Anmerkungen zur Grant-Tendenz und zum KAI/CWI

- ein Brief aus Brüssel

Liebe Genossinnen und Genossen,

 

hier meine Gedanken zum SAV-Artikel. Die Bemerkungen betreffen das Kapitel über “Die Tradition des KAI” (S.11 ff).

 

Die Geschichte des Trotzkismus in Britannien ist ein echtes Wespennest. Die Historiographie ist gekennzeichnet durch parteilich eingefärbte Brillen, durch die jeder die Geschichte "seiner" Bewegung unkritisch sieht, DEN eigenen Führer für unfehlbar erklärt und die Konkurrenz verteufelt. Dabei werden Dokumente, die die jeweils eigenen Legenden Lügen strafen, “vergessen”, Sätze aus ihrem Kontext gerissen und oft einfach gelogen. Diese “Historiker” hoffen, daß ihre Leser und Leserinnen nicht oder nur im geringen Maße überprüfen können was sie geschrieben haben und schreiben wie Journalisten: oberflächlich. Die Geschichte unserer Bewegung kann und muß analysiert werden mit den Waffen des Marxismus (historischer Materialismus und Dialektik).

 

So ist es auch mit der Geschichte der Grant-Bewegung. Geschichtsverfälschungen werden sowohl von seiten des KAI als auch von Seiten der Internationalen Marxistischen Tendenz (IMT), begangen, die um Alan Wood und Ted Grant 1991 nach der Spaltung des KAI/CWI aus dessen hinausgeworfener Minderheit entstand. Die Schwierigkeit bei diesem Artikel ist natürlich, daß er, seinem Zweck entsprechend, nur kurz über diese Geschichte berichten kann.

 

Ob Ted Grant unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg wirklich einer der wichtigsten Kader des britischen Trotzkismus war, ist zu bezweifeln. Er war schon wichtig, aber fast alle Mitglieder des Zentralkomitees der Revolutionary Communist Party/RCP (so bis 1949 der Name der britischen Trotzkisten nach dem Krieg, bis 1949) hielten ihn nicht für fähig, eine Organisation aufzubauen (er war für sie damals kein "Macher"). Er ist in den 40-er Jahren sogar einmal durch seine Ortsgruppe wegen Inaktivität ausgeschlossen worden. Die nationale Leitung und die Internationale haben sich dem widersetzt (siehe Bill Hunter’s “Lifelong Apprenticeship” und andere).

 

Unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg waren Grant und die Mehrheit der RCP gegen Entrismus und die Minderheit (zu der Gerry Healy gehörte) dafür. Der RCP war es nie gelungen die unterschiedliche politische Herkunft ihrer Flügeln zu überwinden. Nach dem Niedergang der RCP hat Grant dann seine Meinung total geändert und ist gewonnen worden für den sogenannten tiefen Entrismus (den er fast 40 Jahre praktizierte). In seiner “unabhängigen” Periode sah Grant überall Verschwörungen gegen sich am Werke, von Cannon, Healy und Pablo. Wir wissen daß diese Drei keine Engel waren, aber in ihnen nur Verschwörer zu sehen, ist zweifellos mehr als übertrieben...

 

Es ist wohl richtig, daß nach 1945 Grant in wichtigen Fragen eine bessere Einschätzung als andere hatte und das auch schneller. Aber diese Aussage galt nur für Europa! In der SWP (USA) hatte sich damals auch eine Opposition entwickelt um Felix Morrow, Jean Van Heijenoort und Albert Goldman. Diese beeinflusste die RCP maßgeblich. Diese Tatsache hat Grant später immer geleugnet..

 

Die ganze Periode des Entrismus der Grant-Strömung war und ist gekennzeichnet durch abgrundtiefen Opportunismus, d,h, durch eine Politik, um jeden Preis JEDEM Konflikt mit den Führungen der Organisationen aus dem Wege zu gehen, deren Mitglied sie sind oder waren. Hierzu sei aufgemerkt, daß sie auch in bürgerlichen Parteien tiefen Entrismus machen, wie in der PRD in Mexico.

 

In den 60-er Jahren haben sich sowohl die Grant- als auch die Cliff-Leute bei der Abstimmung in der Labour Party und den Young Socialists/YS enthalten, als die Labour-Bürokratie den Ausschluß der Healy-Gruppe zur Abstimmung stellte (sehe Worker Powers Permanent Revolution no..6 “The LPYS in the sixties”. Ich habe in der belgischen Sozialdemokratie früher, als wir dort arbeiteten, selbst die Erfahrung machen müssen, daß sich diese Leute weigerten, uns zu verteidigen, als die Bürokraten gegen uns vorgingen. Rob Sewell (IMT) rechtfertigt heute noch, daß man seine Positionen in der LP/YS doch nicht der Solidarität mit solchen Leuten (gemeint war die Socialist Labour League Gerry Healys) opfern konnte.

 

Die pauschale Charakterisierung der trotzkistischen Bewegung als Ultralinke zeugt nur von ihrer politischen Schwäche. Wenn man keine Antworten auf politische Fragen hat und um JEDEN Preis in der Partei bleiben will, in die man "eingetreten" ist, nur, weil das leblose Dogma vorschreibt, daß jede Massenradikalisierung ihren ausschließlichen Niederschlag in den traditionellen Organisationen der Arbeiterbewegung finden wird und muß, kann man keine revolutionäre Politik betreiben. Weiter sei auch angemerkt, daß der tiefe Entrismus à la Grant sehr eng verbunden ist mit Pablo’s Konzept des Entrismus sui generis, das vom Dritten Weltkongress der Vierten Internationale beschlossen wurde. Auch die Theorie des Proletarischen Bonapartismus (Syrien usw..) ist mit Pablo’s Thesen ihren Ursprüngen nach verwandt..

 

Daß sich die Hauptströmungen der trotzkistischen Bewegung seit 1961 im Jahre 1963 wiedervereinigten "nach vorbereitenden Diskussionen", ist meiner Meinung nach falsch. Es ging hier um eine Scheindiskussion zwischen Pablo-Mandel und der SWP. So wie die SWP die Vierte Internationale 1953 mit dem “Offenen Brief” vor die vollendete Tatsache der Spaltung stellte, so ist die Kubanische Revolution benutzt worden, um so schnell wie möglich eine Wiedervereinigung zu forcieren. Wiederum waren auch hier die Mehrheit der Mitglieder nur Zahlenwerk. Die Mitglieder waren nicht an einer Diskussion und Bilanz der politischen Gründe der Spaltung beteiligt.

 

Die Charakterzüge der Grant-Bewegung (Konflikte mit den Bürokraten um nahezu jeden Preis aus dem Wege gehen und ihr Sektierertum) machten es der Leitung der Labour Party leicht, sie rauszuschmeißen. Diese Züge waren auch der Grund, weshalb Militant den Kampf in Liverpool nicht mit dem heroisch geführten Bergarbeiterstreik verbunden hat, denn das hätte den totalen Krieg mit der Labour Party Führung und den mit ihnen verbundenen Gewerkschaftsbürokraten bedeutet. So ist es Thatcher gelungen, die Bergarbeiter zu isolieren und ihnen eine historische Niederlage beizufügen.

 

Ich kenne nicht viele Details über Liverpool. Aber wenn der Stadtrat unter Kontrolle Militants allen bei der Stadt beschäftigten Arbeitern Kündigungschreiben schickte — wenn auch mit der Mitteilung, daß es sich hier nicht um ein echte Kündigung handelte - so gaben sie Kinnock und allen anderen rechten Bürokraten doch die Möglichkeit, sich als Verteidiger der Arbeiterschaft zu profilieren! Soviel zu Militants taktischen Fehlern!!!

 

Ein Teil von Militant hat dann, als die Gruppe schon insgesamt erheblich geschwächt worden war, die Poll Tax-Kampagne aufgebaut. Diese Elemente zusammen, und nicht eine klare Analyse der Situation, haben dazu geführt, daß es dann zur Spaltung kam. Es ging mehr darum, daß zufällig the right person on the right place war (die richtige Person zur richtigen Zeit am richtigen Ort). Die Kampagne war keine Einheitsfrontkampagne. Militant sorgte dafür, daß alles strikt unter eigener Kontrolle blieb. Zumindest in der Vergangenheit hatten Militant und die jetzigen Nachfolgegruppen, IMT und CWI, überhaupt kein korrektes Verständnis von Einheitsfrontpolitik. Ein Kampf für Übergangsforderungen ist ihnen auch völlig fremd. Auch intern sind beide geprägt durch ein undemokratisches Regime, das dazu führt, daß viele Genossinnen und Genossen austreten oder ganze Organisationen sich abspalten (müssen). Das alles heißt natürlich nicht, daß diese Kampagne nicht trotzdem ein politischer Erfolg war.

 

Ein letzter Punkt: die Frage nach einer neue Arbeiterpartei. Ich bin hier Deiner Meinung, daß diese Forderung nur in den Ländern sinnvoll ist, wo die Arbeiterbewegung noch keinen unabhängigen politischen Ausdruck hat, wie z.B. in den USA oder Ägypten und noch anderen Ländern. Die Vorbilder, die die CWI immer gern zitiert, in Europa Rifundazione, die WASG oder die SP in den Niederlanden) bezeugen Verschiebungen in der Klasse. Sie sind aber völlig ungeeignet, um als politische Alternative für die Klasse zu dienen. Bei der ersten ernsthaften Gelegenheit beweisen diese Formationen, daß sie nicht geeignet sind, den Arbeiter- und Jugendkampf weiter zu führen als in den meist nächsten Sumpf (Beweis: Italien).

 

Die Arbeiterpartei Brasiliens liefert den Beweis, daß heute — in der Phase des Niedergangs des Imperialismus - keine einzige reformistische Partei, wieviel Anhang sie auch haben mag und wieviel Illusionen in sie auch gesetzt werden, in der Lage ist, mit dem Kapitalismus zu brechen, wenn sie an die Macht gelangt. Sie wollen es auch gar nicht. Ein paar Reformen ja. Aber damit hört es auf. Ob man in solchen Parteien Entrismus machen kann oder muß, hängt davon ab, ob es ein geeignetes Mittel ist, um das Gehör der politisch fortschrittlichsten Leute (die Avantgarde) zu finden. Die Frage, wie lang man dort arbeitet, hängt auch davon ab.

 

In den USA sollten die Trotzkisten aber unmittelbar für eine Labor Party eintreten. Wie diese Partei aussehen wird, kann nicht von vornherein vorausgesagt werden. Das wird sich im praktischen Kampf herausstellen müssen. Ich glaube aber nicht, daß es heute oder morgen möglich ist, in den USA eine sehr breite reformistische LP aufzubauen. Erstens sind die ökonomischen Grundlagen dafür nicht vorhanden. Zweitens sind die Gewerkschaften so weit in den Kapitalismus integriert und kollaborieren seit Jahrzehnten so eng mit der Demokratischen Partei, daß meiner Meinung nach eine LP, die von den Gewerkschaften geschaffen wird, nur in einer vorrevolutionären Periode entstehen könnte, das heißt, daß sie unmittelbar verbunden wäre mit dem Kampf für den Aufbau der revolutionären Partei. Für die würde sich dann auch die Frage stellen, wer regieren sollte.

 

Ich bin mit der politischen Linie deines Artikels einverstanden. Nur in faktischen Details sollte meiner Meinung nach korrigiert werden.

Mit sozialistischem Gruß

 

Marcel Souzin, Brüssel