USA zwischen Erstürmung und Belagerung der Festung Iran

Amerikanische Diplomaten versuchen im Sicherheitsrat der UNO eine Resolution durchzudrücken, die ihnen die Anwendung von Sanktionen oder Gewalt nach Artikel VII der Charta erlaubt. Vorerst sind sie am russischen und chinesischen Widerstand im Sicherheitsrat gescheitert. Auch die Europäer drängen auf eine friedliche Lösung des Atomkonflikts. Nachdem die USA ihre jahrelange prinzipielle Weigerung, mit dem Iran auch nur zu verhandeln, aufgegeben haben, wird sich das diplomatische Ringen um die Preisgabe des Iran verstärken.

Wer bedroht wen?

Die USA werden über die angebliche Bedrohung ihrer Sicherheit lamentieren, solange die übrige Welt noch frei über ein Teppichmesser verfügen kann. Aktuell behaupten sie, dass das iranische Atomprogramm ihre Sicherheit bedroht und proklamieren im Namen der Selbstverteidigung das Recht, die Fortführung des Programms im äußersten Fall auch mit Hilfe von nuklearen bunker buster Bomben zu verhindern. Der republikanische Senator John McCain wiederholt immer wieder sein ceterum censeo: nur eine Sache wäre schlimmer als eine militärische Intervention — wenn der Iran Atomwaffen besitzt.

Faktisch kann von einer Bedrohung der USA keine Rede sein. Wenn Iran wirklich eine Auseinandersetzung mit den USA suchen würde, hätte es dazu reichlich Gelegenheit und asymmetrische Mittel, sowohl in Afghanistan als auch im Irak. Viel eher trifft die Einschätzung zu, dass Teheran seine Einflussmöglichkeiten in den Nachbarländern in der Hinterhand behält, um sich ein Drohpotential gegen die Absichten der amerikanischen Führung zu erhalten, den “langen Krieg” auf Iran auszuweiten. Jedenfalls hat der irakische Schiitenführer Muqtada al Sadr gelobt, dem Iran bei einem Angriff zu Hilfe zu kommen. Andererseits wird Teheran von linker Seite sogar Verrat vorgehalten, weil es den Widerstand gegen die anglo-amerikanische Besatzung des Irak angeblich behindere.

Selbst unter der Hypothese, dass Iran heimlich und erfolgreich eine nukleare Bewaffnung betreibt, bliebe den USA ein haushoch überlegenes Vergeltungspotenzial zur Abschreckung erhalten. Schließlich hatten sie während des Kalten Krieges die gewaltige Atomstreitmacht der SU in Schach gehalten. Inzwischen sind sie noch stärker geworden. Die Aprilausgabe der angesehenen amerikanischen Zeitschrift Foreign Affairs enthält einen Artikel von Lieber und Press mit dem Titel: Auf dem Weg zur nuklearen Übermacht der USA.[1] Zum ersten Mal seit 50 Jahren sei nun die nukleare Überlegenheit der USA in Sicht, heißt es darin. Weil die ehemals sowjetischen Arsenale veraltet und stark ausgedünnt und die chinesischen schwach geblieben seien und dank immenser eigener technologischer Fortschritte seien die USA wahr-scheinlich bald in der Lage, die weit reichenden russischen und chinesischen nuklearen Systeme durch einen Erstschlag zu zerstören und einen Nuklearkrieg zu gewinnen. Eine solche Erstschlagskapazität ist eine wirkliche Bedrohung für die gesamte Menschheit. Hierüber sollte nicht schweigen, wer mit seiner Sorge vor iranischen Kernwaffen in spe nicht als einäugiger Heuchler dastehen will.

Näher an der Realität ist daher die Analyse von Barry Posen, Professor am MIT, vom Anfang 2006 in der New York Times “Wir können mit einem nuklearen Iran leben.”[2] Es sei auch nicht erkennbar, fährt er fort, dass für die Region eine besondere Gefahr erwüchse, wenn Iran über ein paar Kernwaffen verfügt. Das Land ist ringsum von Nuklearmächten Israel, Russland Pakistan und Indien umgeben, die meisten anderen stehen unter dem Schutz der USA und wo amerikanische Truppen stehen, sind Kernwaffen nicht weit. Im Nahen und Mittleren Osten würde wie in anderen Teilen der Welt auch, ein nukleares Abschreckungsregime entstehen und eher mehr denn weniger Sicherheit garantieren. Auch ein Dominoeffekt für die Prolifer-ation wäre nach Posens Meinung nicht zu erwarten. Die einzig möglichen Kandidaten wären Ägypten, die Türkei und Saudi Arabien, und diese Länder könnten allesamt von den USA daran gehindert werden. Posen bestreitet auch, dass eine realistische Gefahr bestünde, dass die iranische Regierung die Bombe an Terroristen weitergeben oder Nachbarstaaten bedrohen würde. Sie würde sich dadurch offen ins Unrecht setzen und müsste zu Recht mit furchtbaren Sanktionen rechnen.

Die US-Regierung behauptet immer wieder, dass von Kernwaffen in der Verfügung des Mullahregimes eine besonders große Gefahr ausginge. Dem hat nun die iranische Friedens-nobelpreisträgerin Shirin Ebadi mit plausiblen Argumenten widersprochen. Ein Blick auf Pakistan mache deutlich, wie wenig von den Vorwürfen der US-Regierung zu halten sei. "Pakistan ist auch im Besitz von Atombomben. Die Moslems sind dort wesentlich fundamentalistischer als im Iran. Die Wiege der Taliban und der al-Qaida war in Pakistan. Und Musharraf ist nicht durch freie Wahlen an die Macht gekommen. Der einzige Unterschied zwischen Pakistan und dem Iran liegt darin, dass Pakistan pro-amerikanisch ist und der Iran nicht."[3] Und das wollen die Amerikaner ändern.

Bedrohung des Iran durch amerikanische Hegemonialstrategie

Während sich nicht einmal rein hypothetisch eine Bedrohung Amerikas durch Iran erkennen lässt, ist umgekehrt die Sicherheit Irans äußerst gefährdet, und zwar bei vollständigem oder bedingtem oder ohne den Verzicht auf das Recht zur Anreicherung von Uran. Nach dem Terroranschlag vom September 2001 haben die USA das Land militärisch eingekreist. Iran ist das einzige Land außer Kanada, jenseits dessen Grenzen überall Amerikaner stehen. Der militärischen Bedrohung durch das amerikanische Angriffspotential hat der Iran nichts Abschreckendes entgegenzusetzen. Im Fall des Iran ist die Diskriminierung kleiner Länder durch den Atomsperrvertrag zu einem extremen sicherheitspolitischen Risiko entartet. Jede verantwortungsvolle und auf Frieden bedachte Politik müsste ein iranisches Sicherheits-bedürfnis anerkennen. Skrupulöse Zeitzeugen argumentieren denn auch, dass die Verfügung über eine kleine Menge von Kernwaffen den Iran zwar nicht unangreifbar, aber doch erheb-lich sicherer machen würde. Während die Mullahs dadurch selbst keine Option zum Erst-einsatz erhielten, würde das Risiko für einen potentiellen Angreifer erheblich wachsen.

Die Bedrohung des Iran ist nicht eine Folge seines Atomprogramms, sondern umgekehrt wird das Programm zum Anlass genommen, um die äußere Bedrohung zu verschärfen. Die USA betrachten den Iran seit langem als ihr Einflussgebiet. 1979 wurden ihre Statthalter durch die national-islamische Revolution aus dem Lande vertrieben. Seither hat Washington jeden direkten Kontakt mit Teheran verweigert und alle möglichen Sanktionen gegen das Land verhängt. Nach dem Zusammenbruch der SU bot sich den USA die historische Chance, ihren Einfluss erstmals tief ins Innere des eurasischen Kontinents auszuweiten und en passant die Schmach der Geiselnahme von Teheran zu tilgen. Bis dahin hatten sich US-Truppen nur in den Randzonen und auf vorgelagerten Inseln festsetzen können. Die Enterung Südostasiens war trotz neun Jahre langem wütenden Bombardements Indochinas kläglich gescheitert. Seit Anfang der 90er Jahre herrscht in der amerikanischen Elite Einigkeit, dass sie in das zentral-asiatische Machtvakuum vorstoßen will. Der größere Entwurf hat sogar die ganze Region um das Schwarze und das Kaspische Meer im Visier. Auch der Teil Russlands südlich der Linie Don-Wolga gehört dazu.

Iran blockiert US-Expansion in Eurasien

Es ist den USA bereits gelungen, militärische Stützpunkte in Osteuropa, auf dem Balkan, im Kaukasus und in einigen zentralasiatischen Ländern der ehemaligen SU zu errichten. Die NATO ist nach Osten ausgeweitet worden. Demnächst steht die Integration der Ukraine und Georgiens auf der Tagesordnung. Die Regime in Jugoslawien, Afghanistan und Irak sind liquidiert worden. Nun aber blockiert die iranische Regierung das weitere Vordringen und liefert der amerikanischen Regierung einen handfesten Grund, weshalb sie im März 2006 den Iran in ihrer “Nationalen Sicherheitsstrategie in Kriegszeiten” zur größten Herausforderung erklärt hat, die von einem Staat ausgeht.

Iran ist das größte und bedeutendste Land des Mittleren Ostens. Seine riesigen natürlichen Energieressourcen wecken Begehrlichkeiten. Iran ist ein eminent wichtiger Energielieferant für die wirtschaftliche Entwicklung Chinas und Indiens und Handelspartner Russlands. Über das iranische Territorium würde der Zugang nach Zentralasien erheblich erweitert. Iran ist ferner die religiöse Autorität für die Schiiten und heute Zentrum des muslimischen Willens zur politischen Selbstbehauptung und zur wissenschaftlichen und technologischen Moderni-sierung. Viele Araber und Muslime hegen die Hoffnung, dass die Entwicklung Irans dazu beiträgt, die Rückständigkeit der islamischen Länder gegenüber dem Westen zu überwinden, in der viele die Ursache für die westliche Verachtung, Bevormundung und Drangsalierung sehen. Das alles sind gewichtige Gründe, weshalb das Land derzeitig zum Schwerpunkt des amerikanischen Hegemonialstrebens in Asien überhaupt geworden ist.

Dem Iran kommt ferner eine Schlüsselrolle bei der Konsolidierung der neuen amerikanischen Einflusszonen in Asien zu. Durch seine bloße Lage beherrscht das Land den Golf und bildet die territoriale Basis für den Zugang nach Zentralasien und in die Kaukasusregion. Als strate-gische Landbrücke verbindet es quer dazu die vorgeschobenen Brückenköpfe Afghanistan und Pakistan mit dem Nahen Osten. Der Iran blockiert aktuell nicht nur das weitere Vordringen der USA - mit der Kontrolle über ihn steht und fällt ihr Traum von der Vorherr-schaft über Zentralasien. Ohne sie können die Amerikaner nicht einmal ihre bisher erkämpf-ten Positionsgewinne in diesem Raum auf längere Sicht halten. Schon müssen sie herbe Rück-schläge hinnehmen. Die Meister im Bombenwerfen haben sich als unfähig erwiesen, ein kleines Land wie Irak zu pazifizieren. In Afghanistan ist es den Taliban offenbar gelungen, sich zu reorganisieren und ihre bewaffneten Widerstandsaktionen gegen die Besatzer zu steigern. Noch mehr Sorge bereitet den Amerikanern freilich das Erstarken der Shanghai Cooperation Organisation. Die SCO ist eine Organisation für regionale Sicherheit und wirt-schaftliche Zusammenarbeit, die 2001 gegründet wurde. Sie macht sich auch die Bekämp-fung des Terrorismus zum Ziel und nimmt daher den Amerikanern den Vorwand, unter dem sie sich überall einzunisten versuchen. Es zeichnet sich immer deutlicher ab, dass die Regio-nalmächte dabei zugleich die amerikanische Einflussnahme zu begrenzen suchen. Schon auf ihrem vorjährigen Gipfeltreffen in Kasachstan hat die SCO die USA aufgefordert, Termine für ihren Truppenabzug aus Usbekistan und Kirgisistan festzulegen. Die Amerikaner haben die Aufforderung bisher ignoriert. Sie gehen sehr ungern freiwillig. Der Staatssekretär im Pentagon Rodman hat sich bitter beklagt, dass Russland und China die USA aus Asien hinaustreiben wollten.

Bisher gehören der SCO China, Russland und die zentralasiatischen Staaten Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan und Usbekistan an. Iran, Pakistan, Indien und die Mongolei haben vor einem Jahr einen Beobachterstatus erhalten. Den USA wurde er verweigert. Iran und Pakistan haben einen Antrag auf Vollmitgliedschaft gestellt, über den noch nicht entschieden ist. Verteidigungsminister Rumsfeld hat die SCO-Mitglieder davor gewarnt, den Iran aufzunehmen: es sei doch seltsam, dass eine Organisation, die vorgibt, gegen Terrorismus zu sein, einen der führenden Staaten des Terrorismus aufnimmt. Aber der chinesische Minister-präsident Hu Jintao beschrieb die SCO als eine wichtige Kraft, um Frieden und Stabilität in der Region und der ganzen Welt zu fördern. Das ist ein Hinweis darauf, dass die asiatischen Länder den Amerikanern den Iran nicht ohne politischen Kampf überlassen wollen.

Es gibt insgesamt gute Gründe, die aktuelle Verschärfung des sog. Iranproblems nicht auf das Atomprogramm zurückzuführen, sondern auf den ungezügelten imperialen Drang der Ameri-kaner in den Mittleren Osten und nach Zentralasien. Nicht die amerikanische Sicherheit ist bedroht, wie sie glauben machen wollen, sondern die Sicherheit des Iran und der Frieden im Mittleren Osten sind gefährdet, weil die USA ihre hegemonialen Träume in Zentralasien nicht aufgeben wollen.

Militärische Option zielt auf größtmögliches Chaos

De facto bereitet die US-Regierung seit langem den Einsatz militärischer Mittel gegen Iran vor. Eine Maxime des neokonservativen Regiments ist es gerade, Widersprüche nicht vor sich her zu schieben. Die Bushregierung war mit dem Vorsatz angetreten, die Politik des Contain-ments zu beenden und die Lösung von Problemen, wo immer möglich, in Angriff zu nehmen. Seitdem hat die US-amerikanische Bereitschaft, mit Täuschung und Gewalt gegen schwache Staaten vorzugehen, noch zugenommen. Da die amerikanischen Kampftruppen durch den anhaltenden Widerstand in Afghanistan und im Irak auf längere Sicht gebunden bleiben, ist es ihnen derzeit nicht möglich, ohne umfangreiche Truppenaushebungen in den Iran einzumar-schieren und den Selbstbehauptungswillen des Iran durch eine Besetzung zu brechen. Alter-nativ wurden im Zusammenhang mit dem iranischen Atomprogramm in der Öffentlichkeit seit geraumer Zeit Bombenwürfe gegen die iranischen Atomanlagen diskutiert. Chirurgische Luftschläge sind aber im Hinblick auf den Regimewechsel ganz und gar kontraproduktiv. Je begrenzter und präziser sie sein würden, desto mehr müssten sie das Regime stärken. Die bis heute bestrittenen Absichten zur Nuklearrüstung wären dann voll gerechtfertigt und müssten fast zwangsläufig umgesetzt werden.

Nachdem der Jounalist Hersh im Frühjahr 2006 enthüllt hatte, dass gegen den Iran sogar der Einsatz von Kernwaffen vorbereitet wird und Bush diese Option auf Nachfrage eines Journa-listen ausdrücklich eingeräumt hatte, ist klar geworden, dass die Angriffsszenarien des Penta-gon nicht oder nicht bloß auf die Verhinderung des Atomprogramms zielen, sondern dass ein groß angelegtes Zerstörungswerk geplant ist. Der Verdacht drängt sich auf, dass die Diskussion über begrenzte militärische Aktionen nur die Tarnung abgegeben hatte, hinter der in Wirklichkeit eine Intervention mit dem Ziel vorbereitet wurde, das iranische Regime maxi-mal zu schwächen oder vollständig zu zerschlagen. Robert Kagan, ein vehementer Befür-worter des Krieges gegen den Irak, beschrieb diesen Zusammenhang so: “Wenn wir nicht bereit sind, letztlich bis zum Sturz des Regimes zu eskalieren, können wir am Ende schlechter dastehen als vorher.” Da also ein begrenzter Schlag nicht effektiv ist, ergibt eine militärische Option nur dann einen Sinn, wenn durch sie die gesamte Infrastruktur der Mullah-Macht zerstört wird. Es droht somit eine Steigerung des chaotischen Unternehmens Irak, weil mangels Truppen überhaupt keine Aussicht besteht, nach einem Bombenkrieg ein neues Regime zu installieren. Die russische Nachrichtenagentur Mosnews schrieb, dass Moskau sich Sorgen mache, dass ein solcher Großbrand in den Kaukasus, nach Zentralasien und sogar nach Tschetschenien übergreifen und russische Interessen bedrohen könne. Unter diesen Bedingungen versteift sich der internationale Widerstand gegen die amerikanischen Angriffs-pläne. China und Russland machen klar, dass sie den Iran nicht kampflos preisgeben wollen, und auch die Europäer sind nicht bereit, eine militärische Lösung der destruktivsten Art offen mit zu tragen. Der britische Außenminister Straw hielt den Einsatz von Kernwaffen für “unvorstellbar”. Er hätte es wohl nicht so laut sagen dürfen, denn er wurde sogleich gefeuert. Einige britische Zeitungen wollten wissen, dass Bush aus Verärgerung bei Blair interveniert hatte. Auch der deutsche Steinmeier drängte die Amerikaner vorsichtig zu Verhandlungen. Als die US-Regierung in der Zwickmühle festsaß, kam es zu offenen Meinungsunterschieden in der US-Elite.

US-interner Widerstand gegen Kriegskurs

“Was die USA brauchen, hieß es in einen Kommentar von Amir Taheri im Wall Street Journal, ist eine offene ehrliche und erschöpfende Debatte darüber, was man mit einem Regime machen soll, das die Absicht verfolgt, die USA aus dem Mittleren Osten zu vertrei-ben, Israel von der Landkarte zu tilgen, eine islamische Supermacht zu bilden und die Welt für den einzig wahren Glauben zu erobern. Die Optionen sind klar: Rückzug und zulassen, dass die Islamische Republik ihre Ziele vorantreibt; sich widersetzen und die Gefahr einer Konfrontation in Kauf nehmen oder die Islamische Republik in eine Mini-Version des Kalten Krieges einbinden, bis sie sich in Erschöpfung selbst zerstört.”[4]

Da die Teheran unterstellten Ziele allenfalls in weiter, weiter Ferne liegen, handelt es sich bei ihnen eher um die üblichen Projektionen, mit denen die USA ihre imperiale Expansion zu rechtfertigen suchen. Aber Taheris Alternativen bringen die Lage auf den Punkt. An Rückzug ist selbstredend nicht zu denken. Unter den realen Machtverhältnissen laufen seine beiden anderen Alternativen faktisch auf den gewaltsamen Regimesturz oder auf eine Belagerung hinaus. Darüber wird in der Tat gestritten. Taheri selbst warnt davor, auf den Iran einzuehen. Aber einige einflussreiche Politiker haben verstanden, dass globale Herrschaft nicht allein aus Bomben und Raketen kommt. Der ehemalige Sicherheitsberater Brzezinski, die Ex-Außen-minister Kissinger und Albright, die Senatoren C. Hagel und G. Lugar und der Publizist Kagan u.a. haben sich öffentlich gegen einen neuen Militäreinsatz und für Verhandlungen mit Iran ausgesprochen.

Entschiedene Ablehnung kam von Brzezinski: “Greift den Iran nicht an”. Er befürchtet, dass ein militärisches Eingreifen im Iran die Ära der amerikanischen Vorherrschaft vorzeitig beenden würde. Die Erfahrungen aus Vietnam und dem Irak hätten gezeigt, dass die USA trotz aller ihrer Überlegenheit nicht in der Lage seien, anderen ihren Willen aufzuzwingen und gegen einen langen und kostspieligen Widerstand aufrechtzuerhalten. Säbelrasseln und Ignoranz gegenüber dem Sicherheitsbedürfnis der anderen Seite taugten als Taktik nur, wenn man den Verhandlungsprozess zum Scheitern bringen wolle. Er empfiehlt Verhandlungen mit dem Iran nach dem Muster der 6-Parteien Gespräche mit Nordkorea und direkte ameri-kanisch-iranische Gespräche über Sicherheit. Langfristig plädiert er für die Schaffung eines nuklearwaffenfreien Mittleren Ostens. Brzezinski fordert sogar, dass dem Iran Respekt entgegengebracht werden müsse und enthält sich selbst jeder feindseligen Stellungnahme gegen die Mullahs. Er merkt lediglich an, dass es im amerikanischen Interesse sei, auf eine Trennung von Nationalismus und religiösem Fundamentalismus hinzuwirken.[5]

Brzezinski hat sich als Vorkämpfer für die globale Vorherrschaft Amerikas einen Namen gemacht. In dem Buch “Die einzige Weltmacht” hat er ausführlich begründet, dass sie die Kontrolle über Zentralasien voraussetzt. Dort hat er der Mullah-Regierung bescheinigt, dass sie eine stabilisierende Rolle in der Region spiele. Später hat er die Ansicht vertreten, dass Atomwaffen in iranischer Hand notfalls vereinbar mit dem amerikanischen Hegemoniestreben in Zentralasien seien. Diese Positionen werden heute von den maßgeblichen politischen Kräften abgetan. Ein Arrangement zwischen Washington und Teheran erscheint ihnen unmöglich.

Das Programm der Neokons geht unbeirrt in Richtung Regimewechsel und das Atom-programm spielt darin nur eine taktische Rolle. Gleichwohl reicht die Skepsis gegenüber offener Gewaltanwendung sogar bis in ihr Lager hinein. Hier ist die Rede des ehemaligen Sicherheitsberaters Leeden vom American Enterprise Institute bei einer Anhörung vor dem US-Kongress vom März 2006 aufschlussreich. Die Fixierung auf die Nuklearfrage verdecke das politische Problem, dass die islamische Republik seit langem gegen uns Krieg führt und jede Woche Amerikaner tötet, sagte Leeden. “Sie wollen uns beherrschen oder tot sehen. Keine Kombination von diplomatischen Schritten, ökonomischen Sanktionen und ernsthaften Verhandlungen könne diese fatale Lage ändern. Der iranische Krieg geht seit 27 Jahren und wir müssen noch zurückschlagen.” Mit dieser These erwies er Goebbels seine Referenz. Im Weiteren beschwor der gelernte Demagoge die Geister der Kuba-Krise. Es bestehe die Gefahr, dass Teheran mit einigen lateinamerikanischen Ländern eine strategische Allianz eingehen und dass die Iraner von dort aus Kernwaffen gegen die USA in Stellung bringen könnten. “Die Mullahs brennen darauf, Atombomben auf Israel zu werfen und Millionen Amerikaner zu töten.” Trotz aller Feindseligkeit hat Leeden sich dann aber gegen chirurgische Luftschläge ausgesprochen. Er hofft auf einen Regimewechsel von innen heraus und mit offener Unterstützung durch die USA. Der Iran sei reif für eine Revolution. Man müsse dem iranischen Volk helfen, seine Unterdrücker zu stürzen. Durch eine demokratische Revolution würde auch das Nuklearproblem entschärft.

Ähnliche Argumente hatte Robert Kagan schon vorher vorgebracht. Er hielt der US-Administration vor, dass sie einerseits ihr Demokratisierungsprogramm verkünde, es aber gerade dort nicht anwende, wo die strategischen und die ideellen Interessen Amerikas zusammenträfen. Die nicht militärische Antwort sei der politische Wandel im Iran. Man müsse das Risiko eingehen, dass der Iran die Bombe baut, bevor die Stimulierung des politischen Veränderungsprozesses Wirkung zeige. Wenn aber die nächste Administration zu dem Ergebnis gelange, dass ein nuklearer Iran wirklich zu gefährlich sei, dann müsste sie eine Invasion starten und das Regime stürzen. Luftschläge reichten dann nicht aus.[6]

Kissinger: “Kerntest für Diplomatie”

Auch Kissinger hat sich in einem Beitrag für die Washington Post gegen Krieg zu Wort gemeldet. Der Atomsperrvertrag könne derzeit nicht für einen Regimesturz instrumentalisiert werden. Er begründet das ganz pragmatisch damit, dass derzeit kein relevanter Partner willig sei, offen für ein solches Vorgehen einzutreten. Kissinger macht im übrigen klar, dass auch er einen Regimewechsel in Iran vorzöge. Aber Gewalt sollte nur als letztes Mittel eingesetzt werden. Man könne den Atomsperrvertrag sehr wohl für eine Containmentpolitik nach dem Muster des Kalten Krieges benutzen. Seine Empfehlung läuft darauf hinaus, dass man den Iran belagern, aber den Sturm auf die Festung vertagen solle.

Aus dieser Position zieht er folgende Konsequenzen: Erstens müsse die US-Regierung sich an den Verhandlungen mit Iran beteiligen. In einer Sache, die die Sicherheit der USA direkt betreffe, sollte sie sich nicht durch Bündnispartner vertreten lassen. Es sei auch disfunktional, dass China und Russland nicht beteiligt, aber im Sicherheitsrat davon betroffen seien. So werde es dem Iran erlaubt, die Nuklearmächte gegeneinander auszuspielen. Zweitens seien solche Verhandlungen über nukleare Entwaffnung unvereinbar mit einer Politik des Regime-wechsels. Der iranische Verzicht auf die Fähigkeit zu nuklearer Bewaffnung müsse unver-meidlich ausgeglichen werden durch Sicherheitsgarantien und ökonomische Vorteile. Drittens aber könne die Entnuklearisierung als eine Form des Containments betrieben werden. Weil sie 1938 nicht erfolgreich gewesen sei, habe sich die Katastrophe des Weltkrieges ergeben. Andererseits habe ihr Gelingen nach 1945 zum Sieg im Kalten Krieg geführt.

Senator Lugar zitiert in seiner Stellungnahme einen Absatz aus Kissingers Memorandum. “Die Diplomatie, die zur Entnuklearisierung führt, ist vergleichbar mit der Containment-politik, die zum Sieg im Kalten Krieg verhalf - Ohne die äußere Sicherheit des Gegners präventiv herauszufordern, aber durch festen Widerstand gegen Versuche, seine Macht auszu-weiten und im Vertrauen auf die inneren Kräfte, dass sie den Wandel herbeiführen.”

Ähnlich wie Kissinger argumentieren die Exaußenminister Albright und der deutsche Josef Fischer in einem offenen Brief an Bush, in dem sie vor einem Angriff auf Iran warnen. Er würde trotz der "bedrohlichen und unerträglichen Rhetorik" des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad nur "geringe Unterstützung" finden und das transatlantische Verhältnis weiter untergraben, das sich nach dem Irak-Krieg nur langsam wieder verbessere. Sie empfehlen Bush stattdessen einen "anderen Kurs" einzuschlagen und das "legitime Recht" Irans zur Nutzung atomarer Energie akzeptieren - allerdings unter internationaler Kontrolle. Und sie legen dem Weißen Haus direkte Gespräche mit den Führern in Teheran ans Herz.

Diplomatisches Ringen um Opferung des Iran

Washingtons hat nunmehr unter Vorbehalten seine Bereitschaft erklärt, mit dem Iran direkt zu verhandeln. Dieser taktische Wechsel hat an der Lage naturgemäß wenig geändert. Der Kon-flikt wird also auch nicht entschärft, selbst wenn in der Nuklearsache ein Kompromiss gefunden wird. Ein solcher könnte jederzeit wieder in Frage gestellt werden. So spielend, wie es ist den Amerikanern gelungen ist, über drei Jahre völlig unsubstantiierte Verdächtigungen aufrechtzuerhalten, werden sie auch in Zukunft Politiker und Medien auf mangelnde Kooper-ationsbereitschaft oder Ähnliches einzuschwören wissen. Der Konflikt mit Iran bleibt, weil sein Grund gar nicht hauptsächlich in der Gefahr der Weiterverbreitung liegt. Er liegt in den amerikanischen Ambitionen einerseits und der schwachen Verteidigungsfähigkeit des Iran. Die Amerikaner setzen weiter auf Sieg und Außenminister Rice hat Sicherheitsgarantien kategorisch abgelehnt. Iran sei schließlich der Zentralbanker des Terrorismus.

Aber der taktische Schwenk besagt, dass der diplomatische Kampf intensiviert wird, dass das Ringen um die Freigabe der iranischen Regierung zum Abschuss in seine entscheidende Phase geht. Die Regierung Bush hat zwar immer verkündet, dass sie alles Notwendige für ihre Sicherheit tun werde und notfalls auch im Alleingang. Nun steht sie offenbar ganz allein da, traut sich aber nicht. Da ihr Ansehen und ihre Vertrauenswürdigkeit auf den Tiefpunkt gesunken sind, sucht sie nun doch nach Komplizen. Israel ist sicher dazu bereit, aber vor einer Kriegsallianz mit diesem Staat scheint es selbst die Rambos in Washington zu grausen. Man kann daher annehmen, dass eine Entscheidung zum Waffeneinsatz noch nicht gefallen ist und dass die US-Regierung nun alle Anstrengungen unternehmen wird, um die internationale Gemeinschaft durch Zuckerbrot und Peitsche dahin zu bringen, ihr entgegenzukommen und den Iran zu opfern. Die USA werden vor allem Druck auf die EU-Partner, auf Russland und China machen. Der US-Sicherheitsberater Hadley hat das bereits angekündigt: "Wir werden die Frage nach irgendwelchen Gesprächen auf der Grundlage unserer übergeordneten Strategie betrachten. Und die lautet: die internationale Gemeinschaft in Bezug auf den Iran geschlossen zu halten und ihn so zu einer Abkehr von seiner Politik zu bewegen. Und zwar in Bezug auf das Atomprogramm, die Unterstützung von Terror und die Behandlung der eigenen Bevölkerung."

Kissinger hat durchaus Recht, wenn er an die Lage vor dem Zweiten Weltkrieg erinnert. Damals opferten die späteren Alliierten Hitlerdeutschland die Tschechoslowakei, um seinen Appetit zu stillen. Aber das deutsche Streben nach Weltherrschaft ließ sich nicht mit Almosen beschwichtigen. In dieser Hinsicht ist die Analogie zu heute mit Sicherheit zutreffend. Die USA haben “schon viele Länder aufgefressen und sich noch niemals satt gegessen.” Und sie geben soviel für die Rüstung aus, wie die gesamte restliche Welt zusammengenommen. Wenn das Bild von der kollektiven Abwehr der Aggression aktuell einen Sinn ergeben könnte, dann offenbar nur in der Weise, dass der gewaltsamen Expansion der USA eine Absage erteilt wird. Der Historiker Kissinger aber versucht, in grotesker Verzerrung der Sachverhalte ein schwaches Entwicklungsland in die Rolle der deutschen Weltkriegsbrandstifter zu hinein-zumogeln und mit diesem Trick künftige Opfer und Täter zu vertauschen.


[1]http://www.foreignaffairs.org/20060301faessay85204/%20keir-a-lieber-daryl-g-press/the-rise-of-u-s-nuclear-primacy.html
[2]http://select.nytimes.com/gst/abstract.html?res=F70B1EFF3D550C748EDDAB0894DE404482
[3]Der Standard vom 8.6.2006, http://derstandard.at/?url=/?id=2473584
[4]Wall Street Journal vom 9.5.2006
[5]Herald Tribune vom 26.4.06
[6]Washington Post, 29.01.06