Krise der WASG?

Wer spaltet den Widerstand gegen den Neoliberalismus?

Von Dieter Elken

Vielleicht erinnert sich der (oder die) eine oder andere daran, daß die WASG ursprünglich beanspruchte, eine Opposititionsbewegung gegen den Neoliberalismus zu sein. Breit und parlamentarisch sollte sie natürlich auch sein. Aber dabei doch Opposition gegen den Neoliberalismus bleiben.

Die Mehrheit des jetzigen Bundesvorstands der WASG um Klaus Ernst scheint das schon lange vergessen zu haben. Für sie scheint der parlamentarische Erfolg auf kurze Sicht das wichtigste Ziel zu sein, dem alles andere unterzuordnen ist - auch die Opposition gegen den Neoliberalismus. Als Schröder und Müntefering angesichts des Niedergangs der SPD die Flucht nach vorn antraten und für die Neuwahl des Bundestags sorgten, herrschte Zeitdruck. Und da nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen 2005 ein Einzug in den Bundestag nicht ohne ein Wahlbündnis mit der PDS zu haben sein schien, mußte ein Wahlbündnis her, koste es was es wolle. Aber was hat das Bündnis gekostet? Wie hoch war sein politischer Preis?

Die inhaltliche Basis dieses Bündnisses blieb ungeklärt. Eine Einigung gab es nur auf kurze Sicht. Klaus Ernst, Gregor Gysi und Oskar Lafontaine waren sich darüber einig, daß eine Regierungsbeteiligung des Bündnisses in der jetzt laufenden Legislaturperiode nicht möglich sein würde. Ansonsten würde man sehen. Anstelle klarer Perspektiven für die Entwicklung einer breiten Widerstandsbewegung gegen die neoliberale Politik wurden mehr oder weniger linke Allgemeinplätze verkündet.

Nach der Wahl hieß es bei Klaus Ernst & Co.: Es gibt kein zurück. Nur gemeinsam haben wir Aussichten auf eine starke Linke. Das verkündet auch Linksruck.

Übersehen wird dabei, daß der PDS-Apparat, der seine stärksten Bataillone in den Ländern der ehemaligen DDR hat, inzwischen keinen Grund mehr sieht, gegenüber der WASG konziliant zu sein. Anfänglich haben die PDS-Apparatschiks nach einer Kette von Verlusten in den Landtagswahlen, schlechten Umfrageergebnissen und dem Erstarken der WASG um ihre Existenz gefürchtet. Aber das war schon vor der Wahl vorbei. Die Liebichs, Holters, Kaisers & Co. wußten und wissen, daß die WASG-Führung um Klaus Ernst wegen ihrer Fixierung auf Parlamentssessel erpressbar ist.

Deshalb haben sie diese vor jeder inhaltlichen Diskussion der Perspektiven einer gemeinsamen Partei die Kooperationsabkommen unterschreiben lassen. Diese Abkommen schließen jede selbständige bzw. von der PDS unabhängige Politik der WASG aus. Gestützt auf die Mitgliedszahlen beider Parteien beharren sie gleichzeitig auf ihrer neoliberalen Politik. Sie verkünden sogar ganz offen, daß sie die Politik der PDS in Berlin zum Modell für alle Länder machen wollen und nach der Bundestagswahl 2009 diese Politik im Bundestag praktizieren wollen. So erklärten Bisky, Bartsch und die ostdeutschen PDS-Führer am 2. März: Wir sind "bereit, gesellschaftliche Herausforderungen (...) auch in Koalitionen Schritt für Schritt mitzugestalten. Diesen Erfahrungsschatz bringen wir in den Parteibildungsprozess ein."

Die Beschwörung der Einheit von WASG und Linkspartei/PDS läuft unter diesen Umständen nur auf die formelle Unterordnung der WASG unter die Linkspartei/PDS hinaus. Sie würde aber auch die Liquidierung der WASG als ein Zentrum des Widerstands gegen den aktuelle Kapitalismus mit seiner neoliberalen Politik bedeuten. Wer wissen will, was das für eine künftige gemeinsame Partei perspektivisch bedeutet, kann sich die PDS in den neuen Ländern ansehen. Die Apparatschiks haben dort die Partei weitestgehend gleichgeschaltet. Eine kämpferische Opposition der PDS gegen die sozialpolitischen Schweinereien der Bundesregierung existiert nicht. Eine Einheit unter neoliberaler Hegemonie à la Wolf.und Liebich nach Berliner Muster heißt, die Linke zu schwächen, nicht sie stärken.

Den Ideologen von Linksruck sei ins Stammbuch geschrieben, daß eine solche Einheit die Entstehung einer starken Linken ausschließt. Wenn die letzten Jahre irgendetwas vermittelt haben sollten, dann die Erkenntnis, daß nicht einmal die CDU/CSU es sich ungestraft leisten kann, offen gegen die Interessen ihrer Wählerbasis Politik zu machen.

Wer eine starke linke Opposition gegen den neoliberalen Kapitalismus will, kann mit den Harald Wolfs und Stefan Liebichs keine gemeinsame (neoliberale) Sache machen. Opposition des Berliner Landesverbandes der WASG gegen die Politik des rot-roten Senats ist deshalb von allen Linken zu unterstützen. Eine (wünschenswerte) linke Einheit ist kein Ding an sich. Sie ist ohne einen klaren Bruch wenigstens mit der aktuellen neoliberalen kapitalistischen Politik nicht möglich. In Berlin heißt das, daß die Linkspartei/PDS die neoliberale Koalition mit der SPD verlassen müßte. Sofort. Und sie müßte sich dazu durchringen, ihren Wählern zu erklären, weshalb ihre Politik falsch war und wie sie in Zukunft Politik im Interesse ihrer Wälerinnen und Wähler machen wollte. Wer die Linkspartei/PDS kennt, weiß, daß damit nicht zu rechnen ist. Die Berliner PDS wird unter ihrer jetzigen Führung eine faktisch antisoziale und antigewerkschaftliche Partei mit linker Rhetorik in Sonntagsreden bleiben.

Wer innerhalb der WASG in Berlin und bundesweit trotzdem auf die Änderung der Linkspartei/PDS setzt, müßte zumindest im Falle Berlins Klartext reden. Der müßte auch unmißverständlich klarstellen, daß Widerstand gegen den neoliberalen Senat unverzichtbar ist - in allen Formen und auf allen Ebenen. Der müßte die Berliner Linkspartei/PDS unter Druck setzen, einen Kurswechsel zu vollziehen. Dies wäre schon im Interesse der eigenen Glaubwürdigkeit erforderlich, weil jede Kooperation mit neoliberalen Kräften die Politik der Opposition kompromittieren muß.

Weder Klaus Ernst noch Christine Buchholz haben sich in den letzten Monaten klar und mit der unverzichtbar notwendigen Offenheit gegen die dreiste Arroganz der neoliberalen Berliner Linkspartei/PDS-Führung gewandt. Stattdessen haben sie die Berliner WASG gedrängt, sich deren neoliberalen Politik unterzuordnen und so faktisch deren Projekt eine weitere Legislaturperiode zu ermöglichen. Oskar Lafontaine hat ihnen Schützenhilfe geleistet, indem er versuchte, den Kampf gegen den Neoliberalismus herunterzudefinieren auf Widerstand gegen kommunale Privatisierungen. Aber die Führer der Linkspartei/PDS haben gar nicht daran gedacht, sich diese Formel für einen faulen Kompromiß zu Eigen zu machen. In Berlin würde also nicht einmal Lafontaines halbseidene und falsche Definition dazu führen, an der Diagnose zu rütteln, daß die Linkspartei/PDS eine neoliberale Politik betreibt.

Jetzt deuten Klaus Ernst und Oskar Lafontaine an, daß sich die Mehrheit der Berliner WASG von der WASG trennen sollte. Auf die politische Unterstützung der Berliner WASG und Aufforderungen an die Bundesführung der Linkspartei/PDS, sich wenigstens zu äußern und ihren Berliner Landesverband zur linken Räson zu bringen, wartet man vergeblich. Linksruck und die Rixdorfer Initiative erklären unterdessen, sie wollen den mehrheitlich beschlossenen eigenständigen WASG-Wahlkampf nicht unterstützen. Es sollte nicht Wunder nehmen, wenn Stefan Liebich ihnen Plätze im neoliberalen Boot bereit hält.

Nicht wenige Medien raten inzwischen Klaus Ernst und seinen Freunden zur Spaltung der Partei. Sie fordern ihn auf, sich von die Mehrheit des Berliner Landesverbandes zu trennen. Es ist ein Skandal, daß er sich von diesen Aufforderungen bisher nicht klar und deutlich distanziert hat. Angesichts dieses Szenarios ist es höchste Zeit, daß die Bundespartei WASG den anti-neoliberalen Gründungskonsens bekräftigt, die Mehrheit des Bundesvorstands zur Ordnung ruft und den Spaltungstendenzen in dessen Reihen eine Absage erteilt. 10.03.06