Berlin zeigt, wozu manche Reformisten fähig sind

Kerstin Kaiser, Stefan Liebich und und Wulf Gallert, alle Fraktionsvorsitzende der L/PDS in Landtagen sind der Ansicht, daß die auf soziale Gerechtigkeit orientierte Mehrheit der bundesdeutschen Gesellschaft "ein Recht auf eine entsprechende Regierungspolitik" hat. "Wenn nicht jetzt, dann bei sich nächst bietender Gelegenheit". Sie behaupten, daraus ergebe sich ein Wählerauftrag, "eine solche Politik auch in parlamentarischen und exekutiven Mehrheiten umzusetzen". Sie übergehen den Umstand, daß es für eine sozialistische Politik in der BRD keine parlamentarischen Mehrheiten gibt. Sie ignorieren, daß mit der SPD weder im Bund noch auf irgendwo in der BRD auf Landesebene eine sozialistische Politik in der Exekutive auch nur ansatzweise durchgesetzt werden kann.

Frei nach dem Motto: Wenn die Realität nicht so ist, wie wir sie uns wünschen, wird sie so lange verfälscht, bis sie ins Bild paßt, verklären sie die neoliberale Politik der "rot-roten" Koalition zur ersten siegreichen Etappe einer sozialistischen Erfolgsgeschichte: "Es hat sich gelohnt. Erstmals seit vielen Jahren wird es seit 2007 kein Primärdefizit des Landeshaushalts mehr geben. Damit wurde die voraussetzung geschaffen daß die Haushaltsnotlage anerkannt wird und Bund und Länder helfen können, die Schulden der Großen Koalition abzubauen und damit Spielräume für soziale Politik zu schaffen".

Was sagen uns diese roten Neoliberalen? Erstens, daß sie die neoliberale Haushaltskonsolidierung für einen sozialistischen Wert halten. Zweitens, daß alle bisherigen Sparmaßnahmen des Berliner Senats, alle Arbeitszeitverlängerungen, Stellenstreichungen, Lohnkürzungen, tarifpolitischen Schweinereien, Gebührenerhöhungen, Privatisierungen etc. die Haushaltsnotlage Berlins nicht beseitigt haben, sondern die Notlage nach ihrer Ansicht nur anerkennungsfähig (!) gemacht haben. Drittens, daß sie von Bund und Ländern nach diesen avantgardistischen Vorleistungen der besonders roten Art erwarten, daß der Bund und die anderen Länder ihnen "Spielräume für soziale Politik" schaffen. Das ist herzig. Das ist die Sorte Realpolitik, die Satiriker nicht mehr toppen können.

Bund und Länder werden einen Teufel tun. Selbst wenn die Klage des Landes Berlins vor dem Bundesverfassungsgericht erfolgreich sein sollte, wird Berlin weiter nahezu unvermindert Haushaltkonsolisierung betreiben müssen, wenn es sich diesem politischen Dogma der Bourgeoisie verschreibt. Es ist bezeichnend, daß diese "roten" Neoliberalen an Widerstand gegen die vorgeblichen Sachzwänge nicht einmal mehr denken können.

"Berlin zeigt, daß es geht"

Weil "Berlin zeigt, daß es geht", soll die Linke auf dem von Liebich und Harald Wolf getretenen Weg weitergehen. Anderswo, im wendegebeutelten Sachsen-Anhalt, verheißen unsere reformistischen Visionäre der Linken eine noch schönere Zukunft:

"Nur mit einer starken und einflussreichen PDS wird es möglich, dass Sachsen-Anhalt seinen Weg zu dauerhaftem wirtschaftlichen Aufschwung und gerechtem sozialen Ausgleich findet." So das gemeinsame reformistische Glaubensbekenntnis der Landesvorstände der PDS aus Berlin, Brandenburg, Sachsen-Anhalt. Den Aberglauben, es sei möglich, den Kapitalismus mit Hilfe eines "handlungsfähigen und effizienteren Staates" durch (keynesianische) Politik krisenfrei und gerecht zu gestalten, nennen reformistische Theoretiker Realpolitik. Sie stellen nicht einmal die Frage, weshalb es weder im In- noch im Ausland irgendeiner Regierungspartei gelungen ist, den Kapitalismus auf Dauer krisenfrei und gerecht zu gestalten - einschließlich der PDS. Wir nennen diese Auffassung Schönfärberei der bestehenden Verhältnisse und Realitätsblindheit. Kapitalismus heute bedeutet Massenarbeitslosigkeit als Dauerphänomen, Demontage des Sozialstaats, Rassismus und Abbau demokratischer Rechte im Innern und die aggressive Militarisierung der Außenpolitik.

Sozialistische Politik heute besteht deshalb in der Mobilisierung der Lohnabhängigen gegen die Offensive des Kapitals, in der Veränderung des gesellschaftlichen Kräfteverhältnisses von unten und in der Vorbereitung eines grundlegenden gesellschaftlichen Wandels, dem Übergang zum Sozialismus.

"Regieren muß man wollen"...

"Regieren muß man vorbereiten, regieren muß man wollen" erklären die Fraktionsvorsitzenden der PDS in Berlin, Brandenburg und Sachsen-Anhalt. Sie behaupten, Regieren sei eine "sachlich begründete Entscheidungs-Option" und Ausfluß der von der PDS im Herbst 2005 getroffenen Grundsatzentscheidung für einen gesellschaftlichen "Gestaltungsanspruch" und von über die derzeitigen gesellschaftlichen Verhältnisse hinaus reichenden "demokratisch-sozialistische Alternativen".

Der Leser bemerke, daß eine Regierungsbeteiligung hier weder von der Möglichkeit der Durchsetzung eigener Ziele abhängig gemacht wird, noch von der vorherigen Veränderung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse. Den Blick fest auf die SPD gerichtet, reicht der Wille zur Macht. Dabei sein ist alles. Man dürfe sich von der Generation Platzeck in der SPD nicht abschotten, heißt es. Diese wolle sich dem "verkrusteten Links-Rechts-Schema entziehen" und die "gesellschaftliche Hegemonie" erringen.

Zugleich wird betont, Bewegung verlange "neue Antworten": "Wo Grundsätzliches in Bewegung gerät, müssen zeitgemäße Antworten gefunden werden". Ansonsten drohe die Chance auf einen grundlegenden Politikwechsel in Deutschland für lange Zeit verloren zu gehen.

Diese Reformstrategen bereiten sich demzufolge nach eigenem Bekenntnis ohne jede Spur von eigenen zeitgemäßen Antworten auf die nationalen und internationalen Probleme und Konflikte auf's Regieren vor. Sie faseln von Gestaltungsansprüchen ohne eine Spur realistischer Anlyse und allein gestützt auf die Hoffnung, gemeinsam mit einer vorgeblich modernisierten, besseren Platzeck-SPD den Weg zu demokratisch-sozialistischen Alternativen zu finden. Räumt man den Phrasenschrott beiseite, wird der politische Kern sichtbar: Rein bürgerlicher Pragmatismus. Im Klartext: Planlose Wurstelei. Dieser Reformismus ist ohne jede programmatische Substanz. Das hält diese Sorte Reformisten nicht von davon ab, sich in Regierungen zu drängen. Regieren wird zum Selbstweck - und sinnlos.

Dieter Elken, 18.01.2006