Imperialistische Mächte bedrohen den Iran:

Kanonenbootpolitik des 21. Jahrhunderts

Nach dem Golfkrieg von 1990 hat der Propagandafeldzug gegen Saddam Hussein mit einem jahrelangen Trommelfeuer der imperialistischen Medienkonzerne der uninformierten Öffentlichkeit einzuhämmern versucht, daß Schurkenstaaten keine Massenvernichtungswaffen besitzen dürfen. Verschwiegen wurde geflissentlich, daß dies nach dem tradierten Völkerrecht nur für den Irak galt, nachdem der nach seinem Angriff auf Kuwait und aufgrund von UN-Sicherheitsratsbeschlüssen strukturell angriffsunfähig gemacht werden sollte.

Seit Monaten heißt es jetzt in den imperialistischen Medien, daß der Iran einen Atomstreit mit der Europäischen Union in gefährlicher Weise eskaliert, weil er auf einer eigenen Urananreicherung als wichtigster Vorstufe für eine eigenständige Atomtechnologie für deren friedlichen Nutzung beharrt. Verschwiegen wird dabei, daß das geltende Völkerrecht ausdrücklich jedem Land die eigenständige Entwicklung aller technologischen Kapazitäten erlaubt, die zur friedlichen Nutzung der Atomenergie erforderlich sind.

Tatsächlich verstoßen bereits die wenig verhüllten Drohungen der USA und ihres Hauptverbündeten im Nahen Osten, Israel, die Atomanlagen des Iran nötigenfalls mit Luftangriffen zu zerstören, gegen das Friedensgebot der UN-Charta. Die diplomatischen Initiativen der Europäischen Union, angeführt von Schröder, Blair und Chirac, zielen darauf ab, den Iran dazu zu bewegen, sich der imperialistischen Erpressungspolitik zu unterwerfen und sich weiteren Großmachterpressungen auszusetzen. Ausdrücklich verweigerten die vorgeblichen Friedensdiplomaten der EU die Abgabe von Sicherheitsgarantien für den Iran, ebenso wie die USA.

Wer verstößt gegen den Atomsperrvertrag?

In Art. IV Abs. 1 des Atomwaffensperrvertrages heißt es ausdrücklich, daß: "Dieser Vertrag (...) nicht so auszulegen" ist, "als werde dadurch das unveräußerliche Recht aller Vertragsparteien beeinträchtigt, unter Wahrung der Gleichbehandlung (...) die Erforschung, Erzeugung und Verwendung der Kernenergie für friedliche Zwecke zu entwickeln." Die Politik der Europäischen Union und der mit ihr verbündeten Vereinigten Staaten gegenüber dem Iran verstößt gegen den Geist und den Wortlaut des Atomwaffensperrvertrages.

Dem Iran konnte hingegen bisher trotz des intensiven Kontrollregimes der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) kein einziger Verstoß gegen das Gebot nachgewiesen werden, die Atomtechnologie nur zu friedlichen Zwecken zu nutzen. Dennoch gehen die westlichen Medien stillschweigend vom Verdacht als Gewißheit aus, weil man den Mullahs ja nicht trauen kann.

Demgegenüber erklärten die USA einseitig und unter Verstoß gegen Art. VIII des Atomwaffensperrvertrages, der für Vertragsänderungen die Zustimmung der Mehrheit aller Vertragsstaaten verlangt, sie wollten sich nicht mehr an das Verbot zur Entwicklung neuer Atomwaffen und das Gebot zur nuklearen Abrüstung halten. Art. 6 des Vertrages lautet: "Jede Vertragspartei verpflichtet sich, in redlicher Absicht Verhandlungen zu führen, über wirksame Maßnahmen zur Beendigung des nuklearen Wettrüstens in naher Zukunft und zur nuklearen Abrüstung sowie zur allgemeinen und vollständigen Abrüstung unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle."

Daß die aktuelle Erstschlagsdoktrin der US-Regierung und die in der Militärdoktrin enthaltene Drohung, gegen jeden Staat präventiv militärisch vorzugehen, der auch nur in einer Weltregion die militärische Vorherrschaft gefährdet, mit dem Friedensgebot der UN-Charta völlig unvereinbar ist, bedarf da kaum noch einer Erwähnung. Die USA lassen nur noch ihr Recht, d.h. ihr Recht des Stärkeren gelten. Die Medien wollen uns trotzdem glauben machen, daß die imperialistische Seite in diesem Konflikt die zivilisierte ist.

Aber auch mit der Friedensliebe und der völkerrechtlichen Biedermannpose der Bundesrepublik ist es nicht weit her. Die BRD verstößt seit Jahrzehnten gegen den Sperrvertrag: Obwohl Art. 2 des Atomwaffensperrvertrages jeden Staat u.a. dazu verpflichtet, "Kernwaffen und sonstige Kernsprengkörper oder die Verfügungsgewalt darüber von niemandem unmittelbar oder mittelbar anzunehmen, Kernwaffen weder herzustellen noch sonstwie zu erwerben", lagern die US-Streitkräfte in der Eifel in Luftwaffenstützpunkten der Bundeswehr seit Jahrzehnten Atomsprengköpfe, die im Kriegsfall ausschließlich als Kampfausrüstung deutscher Tornadoflugzeuge zur Verfügung stehen. Es bedarf schon einer ganzen Menge intellektueller Spitzfindigkeiten und Winkelzüge, um diese atomare Teilhabe der Bundeswehr für mit dem Atomwaffensperrvertrag vereinbar zu erklären.

Die Beteiligung an der jetzigen Erpressungspolitik gegenüber dem Iran zeigt, daß auch die herrschende Klasse der BRD keine anderen völkerrechtlichen Schranken anerkennt, als die, die die internationalen Kräfteverhältnisse und die eigenen Interessen diktieren. Die "Bösen" sind, in diesem Spiel, nicht die iranischen Mullahs, sondern die in einer Einheitsfront arbeitsteilig operierenden imperialistischen Mächte.

Das Spiel mit dem Feuer

Es ist müßig darüber zu spekulieren, ob die EU-Mächte mit ihrer diplomatischen Initiative tatsächlich versuchen wollten, die Aggressivität des US-Imperialismus zu zügeln. Dafür spricht zwar, daß die EU-Mächte mit dem reaktionären Mullahregime auch auf Kosten der USA die allerbesten Handelsbeziehungen aufgebaut haben.

Aber die EU-Diplomatie hätte dann jedenfalls zu untauglichen Mitteln gegriffen. Die Drohungen der EU-Diplomatie, gemeinsam mit den USA den Weltsicherheitsrat der UNO anzurufen, um dort Sanktionen gegen den Iran zu verhängen, fußt auf dem Vertrauen in die gemeinsame Fähigkeit der NATO-Staaten, die IAEA-Gremien durch weitere Druckmaßnahmen dazu zu bewegen zu können, sich einer klaren Stellungnahme auf der Grundlage des geltenden Völkerrechts zu entziehen. Diese könnte nur zugunsten des Iran ausfallen. Im Weltsicherheitsrat sind klare Vetos Chinas und Rußlands gegen Druckmaßnahmen alles andere als sicher. Der Imperialismus kann im Gegenteil auf weitere "Kompromisse" zugunsten von Druckmaßnahmen rechnen. Dann wäre die völkerrechtliche Lage in der Weltöffentlichkeit so vernebelt, daß die USA mit anderen "Willigen" wiedereinmal an den UN-Gremien vorbei militärisch handeln könnten, um die Welt "sicherer zu machen", so wie im Falle des Irak.

Bush hatte zwar am 22. Februar 2005 in einem Interview in Belgien erklärt, es sei "lächerlich" den USA zu unterstellen, sie seien zum Angriff auf den Iran entschlossen, dann hinzugefügt: "Alle Optionen bleiben auf dem Tisch". Dementsprechend werden von den US-Streitkräften bereits Pläne für die verschiedensten Optionen entwickelt - ähnlich wie vor dem Irakkrieg, so Michael T. Klare in The Nation vom 01.08.05.

Der Iran verfügt aber über ganz andere Mittel als der vor der US-Aggression von der UNO entwaffnete Irak.

Das auch im Innern von Arbeiterprotesten immer wieder geschüttelte Mullah-Regime könnte im Falle von Angriffen auf die Atomanlagen zum Schluß kommen, daß eine umfassendere militärische Aggression der USA ohnehin eine unausweichliche Perspektive ist. Es könnte dann mit umfassenden militärischen Gegenoffensiven gegen Ölanlagen am persischen Golf, US-Stützpunkte und, wenn die israelischen Streitkräfte an Luftangriffen auf den Iran beteiligt werden sollten, auch gegen Israel reagieren. Vor einem solchen Szenario hat z.B. jüngst der Professor an der Kriegsakademie der Vereinigten Staaten, Michael J. Mazarr skizziert. Mazarr hält es übrigens für ausgesprochen fraglich, ob das Mullahregime durch äußeren Druck dazu gebracht werden kann, sich von oben zu "demokratisieren" und plädiert für Geduld. Die aber hat der US-Imperialismus nicht.

Alle imperialistischen Mächte könnten mit einem gezähmten und atomwaffenfrei mit ihnen kollaborierenden Mullahregime sehr gut leben, nicht aber mit einem aus einer revolutionären Massenerhebung hervorgegangenen, neuen antiimperialistischen Regime. Ein zur Selbstreform unfähiges Unterdrückungsregime beschwört aber die Gefahr herauf, daß sich revolutionärer Massenwiderstand entwickelt, der sich imperialistischer Einflußnahme entzieht. Das wäre für die imperialistischen Mächte zweifelsfrei schlimmer als die atomare Bewaffnung des Iran. Aber ein durch die wachsende Nachfrage nach Erdgas und Erdöl und steigende Weltmarktpreise gestärktes Mullahregime, das sich dazu noch auf modernste Militärtechnologie stützen kann und eine eigenständige Politik betreibt, ist für den US-Imperialismus und seine europäischen Verbündeten ebenso nicht tolerabel. Dies macht die Lage so gefährlich.

Dieter Elken, Strausberg, 07.08.05