Gysis Selbsterkenntnis:

Selbstgewählte Isolierung führt ins Aus!

Nie war ein Papier Gregor Gysis so aussagekräftig wie seine Bilanz des Geraer Parteitags.

Die Friedensfrage

Gregor Gysi verkündet, daß ihm und seinen Freunden , den "so genannten Reformern", schon vom Münsteraner Parteitag die "politische Grundlage entzogen" wurde. Dies, obwohl die Reformer unangefochten weiter die Führung der Partei stellten. Damit stellt er nachträglich klar, was früher immer in Abrede gestellt wurde. Es ging der Parteirechten nicht um eine "Einzelfallprüfung" bei Entscheidungen über bundesdeutsche Militäreinsätze, sondern um eine Revision des Friedensprogramms der PDS. Sie wollte in Münster demonstrieren, daß sie und die PDS bereit sind Mitverantwortung für die neue militarisierte Außenpolitik der BRD zu übernehmen. Die Ablehnung auch von Militäreinsätzen unter UN-Mandat blockierte die Vision einer PDS-Regierungsbeteiligung.

Kapitalismus oder Sozialismus

Gysi setzt eine sozialistische Oppositionspolitik ("Motto: Keinen Frieden mit dieser Gesellschaft") mit "einer selbst gewählten Isolierung" gleich. Er stellt damit selbst klar, daß er und die Reformer ihren Frieden mit dieser Gesellschaft geschlossen haben, d.h. nicht einmal mehr klassische Reformisten sind, die glauben, sozialistische Ziele nur durch Reformen erreichen zu können.

Zugleich unterstellt er, daß eine konsequente sozialistische Oppositionspolitik zur Abwendung der "Menschen" führt. Offenbar hat Gysi nicht realisiert, daß die Akzeptanz des Kapitalismus durch die PDS-Führung, die Unterwerfung der PDS-Politik unter die vorgeblichen Sachzwänge kapitalistischen Krisenmanagements in Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin zur Abwendung einer bestimmten Gruppe von Menschen geführt hat, nämlich zur Abwendung von "Menschen", die der Arbeiterklasse angehören.

Gysi hat recht, wenn er konstatiert, daß sein und der Reformer Kurs "in den Medien und im Parteiensystem" wachsenden Anklang fand. Warum sollte die bürgerliche Gesellschaft nicht applaudieren, wenn die Führung einer sozialistischen Partei die politische Selbstliquidation betreibt? Der klassenlose Herr Genosse Gysi, um eine Formulierung Gerhard Branstners aufzugreifen, verkennt, daß die PDS von den bürgerlichen Medien und den anderen Parteien als sozialistische Partei zu keinem Zeitpunkt akzeptiert wurde. Eine sozialistische Partei kann sich bei ihren Gegnern Respekt verschaffen, nicht Akzeptanz. Die braucht sie bei der Arbeiterklasse und bei den Mittelschichten. Das bedeutet das Gegenteil von Isolation und es bedeutet (Klassen-) Interessenpolitik.

Visionen und Pragmatismus

Gysi behauptet, der Geraer Parteitag habe sich für "verschwommene Visionen, für einige Prinzipien und gegen Pragmatismus entschieden". Dem setzt er die These entgegen, daß Visionen und Pragmatismus zusammengehören. "Eine sozialistische Partei ohne Visionen ist keine, ... ist orientierunglos", stellt er völlig richtig fest. Da fragt sich mancher neugierige Leser, welche Visionen denn die "so genannten Reformer" geboten haben? Wurden die großartigen Visionen der Genossen Bartsch Pau und Claus vielleicht während einer Pause dargelegt? Oder hat die alte Vorstandsmehrheit ihre Visionen an der Garderobe abgegeben?

Auch Gysi verzichtet auf Visionen. Stattdessen preist er das hohe Lied des Pragmatismus: "Wer nicht pragmatisch sein will, der will an der konkreten Lebenssituation von Menschen nichts verbessern, der erhebt sich arrogant über deren Probleme, Leistungen , Erfahrungen und Gefühle, ist selbstbezogen". Gysi setzt noch einen drauf: "Er wird jede Verschlechterung der Lebenssituation als Bestätigung für seine Auffassung ansehen, ohne dagegen etwas unternommen zu haben. Diese Haltung ist weder human noch sozialistisch." So weit würden es Reformer natürlich nicht kommen lassen. Deshalb garantieren sie z.B. in Berlin, daß es den "Menschen" mit Anlagekapital in Fonds der Berliner Bankgesellschaft nicht schlechter geht. Daß dann für andere "Menschen" nichts mehr da ist, ist für die Reformer vermutlich ein Sachzwang. Daß der Flächentarifvertrag für den Öffentlichen Dienst unter dem Stichwort "Solidarpakt" beerdigt werden soll, daß der Mangel an Pragmatismus der selbstbezogenen Beschäftigten im Öffentlichen Dienst ganz pragmatisch mit Drohung von Kündigungen vorrangig im Osten Berlins beantwortet wird, dürfen wir dann wohl als Modellfall humaner und sozialistischer Politik à la Ex-Senator Gysi notieren.

Richtige und falsche Kritik

Linke dürfen, so belehrt Gysi die PDS-Mitgliedschaft, berechtigte Kritik an den Verantwortlichen der PDS in den Landesregierungen in Mecklenburg-Vorpommern und in Berlin üben. Was berechtigt ist, sagt er nicht. Aber die Kritik darf den Kritisierten nicht weh tun und sie muß die Schwierigkeiten der Aufgaben dieser Verantwortlichen würdigen, sonst kapseln sich diese Verantwortlichen von der Bundespartei ab. "Letzteres bedeutete faktisch zwei Parteien in einer". Besser läßt sich der Wille, jede ernsthafte Kritik zu ignorieren, nicht ausdrücken.

Marxistische Linke innerhalb wie außerhalb der PDS haben diese Verantwortlichen schon vor ihrer Übernahme von sogenannter Regierungsverantwortung, davor gewarnt, daß durch eine gemeinsame Regierungspolitik mit der SPD unter den gegebenen gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen keine spürbaren Verbesserungen der Lebenslage der Arbeiterklasse durchgesetzt werden können. Selbst dem Berliner Chefreformer Liebich fällt als Erfolg der PDS Regierungspolitik faktisch nur die Verleihung der Louise-Schröder-Medaille an Daniela Dahn ein.

Mit der jetzt betriebenen Politik des Senats beweisen die Pragmatiker, daß sie im Namen einer vorgeblichen Politik der Verhütung des Allerschlimmsten bereit sind, auf den Gefühlen, Lebensleistungen, Erfahrungen der werktätigen Bevölkerung herumzutrampeln und deren Lebenssituation zu verschlechtern. Sie sind die Motoren des Sozialabbaus und nicht Teil des gesellschaftlichen Widerstands gegen die bürgerliche Politik. Liebich hat recht: Opposition ist in der Regierung nicht möglich. Ein Grund mehr, sich über die Folgen einer Regierungsbeteiligung vor dem Eintritt in eine Koalition Gedanken zu machen. Aber das erforderte eine Gesellschaftstheorie und die ist Pragmatikern lästig. Wenn die Reformer lamentieren, ihre Kritiker mögen Verständnis für ihre Schwierigkeiten haben, kann ihnen ein schneller Ausweg eröffnet werden: Bekennt öffentlich, daß Euer Weg in eine politische Sackgasse geführt hat! Entschuldigt Euch für Eure unsoziale Politik bei den Wählern der PDS, deren Votum Ihr mißbraucht habt! Beendet die Koalition!

Die wirkliche Führung und die Leistungsträger der Partei

Erinnern wir uns: Die "so genanten Reformer" stellten bis Gera die Mehrheit des Parteivorstandes. Diese alte Mehrheit sieht sich als "Leistungsträger der Partei". Sie, die "Leistungsträger", haben den Parteitag inhaltlich vorbereitet. Die "Politikangebote" deren Fehlen Gysi beklagt, hätten von diesen Leistungsträgern vorgelegt werden müssen. Dieselben "Leistungsträger" beklagen nun ihre eigenen, ungenügenden oder ganz fehlenden Politikangebote. Was für eine Leistung! Welch' eine Farce!

Statt Konzepte, Strategien und Visionen zu entwickeln, kündigte Dietmar Bartsch an, sich der Kritiker der Reformer entledigen zu wollen. Als erste sollte Gabriele Zimmer geschaßt werden. Er war sich des Erfolgs seiner Kampagne gegen Gabriele Zimmer so sicher, daß bereits öffentlich die Vorstandsposten für den neuen Vorstand vergeben worden waren. Diesen virtuellen Vorstand hätte Gregor Gysi vermutlich als "wirkliche Führung" angesehen. Deshalb stellt er fest, daß der Parteitag "keine wirkliche Führung" gewählt hat. Das Niveau dieses Vorstands sei nicht überzeugend. Er übersieht, daß sich Bartschs Führungsriege nicht zur Wahl gestellt hat. Das allein rechtfertigt die Feststellung, daß das politische "Niveau" der Genossen Bartsch, Pau, Claus und jetzt auch das Gysis nur mit Mühe unterboten werden kann. Mit dem neuen Vorstand kann es nur besser werden. Wie sagte Gysi? Selbst gewählte Isolierung führt ins Aus.

Dieter Elken