Gegen die “verLIDLung” der Arbeitsbedingungen!

von Orhan Akman *

Die Auseinandersetzung zwischen ver.di und dem zur Schwarz-Gruppe gehörenden Discounter Lidl hat sich in jüngster Zeit dramatisch zugespitzt. Unser Versuch, in München bei der LIDL- Filiale Berg am Laim einen Betriebsrat zu gründen, ist vorerst gescheitert. Der Arbeitgeber hatte die Initiatorin Kollegin Andrea K. in dieser LIDL-Filiale im Sommer fristlos gekündigt. Als Ver.di haben wir bereits Strafanzeige wegen Wahlbehinderung gestellt. Ebenso wurde eine Kollegin aus Dresden gekündigt, die in aller Vorsicht versuchte die Betriebsratsgründung in die Hand zu nehmen. Lidl-Belegschaften, die in Bayern und Baden-Württemberg an Warnstreiks teilgenommen und unter anderem der Münchner Kollegin ihre Solidarität bekundet haben, werden aktuell mit Filialschließung oder Ausgliederung bestraft — der Discounter Lidl reagiert brutal auf das Wahrnehmen von Grundrechten.

“LIDL-Kundenwoche”

Im Rahmen einer “LIDL-Kundenwoche” vom 19. bis 24. September informierten wir bundesweit vor den rund 2.600 LIDL-Filialen Kundinnen und Kunden über die Arbeitsbedingungen bei Lidl und die Demokratie- und Mitbestimmungsfeindlichkeit des Unternehmens. In München leiteten wir die “Kundenwoche” mit einer Pressekonferenz ein. Uns gelang es in München und Umgebung vor fast allen LIDL-Filialen (ca. 35) die Kundinnen und Kunden mit zusätzlichen symbolischen Aktionen zu informieren. Wir forderten die Kunden und die Öffentlichkeit auf, sich mit den Beschäftigten solidarisch zu zeigen und sie zur Wahl von Betriebsräten zu ermuntern. Lidl hat Ende September eine Filiale in Calw (Baden-Württemberg) geschlossen. In dieser Filiale gibt es seit sechs Jahren einen der wenigen Lidl-Betriebsräte. Die Kolleginnen und Kollegen sind dort seit jeher sehr aktiv. Auch sie haben sich an der Solidaritätsaktion für die gekündigte Münchner Kollegin beteiligt. ver.di will deshalb ein deutliches Zeichen setzen für starke Betriebsräte und gegen die aggressive Haltung der Lidl-Geschäftsleitung gegenüber aktiver Mitbestimmung — in Calw ebenso wie in den bayrischen Filialen, die ausgegliedert bzw. umfirmiert wurden, und im gesamten Unternehmen Lidl.

Mit einem Flugblatt über die “Geschäftspolitik” von Lidl haben wir viele Kunden informiert. Gleichzeitig haben wir die Kunden gebeten, eine “Kunden-Karte” an die Beschäftigten weiterzugeben. Auf dieser Karte gaben sie ihrem Wunsch Ausdruck, Kunden eines Unternehmens zu sein, das die Rechte seiner Beschäftigten wahrt, ihnen faire Arbeitsbedingungen bietet und Betriebsratswahlen ohne Nachteile für die Beschäftigten ermöglicht. Bis auf ein paar ganz wenigen Ausnahmen haben alle Kunden unsere Aktion sehr begrüßt und durchweg auch die Kundenkarte angenommen.

“Lidl-Adventswoche”

Im Rahmen einer bundesweiten ver.di-Aktionswochen - Lidl-Adventswoche- vom 5. bis 10. Dezember werden wir auch in München und Umgebung alle Beschäftigten in den Lidl-Filialen informieren. Ziel ist es, Lidl-Beschäftigten (bundesweit über 40 000 ) bei Filialbesuchen zu ermuntern, ihre Rechte wahrzunehmen und Betriebsräte zu wählen. Im Mittelpunkt unserer Aktionswoche sollen also positive Filialbesuche und -Kontakte zu Lidl-Verkäufer/innen stehen. Hierzu verteilen wir Flugblätter und kleine Nikolaus-Schokolade an die Beschäftigten

“LIDL-Methoden” werden zum Trend im Handel

LIDL ist jedoch nicht der einzige Arbeitgeber, der die Rechte der Beschäftigten mit den Füßen tritt. Der Schuhdiscounter Tack Schuh in der Münchner Innenstadt ging Ende August auch mit massiver Härte gegen die Gründung des Betriebsrates vor.

Seit über zwei Jahren kürzt Tack Schuh trotz gültigem Tarifvertrag die Sonderzahlung der Beschäftigten im halbjahresrhytmus. Etwa die Hälfte der 40-köpfigen Belegschaft organisierte sich daraufhin bei ver.di und klagte durch unseren Rechtsschutz erfolgreich gegen diese Vorhaben des Arbeitgebers. Auch der Versuch des Arbeitgebers die Arbeitszeit von 37,5 Stunden Woche auf 40 zu erhöhen haben die Beschäftigten bereits im Frühjahr abgelehnt. Nach mehreren Beratungen mit ver.di haben sich die Beschäftigten dazu entschlossen, einen Betriebsrat zu wählen. Als Fachbereich leiteten wir die Wahl ein und luden die Beschäftigten zu einer Wahlversammlung für den 30.8.2005 ein. Einen Tag zuvor

wurden vier Beschäftigte, allesamt Frauen und ver.di-Mitglieder, gekündigt. “Den Grund wollten uns die Chefs nicht nennen”, sagten die vier Gekündigten. Die Beschäftigten haben sich nun mit Rechtsschutz von ver.di zur Wehr gesetzt. Es wurden bereits Kündigungsschutzklagen und eine Strafanzeige gegen den Arbeitgeber eingereicht.

Mit einer gelungenen Protestveranstaltung vor der Tack Filiale in der Neuhauserstrasse am Freitag, den 02.09.2005, haben wir als ver.di diesen Akt von Unternehmerwillkür öffentlich gemacht. Die gesamte Schicht beteiligte sich an dieser Aktion, neben Vertretern der verschiedenen Partein (SPD, WASG, ÖDP) und Vertretern der Kirchen. Trotz massiver Behinderung und vier Kündigungen durch den Arbeitgeber wurde die Betriebsratswahl bei Tack Schuh erfolgreich durchgeführt. Auch zu Beginn der Wahlen am 15.9.2005 morgen kam es erneut zu Behinderungen seitens des Arbeitgebers. Als zuständiger Gewerkschaftssekretär wurde ich durch den Geschäftsleitung während der Wahl des Raumes verwiesen.

Der Betriebsrat konnte seit Mitte September nun seine Tätigkeit aufnehmen. Doch das Behindern der Betriebsratstätigkeit steht immer noch auf der Agenda der Geschäftsleitung.

Gegen das Klima von “Befehl und Gehorsam”!

Viele Handelskonzerne sehen mittlerweile ihre Läden wie Fürstentümer im Mittelalter, in denen weder Gesetze noch Tarifverträge was zu suchen haben. In vielen Handelsbetrieben endet die Menschenwürde bereits vor dem Personaleingang. Dabei steht im Artikel 1 des Grundgesetzes “Die Würde des Menschen ist unantastbar.” Das scheint Arbeitgeber wie Lidl, Aldi, Tack, Obi und Gleichgesinnte kaum zu kümmern. Stattdessen wird permanent mit der Angst der Beschäftigten gepokert. Ein Klima von ‘Befehl und Gehorsam‘ soll die Beschäftigten in Schach halten.

Die Beschäftigten, überwiegend Frauen, leisten auf immer größerer Verkaufsfläche bei immer längeren Öffnungszeiten und immer weniger Personal ständig mehr. Während die Unternehmer ihre Gewinne bei zum Teil stagnierenden Umsätzen durch Personalabbau zu Lasten der Beschäftigten sowie der Kunden, und den Preisdruck auf die Lieferanten ausgebaut haben. Die Handelsunternehmen, vor allem die Discounter, versuchen den vernichtenden Verdrängungswettbewerb auf dem Rücken der Beschäftigten im Einzelhandel und ihrer Familien auszutragen und damit ihre Gewinne weiter zu steigern.

Als ver.di werden wir aber an unseren Aktivitäten gegen Lidl&Co. festhalten, bis auch diese Unternehmen sich an die Gesetze und Tarifverträge dieser Republik halten und nicht mehr die Menschenwürde am Arbeitsplatz mit den Füßen treten. Denn Widerstand lohnt sich. Das haben die aktuellen Beispiele bei Tack Schuh aber auch vor kurzem bei Modehaus Zara in der Münchner Innenstadt gezeigt. Der Versuch der Geschäftsleitung bei Zara die Betriebsratswahl zu verhindern, konnte durch das gemeinsame handeln der Belegschaft frühzeitig unterbunden werden


* ver.di-Gewerkschaftssekretär für den Münchner Einzelhandel