen die Schließung von Infineon München: Produktion eingestellt. Polizei provoziert — DGB ruft Arbeiter zur Mäßigung auf

Auch am zweiten Tag des Streiks gegen die Werksschließung des Münchner Chip-Herstellers Infineon steht die Streikfront. »Wir haben es die ganze Nacht geschafft, alle Tore zu besetzen«, erklärte IG-Metall-Streikleiter Michael Leppek. Seit Streikbeginn sei die Produktion im Werk München-Neuperlach definitiv eingestellt. Infineon hatte zuvor behauptet, eine Mindestproduktion aufrechtzuerhalten. »Wir sind siegesgewiß und glauben, bald ein gutes Angebot von Infineon zu bekommen«, so Leppek.

Dienstag morgen befanden sich nach Gewerkschaftsangaben 400 Streikende vor dem Werksgelände. Unterstützung erhielten sie später von IG-Metallern aus anderen bayerischen Städten. Auch Anwohner fanden sich mit Kaffee und Kuchen zur Stärkung der Streikenden vor Ort ein.

Stopp für Streikbrecher

Da sich das Infineon-Werk in einem Industriepark zusammen mit Siemens befindet, ist eine vollständige Abriegelung des Geländes nicht möglich. Mit Kontrollen der Werksausweise an allen Toren stellten die Streikposten aber sicher, daß zwar Beschäftigte der anderen Unternehmen zu ihren Arbeitsplätzen gelangen, aber keine Streikbrecher durchsickern konnten. Während diese Maßnahme bei den meisten Siemens-Mitarbeitern auf Verständnis stieß, kam es zu vereinzelten Rangeleien, wenn Beschäftigte gewaltsam durch die Postenkette brechen wollten. Kein Durchkommen gab es für eine Reihe von Infineon-Mitarbeitern, die trotz des Ausstandes zur Arbeit wollten. Unter Gelächter wurden sie heimgeschickt.

Auch am Dienstag stand eine Einsatzhundertschaft der Bereitschaftspolizei vor dem Werk. »Wir sind erstaunt und erschrocken über die massive Polizeipräsenz«, so Streikleiter Leppek gegenüber jW. Montag nachmittag war es zu einem provozierenden Polizeieinsatz gekommen, um den Zugang einzelner Streikbrecher zu erzwingen. Eine Frau sei von einem Zivilpolizisten bedroht worden, der sich unter die Streikenden gemischt habe. Daraufhin seien ihr Kollegen zur Hilfe gekommen, schildert Vertrauenskörperleiter Rudi Steinberger den Vorfall. Zeugen berichteten, der Zivilbeamte habe sogar mit seiner Schußwaffe gedroht. Der nachfolgende Polizeieinsatz wurde von Streikenden auf Fotos festgehalten. So ist zu sehen, wie ein Arbeiter von mehreren Beamten zu Boden gedrückt und sein Arm umgedreht wird. Zwei Streikende wurden wegen Verdachts der Nötigung in Gewahrsam genommen

Kein Kommentar

Während zu dem Vorfall kein offizielles Statement der Gewerkschaft vorliegt, fällt der bayerische DGB-Chef Fritz Schösser den Streikenden bereits in den Rücken. »Das elementare Recht der Beschäftigten, um ihre Arbeitsplätze und beschäftigungspolitischen Ziele zu kämpfen, sollte nicht von Streikenden durch Übernahme der rüden Methoden der Geschäftsleitung in Mißkredit gebracht werden«, rief Schösser im Hinblick auf die Montag morgen von Streikposten blockierten Streikbrecherbusse zur Mäßigung auf. Streikleiter Leppek wollte diese Äußerung gegenüber jW nicht kommentieren.


jW - 27.10.2005

5. Vier Meter für Infineon

München: Gericht sichert Streikbrechern Zugang in Chiphersteller-Werk. Polizei hilft bei Durchsetzung. Belegschaft kämpft weiter für 800 Arbeitsplätze

In München hat sich der Arbeitskampf beim Chiphersteller Infineon zugespitzt. Eine Einsatzhundertschaft der Polizei hatte am Dienstag nachmittag Streikbrechern den Weg ins Werk Neuperlach gebahnt. Der Betrieb ist von der Schließung bedroht und wird seit Montag bestreikt. 800 Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel.

Der Konzern hatte zuvor eine einstweilige Verfügung beim Amtsgericht München erwirkt, nach der Streikposten den Zutritt zum Werk für Streikbrecher nicht blockieren dürfen. IG- Metall-Mitglieder hätten sich immer wieder grob rechtswidrig verhalten, behauptete Reinhard Ploss, Generalmanager von Infineon München. Arbeitswillige seien durch Anspucken, Pöbeleien und Beleidigungen eingeschüchtert und teilweise mit körperlicher Gewalt vom Zutritt zum Werksgelände abgehalten worden.

Der Gewerkschaft IG Metall wird in der am Mittwoch bekanntgewordenen Verfügung für die Dauer des Arbeitskampfes untersagt, die Zugänge zum Werk »durch dichtgestellte Streikpostenketten, Menschenansammlungen, Fahrzeuge und Bierbänke zu blockieren«. Zutrittswilligen und »insbesondere arbeitsbereiten Konzernangehörigen« müsse ein mindestens vier Meter breiter unkontrollierter Zugang gewährt werden. Bei Zuwiderhandlung droht der Gewerkschaft die Verhängung eines Ordnungsgeldes in Höhe von 250000 Euro oder bis zu sechs Monate Haft für die Streikleitung.

Die IG Metall hat Widerspruch gegen die Verfügung eingelegt. Trotz der Drohungen äußerte sich Streikleiter Michael Leppek äußerst zufrieden mit dem Verlauf des Arbeitskampfes. Auch am dritten Tag standen zahlreiche Streikposten rund um die Uhr an allen zehn Werktoren.

Zur Eskalation war es am Dienstag gekommen, als ein Pulk von etwa 15 Ingenieuren aus der Münchner Infineonzentrale stechschrittartig das Werk betrat. Fertigungsleiter Jochen Hanebeck habe Polizeikräfte im Befehlston angewiesen, den Weg für die Streikbrecher freizumachen, berichtet Streikleiter Horst Lischka. Die Streikposten mußten ausweichen.

Der bayerische IG-Metall-Vorsitzende Werner Neugebauer verurteilte das Vorgehen am Mittwoch auf einer Pressekonferenz als »bewußte Provokation der Unternehmensleitung«, die an das Vorgehen in einer Diktatur erinnere. Immerhin habe es inzwischen eine Zusage des Unternehmens gegeben, keine weiteren Streikbrecher aus anderen Werken anzukarren, berichtete Streikleiter Leppek. Offenbar habe die Unternehmensleitung nicht mit solcher Gegenwehr gerechnet.

Der organisierte Streikbruch vom Dienstag ist in jedem Fall nach hinten losgegangen. Nachdem der für die Sicherheit der Betriebsanlagen zuständige Notdienst aus Protest die Fertigungshalle verlassen hatte, richteten die in der Produktion unerfahrenen Ingenieure einen Sachschaden von über 200000 Euro an. »Das beweist die Wichtigkeit der Kollegen, die seit 20 Jahren hier im Werk arbeiten«, kommentierte Neugebauer. »Solange diejenigen, die die Maschinen bedienen können, vor den Toren stehen, ist trotz Streikbruch keine Produktion möglich.«

Für Mittwoch abend sei ein unverbindliches Sondierungsgespräch mit der Unternehmensleitung geplant. »Wir stellen uns aber auf einen langen Streik ein«, verkündete Neugebauer vor zahlreichen applaudierenden Arbeitern im Streikzelt. »Man muß nicht immer vor dem Betrieb stehen. Es gibt auch andere Formen des Streiks.« Ob er dabei an eine Betriebsbesetzung dachte, wollte Neugebauer nicht bestätigen: »Lassen Sie sich überraschen. Wir sind sehr kreativ«.


jW - 01.11.2005

6. Für ein Linsengericht

München: Nach einer Woche Streik einigten sich IG Metall und Infineon. Unternehmen erhöhte Abfindungen geringfügig. Arbeitsplätze wurden nicht gesichert

Der Kampfesmut der seit einer Woche im Streik stehenden Infineon-Arbeiter in München-Neuperlach war bis zum Schluß ungebrochen. Nun einigten sich IG Metall und Unternehmensleitung. Die Streikenden reagierten mit Enttäuschung und Wut. Die Verhandlungen mit Infineon unter Vermittlung des bayerischen Wirtschaftsministers Otto Wiesheu seien am frühen Montag morgen erfolgreich beendet worden, erklärte IG-Metall-Sprecher Siegfried Hörmann.

»Wir bleiben hier, dafür kämpfen wir«, hatten die Streikenden bei dem Chiphersteller noch am Freitag auf einer Solidaritätskundgebung der IG-Metall skandiert. Auch anläßlich eines Solidaritätsbesuchs von rund 70 Mitgliedern der Münchner Gewerkschaftslinken am Samstag machten viele Streikposten deutlich, daß es ihnen nicht um eine Abfindung, sondern um ihre Arbeitsplätze geht.

Doch tatsächlich stand die Schließung des Neuperlacher Werks bei den Verhandlungen zwischen IG Metall und Infineon niemals zur Disposition. Es ging lediglich um einen Sozialtarifvertrag. Der Schließungstermin wurde zwar um drei Monate auf den 31. März 2007 verschoben. Doch dann droht weiterhin mindestens 600 von 800 Beschäftigten die Arbeitslosigkeit, lediglich für hundert Arbeiter wurde die Übernahme an einer anderen Stelle in Aussicht gestellt, weitere hundert werden in die Altersteilzeit geschickt.

Konzernleitung und Gewerkschaft verständigten sich in der Nachtsitzung darauf, die Entlassenen für maximal zwölf Monate in einer Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft aufzufangen. Wenn Beschäftigte allerdings länger als drei Monate in dieser Gesellschaft bleiben, soll ihre Abfindung gekürzt werden.

Entgegengekommen ist Infineon der Gewerkschaft bei der Höhe der Abfindung, die nun 1,32 Monatsgehälter pro Beschäftigungsjahr, höchstens jedoch 130 000 Euro betragen soll. Zu Verhandlungsbeginn hatte die IG Metall noch die laut deren Bevollmächtigtem Harald Flassbeck absichtlich völlig »überhöhte« Forderung von drei Monatsgehältern pro Beschäftigungsjahr aufgestellt, während Infineon weniger als ein halbes Gehalt zugestehen wollte.

Die Einigung über höhere Abfindungen sei zustande gekommen, nachdem die IG Metall ihre Forderungen nach Qualifizierungsmaßnahmen signifikant reduziert habe, lobte Reinhard Ploss vom Münchner Infineon-Vorstand das Einknicken der Gewerkschaft. »Der höhere Abfindungsfaktor errechnet sich also aus Umschichtungen im Gesamtpaket, dessen Volumen sich im von Infineon erwarteten Rahmen bewegt.«

Der Sozialtarifvertrag muß noch von der Tarifkommission abgesegnet und von den Gewerkschaftsmitgliedern in einer Urabstimmung, die am Montag morgen begann, in Kraft gesetzt werden. »Dafür haben wir nicht gekämpft«, meinen jetzt viele Infineon-Arbeiter. »Wir wollten doch unsere Arbeitsplätze nicht für ein Linsengericht verkaufen.« Allerdings reicht bei der Urabstimmung die Zustimmung von lediglich 25 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder im Betrieb aus. Infineon-Manager Ploss erwartete daher, daß die Produktion in der Nachtschicht zu Dienstag wieder voll hochgefahren werde.