Terror und innere Sicherheit
- das Sicherheitsrisiko Schily -


Die imperialistische Unterdrückung der Dritten Welt, insbesondere im Nahen und Mittleren Osten und der Haß, den sie gebiert, ist die eine Ursache des islamischen Terrors, die andere ist die relative Ohnmacht und die strategische Perspektivlosigkeit der Islamisten. Eine antiimperialistische Haltung ohne Antikapitalismus bleibt demagogisch, führt in Sackgassen und letztlich doch zurück in die imperialistische Weltordnung, wie das Beispiel des Iran zeigt.

Der individuelle Terror war in der Geschichte immer Ausdruck der Ohnmacht der Terroristen. Daran ändert die Steigerung des Einsatzes der Mittel und der Zahl der Opfer nichts. Der undifferenzierte Terror gegen die Herrschenden und Beherrschten, gegen Ausbeuter und Ausgebeutete der imperialistischen Zentren ist Ausdruck der Unfähigkeit der islamistischen Terroristen, die wirklichen Strukturen der imperialistischen Gesellschaft hinter ihren symbolkräftigen Fassaden zu erkennen. Der Terrorismus ermöglicht es den herrschenden Klassen in den imperialistischen Zentren, die Illusion der Interessengemeinschaft von Herrschenden und Beherrschten zu festigen. Der individuelle Terror ist insofern unabhängig von den subjektiven Absichten seiner Akteure Mittel der Stabilisierung der herrschenden Ordnung, nicht seiner Schwächung. Er läßt Behauptungen wie die Schröders plausibel erscheinen, daß der Kampf gegen den Terrorismus dazu geführt wird, "unsere" Lebensweise zu verteidigen.

Angemerkt sei hier allerdings, daß ein beträchtliches Ausmaß an Kritiklosigkeit dazugehört, zu glauben, daß solche Mitglieder der Anti-Terror-Koalition wie das saudiarabische Regime, die pakistanische Militärdiktatur, der usbekische Despot Karimov oder gar die islamistische Nordallianz "unsere” Zivilisation verteidigen. Aber Dank ihrer Beherrschung der Massenmedien gelingt es den Herrschenden immer wieder, Schwachsinn zur herrschenden öffentlichen Meinung zu machen.

Die herrschenden Klassen nahmen bisher noch jeden spektakulären Terroranschlag zum Anlaß, die ungenügende "Innere Sicherheit" zu beklagen und die Verschärfung der sog. Sicherheitsgesetze durchzusetzen. Regelmäßig werden dabei die neuesten technischen Überwachungsmöglichkeiten legalisiert, die bis dahin extralegal angewandt wurden. Zugleich wird ausgelotet, welche Einschränkung demokratischer Freiheiten der Arbeiterklasse zugemutet werden kann, ohne daß es zu Massenwiderstand kommt. Die Reaktion nimmt jede Gelegenheit wahr, mögliche und denkbare Notstandsmaßnahmen zu legalisieren.

Spätestens seit 1914 lassen sich Sozialdemokraten nicht lumpen, wenn es darum geht, den Bourgeoisien zu demonstrieren, wie zuverlässig sie bei der Durchsetzung der strategischen Ziele des Kapitals sind. Jetzt wetteifern der britische Innenminister Blunkett und sein deutscher Kollege Schily, beide Sozialdemokraten, um den Titel des reaktionärsten Innenministers Europas.

Blunkett will die Europäische Menschenrechtskonvention aussetzen und auf Verdacht inhaftieren können, das Recht auf Asyl aussetzen und das Fernmeldegeheimnis mit Hilfe von Kommunikationsfirmen aufheben.

Schily fängt bei Fingerabdrücken und biometrischen Daten in Ausweisen an, wobei die so erreichte Erfassung deutscher Staatsbürger der Öffentlichkeit Dank willfähriger Medien ausgerechnet als Mittel des Kampfes gegen den ausländischen Terrorismus verkauft wird. Er will Ausländer vom Verfassungsschutz lückenlos überwachen lassen (Regelanfrage bei Zuwanderern), träumt vom Einsatz der Bundeswehr zur Terrorismusbekämpfung (Objektschutz), praktiziert Rasterfahndungen und möchte jetzt das BKA auch ohne Anfangsverdacht ermitteln lassen. Datenschutz, Fernmelde- und Postgeheimnis stehen dem Kampf gegen den Terrorismus im Wege und müssen fallen.

Mit dem neuen § 129 b StGB, der die Unterstützung des Terrorismus im Ausland unter Strafe stellt, hat die Bourgeoisie endlich ein Instrument geschaffen, internationale Solidarität nach Belieben kriminalisieren zu können.

Schily der Verfassungsminister kennt keine Verfassung mehr: Unschuldsvermutung? Trennung von Polizei und Geheimdienst? Nicht doch! Schily zieht jetzt endlich einen Schlußstrich unter die Gestapo. Der Mann, der angesichts der Sondergesetze gegen die RAF erklärte: "Von den Fassaden des Rechtsstaats sind nur Ruinen geblieben", planiert jetzt die Ruinen. Schily erweist sich damit als derzeit größtes Sicherheitsrisiko für Verfassung und Grundrechte. So sehr, daß es selbst Richtern, Anwälten und Parteifreunden unheimlich wird.

Was treibt Schily dazu, CSU, Republikaner und Deutschnationale links liegen zu lassen? Eine spezielle Mischung aus Egomanie und Musterschüler-Syndrom, die ihn für Lob und Anerkennung seiner Umgebung empfänglich macht. Schily will dabei alles, was er anpackt, besonders gut machen. Dies macht ihn zum Instrument der Spitzen des Beamtenapparats, dessen Sprecher er ist. Alle Schubladenprojekte, die seine ihm untergebenen Fachidioten und Sicherheitsideologen präsentieren, nutzt er zur Profilierung und bildet sich bei allem ein, dem Orchester den Ton anzugeben: Das Musterbeispiel eines sozialdemokratischen Strebers ohne soziale und demokratische Prinzipien. Sozialdemokratisch und grün sind dabei austauschbar.

Was erreicht Schily mit der Beseitigung von Freiheitsrechten und der Unterminierung der Reste des liberalen Verfassungsstaats? Im Erfolgsfall behindert er die Entstehung und Entwicklung sozialer Protestbewegungen. Wo er sich erhofft, die bestehende Ordnung gegen links und rechts zu sichern, wo er glaubt, die "Demokratie" durch die Einschränkung und Abschaffung demokratischer Rechte festigen zu können, legalisiert er doch nur die Vorbereitung des Notstands für die Bourgeoisie. Der "Terrorismus" wird so nicht bekämpft. Im Gegenteil werden ihm Scheinrechtfertigungen geliefert.

So leistet Schily seinen Teil, das Kräfteverhältnis zwischen Arbeiterklasse und sozialen Bewegungen einerseits sowie Bourgeoisie und politischer Reaktion andererseits nach rechts zu verschieben. Dies könnte schlimmstenfalls auch einen Sturz des parlamentarisch-demokratischen Systems vorbereiten, wenngleich die Bourgeoisie dazu nicht den geringsten aktuellen Anlaß sieht. Doch ist Schily zum Glück nur einer der Faktoren, die die Entwicklung beeinflussen. Vorläufig ist die Bourgeoisie ganz zufrieden damit, daß Schily der Linken das Leben schwer macht. Wir nicht. Es gilt, mit allen demokratischen Kräften Schilys reaktionäre Kampagne zu stoppen.


Dieter Wilhelmi, 23.10.01


Der Autor arbeitet im Arbeitskreis Marxistische Theorie und Politik (www.ak-marxismus.de)