Nicht mit den Wölfen heulen

Eine Replik auf Jürgen Elsässers Lob des türkischen Actionfilms “Das Tal der Wölfe: Irak” (junge Welt vom 20.2.06)

Eine Serie von Bombenanschlägen erschütterte letzten Herbst die ostanatolischen Provinzen Hakkari und Sirnak. Schließlich gelang es der Bevölkerung in der Kleinstadt Semdinli, die Bombenleger bei einem Anschlag auf eine Buchhandlung auf frischer Tat zu stellen. In ihrem Fahrzeug befanden sich neben Todeslisten und Waffen auch Ausweise, die sie als Offiziere des Militärgeheimdienstes auswiesen. Einer der Konterguerillamänner war ein PKK-Überläufer, ein anderer nach Aussagen der Militärführung lange im Nordirak stationiert. Die türkische Konterguerilla ist berüchtigt für unzählige Morde und Folterungen kurdischer und linker Politiker, Gewerkschafter und Intellektueller.

Die Helden von “Tal der Wölfe: Irak” sind eben keine irakischen Widerstandskämpfer sondern Angehörige einer solchen Konterguerillaeinheit. Und nicht Antiimperialismus sondern die Rettung der nationalen Ehre ist das Motiv von Polat Alemdar und seinen Kumpanen.

Die “mächtige Botschaft” des Films, sei laut Elsässer, daß die Türkei heute ein Hindernis für die US-Politik geworden ist. Im Bezug auf den Irak mag dies stimmen. Doch durch ihre NATO-Mitgliedschaft ist die Türkei Teil der imperialistischen Kette mit eigenen expansiven Ambitionen - von Nordzypern und dem Nordirak über den Kaukasus bis zu moslemisch besiedelten Gebieten Chinas. So wehen auf den von türkischen Konsulaten unterstützten “Antikriegs”-Demonstrationen türkischer Nationalisten regelmäßig die Fahnen der irakischen Turkmenenfront, Tschetscheniens und anderer Kaukasusrepubliken sowie der Uigurischen Separatisten. Die türkische Armee ist von ihrer Mannschaftsstärke die zweitgrößte NATO-Armee. Fast 600 Jahre nach der Schlacht am Amselfeld sind seit 1999 wieder türkische Soldaten im Kosovo stationiert. Türkische Kontingente befinden sich auch als Besatzungstruppen in Afghanistan.

Bis heute erhalten türkische Diplomaten und Militärs den Anspruch auf die ehemals osmanische Provinz Mossul mit ihren Ölquellen aufrecht. Zudem befürchtet Ankara, daß ein autonomer kurdischer Staat im Nordirak den Freiheitsbestrebungen der Kurden in der Türkei Auftrieb geben könnte. Daher hatte auch das zu Beginn des Films von US-Truppen verhaftete Kommando in der Realität den Auftrag, mit Anschlägen zur Destabilisierung der kurdischen Landesteile beizutragen.

Seit Anfang der 90er Jahre sind türkische Kommandos — übrigens damals auf Einladung der zerstrittenen irakisch-kurdischen Parteien KDP und PUK als Vermittler angefordert - mit mehreren Tausend Mann im Nordirak aktiv. Der PUK-Vorsitzende Jalal Talabani reiste bis zu seiner Einsetzung als “irakischer Präsident” mit einem türkischen Diplomatenpaß und unterhält bis heute gute Beziehungen nach Ankara. Daß KDP und PUK heute Kollaborateure der US-Besatzer sind, ist keine Frage. Aber wo bitte bekommen die Washingtoner Kriegstreiber Unterstützung durch die PKK oder die Kurdistansolidarität in Deutschland, wie Elsässer behauptet? Vielmehr haben die USA der Türkei für die Überlassung von Luftwaffenstützpunkten bei einen Angriff auf den Iran grünes Licht für die Bombardierung iranischer PKK-Lager angeboten. Elsässer schreibt richtig, “die Menschen zwischen Istanbul und Diyarbakir wollen offensichtlich nicht weiter das Kanonenfutter der US-Armee sein.” Doch genau diese Menschen in Diyarbakir sind großenteils Anhänger Abdullah Öcalans und der PKK.

“Tal der Wölfe — Irak” reiht sich ein in eine nationalistische Welle, die seit rund einem Jahr die Türkei erschüttert. Während der auf der Gefängnisinsel Imrali gefangene Abdullah Öcalan seine Anhänger zur Besonnenheit mahnt und die Brüderlichkeit der Völker beschwört, rüsten rechtsextreme Grauen Wölfe und Konterguerillabanden zum ethnischen Bürgerkrieg. In diesem Klima wurden türkische Übersetzungen von Hitlers “Mein Kampf” und der “Protokolle der Weisen von Zion” zu Bestsellern, während die Bücher Orhan Pamuks auf dem Scheiterhaufen landeten. Mehrfach kam es zu Lynchversuchen an Kommunisten und Kurden durch einen nationalistischen Mob unter Führung der faschistischen Grauen Wölfe.

“Ein ausgezeichneter Film, der Geschichte machen wird”, lobte der türkische Parlamentspräsident Bülent Arinc nach der Premiere. Und First Lady Emine Erdogan zeigte sich ebenfalls angetan von dem Streifen. Schließlich propagiert “Tal der Wölfe — Irak” kohärent die türkisch-islamische Synthese. Wenn in der Anfangsszene die türkische Armeeführung das umzingelte Spezialkommando vom Kampf gegen die US-Soldaten abhält und später US-Verwalter Sam den Türken vorwirft, lieber zu verhandeln als zu kämpfen, wird das kemalistische Establishment als bezahlte Marionetten des US-Imperialismus entlarvt. Doch am Ende brauchen auch die islamischen Pazifisten die Hilfe der türkischen Rambos. Hier schließt sich der Kreis der türkisch-islamische Synthese, die in der türkischen Realität zunehmend den reinen Kemalismus ablöst.

Hauptdarsteller Necati Sasmaz und sein Bruder, Produzent und Drehbuchautor Raci Sasmaz, sind führende Mitglieder der islamischen Kadiri-Sekte, deren Lehre der Film ausgiebig durch die Person des Scheichs Abdurrahman Halis Kerküki verbreitet. Gleichzeitig sind die beiden Brüder tief im nationalistischen Milieu verwurzelt. Ihr Vater war Berater eines von der faschistischen MHP gestellten Kultusministers, der Onkel Abgeordneter dieser Partei. Raci Sasmaz hat zudem gute Kontakte zu Killern der Grauen Wölfe wie Oral Celik.

Elsässer will dem von neoliberaler Seite ausgelösten “Kampf der Kulturen” gegensteuern. Das ist unterstützenswert. Doch “Tal der Wölfe — Irak” mit seiner holzschnittartigen Frontstellung aus edelmütigen Muslimen und mutigen Türken gegen diabolische Christen und geldgierige Juden bleibt genau auf dieser Ebene des Kulturkampfes.

Es braucht nicht erst diesen Film, um in Wut über die Verbrechen der USA und ihrer Verbündeten im Irak zu geraten. Schon die täglichen Fernsehbilder von Abu Ghraib und anderen Greueltaten müßten jeden humanistisch Gesinnten auf die Straße treiben. Doch als Antwort auf Kolonialkriege bietet “Tal der Wölfe: Irak” eben keinen antiimperialistischen Widerstand, sondern einen mit Antijudaismus angereicherten chauvinistischen Cocktail. Angesichts dieses “Antiimperialismus der Dummen Kerls” sollte Kriegsgegner nicht den Fehler machen und mit den (Grauen) Wölfen heulen.

Nick Brauns