Gottvolle Antisemiten und andere verwirrte Menschen

von Dieter Elken

CDU-MdB Martin Hohmann erklärte in einer Rede zum Tag der deutschen Einheit, es sei eine Tatsache, daß die bolschewistische Bewegung jüdisch geführt wurde. Juden hätten nicht nur in Rußland sondern auch in den mitteleuropäischen Staaten revolutionäre Bewegungen geprägt. Im Hinblick auf die Millionen Toten der ersten Revolutionsphase in Rußland könne man "mit einer gewissen Berechtigung" nach der "Täterschaft" (Anführungszeichen im Original) der Juden fragen. Und: "Juden waren in großer Anzahl sowohl in der Führungsebene als auch bei den Tscheka-Erschießungskommandos aktiv. Daher könnte man Juden mit einiger Berechtigung als 'Tätervolk' bezeichnen."

Erst Wochen später, nach einigem Nachhilfeunterricht von Medien, fiel Hohmanns politischer Entourage auf, daß es sich hier um typisch antisemitische Äußerungen handelt. Den Zuhörern seiner Rede, Besuchern der Internetseite seines CDU-Kreisverbandes und seinen sonstigen politischen Freunden war nicht aufgefallen, daß Hohmann hier die jüdische Herkunft von Teilen der mittel- und osteuropäischen Arbeiterbewegung zum Anlaß nahm, ernsthaft die absurde These zu erörtern, die revolutionäre Arbeiterbewegung sei jüdisch-völkisch geführt. Er steht damit in der Tradition völkisch-rassistischer, antisemitischer Weltbilder.

Hohmann dürfte dies gar nicht verstanden haben. Er spielt in seiner Rede mit völkisch-rassistischen Erklärungsmustern wie "Tätervölkern" und spricht vom "jüdischen Volk, das wir ausschließlich in der Opferrolle wahrnehmen." Er kann deshalb von einer "gewissen Berechtigung" sprechen, Juden als "Tätervolk" wahrzunehmen, weil es seiner Denkweise entspricht, von einem Deutschen auf die Deutschen zu verallgemeinern und von einer Gruppe von Juden auf alle Juden. Das ist auch der Grund, weshalb er die sogenannten "Wiedergutmachungszahlungen" der Bundesregierung für die Verbrechen der Hitlerzeit flugs zur "einzigartigen" Leistung des deutschen Volkes insgesamt erklärt. Die Hohmann abgenötigte "Entschuldigung", er habe die Einzigartigkeit des Holocaust nicht in Frage stellen wollen, zeigt, daß er und seine Freunde aus der CDU/CSU gar nicht begriffen haben, was der antisemitische Gehalt seiner Rede war.

Hohmann selbst wähnte sich mit seiner Rede auf der sicheren Seite: Hatte er doch in seiner Rede ausdrücklich festgestellt, daß die Juden, die sich dem Bolschewismus und der Revolution verschrieben hatten, die Juden deshalb nicht zum Tätervolk machen konnten, weil sie zuvor ihre religiösen Bindungen gekappt hatten und "glühende Hasser jeglicher Religion" waren. Nach diesem Höhepunkt konservativen analytischen Differenzierungsvermögens und nach seiner Feststellung, daß auch der Nationalsozialismus eine "religionsfeindliche Ausrichtung" hatte, posaunte er: "Mit vollem Recht aber kann man sagen: Die Gottlosen mit ihren gottlosen Ideologien, sie waren das Tätervolk des letzten blutigen Jahrhunderts."

General Reinhard Günzel, nunmehr General a.D. der bundesdeutschen Elitetruppen, hält diesen reaktionären Schwachsinn für eine "ausgezeichnete Ansprache" erkennt seltenen "Mut zur Wahrheit und Klarheit" und ist sich sicher, daß Herr Hohmann "der Mehrheit unseres Volkes aus der Seele" spricht." Bundesverteidigungsminister Struck erkennt da mit gewisser Berechtigung verwirrte Seelen. Aber natürlich ist er sich sicher, daß Günzel ein Einzelfall ist. Seine Truppe muß sauber bleiben, per definitionem.

Ob die CDU/CSU irgend etwas erkennt, darf bezweifelt werden. Sie distanzierte sich natürlich pflichtschuldigst von Hohmann, nachdem dieser überall als Antisemit geoutet war und der öffentliche Druck keine andere Wahl ließ. Sie drängte ihn, sich öffentlich zu entschuldigen; aber sie beließ es bei einer Strafversetzung Hohmanns vom Innen- in den Umweltausschuß. Die Entlassung Günzels durch Struck war dem Fraktionsvize der CDU/CSU, Wolfgang Bosbach, dann nur noch ein SPD-Manöver, um den Druck auf die Union zu erhöhen, Hohmann auszuschließen. Erst der CSU-Politiker Raidel, Obmann im Verteidigungsausschuß, stimmte schließlich in den Chor derjenigen ein, die den Ausschluß Hohmanns aus der CDU/CSU-Fraktion forderten. Seine vielsagende Begründung: Hohmann habe durch seine Veröffentlichung des Briefes von General Günzel diesen "auf dem Gewissen". Frei nach dem Motto "Der Verräter muß weg".

05.11.2003