Einleitungsreferat von Fredy Below (Berlin) und Dieter Elken (Strausberg) auf der Gründungskonferenz der Bundesarbeitsgemeinschaft "Linke Opposition in und bei der PDS" am 23. November 2002


Liebe Genossinnen und Genossen!

Wir Linke in der PDS stehen vor einer Reihe von Fragen:

1. Wie reagiert die Linke auf die Herausforderungen unserer Zeit?

2. Wie bestimmt sie ihre Handlungsperspektiven?

3. Wie wird sie innerhalb wie außerhalb der PDS handlungsfähig?

4. Wie schätzen wir die Lage in der Partei ein und welche Schlußfolgerungen ergeben sich daraus?

Was sind die Herausforderungen unserer Zeit?

1. Die epochale Niederlage von 1989/90 ist immer noch nicht theoretisch verarbeitet und moralisch überwunden.

Dies gilt für die Arbeiterklasse ebenso wie für die Linke. Schlimmer noch: Erhebliche Teile der PDS und vor allem der Führung der PDS haben ihren Frieden mit dem Kapitalismus und der herrschenden Klasse gemacht und wollen die PDS in eine bürgerlich-soziale Reformpartei verwandeln. Das Ziel der Abschaffung bzw. Überwindung des Kapitalismus wird ersetzt durch eine kapitalistische Modernisierungspolitik mit sozialem Anstrich. Die Existenz des Klassenkampfs wird geleugnet. Die PDS soll sich nicht mehr für die Interessen der Arbeiterklasse und der Unterdrückten einsetzen, sondern klassenübergreifend für das Gemeinwohl.

Dementsprechend wird der zeitgenössische Kapitalismus schön geredet und sein soziales Reformpotential ebenso überschätzt wie seine Fähigkeit zu internationalem friedlichen Interessenausgleich. Wir sehen weder theoretisch noch praktisch aufgrund unserer inzwischen reichhaltigen Erfahrungen irgendwelche nachvollziehbaren Gründe, mit dem modernen Kapitalismus Frieden zu schließen. Es bedarf dabei weder der Glorifizierung der DDR und auch keiner Dämonisierungen des Kapitalismus. Aber der Zusammenbruch der DDR und der Sowjetunion, der von uns Linken unbedingt aufgearbeitet werden muß, um in der Zukunft Fehler zu vermeiden, verleiht dem Kapitalismus keinen Heiligenschein.

Es gibt viele Fragen programmatisch zu klären. Aber wir fangen nicht bei Null an.

2. Wir bleiben unversöhnliche Gegner des Kapitalismus

Es gilt festzuhalten: Die Niederlage von 1989 hat weder das Ende der Geschichte gebracht und die Menschheit mit einem Zeitalter kapitalistischer Blüte beglückt, noch hat der Zusammenbruch der Sowjetunion die Welt friedlicher gemacht. Diese Zeit ist geprägt davon, daß das Kapital - und hier insbesondere das US-amerikanische - bestrebt ist, weltweit die Desorientierung der werktätigen Massen zu nutzen, um seine neue Weltordnung zu errichten. Dieser Prozeß begann schon unter Bush senior mit dem Golfkrieg 1990. Er wurde mit dem Krieg gegen Afghanistan fortgesetzt und mit dem nächsten Golfkrieg soll nach dem Willen der Bush-Administration eine neue Etappe auf diesem Weg eröffnet werden. Weitere Ziele werden schon ins Visier genommen. Zugleich zeichnen sich zwischen den imperialistischen Mächten im Wettlauf um geostrategischen Einfluß und den Zugriff auf strategische Rohstoffe wieder zunehmende Interessengegensätze ab.

3. Frieden und Antimilitarismus

Der Kampf um den Frieden, für die Verhinderung von Kriegen und militärischen Aktionen muß ein Haupttätigkeitsfeld der Linken in der PDS werden. Die Linke Opposition muß dabei eine konsequente antimilitaristische Haltung einnehmen. Dazu gehört, daß wir innerparteilich jeden Versuch bekämpfen müssen, deutsche Militäreinsätze, unter welchem Etikett auch immer, zu akzeptieren. Weder UN-Mandate noch vorgebliche Einsätze zum Schutz der Menschenrechte, noch eine europäische Truppe als Gegenmacht gegen den "aggressiven" US-Imperialismus sind für uns akzeptabel. Die

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zunehmende Militarisierung der deutschen Außenpolitik nach 1990 zeigt, daß der vorgeblich zivilisierte deutsche Imperialismus immer nur Kräfteverhältnissen Tribut gezollt hat. Die Linke Opposition wird jeder Propagandakampagne entgegentreten müssen, mit der die werktätige Bevölkerung für die aggressive Politik der herrschenden Klasse instrumentalisiert werden soll. Jeder Krieg beginnt heute als Propagandakrieg.

4. Keine Krisenlösungen auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung

Nicht nur Kriege bedrohen die kapitalistische Wirtschaft. Der Kapitalismus in seinen Metropolen hat schon lange vor 1989 Stagnationstendenzen aufgewiesen. Diese Tendenzen wurden schon vor 1989 weder durch die systematische Umverteilungspolitik der Kohlregierung noch durch die entsprechende Politik der anderen imperialistischen Mächte überwunden. Die neoliberale Offensive hat schon vor der Wende von 1989/90 zur Entindustrialisierung erheblicher Teile der Dritten Welt und dort zu weiterer Massenverelendung geführt. Das selbst für viele Marxisten wirklich erstaunliche an der Wende von 1989/90 ist, daß die Einverleibung der Sowjetunion und der Staaten des RGW in den kapitalistischen Weltmarkt nur zu einem kurzen Aufflackern der Weltkonjunktur geführt hat - und dies nicht einmal überall. Japan und Südostasien und die Staaten der Dritten der Welt waren davon ohnehin ausgenommen.

Die einzige Antwort der neoliberalen Politik auf die anhaltende Krise des kapitalistischen Wachstums ist nicht die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, sondern der Versuch, die Massenarbeitslosigkeit auszunutzen, um die Einkommen der Arbeiterklasse weiter abzusenken. Das Hartz-Papier und die neue Rürup-Kommission sind vor diesem Hintergrund zu sehen. Anhaltende Unsicherheit der Arbeitsverhältnisse, die Polarisierung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse, die Einschränkung gewerkschaftlicher Rechte, immer neue Varianten des Abbaus staatlicher Sozialleistungen, immer tiefere Einschnitte in das System der medizinischen Versorgung und der Alterssicherung, Umweltkrisen und die verschärfte Ausbeutung der Dritten Welt - das sind die wirklichen Perspektiven, die der Kapitalismus in Europa bereithält. Es wird eine bisher nicht gekannte Verschärfung der Offensive des Kapitals gegen die arbeitende Bevölkerung geben.

Der Kampf gegen diese reaktionäre Offensive muß ein politischer Schwerpunkt der Linken Opposition sein. Wir widersetzen uns dabei allen Versuchen der sogenannten Reformer, die PDS zum Vehikel dieser reaktionären neoliberalen Konsolidierungspolitik zu machen. Dies ist auch nicht wie in Berlin damit zu rechtfertigen, daß für künftige Generationen neue Spielräume geschaffen werden müssen. Alles Gerede davon, daß langfristig Verbesserungen und Reformen in kleinen, realistischen Schritten durchgesetzt werden müssen, ist politischer Betrug. Wer nicht in der Lage ist, Verschlechterungen der Lebenssituation der arbeitenden Bevölkerung zu verhindern, kann nicht glaubwürdig behaupten, er setze sich für Verbesserungen ein. Kein ernsthafter Sozialist wird auf den Kampf für konkrete Reformschritte verzichten. Aber es wird auch kein ernsthafter Sozialist auf die Priorität der Verteidigung bisheriger Errungenschaften verzichten.

5. Wir fordern den Ausstieg aus den rot-roten Koalition in Berlin und Schwerin

Die linke Opposition widersetzt sich deshalb der Politik der rot-roten Koalitionen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern. Keine dieser Koalitionen läßt in ihrer Politik die Handschrift der PDS erkennen. Beide Koalitionen machen sich zu Vehikeln der Angriffe des Kapitals auf die werktätige Bevölkerung. Wer sich für die eigenen und damit auch für die Interessen der überwiegenden Bevölkerung einsetzt, gerät unweigerlich in Konflikt mit den jeweiligen Regierungen auch auf Landesebene, denn diese setzen die Politik der Bundesregierung maßgeblich um.

Unsere Beteiligung an Protestaktionen der Gewerkschaften, der Verbände und Betroffeneninitiativen wird uns unweigerlich in die Konfrontation mit PDS-Ministern führen. Die Linken in der PDS werden dabei nur Glaubwürdigkeit erlangen, wenn sie selbst den Bruch der PDS mit diesen neoliberalen Koalitionen fordern. Umgekehrt kann die PDS verlorenes Vertrauen bei ihren Wählern nur wiedergewinnen, wenn sie sich im Konflikt ihrer Wählerbasis mit der neoliberalen Politik auf die Seite ihrer Wähler schlägt. Anderenfalls geht die PDS neuen Wahldebakeln entgegen.

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6. Zum Geraer Parteitag

Die PDS vereint heute immer noch die größte Anzahl von Menschen mit sozialistischen Überzeugungen. Aber sie ist auf dem Weg zu einer sozialdemokratischen Partei. Daran hat auch der Parteitag in Gera nichts geändert. Vorstellungen, es habe einen Linksruck und einen echten Kurswechsel gegeben, hat Gabriele Zimmer nach dem Parteitag schnell widerlegt. Sie fordert ein sozialistisches Profil der PDS in den Koalitionen; sie fordert Opposition in den Koalitionen; sie fordert eine deutlicherkennbare Handschrift der PDS in den Koalitionsvereinbarungen. - Aber: Sie vergißt, daß die Akzente der PDS in den Koalitionsvereinbarungen unter Finanzierungsvorbehalt gestellt wurden. Sie übersieht, daß sich in der praktischen Koalitionspolitik keine wesentliche Veränderung ergibt. Gabriele Zimmer demonstriert damit, daß sie selbst nur eine etwas geschicktere Variante der reformerischen Politik will, die Bartsch und seine Freunde verfolgen und die sie bis zum Rostocker Parteitag gemeinsam mit Gabriele Zimmer vertreten haben. Jetzt hat sich in Gera eine die rechte Richtungen durchgesetzt, die den Kurs der Annäherung an die SPD moderater gestalten will und in Bezug auf die Möglichkeit einer Annäherung an die SPD auf Bundesebene sicher realistischer ist als Bartsch oder Gysi..

Der Kampf in Gera um die Führung der Partei und ihre kurz- und mittelfristige Perspektive zeigt aber auch, daß der Kampf der sogenannten Reformer um die Partei noch nicht gewonnen ist. Bartsch und Co. hatten die Schwierigkeiten unterschätzt, die der Spagat zwischen den Überzeugungen breiter Teile der Mitgliedschaft und der im Ansatz schon praktizierten neoliberalen Politik in den Koalitionen bereiteten. Gabriele Zimmer sah sich gezwungen, die Stimmung an der Basis zu bedienen, ein schärferes sozialistisches Profil der Außendarstellung zu fordern und die Rückbesinnung auf außerparlamentarische Tätigkeit zu propagieren. Von ernsthaften Schritten in diese Richtung kann bislang keine Rede sein. Im Gegenteil. Gabriele Zimmer bemüht sich, Bartsch, Liebich, Gysi und Co. zu beschwichtigen.

Hier ergibt sich für die Linke Opposition eine Chance gestaltend in die Politik der PDS einzugreifen. Wir sollten aber nicht von schnellen Erfolgen träumen und schon in den nächsten Tagen grundlegende Veränderungen der Arbeitsbedingungen in der PDS erwarten. Die Tatsache, daß der undemokratisch erarbeitete und der Partei aufgezwungene Programmentwurf im nächsten Jahr als das neue Programm der PDS beschlossen werden soll, zeigt überdeutlich, daß der Anpassungskurs an diese kapitalistische Gesellschaft und damit die Aufgabe originärer sozialistischen Vorstellungen und Ziele weitergeht.

7. Die Linke Opposition muß sich formieren

Die Parteilinke ist bis jetzt kein aktiv gestaltender Faktor der innerparteilichen Auseinandersetzung gewesen. Das Verhalten der Kommunistischen Plattform und des Marxistischen Forums hat viele Linke enttäuscht. Es blieb immer nur bei einer folgenlosen Appellationspolitik, ohne ernsthafte Versuche, wirklichen Einfluß auf die praktische Politik der Partei zu nehmen. Auch die administrative Ausschaltung der alternativen Programmentwürfe wurde ohne Gegenwehr hingenommen. Das größte Manko war dabei der für Kommunisten und ernsthafte Marxisten völlig unverständliche Verzicht auf die Organisierung der Kommunisten auf allen Ebenen der Partei. So verfügten die den Parteiapparat kontrollierenden sogenannten Reformer faktisch ein weitestgehendes Organisationsmonopol. Wir werden diesen Kardinalfehler der Linken in der PDS korrigieren.

Ohne die demokratische Selbstorganisation der Linken Opposition in der PDS - unter Einbeziehung auch von Marxisten am Rand der Partei, ehemaligen und von der PDS enttäuschten Kräften, werden wir keine nachhaltige Wirkung erzielen können. Wir brauchen die Selbstorganisation zur Selbstverständigung. Wir brauchen sie, um uns in unsere eigenen Angelegenheiten einzumischen. Und zwar innerhalb wie außerhalb der Partei. Wir brauchen die Zusammenarbeit der Marxisten, um uns systematisch und effektiv in die Programmdiskussion einzumischen. Wir brauchen die organisierte Zusammenarbeit der Linken, um den Marxismus wieder zum erlebbaren Faktor zu machen. Wir brauchen die organisierte Zusammenarbeit, um marxistische Bildungsarbeit in der PDS zu organisieren. Einzelheiten hierzu können wir sicher heute abend diskutieren.

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Zum Schluß noch eine zugegebenermaßen idiotische Frage, die durch quälend öde Debatten in Berlin zu dem Thema "Darf man zu einer Konferenz der Linken einladen?" angeregt wurde: Uns als Linke in der PDS organisieren - dürfen wir das? Wir dürfen. Wir dürfen es nach dem Statut der PDS. Wir müssen es, wenn wir uns als Marxisten ernst nehmen wollen. Wir müssen es, wenn wir den sogenannten Reformern und dem zentralen Apparat der Partei nicht das Feld überlassen wollen. Nur, wenn wir organisiert für linke Positionen kämpfen, hat der Marxismus in der PDS noch Chancen, die innerparteilichen Kräfteverhältnisse zu beeinflussen. Machen wir das beste aus unseren Möglichkeiten! Fangen wir an!

Berlin, 23.11.02