Bischoff verkündet die Erneuerung des Sozialstaats

durch einen regulierten Kapitalismus

Zwei führende Ideologen der WASG, Joachim Bischoff und Björn Radke, sehen die Zukunft der Linkspartei in der Propagierung "einer neuen politischen Konzeption, die gegenüber neoliberalen Anpassungsstrategien für einen regulierten Kapitalismus und eine erneuerte Sozialstaatlichkeit eintritt". Die fusionierte Linkspartei sehen sie als Garanten einer utopischen, sozialkapitalistischen Erneuerung. Die Linkspartei soll sich dazu darauf konzentrieren, die gesellschaftlichen und politischen Protestbewegungen in das System einzubinden, sprich ihr Potential für die strategischen Zwecke der reformistischen Ideologen auszubeuten. Bischoff und Radke, empfehlen deshalb der Linkspartei, die Positionen der Bewegungen verbal zu übernehmen.

Diese Perspektive entwickeln sie aus ihrer Wahlanalyse[1], die für sie die "Krise der politischen Klasse" offenbart hat.

Die Absage an wirtschaftspolitische Strategien, die die Anpassung an die Sachzwänge des kapitalistischen Weltmarkts, d.h. an die Globalisierung, zum Ausgangspunkt eines vermeintlichen neuen Booms machen wollen, begründen sie mit der unbestreitbaren Tatsache, daß die neoliberalen Politikvarianten allesamt Tendenzen zur gesellschaftlichen Desintegration fördern und beschleunigen - Marxisten nennen das bevorstehende Klassenkämpfe. Die beiden Autoren stellen fest, daß nicht nur die SPD einen Teil ihrer Basis verloren hat, sondern auch die CDU mit ihrem Bekenntnis zu marktradikaler Kahlschlagspolitik ihren Charakter als Volkspartei zu verlieren droht.

Ihre Einschätzung der CDU als Volkspartei in der Krise, genauer müßte es heißen: Krise einer imperialistische Volkspartei der Boomperiode des Imperialismus nach dem 2. Weltkrieg, ist richtig. Die Bourgeoisie hat noch gar nicht vollständig realisiert, daß ihr von der Arbeiterklasse die gelbe Karte gezeigt wurde. Richtig ist, daß die Aufkündigung des sozialen Konsens zwischen "Kapital" und "Arbeit" durch die CDU, die Politik des Bruchs mit dem regulierten Kapitalismus, die Existenz der CDU als Volkspartei aufs Spiel setzen muß. Die CDU kann ohne Wahlbetrug nicht als führende bürgerliche Partei existieren. Offene, ungeschminkte bürgerliche Politik ist in einer weitgehend proletarisierten Gesellschaft nicht bruchlos mehrheitsfähig, wenn die herrschende Klasse keine Verteilungsspielräume zu heben glaubt.

Richtig ist auch ihre Einschätzung, daß die Behauptung der SPD, der Sozialstaat müsse umgebaut werden, damit er gerettet werden könne, immer weniger verfängt. Diese Logik, wonach den sozialen Errungenschaften der Vergangenheit der Krieg erklärt werden müsse, damit künftig wenigstens noch der Sozialstaat als Theaterkulisse bewahrt bleiben kann, kann von den Opfern dieser Politik, gewissermaßen den Kollateralschäden der neoliberale Politik, nur als blanker Zynismus verstanden werden. Bischoff und Radke stellen zu Recht fest, daß das Projekt der SPD, diese Politik bestätigen zu lassen, gescheitert ist.

Die herrschende Klasse ist im Gegenteil mit einer Situation konfrontiert, die dadurch gekennzeichnet ist, daß als Ergebnis der offen neoliberalen Kampfansage von CDU/CSU und FDP an die Arbeiterklasse und die Art der Wahlkampfführung der SPD (Rückgriff auf soziale Demagogie, teilweises Anknüpfen an die Interessen der Arbeiterklasse) jede Variante neoliberaler Politik delegitimiert wurde.

Sie wollen demgegenüber der "Desintegration" der kapitalistischen Gesellschaft entgegenwirken. Bischoff und Radke glauben, dem Klassenkampf von oben die Erneuerung der Sozialstaatlichkeit durch einen regulierten Kapitalismus entgegensetzen zu können. Sie reihen sich damit ein in die lange Reihe von Ideologen, die seit dem Urvater des Reformismus, Eduard Bernstein, dem Aberglauben anhängen, die Widersprüche des Kapitalismus würden sich abstumpfen und man könne den Kapitalismus durch kluges politisches Management zum Funktionieren bringen. Die Wirklichkeit sieht anders aus: Der Kapitalismus kommt ohne Kriege nicht aus. Die Militarisierung der imperialistischen Gesellschaften nimmt zu, demokratische Rechte werden eingeschränkt, immer mehr Menschen werden erwerbslos und geraten in Not. Anstatt sich hier und heute diesen Herausforderungen zu stellen und für die kommenden Herausforderungen des Klassenkampfs von oben Perspektiven zu entwickeln, beschwören Bischoff und Radke die schöne kapitalistische Vergangenheit des Wirtschaftswunders als Zukunftsmodell.

Gefahren für ihre Vision der Rückkehr zur sozialen Marktwirtschaft sehen sie nicht etwa im Entwicklungstrend der imperialistischen Wirtschaft - so stellen sie nicht einmal die Frage, warum nicht einmal der Exportweltmeister Deutschland der sozioökonomischen Stagnation entkommen kann - sondern nur darin, daß womöglich der Anpassungsprozeß der SPD an den Neoliberalismus so weit fortgeschritten sein könnte, daß die SPD auch unter dem Druck von links nicht mehr

den Weg zurück zu alter sozialdemokratischer Politik findet. Zugleich setzen sie darauf, die Partei- und Politikverdrossenheit weiter aufzufangen - sprich: darauf, Protestwähler auch künftig als Wählerpotential zu binden. Dies soll durch die Teilnahme am Widerstand gegen die künftige neoliberale Regierungspolitik und dadurch geschehen, daß sich die WASG die "Überlegungen und Vorschläge" der "vielen sozial Ausgegrenzten und Benachteiligten" zu eigen macht. Das gelte "auch für den Bereicht der gewerkschaftlichen Interessenvertretung". Eigene Beiträge zur Vertiefung und Entfaltung der sozialen Bewegungen sind nicht vorgesehen.

Schöner läßt sich das Projekt der politischen Ausbeutung sozialer Bewegungen für die eigene utopisch-kapitalistische Perspektive gar nicht beschreiben. Der offiziellen Gewerkschaftsbewegung und dem sozialen Widerstand wird nach dem Munde geredet und so eine Gemeinsamkeit suggeriert, die sowohl das parasitäre Verhältnis zur Arbeiterklasse kaschiert als auch dazu dienen soll, den Kampf gegen neoliberale Politik im ideologischen Rahmen des Kapitalismus zu halten.

Dabei liegt es auf der Hand, daß die DGB-Gewerkschaften ohne einen grundlegenden Strategiewechsel gar nicht in der Lage sein werden, einen effektiven Widerstand der Arbeiterklasse gegen die Offensiven des Kapitals und seiner Regierung zu organisieren. Sozialistische Politik im Widerstand gegen den Neoliberalismus ist ohne eine offensive Auseinandersetzung mit denjenigen Strömungen in der Gewerkschaft nicht möglich, die sich die Unternehmerideologien zu eigen gemacht haben. Notwendig ist dazu die Aktivierung der Mitgliedschaft und die Demokratisierung der Gewerkschaften. Wer hierzu schweigt, von dem ist kein ernsthafter Beitrag zur Entfaltung des Klassenkampfs zu erwarten. Marxisten nehmen die Herausforderung der Infragestellung der gesellschaftlichen Verhältnisse durch die Herrschende Klasse an. Die von Bischoff und Radke mit Sorge betrachtete "Schwächung und Unterminierung des gesellschaftlichen Regulationssystems des Kapitalismus" ist Tatsache. Sie ist aber weder durch sozialkapitalistische Nostalgie aufzuheben, noch durch sozialromantische Vorstellungen, die Kapitalisten dazu zu bewegen, dem Klassenkampf von oben abzuschwören. Eine Partei, die ein vorwärtstreibendes Konzept für den Klassenkampf noch nicht einmal entwickeln will, hat keine Existenzberechtigung.

Dieter Wilhelmi, Berlin, 13.10.05


[1] Joachim Bischoff/Björn Radke: Von der rotgrünen Krise zur Krise der politischen Klasse. In: Sozialismus, Heft 10 (Oktober 2005) 32. Jhg., Nr. 292, S. 2-5; www.linksnet.de