Der Weltgeist lacht über den Zeitgeist.

Bemerkungen über das Topos-Sonderheft[1] zu Peter Hacks

von Gerhard Branstner (Berlin)

Vorweg sei gesagt, daß die einzelnen Beiträge in diesem Heft, so ordentlich sie auch sind, im Ganzen Hacks nicht von der richtigen Seite packen. Hacks war ein Spiegel seiner Zeit. Ein höchst attraktiver, extremer Spiegel. Extrem in seiner Genialität, extrem aber auch in seinen primitiven, ja abstoßenden Irrungen. Um zu wissen, was für ein Spiegel Hacks war, muß man wissen, was er spiegelte. Und das wissen alle Autoren dieses Heftes nicht. Und auch Hacks wußte es nicht. Er war ungewollt ein exklusives Medium. Deshalb zunächst eine wenn auch kurze Charakterisierung dieser Zeit.

1. Jede historisch relevante Erscheinung hat die entscheidende Ursache ihres Entstehens und Vergehens in sich selber. Das alte Römische Reich starb in sich und an sich 300 Jahre lang. Der Kapitalismus ist mehr als ein Reich. Wie lange stirbt er? In unserer Unkenntnis dieses historischen Prozesses hoffen wir auf einen schnellen Tod, z.B. durch ökonomischen Kollaps oder per Revolution. Und wenn diese Hoffnungen verfliegen, sind wir zum Gotterbarmen hoffnungslos. Oder verirren uns, wie Hacks, in andere Illusionen.

2. Der springende Punkt der ganzen Menschheitsgeschichte ist der Übergang von der Klassengesellschaft zum Sozialismus. Dieser Übergang entpuppt sich als großes historisches Dilemma, als Widerspruch zwischen Größe der historischen Aufgabe und Erbärmlichkeit der Voraussetzung, des von mehr als zweitausend Jahren Klassengesellschaft dermaßen verdorbenen Menschen, daß er zur Errichtung des Sozialismus unfähig ist. Daher sind mehrere Anläufe zum Sozialismus nötig, damit er die erforderlichen Voraussetzungen erwirbt. Von diesem historischen Dilemma hatte Hacks keinen Begriff.

3. Ohne die hunderttausende Folterknechte und die hunderttausende Henkersknechte und die Millionen dem Personenkult Erlegenen hätte es keinen Stalin gegeben. Stalin, der Stalinismus und seine Bedingungen sind das lineare Produkt der Klassengesellschaft. Der Stalinismus des Sozialismus ist mithin pure Konterrevolution. Wie Lukacs in Bezug auf Nietzsche von einer indirekten Apologetik des Imperialismus spricht, so muß man in Bezug auf Stalin von einer indirekten Konterrevolution sprechen. Die äußere Vorgabe, Sozialismus zu machen, diente nur der Kastration des Sozialismus (der Ermordung des Leninschen Zentralkommitees, der Ermordung der Spitzen der Armeeführung, der Verhaftung oder Ermordung großer Teile der Künstler, der Paralysierung der Wissenschaften und der Wirtschaft. Und der Demoralisierung der Partei, ohne die ein Gorbatschow nicht möglich gewesen wäre (der übrigens, wie vordem Chruschtschow, die Methoden des Stalinismus weitgehend beibehalten hat).

Die Auffassung von Hacks, daß Stalin die Rettung vor Gorbatschow gewesen wäre, ist ein völliger Blödsinn. Stalin wäre nicht die Rettung gewesen, er war die Ursache von Gorbatschow.

4. Nach dem Niedergang des "realen Sozialismus" setzten sich die zwei in ihm bereits wirksam gewesenen Elemente fort. Die Konvergenztheoretiker entpuppten sich als Reformisten, die den Kapitalismus als reformierbar ausgeben, um sich den Einsatz für den Sozialismus zu ersparen, weshalb sie zu recht als Madenhacker des Kapitalismus gelten. Und die Stalinisten, die ich "Altgläubige" nenne, die, ob mit oder ohne Stalin, sich keinen anderen Sozialismus als den gescheiterten Sozialismus vorstellen können. Beide Seiten sind scheinbare Gegensätze, im Grunde jedoch Produkte der Klassengesellschaft und mithin in letzter Konsequenz bürgerlich. So peinlich wie grotesk, daß Hacks darauf hereingefallen ist und mit den verstockten Stalinisten wie Frank Flegel (Herausgeber von "offensiv"), Klaus Steiniger (Herausgeber vom "Rotfuchs") und Kurt Gossweiler Arme in Arm die indirekte Konterrevolution ein zweites Mal auflegen will.

Ohne diesen Begriff von Hacks als Medium seiner Zeit und das wirkliche Begreifen dieser Zeit hat es keinen Sinn, über Hacks urteilen zu wollen, Hacks war ein Gefangener des Zeitgeistes, worüber der Weltgeist nur lachen kann.

Aber: Ist ein Mensch nicht einfach, so nimm ihn eben zweifach. Hacks ist, in seinem historischen Verstand, eine brillante Null. Er ist aber auch ein brillanter Literat und kann zu recht als Klassiker genommen werden.

Im Folgenden einige kurze Anmerkungen zu den einzelnen Beiträgen in "Topos".

Heide Urbahn behandelt die Balladen und weiß bei aller Überschätzung immerhin zu sagen: "Es bleibt ein Überhang an Geist, wie ja auch ... das außerordentliche Unterfangen des Essays von den Balladen, wie schön sie immer erscheinen mögen, nicht abgegolten werden kann." Noch dazu sie so schön nicht sind.

Alfredo Bauer schreibt über Hacksens Goehte-Bild, bei welcher Gelegenheit er blanken Stuß, an dem Hacks nicht arm war, zitiert: "Der Starke unterscheidet sich vom Schwachen", meint Hacks, "durch seine Unfähigkeit, lange Zeit sauer zu sein." Ich kenne viele Schwache, die es sich gar nicht leisten können, sauer zu sein. Weiter im Stuß: "Kunst lebt von den Fehlern der Welt." Das ist der peinlichen Unkenntnis Hacksens geschuldet, der die wunderbare Beschreibung eines Theaterfestes auf den Gilbert-Inseln von Stevenson übersehen hat. Dort gab es noch keine Fehler im Sinne Hacks. Und: "In seinen theoretischen Schriften legt Hacks einen reichen Schatz von tiefer Kenntnis und Weisheit dar." Gerade da tanzt Hacks mit brillantem Witz von Irrtum zu Irrtum und von Stuß zu Stuß.

Jens Mehrle stellt fest, daß Hacks bei seinen Überlegungen zu einer "postrevolutionären Dramaturgie" neben Hegel sich auch auf Lukacs stützt. Um Mehrles und Hacksens Überschätzung von Lukacs zu entgegnen, sei nur auf vier eklatante Irrtümer von Lukacs gezeigt. Keller konnte nach Lukacs nur kleine Sachen schreiben, weil er in einem kleinen Land lebte. Was schon deshalb Unsinn ist, da Keller lange Zeit in dem großen Deutschland lebte. Brecht hat er völlig ignoriert. Dagegen Solschenizyn als Wiedergeburt der sozialistischen Literatur gefeiert. Und schließlich erklärte er zitierbare Literatur für nicht mehr möglich, da die Welt zu verwickelt geworden sei, um sie derart verkürzt darstellen zu können. Nun habe ausgerechnet ich die Zitierbarkeit zu einer nie gekannten Höhe geführt, indem ich de meisten kurzen Genres produziere, aber auch in den "langen" literarischen und wissenschaftlichen Genres die Zitierbarkeit zum modernen Qualitätsmerkmal mache. Und endlich verstößt Mehrle mit Hacks eklatant gegen den von mir in Punkt 2 dargestellten wirklichen Geschichtsprozeß.

Johannes Oehme verteidigt Hacks gegen die bürgerliche Einvernahme. "Hacks ist Klassiker des Sozialismus" und macht den positiven Unterschied von Hacks zu Brecht deutlich. Die "historisch-ästhetische Mission Brechts war eine andere als die Hacks".

Georg Fülberth beschäftigt sich hauptsächlich mit den "Drei Dramoletts" von Hacks und macht sie verständlicher und ihre Aufführbarkeit abwägbar. Wobei er mit dem Satz "Nach Ulbrichts Tod endete für Peter Hacks die Möglichkeit einer sozialistischen Klassik" ungewollt Hacksens Geschichtsidiotie bloßstellt. Volker Riedel diskutiert das späte Stück "Numa" und kommt zu dem Schluß, daß Hacks nach dem "offenkundigen Scheitern der Marxschen Gesellschaftsutopie ... die einzige Lösung in der Errichtung der Diktatur ... der Stalinschen Selbstherrschaft" sieht. Erstens ist nicht Marxens "Utopie" gescheitert, sondern die Stalins. Und zweitens ist "Stalins Selbstherrschaft" keine Lösung, sondern ein Verbrechen. Kann man dümmer oder schlimmer irren?

Arnold Schölzel macht "Eine Anmerkung" zu dem Verhalten der Medien und dem Verhältnis von Hacks zu den Medien. Das ist mit wohltuender Sachlichkeit geschrieben. Eben deshalb verläßlich und informativ.

Gisela Steineckert hingegen verrenkt sich buchstäblich, also in Worten, um ihre Vergötterung von Hacks in möglichst Hacksscher Brillanz kundzutun. "Hacks-Renaissance ... ich zweifle nicht an ihr, schon deshalb nicht, weil ich nicht sehe, daß jemand von Größe nachwächst." Demnach gäbe es, wenn Gisela was nachwachsen sähe, keine Hacks-Renaissance. Aber "ich denke noch heute, daß Hacks schneller war als andere".

Eberhard Esche hat wohl das Schönste über Hacks und sein Verhältnis zu ihm geschrieben. Obwohl er mit Hacks die Überbewertung Ulbrichts teilt (Für Ulbricht war Demokratie ein häßliches Fremdwort, weshalb ihm das NÖS zur Verbürokratisierung mißlang). Und obwohl Esche zweimal die Zusammenarbeit mit mir verweigerte, da ihm mein Verhältnis zu Hacks zu kritisch war, weshalb ich ihm böse sein dürfte, gefällt mir sein Beitrag am besten.

Hans Heinz Holz lobt Hacksens "Parteinahme für den Kommunismus", womit er sich dessen Parteinahme für Stalin anschließt, wogegen er den "Slogan": "Eine bessere Welt ist möglich" heftig verurteilt. Da man nur für eine bessere Gesellschaft sein könne. Wenn Möhren gesund sind kann nach Holz Gemüse nicht gesund sein. Von ähnlicher Logik ist der ganze Holz.

Kurt Gossweiler ist ein lügnerischer Zyniker, der sich die Geschichte zurecht lügt, um Stalins Massenmorde zu rechtfertigen. Folglich beschimpft er Chruschtschows Geheimrede auf dem XX. Parteitag als verleumderisch und verlogen und verunglimpft Brecht: "Brechts oben zitiertes Gedicht ist in der Tat der in wenigen Zeilen zusammengefaßte giftigste Kern von Chruschtschows Stalin-Verdammungsrede." Und schließlich die unvermeidliche, dumme und hilflose Verleumdung. Chrschtschow als "plumper Narr" in einem Gedicht von Hacks. "Er tat es seinem Gebieter in Washington zulieb". So blöd konnte Hacks sein. Und Gossweiler, indem er Hacks genüßlich zitiert.

Peter Hacks schreibt in seinem Brief an Harich über dessen Jean-Paul-Buch ziemlich Unverbindliches, auch an Johannes Oehme. Zum Beispiel: "Wenn es eine Zeit gab, wo es überflüssig war, Geschichte zu bewerten, war es die um 1800. Jeder hatte Recht mit dem, was er tat, und jeder Unrecht."

Peter Schütze schreibt über die Bedeutung von Hacksens Stücken. Da habe ich mir nichts Bedeutendes gemerkt.

Zum Schluß: Hacks ist gewiß ein Genie, ein wunderbares Genie. Seine Irrungen sind gewöhnlich nicht genial. Beides in einer Person gibt die Gelegenheit, sich an Hacks zu blamieren, auch Gelegenheit für Hacks.

Ein Trick von Hacks, im Grunde sein Schreibtalent, ist es, daß der Leser oder Hörer, wenn er Hacksens Witze versteht und darüber lacht, sich geschmeichelt fühlt, weshalb er gern darüber lacht. Hacks hatte aber nur Witz oder Humor, keine Heiterkeit. Heiterkeit ist von sozialem Gemüt.

Ist ein Mensch nicht einfach, so nimm ihn eben zweifach.

Diese Rezension ist keine allseitige Bewertung von Peter Hacks, sondern eine kleine Kritik des Topos-Sonderheftes.


[1]Topos - Internationale Beiträge zur dialektischen Theorie Nr. 23, Sonderheft Peter Hacks. Lieferbar über die Redaktion: Dieter Kraft, Seestr. 35, 13353 Berlin oder: redaktion-topos@gmx.de