Rezension:

Rainer Roth: Zur Kritik des Bedingungslosen Grundeinkommens, 2. Auflage, Frankfurt 2006

Die Forderung nach einem Bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) hat Furore gemacht. Allein dem Netzwerk Grundeinkommen gehören über 30 Gruppen und Institutionen sowie mehr als 800 Personen an. Sowohl in der Linkspartei.PDS als auch der WASG gibt es Strömungen, die diese Forderungen unterstützen.

Mit Kapitalisten in einem Boot

Unterstützt wird die Forderung auch von unerwarteter Seite: So von Götz Werner, dem Inhaber der Drogeriemarktkette "dm", von Professor Dr. Thomas Straubhaar, dem Leiter des von der DIHK Hamburg finanzierten Hamburger Weltwirtschaftsinstituts (HWWI). Das allein wäre natürlich kein Argument gegen die Forderung nach einem BGE, sollte aber zu denken geben. Jürgen Roth hat sich dieser Mühe unterzogen und sich mit allen gängigen Argumenten der Befürworter des BGE auseinandergesetzt und die überzeugend widerlegt.

Er erklärt in seiner Broschüre, warum die prokapitalistischen Befürworter des BGE gute Gründe für ihre Position haben: Seine Realisierung für alle würde das Kapital in die Lage versetzen, die Kosten für die Ware Arbeitskraft drastisch zu senken und deren Reproduktionslosten in größtmöglichem Ausmaß durch Steuermittel tragen zu lassen. Die Forderung nach einen Bedingungslosen Grundeinkommen ist daher gleichbedeutend mit der nach Kombilöhnen. Zugleich könnten auf diese Weise die sog. Lohnnebenkosten gesenkt werden, die Roth ebenfalls völlig richtig als von den Erwerbstätigen erarbeitete Lohnbestandteile bezeichnet.

Roth weist darauf hin, daß die 2001 von der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände aufgestellte Forderung nach Angleichung des Kindergelds an die Sozialhilfesätze schon in die gleiche Richtung zielte. Mit der Durchsetzung einer derartigen Forderung würden die Kosten der Reproduktion der Ware Arbeitskraft zum Teil vergesellschaftet, wohingegen die Nutzung dieser Arbeitskraft ausschließlich Privatsache der Arbeitgeber bliebe.

Insgesamt wird durch die Erhebung der Forderung nach dem BGE, d.h. nach dessen Zahlung ohne Bedürftigkeitsprüfung, die Tendenz des Kapitals unterstützt, die Löhne unter die gesellschaftlich notwendigen Kosten der Reproduktion der Ware Arbeitskraft zu senken. Damit würde das von den Gewerkschaften erkämpfte Tarifsystem untergraben. Die Existenzbedingung der Gewerkschaften, ihre Notwendigkeit als Mittel zur Verteidigung der sozialen Existenz der Arbeiterklasse wäre in Frage gestellt, würde das BGE durchgesetzt. Kapitalisten könnten dann mit jedem Arbeitnehmer wie in frühkapitalistischen Zeiten die Löhne individuell aushandeln. Diese Vision bewegt einzelne Kapitalvertreter, die Forderung zu unterstützen.

Genau das ist auch, wie Roth nachweist, nach wie vor das strategische Ziel des Kapitals. So bezeichnete der damalige Präsident des DIHT 1997 Kombilöhne "als eine Art trojanisches Pferd, das wir bei den Gewerkschaften und den Sozialpolitikern aufstellen. (...) wir können nicht auf einen Schlag das gesamte Sozialniveau absenken."

BGE, Mindestlohn und Arbeitszeitverkürzung

Faktisch konkurriert die Forderung mit der nach einem Mindestlohn. Die Existenzsicherung wäre von der Lohnarbeit abgekoppelt. Lohnarbeit wäre für einen wachsenden Teil der Arbeiterklasse nur noch Zubroterwerb. Damit würde zugleich die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung für alle untergraben und dem notwendigen gemeinsamen Kampf von Arbeitenden und Arbeitslosen der Boden entzogen. Hinzu kommt, daß ein individueller Anspruch auf Befreiung von Erwerbsarbeit auch die Verdrängung der Frauen aus dem Erwerbsleben bzw. dem gesellschaftlichen Produktionsprozeß begünstigen würde.

Arbeitenden sei nicht klar zu machen, daß sie für ihre Existenzerhaltung arbeiten und für Lohnerhöhungen gegebenenfalls kämpfen sollen, während Arbeitslose eine Existenzsicherung ohne Arbeitspflicht beanspruchen, deren Geldausdruck höher liegt, als die Arbeitslöhne großer Teile der Arbeiterklasse. Arbeitende wüßten auch, daß sie letztlich diejenigen wären, die das BGE erarbeiten müßten.

Nur der gemeinsame Kampf für Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich, so Roth, könne die Grundlage eines Bündnisses aller Teile der Arbeiterklasse sein.

Das BGE als eine kapitalistische Utopie

Eine besondere Stärke der Broschüre Roths ist der Nachweis, daß die Forderung nach einem Bedingungslosen Grundeinkommen letztlich nur eine kapitalistische Utopie präsentiert. Die Behauptung "Geld ist genug da", setze voraus, daß Waren genug da seien, die mit dem Geld gekauft werden könnten. Die Forderung sei daher nichts anderes als die nach einem (bedarfsdeckenden) Konsum von Waren.

Das vorgeblich andere Gesellschaftsmodell, das die Befürworter des BGE versprechen, beruhe daher auf verallgemeinerter, sprich: kapitalistischer Warenproduktion. Menschliche Bedürfnisse könnten jedoch in einem System verallgemeinerter Warenproduktion nicht im Mittelpunkt stehen: "Die Menschenwürde der Konsumenten würde dann die würdelose Lohnsklaverei der Produzenten voraussetzen, wie sie heute in China oder Indonesien, aber auch in Deutschland anzutreffen ist." Und: "Freiheit durch Geld ist eine Variante der Lohnarbeitermentalität, für die das wirkliche, 'freie' Leben erst nach der Arbeit anfängt."

Das Bedingungslose Grundeinkommen verspreche die Emanzipation von Lohnarbeit und setze doch ihre Verewigung voraus. Verheißungen wie die, daß das BGE nicht darauf abziele "die Arbeit zu befreien, sondern darauf, von der Arbeit zu befreien, beruhten deshalb auf einer Illusion. Sie lebten von imaginären Finanzierbarkeitsmodellen, die den (realen) Verwertungszwang des Kapitals und seine Grundlage, ausklammern, die fremdbestimmte Arbeit. Damit. so sei hinzugefügt, klammern diese Modelle auch den realen Klassenkampf aus.

Die von den Anhängern des BGE unausgesprochen vertretene These, daß der Kapitalismus mit dem BGE materielle Sicherheit in Form von Geld für alle garantieren könne, sei eine Illusion von sozialdemokratischen Gewerkschaftern und Kirchenvertretern. Kapitalbesitzern geht es um Möglichkeiten für profitable Geldkapitalanlagen, nicht darum, für den aus Sicht der Kapitalverwertung nutzlosen Konsum der für die unmittelbare Kapitalverwertung überschüssigen Arbeitsbevölkerung Sorge zu tragen. Das Kapital will deshalb systematisch die Ausgaben für den gesellschaftlichen Bedarf verringern. Je größer der Bedarf an ausreichendem Einkommen für alle wird, "desto mehr zerfallen die ökonomischen Bedingungen, die es möglich machen können." Mit dem Kapital, so Roth völlig richtig, sei "kein Bündnis für die Beseitigung von Armut und Existenzunsicherheit" möglich.

Die Masse des Kapitals ist daher nicht für die Forderung nach dem BGE zu begeistern. Das aber macht die Forderung noch lange nicht zu einer antikapitalistischen Forderung, wie manche ihrer Anhänger glauben.

Wer sich ernsthaft mit dem Sinn und Unsinn der Forderung nach dem BGE auseinandersetzen will, kommt an der Broschüre von Rainer Roth nicht vorbei.

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Dieter Elken, Strausberg, 28.10.2006