Zur Entschuldigungsdebatte in der PDS:
Fang´ an zu denken, Genosse Gysi!

Gregor Gysi nennt die Kritik an Gabi Zimmer und Petra Pau weder logisch noch konsequent. Er empfiehlt den Kritikern, die Dinge "bis zum Ende zu durchdenken" (ND vom 12./13.5.01). Doch wer Dinge bis zum Ende denken will, muß erst einmal anfangen zu denken.

Gysi appelliert zunächst an die Kritiker, sich nicht am Medienecho zu orientieren, sondern am Text der Erklärung von Zimmer und Pau. Er sollte wenigstens als Jurist, wenn schon nicht als Politiker, wissen, daß bei der Interpretation von Erklärungen dem Empfängerhorizont maßgebliche Bedeutung zukommt. Wenn die gesamte Medienwelt die Erklärung als Entschuldigung der PDS für die "Zwangsvereinigung" verstanden hat, gibt es an der Tatsache einer Entschuldigung nichts zu deuteln. Daß Zimmer und Pau die Entschuldigung an "das Volk der DDR" adressierten, aber einen Kotau vor der SPD meinten, mit der sie und Gysi ins Geschäft kommen möchten, liegt auf der Hand.

Auch Gysis These, daß die Mitglieder einer Partei für deren Geschichte Verantwortung tragen, ebenso, wie die Mitglieder einer Gesellschaft für die Geschichte ihres Landes, ist unhaltbar. Hier wärmt Gysi nur die fatale Logik der Kollektivschuldthese auf, die schon in ihrer Urform der Sippenhaft immer darauf abzielt, die Frage nach individueller Schuld und Fehlverhalten zu umgehen, um Verantwortung dort abzuladen, wo sie nicht hingehört. Gysi steigert die Logik der Sippenhaft um die Dimension der Zeit. Jetzt soll generationenübergreifend gehaftet werden. Doch kann es bei geschichtlichen Vorgängen letztlich niemals um nachträgliche Schuldzuweisungen und/oder Aufrechnungen gehen, sondern nur um deren Analyse und - nicht zu vergessen - darum, Lehren aus den Erfahrungen der Vergangenheit zu ziehen. Geschichte ist dabei unteilbar. Geschichtsbetrachtung nicht. Die ist bekanntlich durch die Interessen der Betrachtenden gefärbt und damit selbstverständlich Gegenstand von Kritik.

Gysis Sicht der Vereinigung von KPD und SPD ist ebenso surreal wie seine Angriffe gegen die Kritik an der Bitte um Entschuldigung bei der SPD demagogisch. Er unterstellt einerseits als seinerzeit gewünscht eine rein additive Vereinigung von SPD und KPD, um dann Konsequenz zu fordern, nämlich ein Bekenntnis auch zu sozialdemokratischer Geschichte und Geschichtsschreibung, weil die SED ja auch die sozialdemokratische Geschichte geerbt habe, die ebenso aufzuarbeiten sei wie die kommunistische. Er gesteht dann zwar zu, daß "viele Mitglieder" von KPD und SPD eine Vereinigung nach der Erfahrung mit dem Faschismus als notwendig ansahen, doch meint er, daß die schon kurze Zeit später fehlende Gleichberechtigung für sozialdemokratisches Gedankengut und die Verfolgungen von Parteimitgliedern ein Beweis für die Vereinnahmung im Sinne einer politischen Vernichtung der SPD durch die KPD war. Hier ist schon die Annahme der friedlichen Koexistenz sozialdemokratischen und kommunistischen Gedankenguts in einer freiwillig vereinten Partei ahistorischer Blödsinn. Auch bei einer freiwilligen Fusion von Parteien muß schon begriffslogisch zumindest die Mehrheit einer Partei ihre bisherigen Auffassungen geändert haben und die früher vorherrschenden Auffassungen dominieren. Realistischerweise ist dies bei organisatorischen Zusammenschlüssen auf beiden Seiten der Fall. So war es auch 1945/46. Hier hat historische Analyse einzusetzen, nicht demagogisches Geschwätz. Historische Analyse, die penibel die handelnden Kräfte, deren Verhältnisse untereinander und deren Interessen bezeichnet, kann auch nicht durch pauschale Entschuldigungen für Repressionen ersetzt werden. Eben daran fehlt es sowohl bei Zimmer und Pau wie bei Gysi, die die konkrete Analyse durch die Feststellung ersetzen, daß es Repression gegeben hat. Für diese wollen sie sich bei denen entschuldigen, die für sich in Anspruch nehmen, heute die Opfer der damaligen Repression zu repräsentieren. Ob dies wirklich der Fall ist, wird gar nicht erst geprüft. Stattdessen werden die typischen Deutungsmuster der (West-) Sozialdemokratie übernommen, die ebenso fragwürdig sind wie die traditionellen Lehrbuchweisheiten der DDR-Geschichtsschreibung.

Zur Entstehung der SED

Die Entstehung neuer Parteienstrukturen nach 1945 und der SED kann nicht verstanden werden, ohne zumindest eine Skizze der deutschlandpolitischen Gegensätze der Besatzungsmächte. Diese waren taktisch übereingekommen, Deutschland als Machtfaktor auszuschalten und bekannten sich dabei alle formal zum Antifaschismus, verfolgten dabei aber teils unterschiedliche, teils absolut gegensätzliche strategische Ziele. Die weitestgehend zerstörte Sowjetunion war dringend darauf aus, ihre Reparationsforderungen zu realisieren. Sie bestand deshalb auf der vereinbarten Wirtschaftseinheit Deutschlands, um ihre Forderungen in ganz Deutschland durchzusetzen. Die USA befürworteten zunächst die Wirtschaftseinheit als Grundlage einer politischen Stabilisierung Deutschlands und Europas im bürgerlich-demokratischen Sinne. Britannien hielt dies für illusionär, ordnete sich jedoch den Vereinigten Staaten unter. Frankreich wiederum sabotierte von Anfang an jede Wiederherstellung einer zentralen Wirtschaftsverwaltung, um in seiner Besatzungszone seine Reparationen zu requirieren und um sein Ziel der Annexion des Saarlands durchzusetzen. Alle Besatzungsmächte bemühten sich darum, für ihre Perspektiven politische Partner unter den neu entstehenden Parteien zu finden. Jede Besatzungsmacht nahm vorrangig in ihrer Zone massiven Einfluß auf den Prozeß der Parteineubildungen, aber auch auf den Neuformierungsprozeß der Gewerkschaften.

Die Reorganisation der Arbeiterbewegung erfolgte zunächst spontan und zumeist einheitlich, über frühere Parteigrenzen hinweg, unter antifaschistischen und sozialistischen Zielsetzungen - aber zugleich im Gegensatz zu den aus dem Exil zurückgekehrten Führungen von KPD (Gruppe Ulbricht) und SPD. Die Besatzungsmächte gingen deshalb in aller Regel gegen die spontan entstehenden Einheitsinitiativen vor. Sie lösten sie auch auf, wenn sie sie nicht unter der Kontrolle von aus ihrer Sicht verläßlichen Elementen sahen.

Deutschlandweit gelang es der KPD-Führung am schnellsten, ihren Apparat zu rekonstruieren - wenn auch nicht ohne beträchtliche Schwierigkeiten mit der eigenen Basis, insbesondere in der SBZ, in der zuerst wieder politische Betätigung erlaubt werden mußte, da hier angesichts eines nicht mehr funktionsfähigen Staatsapparates wenigstens kontrollierte Massenaktivitäten unumgänglich waren, um die Verwirklichung der sowjetischen Politik zu gewährleisten. Die Gruppe Ulbricht stellte sich dabei offen und zuallererst den Einheitsbestrebungen der Massen entgegen. Nicht zuletzt, weil sich der sich in Berlin etablierende Zentralausschuß der SPD, gebildet vom Prager Exil der SPD-Führung, wenigstens verbal auf die Bestrebungen der Massen einließ und sie fürchtete, die Kontrolle über die Basis zu verlieren.

Erst als die Kontrolle über die KPD-Basis erreicht worden war, strebte die Ulbricht-Führung die "Einheit" mit der SPD an. Ihr Ziel war dabei die Kontrolle der Arbeiterbewegung insgesamt. Die große Masse der KPD-Mitglieder hingegen wollte mit der Einheitspartei ehrlichen Herzens die Lehren aus dem Faschismus ziehen und gemeinsam mit den Sozialdemokraten für eine bessere Ordnung kämpfen. Das galt auch für erhebliche Teile der sozialdemokratischen Mitgliedschaft. Bereits 1946 waren jedoch viele SPD-Mitglieder aufgrund ihrer Erfahrungen mit der Besatzungsmacht und mit der KPD-Politik dieser gegenüber mißtrauisch oder sogar feindlich eingestellt. Die SPD-Führungszentren waren in dieser Frage gespalten. Jedes dieser Parteiführungszentren betrieb unter der jeweiligen Besatzungsmacht seiner Zone Realpolitik. In Berlin paßte sich der Zentralausschuß der SPD mit Grotewohl den politischen Forderungen der Sowjetischen Militäradministration an und beteiligte sich an der Vorbereitung zur Gründung einer Einheitspartei. Die Kontrolle der Grotewohlführung über die SPD wurde auch dadurch erleichtert, daß einige innerparteiliche Gegner mit der Repression der Besatzungsmacht Bekanntschaft machten.

Das vom Büro Schumacher in Hannover zunächst an den britischen Interessen orientierte sozialdemokratische Führungszentrum (zurückgekehrt aus dem Londoner und Stockholmer Exil) betrieb eine wesentlich subtilere und geschicktere Politik. Bald Hand in Hand mit den US-amerikaorientierten sozialdemokratischen Führungskräften zusammenarbeitend, konzentrierte es sich darauf, in geschicktem Zusammenspiel mit den beiden vorgenannten Besatzungsmächten an der politischen Spaltung der Arbeiterbewegung zu arbeiten. Verbal wurde dabei die KPD rhetorisch von weit links überholt und zugleich die Servilität der KPD gegenüber der sowjetischen Besatzungsmacht und deren Politik wie Gewaltmethoden ausgenutzt. In den angloamerikanischen Zonen bemühte sich die SPD darum, die Kommunisten aus den Gewerkschaften zu drängen.

Diese Orientierung der sozialdemodemokratischen Führung im Westen kommt am deutlichsten und offen in einem Brief Fritz Tarnows zum Ausdruck:

"Beim Wiederaufbau deutscher Gewerkschaften stehen wir vor dringenden Aufgaben. Es ist gewiß, daß eine der Hauptforderungen der deutschen Arbeiter die Forderung nach Einheit sein wird, und sie werden versuchen, starke nichtpolitische Verbände von Industriegewerkschaften zu schaffen, oder vielleicht sogar Gewerkschaften verlangen, die alle Arbeiter umschließen (Einheitsgewerkschaften).

Wir müssen dies um jeden Preis zu verhindern trachten, da es den Kommunisten die Möglichkeit geben würde, die Gewerkschaften zu beherrschen. Daher müssen wir jetzt mit den britischen und den amerikanischen Stellen die geeigneten Vorkehrungan treffen, damit wir an schnell wie möglich zurückkehren können, um die Entwicklung antikommunistischer Gewerkschaften zu leiten. Wir dürften auf die Mitarbeit der Militärbehörden rechnen können, da es ebenso in ihrem wie in unserem Interesse liegt."

(Abgedruckt in George S. Wheeler, Die amerikanische Politik in Deutschland - in Auszügen in WiSo 1959,S.122).

Es versteht sich von selbst, daß die Sozialdemokratie alles getan hat, um diesen Programm durchzusetzen. Wie vorgegangen wurde, zeigt folgendes Memorandum von George Silver, einem der Verbindungsleute zwischen der amerikanischen Militärregierung und den Sozialdemokraten:

"Die Kommunisten beuten die Volkstümlichkeit der Einheitsparole bis zum äußersten aus ... und planen einen sofortigen gesamtdeutschen Kongreß und den Anschluß an den WGB.

Die Gewerkschaftsführer in der Westzone haben die kommunistische Taktik erkannt. Aber ihre Stellung ist insofern schwierig, als sie vermeiden müssen, in die Falle zu gehen, ohne offen gegen die Einheit aufzutreten, daher darf man ihr Handeln nicht nach dem äußeren Anschein werten, sondern muß es im Lichte der taktischen Lage sehen."

(27.9.1947, zitiert in WiSo 1959, S.131).

Jedenfalls steht fest, daß es gerade diese Kräfte waren, die 1947 die gesamtdeutsche Gewerkschaftseinheit im Zusammenspiel mit den britischen und amerikanischen Besatzungsbehörden verhindert haben. Hinsichtlich der Gewerkschaftseinheit waren die Sozialdemokraten von vornherein die Spalter.

Aber die Haltung der sozialdemokratischen Führungskader im Westen war auch auf der politischen Ebene um keinen Deut besser. Die Schumacher-Führung unterschied sich in nichts von der Grotewohl-Führung, dem Zentralauschuß. Beide paßten sie sich den jeweils herrschenden Besatzungsmächten und ihren Interessen an. Sie standen damit aber nicht allein.

Im Saargebiet wandte sich die Schumacher-Führung gegen die dortige Sozialdemokratie (SPS) und deren separatistische, profranzösische Tendenzen. Die SPS-Führung, die insoweit französische Interessen verfolgte (Realpolitik verpflichtet) und dabei ihre Stellung im Zusammenspiel mit den französischen Besatzungsbehörden sicherte, indem sie die Verhaftung der an Schumacher orientierten Oppositionellen in der SPS veranlaßte, wurde später, 1955, anläßlich der Eingliederung des Saarlands in die BRD (der erste Beitritt) sang- und klanglos ausgewechselt. Die SPS konnte in der Folge problemlos in die SPD eingegliedert werden. Die Parallele zu den Vorgängen in der SBZ sticht ins Auge (vgl. Kurt Thomas Schmitz, Deutsche Einheit und Europäische Integration, Bonn 1978, S.42 ff und S. 110ff).

Schlußfolgerungen:

Die Vereinigung von SPD und KPD entsprach den Wünschen weiter Teile der Basis beider Parteien. Sie war aber zugleich auch die bürokratisch inszenierte Vereinigung zweier Arbeiterparteien, deren Apparate nicht davor zurückschreckten, ihre Apparatherrschaft notfalls auch unter Zuhilfenahme gezielten Terrors der Besatzungsbehörden zu sichern. Das Produkt dieses bürokratisch kontrollierten Vereinigungsprozesses zweier bürokratisch beherrschten Arbeiterparteien kannte nur eine einzige bürokratisch beherrschte Arbeiterpartei sein. Hinzu gefügt sei, daß die Westmächte der KPD den Anschluß an die SED untersagten (mit Ausnahme Berlins). Im Falle der SPD zementierte die Beteiligung der SPD und ihrer Führung in der SBZ zugleich die Spaltung der Sozialdemokratie.

Die SED und ihr Apparat wurden selbstverständlich durch den Stalin ergebenen Apparat der früheren KPD beherrscht, wenngleich die Partei die Assimilierung der Sozialdemokraten einige Zeit in Anspruch nahm, wobei dies notwendig auch mit Repressionen verbunden war. Die Repression gegen Mitglieder richtete sich aber auch gegen linkssozialistische und kommunistische Kräfte, die von den Vorgaben der Apparat-Spitze abwichen, nicht zuletzt auch gegen Kräfte, die einen schnelleren Aufbau des Sozialismus anstrebten.

Die Gründung der SED, dies sollte nicht vergessen werden, war nicht nur eine Sache der KPD. Auch ein Teil des SPD-Apparats war aktiv beteiligt. Dieser Teil der traditionellen Führung der SPD konnte sich durchaus auf erhebliche Teile der Mitgliedschaft stützen. Für diese These spricht sogar die Abstimmung unter den SPD-Mitgliedern, die vom Büro Schumacher 1946 in den westlichen Sektoren Berlins durchgeführt wurde und die meist als Beleg für eine absolute Gegnerschaft der SPD-Mitgliedschaft gegen eine Vereinigung mit der KPD angeführt wird: 62,1% der SPD-Mitglieder stimmten dabei FÜR eine Zusammenarbeit mit der KPD. Die Schumacher-Führung wagte auch nicht, die Frage zu stellen, ob man grundsätzlich gegen eine Vereinigung mit der KPD sei. Gefragt wurde danach, ob man für eine sofortige Vereinigung sei. Diese Frage wurde von 82,2% der SPD-Mitglieder verneint.

Die Führer der Sozialdemokratie in der angloamerikanischen und in der französischen Besatzungszone widersetzten sich nicht nur der SED-Gründung, sondern zugleich den Bestrebungen ihrer Basis, deren Wünsche und Stimmungen taktisch ausgenutzt, aber zugleich entgegengearbeitet wurde. Es gibt daher keinen Anlaß, sich bei den politischen Nachfolgern dieser Herrschaften zu entschuldigen. Wer aus der Geschichte Lehren ziehen will, muß zunächst begreifen, daß der wirklich entscheidende Graben in der SED nicht zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten, sondern zwischen dem Parteiapparat und der ehrlichen, sozialistisch gesinnten Basis verlief.

D. Wilhelmi - Mai 2001