Deutsche Zustände 2007:

Sozialisten sind gefährlich;

wer Sozialist ist, ist auch Terrorist.

Keine Gnade für Sozialisten. Klar?

Ältere unserer Leserinnen und Leser werden sich erinnern: Die RAF verstand sich als bewaffnete Fraktion der Linken. Sie begriff sich zugleich als ein in den Metropolen des Imperialismus autonom operierender Teil einer weltweiten Kampffront gegen den Imperialismus. Die RAF ist mit ihrer Politik und Strategie bereits im Ansatz gescheitert. Die marxistische Linke hat weder das illusionäre Selbstverständnis der RAF geteilt noch ihre Strategie gutgeheißen, die auf nichtmarxistischen Konzepten und fehlerhaften Analysen der Weltlage fußte.

Die staatliche Verfolgung der RAF und ihrer Mitglieder blendete deren politische Begründung für ihre Aktionen aus. Grund dafür war, daß das deutsche Strafrecht aus Sicht der herrschenden Klasse eine Lücke aufwies. Die Verwirklichung des Tatbestands der Bildung oder der Unterstützung einer kriminellen Vereinigung setzte voraus, daß der Zweck der Vereinigung die Begehung von Straftaten war. Hätte die Justiz die Verwirklichung dieses Straftatbestands verneint, hätte gefaßten RAF-Mitgliedern immer eine individuelle Tatbeteiligung nachgewiesen werden müssen. Die Strafverfolgungsbehörden befanden sich aber regelmäßig in Beweisnot. Die politische Klasse wie die Strafjustiz beharrten deshalb strikt darauf, daß die RAF eine kriminelle Bande gewesen sei, auf deren politische Zielsetzung es nicht ankomme. Wer die RAF Ende der siebziger Jahre dennoch als politische Organisation ansah, lief Gefahr, als "Sympathisant" selbst zum Objekt medialer Kampagnen und staatlicher Verfolgung zu werden. Selbst ein Herr Schily wurde wegen des Versuchs, die politische Zielsetzung der RAF vor Gericht nachzuweisen, verdächtigt, ein "Sympathisant" zu sein und verdankte dieser unverdienten Gloriole seinen politischen Aufstieg. Auch, nachdem seinerzeit durch die Einführung des Straftatbestandes der Bildung einer terroristischen Vereinigung (§129a StGB) das Unbehagen selbst liberaler Zeitgenossen am Anteil der Justiz am deutschen Herbst ausgeräumt wurde, kam es auf die politische Motivation der RAF-Angeklagten nicht an. Das Dogma, daß es sich bei RAF-Mitgliedern um gewöhnliche Kriminelle handelte, blieb erhalten. Angeklagte der RAF wurden von der Justiz offiziell nur als Terroristen, Mörder, Bankräuber etc. abgeurteilt - nicht wegen ihrer politischen Überzeugungen.

Bei der Frage, ob Christian Klar nach 24 Jahren Haft begnadigt werden kann, dürfte es demnach nur darauf ankommen, ob von Christian Klar die Gefahr ausgeht, daß er künftig weitere Straftaten begeht. Das ist nach einem von der Justiz veranlaßten Gutachten nicht der Fall. Auch der Stuttgarter Generalstaatsanwalt Pflieger teilt laut Frankfurter Rundschau diese Auffassung. Nach Recht und Gesetz hat jetzt Bundespräsident Köhler über das Gnadengesuch Christian Klars zu entscheiden.

Doch wenn es nach Report Mainz, seinem Terrorismusexperten Wolfgang Kraushaar und dem von der rechten Journaille mobilisierten Rand der politischen Klasse mit reaktionärer Gesinnung geht, hat es sich nun mit der Rechtsstaatlichkeit. Das Bekenntnis Christian Klars zum Sozialismus soll Gnade für ihn ausschließen.

Der bayrische Ministerpräsident Edmund Stoiber sieht in der sozialistischen Überzeugung Klars eine Haltung, die die Beibehaltung der "Grundhaltung eines Terroristen" beweise. Klar rufe mit seinen Äußerungen zum Kampf gegen die Grundwerte unserer Gesellschaft auf. Sein Gnadengesuch sei eine Unverschämtheit. Es stelle sich die Frage, ob Klar nicht "auf Dauer hinter Schloß und Riegel gehört". CSU-Generalsekretär Markus Söder erklärte, "daß so ein Mann nie auf freien Fuß kommen darf". Für den Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Peter Ramsauer und den bayrischen Innenminister Günter Beckstein ist es undenkbar, daß Christian Klar begnadigt wird. Für Beckstein ist Klar wegen seiner Infragestellung des Kapitalismus ein unverbesserlicher terroristischer Verbrecher. Der furchtbare Sozialdemokrat Wolfgang Thierse bläst ins selbe Horn und meint, ein Terrorist, der sich von terroristischen Mitteln lossagt aber dennoch Sozialist bleibt, sei nicht zur selbstkritischen Einsicht bereit und fähig und verdiene keine Gnade. Der Spaßliberale Guido Westerwelle sekundiert der Sozialistenhatz. Er befindet, daß ein Sozialist unmöglich ein geläuterter Terrorist sein kann. CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla kann nur mit dem Kopf darüber schütteln, daß ein uneinsichtiger Sozialist von einem bürgerlichen Staat überhaupt einen Gnadenerweis erwarten kann. Der baden-württembergische Justizminister Goll möchte ein neues kriminologisches (Gefälligkeits-) Gutachten erstellen lassen, um Christian Klar doch als gefährlich einstufen zu können - und schon wird laut Süddeutscher Zeitung darüber diskutiert, ob mögliche Hafterleichterungen nicht gestrichen werden können.

Stoiber, Thierse, Beckstein, Westerwelle und Compagnie zeigen, daß sie zum bürgerlichen Rechtsstaat ein rein taktisches Verhältnis haben. Hinter ihren demokratischen Parteifarben lauert die braune Bereitschaft, ohne Rücksicht auf demokratisch-rechtsstaatliche Verfaßtheiten loszuschlagen.

Wo von Sozialismus gesprochen wird, wittern sie den Klassenfeind und Gefahr. Sie wissen, daß ihre Politik den prokapitalistischen Konsens in dieser Gesellschaft untergräbt. Um ihre immer prekärere Herrschaft zu sichern, wollen sie den Sozialismus weiter delegitimieren. Dazu gehört die Propagierung eines abstrus-verqueren Weltbildes, indem jeder Sozialist als Terrorist abgestempelt wird. Christian Klars Grußadresse an die Rosa-Luxemburg-Konferenz, die von der rechten Fernsehjournaille mit Verspätung ausgegraben wurde, kam ihnen als Vorwand gerade recht. Daß darin von Gewalt, Straftaten und terroristischen Methoden nicht entfernt die Rede war, ficht sie nicht an.

Es ist Zeit diesen Herrschaften entschieden entgegenzutreten!

Freiheit für Christian Klar und alle politischen Gefangenen!

Dieter Wilhelmi, Berlin, 28.02.07