Dieter Elken:

Der Imperialismus gegen den Irak

Kein Blut für Öl! Schon 1990 war dies während des Aufmarsches der imperialistischen Mächte gegen den Irak zur Vorbereitung des ersten Golfkrieges eine der Hauptlosungen der internationalen Friedensbewegung. Die Unschärfe der Losung war ihr Vorteil. Irgendwie ging es um Öl. Aber wie genau, war schon damals vielen unklar.

Viele glaubten damals an die Propagandalügen der Medien der reichen westlichen Länder und bangten um die "Freiheit" des armen, kleinen, annektierten Kuwait. Andere, wie Hermann Gremliza und seine Konkret, sahen in Saddam Hussein einen neuen Hitler, den es zu stoppen galt, bevor es zu einen neuen Völkermord an den Juden kommen würde. Sie gingen publizistisch auf die Seite des Imperialismus über. Und sie wachten auch nicht auf, als die vorgebliche existentielle Bedrohung Israels als Wahnidee demaskiert wurde, als in Kuwait nach dem Sieg der imperialen Demokraten nur das reaktionäre Vorkriegsregime, ein der Form nach halbfeudaler Polizeistaat und dem sozialen Inhalt nach ein Stützpunkt des internationalen Finanzkapitals, restauriert wurde, als die USA und ihre britischen Helfershelfer ihren Vormarsch stoppten, damit Saddam Husseins Elitetruppen ungestört den Volksaufstand im Südirak niederschlagen konnten und dazu die Erlaubnis erhielten, Kampfhubschrauber einzusetzen.

Aber auch die Linken, die damals eine konsequente antiimperialistische Haltung einnahmen, hatten Probleme damit, die Interessenkonstellationen der verschiedenen imperialistischen Mächte im Mittleren Osten zu verstehen. Damals schien es nicht sonderlich relevant, nach den Hintergründen und Motiven der beteiligten Mächte zu fragen. Die Fronten schienen klar. Ähnlich vereinfachend wie 1990 verbreiten auch heute diverse Autoren die These, daß es dem Imperialismus, allen voran dem US-Imperialismus, nur um den Zugriff auf die immensen Ölreserven geht, die im Irak vermutet werden. Folgerichtig wird die These aufgestellt, daß es der von Bush junior geführten Administration entscheidend darum gehe, das Werk seines Vaters zu vollenden. Untermauert werden derlei Thesen für gewöhnlich mit dem (richtigen) Hinweis auf die schwindenden Ölreserven in den USA und auf deren absehbar stärkeres Bedürfnis, Ölimporte langfristig zu sichern.

Die Schwäche dieser Überlegungen, für die beispielhaft der Artikel Wolf Wetzels in der "jungen welt" vom 21.01.03 steht, besteht darin, daß die Interessen des Imperialismus insgesamt mit denen der USA gleichgesetzt werden.[1] Dies geht einher mit völlig falschen Analysen innerimperialistischer Interessengegensätze. Das mag in den Friedensbewegungen der USA oder Britanniens ein Themenkomplex von sekundärer Bedeutung sein. Aber nicht in Deutschland, Frankreich oder anderen Ländern, in denen Regierungen in der Kriegsfrage mehr oder weniger vorsichtig auf Distanz zum Kriegskurs des US-Imperialismus gegangen sind. Hierzulande reibt sich mancher Linke die Augen und fragt sich verwirrt, wieso er plötzlich in einem Lager mit den Chefstrategen der Militarisierung der deutschen Außenpolitik steht. Die PDS-Führung weiß immer noch nicht so richtig, wie ihr geschieht.

Warum es zum ersten Golfkrieg kam

Die Annektion Kuwaits durch den Irak bedrohte in bis dahin ungekannter Weise die neokoloniale Ordnung des Nahen und Mittleren Ostens. Sie war mit den gemeinsamen Interessen der imperialistischen Mächte unvereinbar.

Diese Bedrohung war für die imperialistischen Interessen unmittelbarer und direkter als die durch die siegreiche islamistische Bewegung im Iran. Bis dahin hatte es nur einen Staat gegeben, der den Weltmarktpreis für Rohöl durch die Drosselung oder Ankurbelung der Ölförderung nachhaltig regulieren konnte, das saudische Königreich. Nur Saudi-Arabien verfügte Dank seines Ölreichtums über die Fähigkeit, die Ölproduktion nennenswert zu drosseln, ohne seine eigene wirtschaftliche Planung existentiell zu gefährden. Dies ist die entscheidende Relation, nicht z.B. der Umstand, daß die OPEC-Staaten (Organisation erdölproduzierender Länder) nur 4 % der Weltproduktion verbrauchen, aber ein Drittel der Weltförderung produzieren und über zwei Drittel der Ölreserven verfügen.

Alle anderen ölproduzierenden Staaten können auf ihre laufenden Einnahmen nicht verzichten. Sie können im Gegensatz zu Saudi-Arabien nur in Abstimmung mit den wichtigsten anderen ölproduzierenden Ländern Preise beeinflussen und jeder einzelne dieser Staaten ist symbiotisch mit den multinationalen Ölkonzernen verbunden und daher an einer ernsthaften antiimperialistischen Politik weder interessiert noch dazu fähig. Die saudische Dynastie wiederum ist mit ihrem halbfeudalen Kompradorenstaat und dessen extremen sozialen Widersprüchen dauerhaft auf den militärischen Beistand der Vereinigten Staaten angewiesen. Saudi-Arabien ist demzufolge ein weitgehend gefügiges Werkzeug des US-Imperialismus. Dieser verfügt dadurch bislang über ein weitreichendes Preisregulierungsmonopol.

Die dauerhafte Annektion Kuwaits hätte dieses faktische Preisregulierungsmonopol des US-Imperialismus auf dem Weltenergiemarkt wenn nicht ausgehebelt, so doch wenigstens bedroht. Der Zugriff auf die kuwaitischen Ölquellen hätte es dem Irak ermöglicht, den Ölpreis unabhängig vom Imperialismus zu beeinflussen. Damit wäre die ökonomische Planungssicherheit in allen imperialistischen Metropolen untergraben worden. Mit den damals geleisteten Versprechungen Saddam Husseins, ökonomische Vernunft walten zu lassen, gaben sich die imperialistischen Mächte nicht zufrieden. Ihnen genügte schon die Ankündigung des Irak, einen Ölpreis von wenigstens 22 Dollar je Barrel durchsetzen zu wollen, um zu wissen, welche gefährlichen Möglichkeiten dem Irak offen gestanden hätten.

Der Irak, der einzige bevölkerungsreiche Ölstaat im arabischen Raum, noch dazu geführt von einem bürgerlich-nationalistischen Regime mit vordergründig sozialistischem Anstrich, hatte seit der Nationalisierung seiner Ölindustrie eine beschleunigte ökonomische Entwicklung gekannt. Diese Entwicklung war erst ab 1980 durch Lasten des Krieges gegen den Iran gestoppt worden. Diesen hatte Saddam Hussein sicher mit dem Motiv geführt, das Übergreifen der islamistischen Revolution auf die schiitische Bevölkerungsmehrheit des Irak zu verhindern. Der Krieg kam dem Imperialismus wie gerufen und wurde von nahezu allen imperialistischen Mächten unterstützt. Er wurde aber auch gebilligt von der Sowjetunion. Die Ausweitung der islamistischen Revolution wollten alle verhindern und sie, wenn schon nicht unmittelbar stürzen, so doch ausbluten. Konsequenterweise wurde beide Seiten mit Waffen beliefert. Was für die islamistische Revolution galt, traf seitens des Imperialismus auch hinsichtlich des arabischen Nationalismus zu. Auch der Irak blutete aus. Wörtlich und im ökonomischen Sinn.

Die Ankündigung Saddam Husseins, den Nachkriegsaufbau des Irak und dessen weitere Entwicklung über die Durchsetzung fairer Ölpreise und gestützt auf eine echte Angebotsmacht zu finanzieren, verwandelte Saddam Hussein über Nacht vom gehätschelten regionalen Hilfsgendarm des Imperialismus in ein blutrünstiges Monster. Nicht zuletzt, weil eine ökonomische und gesellschaftliche Weiterentwicklung des Irak selbst unter bürgerlichen Vorzeichen aufgrund ihrer Vorbildwirkung die soziale Stabilität des gesamten arabischen Raumes ins Wanken gebracht hätte. Das war und ist ein für den Imperialismus untragbares Szenario.

Gemeinsame geostrategische Interessen

Der erste Golfkrieg lag daher im gemeinsamen Interesse aller imperialistischen Mächte. Es galt, gemeinsam zu verhindern, daß dem Imperialismus die Kontrolle über den wichtigsten und selbst militärstrategisch zentralen Rohstoffmarkt entglitt. Dies war um so wichtiger, als die imperialistischen Mächte damals noch nicht davon ausgehen konnten, daß die Krise der Sowjetunion zu deren endgültigen Zusammenbruch und zur Restauration des Kapitalismus in Osteuropa und Zentralasien führen würde.

Die latenten Interessengegensätze im Lager des Imperialismus wurden mithin während des ersten Golfkrieges durch die gemeinsamen Interessen noch überdeckt und gezügelt.

Die Konkurrenten des US-Imperialismus hatten natürlich auch schon 1990 kein Interesse daran, diesem die vollständige Kontrolle des Weltenergiemarktes zu ermöglichen. Diese Perspektive erschien 1990 aber noch nicht wirklich greifbar. Die Sowjetunion befand sich mit den von ihr kontrollierten Energievorräten außerhalb des imperialistisch kontrollierten Weltmarktes. Der Ost-West-Gegensatz verlangte zudem nach innerimperialistischem Interessenausgleich und schloß brutale Alleingänge des US-Imperialismus aus. Dennoch gab es unter der Oberfläche der Gemeinschaft der freien Welt sich allmählich verändernde Kräfteverhältnisse.

Es wird hierzulande häufig übersehen, daß die BRD bereits Ende der achtziger Jahre ihr Erdöl aus der Sowjetunion, dem Iran (dort hatte die BRD die früheren Positionen der USA stillschweigend besetzt), Libyen und aus der Nordsee bezog. Dazu verringerte sie durch ökologische Maßnahmen ihren Energiebedarf sowie durch steigende Erdgasimporte ihre Abhängigkeit vom Ölmarkt - nicht zur Freude des US-Imperialismus. Mit Ausnahme der Nordseeöllieferanten las sich die Liste der Lieferländer der BRD wie ein Who is Who des damaligen Reiches des Bösen. Dies war Ausdruck der schleichenden Emanzipation des erstarkenden deutschen Imperialismus von der westlichen Hegemonialmacht.

Die BRD hatte und hat keine nennenswerte nationale Ölindustrie. Erst jetzt greift der neu formierte EON-Konzern erstmals direkt auf Erdgasvorkommen zu (der von EON übernommene Ruhrgaskonzern hatte sich bislang nur an der russischen Gazprom beteiligt und ansonsten auf langfristige Bezugsverträge gesetzt. Trotzdem war die BRD daran interessiert, den Griff des Irak nach Kuwait zu verhindern. Der Weltenergiemarkt geht alle imperialistischen Mächte an. Die herrschende Klasse der BRD traute sich aber auf Grund des nach dem Zweiten Weltkrieg entstandenen Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen noch nicht, mit eigenen militärischen Kräften am Krieg teilzunehmen. Das hielt sie aber nicht davon ab, den Krieg maßgeblich mitzufinanzieren und logistisch zu unterstützen.

Frankreich kannte die Skrupel der BRD-Politik ohnehin nicht. Es beteiligte sich im eigenen Interesse auch militärisch, um mit seinem nationalen Ölkonzern bei einer Nachkriegsregelung nicht leer auszugehen, aber vor allem, um seine erheblichen Interessen im Irak zu schützen. Hier darf nicht übersehen werden, daß Frankreich seine Beziehungen zum Irak und damit zum Baath-Regime nach der Nationalisierung der angloamerikanischen Ölindustrie in den siebziger Jahren systematisch ausgebaut hatte und zu dessen wichtigstem Rüstungslieferanten geworden war. Frankreich hatte den Irak sogar mit Atomtechnologie beliefert - bis das Atomprogramm durch einen israelischen Bombenangriff gestoppt worden war.

Lediglich Britannien kannte und kennt in Fragen der Ölversorgung keinen Interessengegensatz zu den USA. Seine Ölindustrie ist mit der der USA z.T. traditionell verbunden (im Irak wurden BP, Royal Dutch Shell und Exxon 1973 - gegen Entschädigung- enteignet) und, was noch viel wichtiger ist, auf den militärischen Schutz durch den US-Imperialismus angewiesen. Der britische Imperialismus wußte spätestens seit dem strategischen Debakel seines Suez-Feldzuges gegen Nasser 1956, daß er nur an der Seite der USA oder mit deren Unterstützung in der Lage ist, Weltmacht zu spielen. Andererseits hat er aufgrund seiner Geschichte weltweit zu schützende Interessen. Dies erklärt die Hundetreue des britischen Imperialismus gegenüber den USA. Der britische Imperialismus kann nur hoffen, als aus ideologischen Gründen benötigter Bündnispartner hier und da mitreden zu dürfen.

Staaten wie Australien und Japan befinden sich in energiepolitischer Hinsicht ohnehin in vollständiger Abhängigkeit vom US-Imperialismus, der weltweit alle Seewege unter Kontrolle hält. Sie sind bei bedeutenden strategischen Entscheidungen kein eigenständiger Faktor der Weltpolitik. Die USA kontrollieren militärisch alle wichtigen Seewege und damit deren Energiezufuhr. Sie bestimmen damit den Pulsschlag der ostasiatischen Wirtschaft. Das wird in der nur-ökonomischen Sicht derjenigen Theoretiker verkannt, die eine Triade aus Europa, Japan und den USA als ernsthafte Pole des Weltimperialismus sehen wollen.. Deren Traum von einer Schwächung der US-Hegemonie kann kaum praktisch werden.

Der 1990 noch bestehende Ost-West-Gegensatz legte andererseits dem US-Imperialismus spürbare Zügel an und zwang diesen in viel größerem Ausmaß als heute, Kompromisse mit den zweit- und drittrangigen, aber dennoch konkurrierenden imperialistischen Mächten zu suchen. Es galt nicht nur für ihn seit der Oktoberrevolution den Zugang der Sowjetunion zum Persischen Golf zu versperren. Die Hegemonie des US-Imperialismus war nach dem 2. Weltkrieg trotz seiner absoluten Überlegenheit nicht so groß, daß er auf die sozioökonomische Stabilität der kapitalistischen Länder hätte pfeifen können. Die anderen imperialistischen Mächte brauchten deshalb nicht damit rechnen, daß die USA die Lage nutzen würden, um ihre Vormachtstellung zu mißbrauchen.

Hinzu kam, daß alle imperialistischen Mächte ein erstrangiges Interesse daran hatten (und haben), jede, selbst bürgerliche oder unter der Führung halbfeudaler oder klerikaler Kräfte stehende Massenbewegung zu verhindern. Nicht zuletzt die USA hatten durch die iranische Revolution und die dadurch an die Macht gelangten fundamentalistischen Islamisten ihre ökonomischen Positionen im Iran verloren und sich seitdem bemüht um ein kleines "roll back" bemüht. Die Ermutigung und Unterstützung Saddam Husseins im irakisch-iranischen Krieg der achtziger Jahre war Ausdruck dieser Politik, die zudem noch durch das wirtschaftliche Ausbluten des Irak den Vorteil hatte, den arabischen bürgerlichen Nationalismus zu schwächen.

Alle imperialistischen Mächte wissen überdies aus der Geschichte, daß die Dynamik von Massenrevolten unkalkulierbar ist und daß sich in jeder Massenbewegung schnell sozialrevolutionäre Strömungen entwickeln können. Hinzu kam als weiterer Faktor, daß der Ost-West-Gegensatz bürgerlichen Nationalisten einen weit größeren Handlungsspielraum eröffnete, als dies heute der Fall ist.

Aufstandsbewegungen stoppten den Golfkrieg

Der Aufstand der schiitischen Massen im Südirak und die Revolte der Kurden im Norden machten der Kriegsbegeisterung des Imperialismus damals schlagartig den Garaus. Die US-Truppen stoppten sofort ihren Vormarsch. Sie ließen trotz absoluter Lufthoheit den intakten Elitetruppen der irakischen Armee, freie Hand, die Aufstandsbewegung im Süden zu vernichten. Lediglich die Kurden im Norden, deren reaktionäre politischen Führungen oft genug ihre Bereitschaft gezeigt hatten, sich mit den reaktionärsten Kräften der Region zu arrangieren, wurden als Faustpfänder des Imperialismus geschützt.

Der angloamerikanische Imperialismus hoffte nach dem Waffenstillstand, mit Hilfe des UN-Embargos, mit der Durchsetzung von Reparationen und ständigem militärischen Druck, einen Militärputsch gegen Saddam Hussein und die Baath-Partei zu provozieren. Ein neues Militärregime mußte es schon sein. Es galt, einen Zerfall des Irak zu verhindern. Die kurdische Führung mußte unter allen Umständen auf einen Kurdenstaat verzichten, um die Türkei nicht zu destabilisieren. Alle Träume von schiitischen Einigungsbestrebungen mußten im Keim erstickt werden. Jeder Gedanke des Iran an eine Ausdehnung seines Einflusses mußte entmutigt werden. Selbst jetzt, nachdem sich die Anziehungskraft des Islamismus im Iran weitestgehend erschöpft hat, er seine Massenbasis weitgehend verloren hat und sich in eine abgehobene Art klerikal-reaktionärer Militärdiktatur verwandelt hat, ist speziell der angloamerikanische Imperialismus nicht daran interessiert, den Iran stärker zu machen.

Das Kalkül des angloamerikanischen Imperialismus, im Irak einen pro-imperialistischen Milirärputsch zu provozieren, ging nicht auf. Der erhoffte Regimewechsel im Irak blieb aus. Die von den USA erzwungenen Sanktionen der UNO und der anhaltende militärische Druck durch die Luftkriegsführung auf beschränktem Niveau erleichterte es dem irakischen Regime im Gegenteil, das Land im Griff zu behalten. Das fehlende Kontrolle des irakischen Staates über das irakische Kurdistan erwies sich für das irakische Regime verzichtbar. Für den Imperialismus wurde die Halbautonomie des irakischen Kurdistan hingegen mit zunehmender Dauer zu einer politisch uneinlösbaren Hypothek.

Der Zusammenbruch der UdSSR: Die Karten werden neu gemischt

Die für den US-Imperialismus ungeklärten Lage im Irak und die in den neunziger Jahren völlig veränderte geostrategische Rahmensituation haben im Mittleren Osten zu völlig veränderten Interessenkonstellationen geführt.

Die politische Hängepartie im Irak, dessen durch die Sanktionen blockierte Entwicklung und der Machterhalt Saddam Husseins führten faktisch zum Zerfall der Allianz derjenigen Mächte, die den Golfkrieg getragen hatten. Der Machtbereich des Baath-Regimes war der britischen und der US-Wirtschaft verschlossen. Andere Mächte trieben selbst unter dem UN-Embargo Handel mit dem Irak und bauten ihre strategischen Positionen auf wirtschaftlichem Gebiet aus. Russische, französische italienische und chinesische Ölkonzerne erhielten Konzessionen auf die Ausbeutung der vielversprechendsten irakischen Ölreserven. Damit wurden die angloamerikanischen imperialistischen Mächte nachträglich zu ökonomischen Verlierern des Golfkrieges.

Der Zerfall der Sowjetunion und danach der Allianz der Nachfolgestaaten eröffnete zugleich allen imperialistischen Mächten im mittelasiatischen Bereich neue Einflußmöglichkeiten. Rußland und seine Ölwirtschaft konkurriert mit dem Imperialismus und den Ölkonzernen um Einfluß im Kaukasus und der mittelasiatischen Region. Dabei geht es nicht nur um die zwar beachtlichen Öl- und Gasreserven, sondern auch um die Transportrouten für Öl und Gas. Jeder Imperialismus bemüht sich um Bündnisse mit den sich neu formierenden Kompradorenbourgeoisien.

Der US-Imperialismus will die Weltherrschaft

Für den US-Imperialismus geht es dabei um weit mehr als nur um die Ausbeutung von Öl- und Gasfeldern. Gelingt es ihm, den mittelasiatischen Raum militärisch zu beherrschen, kann er nicht nur Europa, sondern auch China die Energiezufuhr abdrehen und darüber hinaus den Energiezufluß zum indischen Subkontinent und in den Pazifik weiter kontrollieren.

Bei einer sich für die nächsten Jahrzehnte absehbar stürmisch entwickelnden Nachfrage nach Öl und Gas in Europa, den USA, aber besonders in China und Indien geht es um eine strategische Schlüsselstellung, die darüber entscheidet, ob die Vorherrschaft des US-Imperialismus auf lange Sicht gesichert werden kann. Die Kontrolle des Irak allein und die zügige Erschließung seiner großen Reserven kann aus Sicht des US-Imperialismus verhindern, daß der Ölpreis angesichts der zu erwartenden Nachfrageexplosion in unkontrollierter Weise steigt und die Weltwirtschaft erschüttert, weil die irakischen Reserven eine Förderung nach Bedarf ermöglichen. Entscheidend ist in dieser Hinsicht die endgültige Entmachtung der OPEC.

Aber weitergehend gilt: Wer den Mittleren Osten militärisch kontrolliert, d.h. die Golfregion mit ihren enormen Reserven und die Transportwege in Mittelasien, kontrolliert im Konfliktfall die Weltwirtschaft; denn der Energiesektor ist und bleibt auf absehbare Zeit der Schlüsselsektor der kapitalistischen Wirtschaft.

Der US-Imperialismus könnte durch die Kontrolle dieses Sektors der Weltwirtschaft und zugleich der Rüstungsmaschinerien verhindern, daß in irgendeiner Weltregion ein ernsthafter neuer Rivale von ähnlicher Statur wie die ehemalige UdSSR entsteht. Die neue Präventivkriegsstrategie der USA zielt daher nur vordergründig auf "Schurkenstaaten" oder "die Achse des Bösen". Eigentliches Ziel ist eine Eindämmungsstrategie, ein "Containment" gegenüber Europa, Rußland und China. Dies ist für den US-Imperialismus um so wichtiger, als seine absolute Hegemonie nur noch auf militärischem Gebiet besteht. Er muß diese Vormachtstellung einsetzen, um sich auf Dauer ökonomisch behaupten zu können. Der spätere US-Vizepräsident Cheney schrieb schon am 8.3.1992 in der New York Times, die Vereinigten Staaten müßten die Mechanismen erhalten, "die möglichen Konkurrenten alle Hoffnung auf eine größere regionale oder globale Rolle nehmen".

Dieses strategische Interesse steht hinter der sprunghaft angestiegenen Aggressivität des US-Imperialismus in den neunziger Jahren. Insofern kann auch von einem Bruch in der US-Politik gesprochen werden, von der Ersetzung des "Multilateralismus" durch den "Unilateralismus". Ausdruck dieser Aggressivität ist die neue amerikanische Militärdoktrin mit ihrem Bekenntnis zu Präventivkriegen. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, daß für den US-Imperialismus seine strategischen Interessen deutlichen Vorrang vor den Einzelinteressen auch großer, multinational operierender Ölkonzerne haben.

Der Irak als Sprungbrett

Die Eroberung des Irak, die Schaffung eines willfährigen Kompradorenregimes, das den USA langfristige Stützpunkte einräumt und nötigenfalls die Etablierung eines Besatzungsregimes "zur Bekämpfung des Terrorismus" oder US-Protektorats nach afghanischem Muster würden sich in eine solche strategische Perspektive einordnen. Zugleich würde dadurch der Bewegungsspielraum der saudischen Monarchie deutlich eingeengt. Daß die USA in einer solchen Situation das entscheidende Wort über den Zugang zu den irakischen Energiereserven hätten, versteht sich von selbst.

Um zu sichern, daß Rußland im Kriegsfall still hält, werden aber auch Kompromisse gemacht. So wurde Rußland versprochen, daß deren Zugriff auf bestimmte Ölfelder nicht infragegestellt werden soll. Es geht nicht darum, den US-Ölkonzernen den alleinigen Zugriff auf das irakische Öl ermöglichen. Es geht um die strategische Kontrolle. Das unbotmäßige Frankreich hingegen dürfte deshalb nach einem amerikanischen Frieden leer ausgehen und seine mit Saddam Husseins vereinbarten Anwartschaften wohl verlieren.

US-Politiker wie Richard Perle haben aber schon gefordert, die USA müßten sich darauf vorbereite, auch den Iran anzugreifen. Mit der Etablierung eines US-Marionettenregimes im Iran wäre die militärische Kontrolle der Straße von Hormuz durch die USA total. Dazu wäre der Weg in den Kaukasus frei.

Die deutschen Interessen

Ausgerechnet der deutsche Imperialismus, der über keine eigene Ölförderung verfügt und keinen nationalen Ölkonzern hat, der im Irak Förderkonzessionen anstrebt, widersetzt sich den US-Plänen. Für ihn geben die strategischen Perspektiven den Ausschlag.

Der deutsche Imperialismus ist weder daran interessiert, daß die USA den Weltenergiemarkt kurz- und mittelfristig beherrschen, noch daran, daß die USA den mittelasiatischen Raum auf energiewirtschaftlichem und militärischem Gebiet kontrollieren. Er und der französische Imperialismus und mit ihnen die meisten europäischen Kernmächte setzen deshalb auf eine künftige Allianz mit Rußland. Gleichzeitig werden Anstrengungen unternommen, Deutschland und Europa als dritte Kraft in der Region zu etablieren.

Deutschland bemüht sich überdies seit Jahren um den Aufbau stabiler Verbindungen zu den Nachfolgestaaten der UdSSR im Kaukasus und in Mittelasien. Dort greift der neu formierte EON-Konzern jetzt direkt nach Erdgasförderstätten. Um hier neben Gazprom künftig eine eigenständige Rolle spielen zu können, hat EON bei seiner Fusion mit Ruhrgas die angloamerikanischen Mitgesellschafter der Ruhrgas, BP, Shell und ExxonMobil ausgekauft. Die rot-grüne Regierung hat die ganze Operation nach Kräften gefördert.

In diese Perspektive fügt sich ein, daß Deutschland seinen privilegierten Beziehungen zum Iran größte Aufmerksamkeit widmet und den Iran als Regionalmacht zumindest erhalten will. Konsequenterweise hat es den Iran ermutigt, sich in Afghanistan einzumischen. Die von Bush vorgenommene Zuordnung des Iran zur Achse des Bösen ist für die BRD deshalb nicht tolerabel, ebensowenig wie im Fall Libyens. Die EU protestierte deshalb 2001 gegen die Verlängerung des Iran-Libya-Sanctions-Act in den USA und drohte mit Retorsionsmaßnahmen, sollten die USA gegen europäische Firmen vorgehen. Der deutsche Imperialismus sieht Äußerungen wie die Bushs im Lichte der unmißverständlichen neuen US-Militärdoktrin als reale Bedrohung und reagiert mit der Bereitschaft, eine aktivere und in der Tendenz aggressivere Rolle bei der Neuaufteilung der Welt zu spielen.

Es ist dementsprechend auch bereit, sich in der Region militärisch zu engagieren. Das bedeutet nicht, daß der deutsche Imperialismus auf absehbare Zeit beabsichtigt, dort autonom Kriege zu führen. Aber er bemüht sich, in Konkurrenz zum aggressiven und damit sichtlich bedrohlicheren US-Imperialismus als Friedensmacht, Berater beim Aufbau der bürgerlichen Staatsapparate und als wirtschaftlicher Partner der autoritären Kompradorenregime aufzutreten und an Einfluß zu gewinnen. Damit einhergehend ist er bereit, sich mit kleinen Kontingenten auch militärisch zu profilieren. Das Entwicklungshilfeministerium sprach sogar von einem Bündnis Deutschlands mit Entwicklungsländern, notfalls ohne die USA.

Es ist deshalb nicht abwegig, wenn der deutsche Verteidigungsminister davon spricht, daß "Deutschland" seine Interessen künftig auch am Hindukusch verteidigen muß. Diese Art der imperialistischen Vorwärtsverteidigung hat für den deutschen Imperialismus den Vorteil, daß er auf absehbare Zeit als demokratischer "Friedensimperialismus" auftreten kann. Die Drecksarbeit in Konflikten, in denen es um die Interessen des Gesamtimperialismus geht, dürfen die USA oder auch die Russen erledigen. Wenn es sich propagandistisch verkaufen läßt oder risikofrei ist, macht man unter dem Schirm der UNO auch gern mit, um gegebenenfalls mitreden zu können - so wie in Afghanistan. Für die betroffenen Länder und ihre Arbeiter- und Volksbewegungen kämpfen die imperialistischen Mächte nur mit unterschiedlichen Methoden um die Vorherrschaft in diesen Ländern. Jeder Imperialismus will diese Vorherrschaft nur zu seinen Gunsten.

Wenn Deutschland und Frankreich derzeit einen Krieg gegen den Irak für inopportun halten, gibt es für die Friedensbewegung ebenso wie für die antiimperialistische Bewegung keinen Grund, ihre Distanz zum deutschen und europäischen Imperialismus aufzugeben. Saddam Hussein ist nicht deshalb der erklärte Feind der selbsternannten zivilisierten Welt, weil er ein Despot ist, sondern weil er die Despotie nicht ausschließlich im Interesse des Imperialismus ausgeübt hat.

Der Gegensatz zu den USA besteht darin, daß diese ein US-höriges Militärregime errichten wollen und die Europäer ein UNO-Protektorat, d.h. eine kollektive imperialistische Diktatur. Die irakischen Volksmassen würden in beiden Fällen weiter unterdrückt. Für alle, die mit den irakischen Volksmassen solidarisch sind gilt: Der Hauptfeind steht im eigenen Land. SPD und Grüne sind bloß Pazifisten auf Zeit. Auch dann, wenn ihnen die Friedensbewegung augenblicklich nützlich erscheint. Der nächste Krieg mit deutscher Beteiligung kommt bestimmt. SPD und Grüne werden dann wieder in der vordersten Front stehen.

Europäische Dissonanzen

Frankreich bemüht sich seit de Gaulle um die Schaffung eines europäischen Gegenpols gegen die US-Hegemonie. Es möchte das Mittelmeer zu einem mare nostrum Europas machen und die Einengung seines Einflusses auf Nordafrika und den arabischen Raum durch den US-Imperialismus zurückdrehen. Und natürlich will es seine Positionen im Irak, in Syrien und dem Libanon halten. Dazu braucht es Europa und vor allem das Bündnis mit Deutschland.

Frankreich war in den neunziger Jahren durch die Stärkung des deutschen Gewichts irritiert und sah die schnelle Osterweiterung kritisch, auf die nicht nur Deutschland aus dem eigenen Interesse an der Wiedergewinnung seines Hinterhofs, sondern auch die USA und England drängten, um das Gewicht der deutsch-französischen Achse in Europa zu schwächen. Es drängte daher immer auf eine Straffung der Entscheidungsstrukturen in der Europäischen Union, bei strikter Wahrung seiner bisherigen nationalen Positionen. Es sieht jetzt eine Chance, diese Zielsetzung mit Deutschland zu verwirklichen. Es würde dabei gern seine alte Konzeption der Entwicklung eines Kerneuropas verwirklichen - ohne die bremsenden Briten, die Europa auf dem Niveau einer Freihandelszone halten wollen.

Frankreich hat dementsprechend nicht dasselbe, aber im Ergebnis ein parallel laufendes Interesse mit Deutschland an einer multipolaren Welt und einer Verhinderung des Ausbaus und der Verewigung der US-Hegemonie.

Die durch den forcierten Unilateralismus der Bush-Administration betriebene Zuspitzung des europäisch-amerikanischen Gegensatzes führt auch die europäische Union in die Krise.

Das britische Konzept, eine Mittlerrolle zwischen den USA und Europa zumindest so lange zu spielen, wie die Europäische Union nicht in der Lage ist, ohne die USA weltweit militärisch zu agieren und bis dahin die europäische Integration zu verzögern, geht nicht mehr auf. Die Zuspitzung europäisch-amerikanischer Interessengegensätze geht zu britischen Lasten.

Der britische Imperialismus ist nicht nur auf die USA angewiesen. Schon Margaret Thatcher mußte erkennen, daß Britannien nicht an Europa vorbeikommt. Daran hat auch die Wende in den RGW-Staaten nichts geändert. Die britische Industrieproduktion ist auf den europäischen Markt angewiesen, weit mehr als der Kern Europas auf Britannien. Das gilt besonders für die seit den achtziger Jahren getätigten außereuropäischen Investitionen in Britannien, die praktisch nur im Hinblick auf den gemeinsamen Markt erfolgten.

Die kleinen westeuropäischen Mächte oder gar die ehemaligen RGW-Staaten spielen in diesem Spiel keine eigenständige Rolle. Sie können schon immer nur zwischen verschiedenen Abhängigkeiten wählen. Spanien beispielsweise, dessen außereuropäisches internationales Engagement sich auf Lateinamerika konzentriert, mag mit seinen Aktivitäten auf dem Hinterhof der USA den Ausgleich mit dem US-Imperialismus für noch so wünschenswert halten - es kann auf den europäischen Markt nicht verzichten. Polen mag ebenso seine Sicherheitsbedürfnisse nur unter den Fittichen der USA gestillt sehen - es kann auf den Zugang nach Mitteleuropa nicht verzichten. Trotzdem stellt sich innerhalb Europas letztlich die Frage, ob es dem deutsch-französischen Kern der EU gelingt, die Herausbildung eines am angloamerikanischen Imperialismus orientierten Gegenpols zu verhindern oder nicht.

Die Schaffung eines Gegenpols ist nicht sehr wahrscheinlich. Die frühere Europäische Freihandelszone (EFTA) war schon zu Zeiten der Europa nicht gerade freundlichen gesonnenen Margaret Thatcher gescheitert und konnte sich dem ökonomischen Sog der EU nicht entziehen. Aber das Spiel ist offen, weil die herrschenden Klassen Westeuropas in dieser Frage nicht nur entlang nationaler Bruchlinien gespalten sind und auch in Frankreich und der BRD Teile der Bourgeoisie aus handelspolitischen und strategischen Interessen daran interessiert, sich an den US-Imperialismus anzulehnen und sich ihm unterzuordnen.

Rußland auf dem absteigenden Ast

Auch Rußland bemüht sich darum, die ererbten Positionen der UdSSR zu halten. Es setzt daher im kaspischen Raum auf ein allerdings durch Interessengegensätze brüchiges Bündnis mit dem Iran und bemüht sich um die Stabilisierung seiner Beziehungen zu den ehemaligen Sowjetrepubliken. Es kämpft zwar aus der Defensive um die strategischen Transportwege für Öl und Gas, aber bisher nicht gänzlich ohne Erfolge. Es konnte dennoch nicht verhindern, daß unter der politischen Führung der USA ein internationales Ölkartell an der billigeren und kürzeren südrussischen Route vorbei eine Pipeline von Baku über Tiflis nach Ceyhan in der Türkei baut.

Zugleich sucht Rußland den Schulterschluß mit China und Indien. Rußland ist aber für diese Mächte allenfalls noch als Energie- und Rüstungslieferant von Interesse. Seine Machtstellung beruht nur noch auf seinem strategischen Rüstungspotential. Als Wirtschaftsmacht liegt es inzwischen nur noch etwa gleichauf mit Spanien, noch hinter Kanada. Seine Pro-Kopf-Produktion liegt inzwischen niedriger als die des Libanon oder Perus. Wegen seiner politischen Instabilität zieht es inzwischen nicht einmal mehr ein Prozent der weltweiten Auslandinvestitionen an und es verzeichnet seit 1992 eine fortgesetzte Kapitalflucht.

Seine ökonomische Schwäche zwingt es aber dazu, bei der Verteidigung seiner Interessen in seinen Randregionen wie in Tschetschenien statt auf soziale Befriedung auf militärische Gewalt zusetzen. Dies macht seine Lage dauerhaft prekär und läßt Putin immer wieder auf Kompromisse sowohl mit dem US-Imperialismus wie auf Kooperation mit Europa setzen. Der Imperialismus verzichtet aber nur dann auf Menschenrechtspropaganda und die Unterstützung oppositioneller Bewegungen, wenn er auf russisches Stillhalten vorübergehend angewiesen ist. Rußland wird durch die Politik Putins also nicht dauerhaft entlastet. Seine strategischen Positionen werden weiter untergraben.

So sehr, daß Strategen des Imperialismus nicht einmal mehr die Zerstückelung der russischen Föderation ausschließen, wenn es Rußlands herrschender Klasse längerfristig nicht gelingt, sich zu stabilisieren. Dementsprechend gehen die imperialistischen Mächte im zentralasiatischen Raum von einem Machtvakuum aus.

Neue Kriege, neue Ordnung (?)

Afghanistan und der Irak waren bzw. sind deshalb nur der Auftakt für eine länger dauernde Periode von Kriegen, Bürgerkriegen und Konflikten im Mittleren Osten und besonders im mittelasiatischen Raum. Der Nahe und der Mittlere Osten rücken daher noch weiter ins Zentrum der Weltpolitik.

Die europäischen Mächte sind derzeit und auf absehbare Zeit nicht in der Lage, die aggressive US-Politik zu verhindern bzw. zu stoppen. Sie können sie aber bremsen und erheblich behindern, indem sie den politischen Preis in die Höhe schrauben, den der US-Imperialismus zahlen muß, wenn er diese Politik im Konflikt mit seinen Bündnispartnern durchziehen will. Immerhin sind die führenden Kreise des US-Imperialismus unter diesen Bedingungen schon nicht mehr in der Lage, die öffentliche Meinung im eigenen Land nach Belieben zu kontrollieren - trotz der nahezu absoluten Kontrolle der veröffentlichten Meinung.

Es darf nicht vergessen werden, daß die USA schon nicht dazu fähig waren, den ersten Golfkrieg allein zu finanzieren. Die Lasten des Krieges trugen andere, nicht zuletzt die Europäer und die angrenzenden Staaten. Gegenwärtig setzt die Bush-Administration darauf, daß die anderen imperialistischen Mächte schließlich doch die Finanzierung einer Besatzungspolitik übernehmen. Aber völlig sicher ist sich die Bush-Administration nicht. Probleme macht insbesondere die Türkei, die nicht nur Versprechen, sondern verbindliche Garantien dafür fordert, daß sie von finanziellen Lasten freigestellt wird und die Garantien für die Berücksichtigung ihrer Interessen bei der Gestaltung der irakischen Nachkriegsordnung beansprucht. Sie weiß, daß der US-Imperialismus auch in Afghanistan seine vollmundigen Wiederaufbauversprechen nicht einlösen konnte.

Die in den letzten Jahren dramatisch ansteigenden Haushaltsdefizite der USA, mit denen die US-Konjunktur nur mühsam am Laufen gehalten wurde, und die gigantischen Hochrüstungsprogramme sowie die Kriegskosten werden die herrschende Klasse in den Vereinigten Staaten letztlich zwingen, die Haushaltsprobleme auf Kosten der Arbeiterklasse zu lösen. Dies wird die inneramerikanische Opposition gegen den US-Imperialismus stärken und zu einer Wiederbelebung der in Europa stets unterschätzten amerikanischen Arbeiterbewegung führen.

Eine Unterschätzung, die die herrschende Klasse der USA nicht teilt. Die amerikanische Arbeiterklasse mag ein schlafender Riese sein. Aber es sollte nicht vergessen werden, daß dieser Riese nicht in den Fesseln sozialdemokratischer Traditionen steckt und daher Radikalisierungsprozesse durchschlagende Wirkung haben könnten. So war es in den dreißiger Jahren, als das stürmische Wachstum der Industriegewerkschaften, die herrschende Klasse zwang, der Arbeiterklasse mit dem New Deal entgegenzukommen. Hinzuweisen ist schließlich auf die Tatsache, daß der Vietnamkrieg seitens der USA nicht zuletzt deshalb beendet wurde, um angesichts der auf die Arbeiterklasse übergreifenden Antikriegsbewegung "die Einheit der Nation wiederherzustellen" (Pentagon Papers).

Aber auch dann, wenn eine solche Perspektive ausgeklammert wird, wiegen aus der Sicht des europäischen Imperialismus die Risiken der US-Strategie für den Nahen und Mittleren Osten die Vorteile auch dann nicht auf, wenn er den Beteuerungen der US-Regierung vertraute, daß dieser seine energiepolitische Machtstellung auch künftig nicht mißbrauchen wird. Der europäische Imperialismus befürchtet tatsächlich, daß die Unterwerfung des Irak durch den US-Imperialismus die gesellschaftliche und politische Stabilität des Nahen Ostens untergräbt. Diese ist ohnehin prekär. Jedes Militärregime legt Zeugnis darüber ab, daß die herrschende Klasse eines Landes nicht in der Lage ist, ihre Herrschaft anders als durch offene Gewalt zu sichern. Ein imperialistisches Protektorat Irak würde die Herrschaftslegitimität der arabischen Regime auf alle Fälle weiter schwächen. Nur auf Gewalt gestützte Herrschaft kann nicht von Dauer sein.

Massenunruhen, Revolten oder gar Aufstände und Revolutionen sind ein unwägbares Risiko und vom Imperialismus allenfalls dann mit eigenen militärischen Mitteln zu bekämpfen, wenn es ihm gelingt, Interventionen als Kampf gegen den Terrorismus oder als Kampf gegen islamischen Fundamentalismus zu verkaufen. Aber auch das kostet ihn in den imperialistischen Metropolen einen hohen politischen Preis.

Selbst der EU-Beitrittskandidat Türkei könnte in den Strudel destabilisierter Verhältnisse geraten. Für Teile der herrschenden Klassen der Türkei mag es verlockend sein, die Hände nach dem Erdöl des irakischen Kurdistan auszustrecken. Aber tatsächlich fürchtet die ganze herrschende Klasse der Türkei nichts mehr als einen Kurdenstaat. Den würde sie auch militärisch verhindern wollen und sich das irakische Kurdistan schlimmstenfalls einverleiben. Die ohnehin nicht sehr stabile Türkei würde sich dadurch aber ein noch größeres Kurdenproblem einhandeln und dürfte dann ihre Beitrittsperspektive zur Europäischen Union begraben, weil sie nicht in der Lage ist, ein vergrößertes Kurdistan demokratisch zu kontrollieren. Die Aussicht, stattdessen zum strategisch untergeordneten Gendarmen des US-Imperialismus in der Region zu werden, dürfte nicht allzu verlockend sein, wenn die Türkei sich dafür wirtschaftlich vom europäischen Zug abkoppeln müßte.

In den arabischen Ländern und in der 3. Welt ist die offizielle imperialistische Kriegsideologie dabei nahezu völlig wirkungslos und bar jeder Glaubwürdigkeit. Angesichts der langjährigen symbiotischen Verbindung aller imperialistischen Staaten mit den reaktionärsten Staaten der Region, allen voran mit dem Hort des Fundamentalismus, Saudi Arabien, verfängt dort keine vordergründig antifundamentalistische Propaganda. Angesichts des Umstands, daß Israel seit seiner Gründung jede UN-Resolution mißachtet hat, Massenvernichtungswaffen einschließlich Trägerwaffen entwickelt hat, sie einsetzbar bereit hält, die Genfer Konvention mit Füßen tritt, Palästinenser diskriminiert, unterdrückt, schikaniert - ohne daß die UNO dank des US-amerikanischen Vetos im Sicherheitsrat auch nur einmal den kleinsten Schritt unternommen hätte, Israel zu disziplinieren, erteilt der Imperialismus nur Lektionen in Sachen Doppelzüngigkeit.

Selbst dann, wenn es den arabischen Diktaturen gelingen sollte, die Massen vorläufig noch weiter im Zaum zu halten, wird die Wut anwachsen und weiteren Radikalisierungsprozessen den Boden bereiten.

Sollte Scharon eine israelische Beteiligung am Irakkrieg ausnutzen, um die Vertreibungen von 1948 zu komplettieren und die Bevölkerung der Westbank und des Gazastreifens nach Ägypten bzw. Transjordanien "transferieren", so wie es in Israel immer offener gefordert wird, ist fraglich, ob die neokoloniale Ordnung des Nahen Ostens noch lange Bestand haben wird. So abenteuerlich die israelischen Überlegungen zur Vertreibung der Palästinenser erscheinen mögen, so sehr steht zu befürchten, daß die US-Regierung ihnen grünes Licht gibt, im Irrglauben, sich durch einen radikalen Schnitt die Palästinafrage vom Hals schaffen zu können. Für die Palästinenser wäre dies eine humanitäre Katastrophe, für die neokoloniale Ordnung der Region ein Stoß, der sie letztlich zum Einsturz bringen könnte.

Die US-Politik könnte dem Imperialismus daher schon auf mittlere Sicht mehr Probleme einbringen, als er lösen kann. Den werktätigen Massen der Region drohen soziale Katastrophen bisher nicht gekannten Ausmaßes. Ihnen muß unsere Solidarität gelten.


[1] Ich gehe bei der Benutzung des Begriffs "Imperialismus" von der immer noch im wesentlichen zutreffenden Definition Lenins aus: Die imperialistische Epoche des Kapitalismus begann, als 1. die Konzentration der Produktion und des Kapitals ein Ausmaß angenommen hatte, daß Monopole die entscheidende Rolle im Wirtschaftsleben spielten, 2. das Bankkapital mit dem Industriekapital zum Finanzkapital verschmolz, 3. der Kapitalexport besonders wichtig wurde, 4. sich internationale kapitalistische Monopolverbände herausbildeten, die die Welt unter sich aufteilten, 5. die Welt unter den kapitalistischen Großmächten erstmals aufgeteilt war. Dieser Imperialismus-Begriff ersetzt keine konkreten Analysen, aber ohne ihn ist die Geschichte seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts nicht nachvollziehbar zu beschreiben. Seitdem hat es zwei Weltkriege um die Neuaufteilung der Welt gegeben, wobei der zweite Weltkrieg zur Herausbildung von Bedingungen führte, die nach der Stagnation der zwanziger und dreißiger Jahre eine langandauernde Boomperiode bis zu Beginn der siebziger Jahre ermöglichten. Die Boomperiode ging seitdem allmählich in eine neue Phase der Stagnation über. Es gibt kein Ende der Geschichte, wie die Ideologen der Globalisierung glauben machen wollen, sondern nur eine reale und zu analysierende sozio-ökonomische Entwicklung. Der Zusammenbruch der Sowjetunion und der RGW-Staaten hat trotz schlagartiger Ausdehnung des kapitalistischen Weltmarktes keine neue Phase der imperialistischen Entwicklung eingeleitet, sondern die sich schon vorher abzeichnenden Widersprüche des imperialistischen Gesamtsystems noch akzentuiert. Seitdem der Ost-West-Gegensatz nicht mehr als Bedrohung des imperialistischen Gesamtsystems gesehen wird, ist zwischen den imperialistischen Mächten der Zwang zu Kompromissen untereinander um jeden Preis entfallen.