Arbeit im Kommunismus

Was passiert mit dem Gegensatz zwischen Arbeit und freier Zeit?

Über Fourier, Marx und Engels

Nachfolgend die interessantesten Auszüge aus einer Debatte im Karl-Marx-Forum, an der auch die Marxistische Initiative teilgenommen hat. Beiträge anderer Autoren sind nicht gespiegelt, sondern im wesentlichen nur als Link aufgeführt, mit in eckigen Klammern gesetzten Erklärungen der Redaktion. Inzwischen wurde die Debatte von den Betreibern des Karl-Marx-Forums abgebrochen, indem ohne Rückfrage Bronsteyns Registrierung gelöscht und der allgemeinen Öffentlichkeit Schreibrechte entzogen wurden (das Forum war ursprünglich nicht nur zum Lesen frei zugänglich).

Autor - Wal Buchenberg (16.03.2012, 16:13):

Arbeit in der klassenlosen Gesellschaft bleibt ein äußerer Zwang und wird niemals Genuss

[So begründet W. Buchenberg in seinem Forenbeitrag sein Verständnis der Arbeit im Kommunismus - im wesentlichen unter Verwendung dieses Marx-Zitats:

"Der wirkliche Reichtum der Gesellschaft und die Möglichkeit beständiger Erweiterung ihres Reproduktionsprozesses hängt ... nicht ab von der Länge der Mehrarbeit, sondern von ihrer Produktivität und von den mehr oder minder reichhaltigen Produktionsbedingungen, worin sie sich vollzieht.
Das Reich der Freiheit beginnt in der Tat erst da, wo das Arbeiten, das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört; es liegt also der Natur der Sache nachjenseits der Sphäre der eigentlichen materiellen Produktion.
Wie der Wilde mit der Natur ringen muss, um seine Bedürfnisse zu befriedigen, um sein Leben zu erhalten und zu reproduzieren, so muss es der Zivilisierte, und er muss es in allen Gesellschafts-formen und unter allen möglichen Produktionsweisen.
Mit seiner Entwicklung erweitert sich dies Reich der Naturnotwendigkeit, weil die Bedürfnisse sich erweitern; aber zugleich erweitern sich die Produktivkräfte, die diese befriedigen. Die Freiheit in diesem Gebiet kann nur darin bestehen, dass der vergesellschaftete Mensch, die assoziierten Produzenten, diesen ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln, unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle bringen, statt von ihm als von einer blinden Macht beherrscht zu werden; ihn mit dem geringsten Kraftaufwand und unter den ihrer menschlichen Natur würdigsten und adäquatesten Bedingungen vollziehen.
Aber es bleibt dies immer ein Reich der Notwendigkeit.
Jenseits desselben beginnt die menschliche Kraftentwicklung, die sich als Selbstzweck gilt, das wahre Reich der Freiheit, das aber nur auf jenem Reich der Notwendigkeit als seiner Basis aufblühen kann. Die Verkürzung des Arbeitstags ist die Grundbedingung." K. Marx, Kapital III, MEW 25, 828.
]

Beantwortet von:

Antwort auf: Wal Buchenberg (16.03.2012, 16:13)

Autor - B.I.Bronsteyn (20.03.2012, 16:01):

Lieber Wal,

an deinen Zeilen erkenne ich genau, dass du Charles Fourier und seinen Einfluss auf die Ideen von Marx und Engels nicht kennst.
Hol das unbedingt nach, die Diskussion wird dann auf einer ganz anderen Ebene sich fortsetzen:

Youtube-Video

Antwort auf: Wal Buchenberg (16.03.2012, 16:13)

Autor - B.I.Bronsteyn (20.03.2012, 16:14):

Kommunismus = auf der Grundlage vergesellschafteter Produktonsmittel errichtetes gesamtgesellschaftliches System der anziehenden Arbeit

"Fourier weist nach, daß jeder mit der Neigung für irgendeine Art von Arbeit geboren wird, (…) daß das Wesen des menschlichen Geistes darin besteht, selber tätig zu sein (…), und daß daher keine Notwendigkeit besteht, Menschen zur Tätigkeit zu zwingen, wie im gegenwärtig bestehenden Gesellschaftszustand, sondern nur die, ihren natürlichen Tätigkeitsdrang in die richtige Bahn zu lenken. Er (…) zeigt die Vernunftwidrigkeit der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung, die beide voneinander trennt, aus der Arbeit eine Plackerei und das Vergnügen für die Mehrheit der Arbeiter unerreichbar macht; weiter zeigt er, wie (….) die Arbeit zu dem gemacht werden kann, was sie eigentlich sein soll, nämlich zu einem Vergnügen, wobei jeder seinen eigenen Neigungen folgen darf. (…)" (Friedrich Engels: "Fortschritte der Sozialreform auf dem Kontinent")

"Fourier war es, der zum ersten Male das große Axiom der Sozialphilosophie aufstellte: Da jedes Individuum eine Neigung oder Vorliebe für eine ganz bestimmte Art von Arbeit habe, müsse die Summe der Neigungen aller Individuen im großen ganzen eine ausreichende Kraft darstellen, um die Bedürfnisse aller zu befriedigen.
Aus diesem Prinzip folgt: wenn jeder einzelne seiner persönlichen Neigung entsprechend tun und lassen darf, was er möchte, werden doch die Bedürfnisse aller befriedigt werden, und zwar ohne die gewaltsamen Mittel, die das gegenwärtige Gesellschaftssystem anwendet.
Diese Behauptung scheint kühn zu sein, und doch ist sie in der Art, wie Fourier sie aufstellt, ganz unanfechtbar, ja fast selbst-verständlich - das Ei des Kolumbus".
(Engels in Fortschritte der Sozialreform auf dem Kontinent 1843)

Beantwortet von:

Antwort auf: B.I.Bronsteyn (20.03.2012, 16:14)

Autor - Wal Buchenberg (21.03.2012, 06:30):

Das ist ein Gedanke von Engels (und Fourier), nicht von Marx

[W. Buchenberg führt als Begründung folgendes Marx-Zitat an: "Die Arbeit kann nicht Spiel werden, wie Fourier will." (K. Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, 599f)

In einem anderen Forenbeitrag vertritt er auch die These Nicht Arbeit, sondern freie Zeit ist Glück und wendet sich dort u.a. gegen den "Alptraum" von Lenin, der einst die die "freiwillige" Samstag(überstunden)arbeit als "kommunistisch" gefeiert hatte.]

Beantwortet von:

Antwort auf: Wal Buchenberg (21.03.2012, 06:30)

Autor - B.I.Bronsteyn (21.03.2012, 13:31):

"Das ist ein Gedanke von Engels (und Fourier), nicht von Marx"

Wow, der grosse Meister spricht ex cathedra mit einem wuchtigen Zitat und meint damit die gesamte Diskussion zu erledigen.

Warum zitierst du die betreffende Stelle nicht vollständig und im Zusammenhang, sondern aus dem Zusammenhang gerissen und entstellt, Wal?

In der entsprechenden Textstelle setzt sich Marx mit Adam Smith auseinander. Der vollständige Text:

"Du sollst arbeiten im Schweiß deines Angesichts! war Jehovas Fluch, den er Adam mitgab.[281] Und so als Fluch nimmt A. Smith die Arbeit. Die 'Ruhe' erscheint als der adäquate Zustand, als identisch mit 'Freiheit' und 'Glück'. Daß das Individuum 'in seinem normalen Zustand von Gesundheit, Kraft, Tätigkeit, Geschicklichkeit, Gewandtheit' auch das Bedürfnis einer normalen Portion von Arbeit hat und von Aufhebung der Ruhe, scheint A. Smith ganz fernzuliegen. Allerdings erscheint das Maß der Arbeit selbst äußerlich gegeben, durch den zu erreichenden Zweck und die Hindernisse, die zu seiner Erreichung durch die Arbeit zu überwinden. Daß aber diese Überwindung von Hindernissen an sich Betätigung der Freiheit — und daß ferner die äußren Zwecke den Schein bloß äußrer Naturnotwendigkeit abgestreift erhalten und als Zwecke, die das Individuum selbst erst setzt, gesetzt werden — also als Selbstverwirklichung, Vergegenständlichung des Subjekts, daher reale Freiheit, deren Aktion eben die Arbeit, ahnt A. Smith ebensowenig. Allerdings hat er recht, daß in den historischen Formen der Arbeit als Sklaven-, Fronde-, Lohnarbeit die Arbeit stets repulsiv, stets als äußre Zwangsarbeit erscheint und ihr gegenüber die Nichtarbeit als 'Freiheit und Glück'. Es gilt doppelt: von dieser gegensätzlichen Arbeit und, was damit zusammenhängt, der Arbeit, die sich noch nicht die Bedingungen, subjektive und objektive, geschaffen hat (oder auch gegen den Hirten- etc. Zustand, der sie verloren hat), damit die Arbeit travail attractif, Selbstverwirklichung des Individuums sei, was keineswegs meint, daß sie bloßer Spaß sei, bloßes amusement, wie Fourier [, p. 245-252] es sehr grisettenmäßig naiv auffaßt. Wirklich freie Arbeiten, z.B. Komponieren, ist grade zugleich verdammtester Ernst, intensivste Anstrengung."

Worin besteht dein Denkfehler, dein Fehler beim Lesen und Verstehen?

Richtig!

Es geht um die travail attractif.

Kannst du französisch, Wal?

travail attractif bedeutet anziehende Arbeit.

Davon war bei mir oben die Rede, von anziehender Arbeit.

Worauf Marx hier hinweist ist, dass anziehende Arbeit nicht unbedingt blosser Spaß, blosses Amusement sein muss. Er sagt es - auch für für ganz unverständige überdeutlich:
Wirklich freie Arbeiten, z.B. Komponieren, ist grade zugleich verdammtester Ernst, intensivste Anstrengung.

Noch deutlicher kann er es ja nicht sagen, oder?

Freies Arbeiten (das heisst anziehende Arbeit) ist nicht unbedingt ein Vergnügen. Grosse Komponisten, und daran erinnert Marx in diesen Zeilen, ringen mit ihrem selbstgesteckten Vorhaben, dem Gegenstand ihrer anziehenden Arbeit, und das kann eben verdammtester Ernst und intensive Anstrengung sein, was aber am Charakter der Tätigkeit als grundsätzlich anziehende Arbeit nichts ändert.

Wie aber Menschen, die sich für Marxisten halten, selbst über wesentliches hinweglesen, es unterschlagen können (ich nehme mal an, unbewusst, im Eifer dessen, seine eigene Position zu beweisen), zeigen folgende Sätze, aus dem du, Wal, ja ein Teilstück hinausgeklaubt hast:

Daß übrigens die unmittelbare Arbeitszeit selbst nicht in dem abstrakten Gegensatz zu der freien Zeit bleiben kann — wie sie vom Standpunkt der bürgerlichen Ökonomie aus erscheint —, versteht sich von selbst. Die Arbeit kann nicht Spiel werden, wie Fourier [, p. 245-252] will, dem das große Verdienst bleibt, die Aufhebung nicht der Distribution, sondern der Produktionsweise selbst in höhre Form als ultimate object ausgesprochen zu haben.

Hast du das wirklich genau gelesen und verstanden, Wal?

Daß übrigens die unmittelbare Arbeitszeit selbst nicht in dem abstrakten Gegensatz zu der freien Zeit bleiben kann — wie sie vom Standpunkt der bürgerlichen Ökonomie aus erscheint —, versteht sich von selbst.

Ich weiß nicht, Wal, ist dieser Satz so schwierig zu verstehen, dass er erklärt werden muss? Marx stellt in diesem Satz explizit in Frage, was du oben als ewiges Naturgesetz verkündet hast.

Er sagt nichts anderes aus als dass der Widerspruch (Gegensatz) zwischen unmittelbarer Arbeitszeit und freier Zeit auch aufgehoben werden kann (für dich ja ein Alptraum).

Nun zu dem Satz, aus dem du aus dem Zusammenhang gerissen hast, was dir gerade in den Sinn kam, und das wesentliche vergessen bzw übersehen bzw nicht verstanden hast:

Die Arbeit kann nicht Spiel werden, wie Fourier [, p. 245-252] will, dem das große Verdienst bleibt, die Aufhebung nicht der Distribution, sondern der Produktionsweise selbst in höhre Form als ultimate object ausgesprochen zu haben.

Wir haben oben gesehen, dass Marx den Begriff anziehende Arbeit nicht auf blosses Spiel, auf blosses Amusement reduziert sehen will und nennt als Beispiel dafür das Komponieren. Klar hast du dich eifrig auf die Floskel "Die Arbeit kann nicht Spiel werden, wie Fourier [, p. 245-252] will" gestürzt, weil sie ja scheinbar die Richtigkeit deiner These beweist, dass es auch in der "dezentralen Bedarfswirtschaft" Zwangsarbeit geben muss, weil sie ja ein ewiges Naturprinzip ist. Das war jetzt ein wenig polemisch, ich gebe es zu.

Ich frage dich, Wal, was meint Marx denn damit, wenn er Fourier bescheinigt, das grosse Verdienst erworben zu haben, die Aufhebung nicht der Distribution, sondern der Produktionsweise selbst in höhre Form als ultimate object ausgesprochen zu haben.

Hallo Wal, verstehst du, was Marx da meint? Was ist denn unter Aufhebung der Produktionsweise selbst in höhre Form als höchstes Ziel zu verstehen?

Dazu muss man Fourier kennen und auch Marx kennen.

Dieses höchste Ziel besteht in der Ablösung der Zwangsarbeit durch ein gesamtgesellschaftliches System anziehender Arbeit.

Und Marx hat in diesen Stellen nichts anderes gesagt als dass anziehende Arbeit nicht unbedingt Spiel und blosses Amusement ist, sondern ...

Ich danke dir, Wal, für die Aufspürung dieser Textstellen, die mir sogar noch im Gedächnis waren, aber ihren Standort nicht mehr wusste.

Sie liefern nämlich zusätzliche Belege dafür, dass Marx und Engels den Kommunismus als ein gesamtgesellschaftliches System der anziehenden Arbeit auffassten, wobei anziehende Arbeit nicht unbedingt ein Vergnügen ist, sondern grade zugleich verdammtester Ernst, intensivste Anstrengung sein kann.

Aber wer die Systematik der menschlichen Leidenschaften bei Fourier kennt (die 12+1), der hätte das auch so gewusst. Auch Fourier war sich letztlich darüber durchaus im klaren, unbedachter einzelner Worte von ihm zum Trotz. Tatsächlich war "Die Arbeit wird zum Vergnügen" ein geflügeltes Zitat von Fourier. Marx ging es aber darum, sein Konzept der anziehenden Arbeit zu verteidigen, u.a. gegen Adam Smith.

Tatsächlich nahm Marx in diesen Zeilen nämlich (wie sonst auch) Fourier in Schutz gegen seine Kritiker, da einzelne seiner Äusserungen sich polemisch auch gegen ihn verwendet werden konnten, weswegen er auch als "Narr", "durchgeknalltester aller Utopisten" bezeichnet wurde. Für Marx und Engels aber hatte er "das Ei des Kolumbus der Sozialphilosophie" gefunden, und ich teile ihre Ansicht gegen die aller Pseudomarxisten. Pseudomarxismus ist für mich jeder Versuch der Entkernung des Marxismus von seiner Ausrichtung auf die Schaffung einer kommunistischen Gesellschaft, die die Produktionsweise selbst in höhre Form als ultimate object (durch die Verwirklichung der anziehende Arbeit) aufhebt.

Dein Versuch, einen Gegensatz in dieser Frage zwischen Engels und Marx zu konstruieren, ist im übrigen nicht sinnvoll.

Antwort auf: Wal Buchenberg (21.03.2012, 06:30)

Autor - B.I.Bronsteyn (21.03.2012, 13:38):

Marx sagt nur, dass anziehende Arbeit nicht unbedingt blosses Spiel, Amusement ist, sonst nichts

Und im übrigen spricht er aus, dass Fouriers Konzept der anziehenden Arbeit die Aufhebung der Produktionsweise selbst in höhre Form als ultimate object (letztes Ziel) ist.

Beantwortet von:

Antwort auf: B.I.Bronsteyn (21.03.2012, 13:38)

Autor - Wal Buchenberg (21.03.2012 14:06):

Es geht mir/hier nicht um "freies Arbeiten", sondern um "notwendige Arbeit"

[In seinem Forenbeitrag bringt W. Buchenberg ohne weitere Erläuterung diverse Marx-Zitate aus dessen ökonomischen Werken.]

Beantwortet von:

Antwort auf: Wal Buchenberg (21.03.2012 14:06)

Autor - B.I.Bronsteyn (21.03.2012, 17:24):

Marx verteidigt und propagiert explizit das Konzept der anziehenden Arbeit

Ich halte es für sehr wichtig, zu verstehen, was bei Marx wirklich geschrieben steht.

Allerdings erscheint das Maß der Arbeit selbst äußerlich gegeben, durch den zu erreichenden Zweck und die Hindernisse, die zu seiner Erreichung durch die Arbeit zu überwinden.

Will heissen: das Maß der Arbeit wird zunächst durch Notwendigkeiten bestimmt. Hierzu gilt es, einen beabsichtigen Zweck zu erreichen und Hindernisse zu überwinden, durch Arbeit nämlich.

Und weiter:

Daß aber diese Überwindung von Hindernissen an sich Betätigung der Freiheit — und daß ferner die äußren Zwecke den Schein bloß äußrer Naturnotwendigkeit abgestreift erhalten und als Zwecke, die das Individuum selbst erst setzt, gesetzt werden — also als Selbstverwirklichung, Vergegenständlichung des Subjekts, daher reale Freiheit, deren Aktion eben die Arbeit, ahnt A. Smith ebensowenig.

Kenne ich jemand, der das auch nicht ahnt?

Überwindung von Hindernissen als Betätigung von Freiheit.
Äussere Zwecke streifen den Schein blosse Naturnotwendigkeit ab.
Zwecke, die sich das Individuum erst selbst setzt
, als Vergegenständlichung des Subjekts, ja als reale Freiheit, deren Aktion eben die Arbeit.

Was Marx nur damit meinen?

Aus dem nächsten Satz wird es klar, Marx spricht von der anziehenden Arbeit, und macht nebenbei darauf aufmerksam, dass dieser Begriff anziehende Arbeit keineswegs ein blosser Spass sei

Es gilt doppelt: von dieser gegensätzlichen Arbeit und, was damit zusammenhängt, der Arbeit, die sich noch nicht die Bedingungen, subjektive und objektive, geschaffen hat (...), damit die Arbeit travail attractif, Selbstverwirklichung des Individuums sei.

Das ist der Hauptsatz.

Die Arbeit in der Klassengesellschaft, so sagt Marx, hat die subjektiven und objektiven Bedingungen dafür noch nicht geschaffen, anziehende Arbeit und Selbstverwirklichung des Individuums zu Triebfedern auch der notwendigen Arbeit zu machen.

Um diesen Kerngedanken gegen oberflächliche Fourier-Kritiker zu verteidigen, setzt er hinzu:

was keineswegs meint, daß sie bloßer Spaß sei, bloßes amusement, wie Fourier [, p. 245-252] es sehr grisettenmäßig naiv auffaßt.

In diesem Zusammenhang ist natürlich auch interessant zu wissen, was denn das Wort "grisettenmässig" bedeutet. Ein Blick in wikipedia:

http://de.wikipedia.org/wiki/Grisette

Er meint also, durchaus nachsichtig, dass Fourier anziehende Arbeit durchaus verkürzt und "auch für eine Grisette verständlich" ausgedrückt hat. Auf keinen Fall kann aus diesem Zitat herausinterpretiert werden, dass Karl Marx die anziehende Arbeit grundsätzlich verworfen hätte, im Gegenteil.

Wirklich freie Arbeiten, z.B. Komponieren, ist grade zugleich verdammtester Ernst, intensivste Anstrengung.

Komponieren ist ihm ein grundsätzliches Beispiel dafür, dass anziehende Arbeit auch intensivste Anstrengung beinhalten kann, nicht mehr oder weniger. Und der Gedanke ist klar: es gibt auch Triebfedern für anziehende Arbeit, die nicht vordergründigen und leicht zu erlangenen Genuss zum Ziel haben. Auch nach Fourier gibt es menschliche Leidenschaften, die über den Luxurismus hinausgehen (das ist eine Kategorie von Leidenschaften bei Fourier, die auf unmittelbaren Genuss abzielen), zum Beispiel der Ehrgeiz, oder Loyalität zu den Interessen einer Gruppe, der man angehört, oder der Seriismus, die Leidenschaft, in einer Gruppe gemeinsam ein Problem zu lösen usw. Wenn man Fourier kennt, weiß man auch, dass Fouriers Floskel eine Überspitzung ist, wie er sie durchaus liebte.

Einem Marx war das Werk Charles Fouriers durchaus bekannt, und seine Richtigstellung (anziehende Arbeit bedeutet nicht unbedingt unmittelbaren Genuss) ist auch durchaus konsequent. Er bezog sich auf ein gern kolportiertes Textfragment von Fourier, das Gegenstand zahlreicher Angriffe von Zeitgenossen auf den grossen Utopisten war.

Aber Kern seines Gedankens ist, und da helfen auch aus dem Zusammenhang gerissene Textfragmente nicht, dass die anziehende Arbeit die Voraussetzung dafür ist, dass die notwendige Arbeit mit anderen Mitteln bewerkstelligt werden kann als den durch Zwang (sei es durch Menschen oder durch schiere Not). Er sagt weiterhin, dass dadurch, dass die Menschen nicht nur auf blosse Notwendigkeiten reagieren, sondern sich selbst Zwecke und Ziele setzen können (die über die pure Notwendigkeit hinausgehen), die äußren Zwecke den Schein bloß äußrer Naturnotwendigkeit abgestreift erhalten, also verlieren, und auch die notwendige Arbeit sich in Selbstverwirklichung verwandelt, Vergegenständlichung des Subjekts, daher reale Freiheit, deren Aktion eben die Arbeit (wovon ein A Smith eben wenig ahnt).

Wenn das bei Marx verstanden ist, dann wird auch folgender Satz völlig transparent und verständlich:

Freiheit ist Einsicht in die Notwendigkeiten.

Antwort auf: Wal Buchenberg (16.03.2012, 16:13)

Autor - Meno Hochschild (23.03.2012, 10:26):

wg. Arbeit in der klassenlosen Gesellschaft bleibt ein äußerer Zwang und wird niemals Genuss

Der Begriff der Arbeit hat bei Marx und Engels viele Facetten. Und es kommt immer auf den Verwendungskontext an!

Die oben zitierte Stelle stammt aus dem "Kapital" und bezieht sich bestenfalls auf die erste Etappe des Kommunismus bzw. der sozialistischen Übergangsgesellschaft, in der immer noch bürgerliche Distributionsnormen gelten (Konsumtion proportional zur Erbringung von Arbeitsleistungen) und in der es darum geht, die gesellschaftlich zur Reproduktion notwendige Arbeit zugunsten der freien Arbeit (das "wahre Reich der Freiheit") zu automatisieren (Verkürzung des Arbeitstags durch Weiterentwicklung der Produktivkräfte). Vergleiche hierzu auch die Randglossen von Marx 1875 zum Gothaer Programm:

"Trotz dieses Fortschritts ist dieses gleiche Recht stets noch mit einer bürgerlichen Schranke behaftet. Das Recht der Produzenten ist ihren Arbeitslieferungen proportionell; die Gleichheit besteht darin, daß an gleichem Maßstab, der Arbeit, gemessen wird. Der eine ist aber physisch oder geistig dem andern überlegen, liefert also in derselben Zeit mehr Arbeit oder kann |21| während mehr Zeit arbeiten; und die Arbeit, um als Maß zu dienen, muß der Ausdehnung oder der Intensität nach bestimmt werden, sonst hörte sie auf, Maßstab zu sein. Dies gleiche Recht ist ungleiches Recht für ungleiche Arbeit...

...Aber diese Mißstände sind unvermeidbar in der ersten Phase der kommunistischen Gesellschaft, wie sie eben aus der kapitalistischen Gesellschaft nach langen Geburtswehen hervorgegangen ist. Das Recht kann nie höher sein als die ökonomische Gestaltung und dadurch bedingte Kulturentwicklung der Gesellschaft.

In einer höheren Phase der kommunistischen Gesellschaft, nachdem die knechtende Unterordnung der Individuen unter die Teilung der Arbeit, damit auch der Gegensatz geistiger und körperlicher Arbeit verschwunden ist; nachdem die Arbeit nicht nur Mittel zum Leben, sondern selbst das erste Lebensbedürfnis geworden; nachdem mit der allseitigen Entwicklung der Individuen auch ihre Produktivkräfte {8} gewachsen und alle Springquellen des genossenschaftlichen Reichtums voller fließen - erst dann kann der enge bürgerliche Rechtshorizont ganz überschritten werden und die Gesellschaft auf ihre Fahne schreiben: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!"

Hier, wie auch schon in seinem wichtigen Frühwerk "Die Deutsche Ideologie (1846)", findet sich also die Arbeit in der kommunistischen klassenlosen Gesellschaft nicht nur als "Mittel zum Leben" (notwendiger Aspekt), sondern (auch) als "erstes Lebensbedürfnis". Ein solchermaßen qualifiziertes Lebensbedürfnis, das ist sprachlich glasklar, ist Genuss und nicht äußerer Zwang.

In diesem Zusammenhang verweise ich dezent darauf, daß das Reich der Freiheit bereits im Kapitalismus im Keim angelegt ist. Die meisten großartigen Kulturleistungen der Menschheit rühren von freier unbezahlter Arbeit, nicht von Lohnarbeit. So hat Einstein seine Relativitätstheorie nicht im Rahmen seiner Stellung als Mitarbeiter eines Patentamts 1905 entwickelt. Schon jetzt ist die heutige kapitalistische Gesellschaft ohne die vielen ehrenamtlich tätigen Menschen in unzähligen Vereinen und Wohlfahrtsorganisationen kaum denkbar. Oder: In der IT-Branche hat die Open-Source-Bewegung mit Hilfe von vielen enthusiastisch arbeitenden Zuträgern und unter größten Anstrengungen (meine Wenigkeit als Java-Programmierer eingeschlossen, arbeite selbst zur Zeit an einem eigenen Software-Projekt) ohne irgendeine konkrete Bezahlung bereits Unmengen großartiger Software produziert, die wiederum die eigentliche materielle Produktionssphäre im Kapitalismus stark beeinflusst. Und selbst fürs freie Kloputzen (auch hier stark erleichtert und automatisiert durch moderne Technik wie Sensor-Spülung, schmutzabweisende Nano-Oberflächen etc.) fallen mir mächtige Triebfedern bzw. Leidenschaften ein (um einen Begriff von Fourier zu bemühen). Es sollte also nicht schwer zu verstehen sein, daß in einer kommunistischen Gesellschaft bei genügender Entfaltung der Produktivkräfte wahrscheinlich überhaupt keine notwendigen Arbeiten mehr vorkommen, für die sich nicht zu jeder Zeit genügend Arbeiter finden, die die jeweilige Tätigkeit als erstes Lebensbedürfnis und selbstbestimmte Arbeit ansehen.

Ich finde es auch seltsam, wenn in anderen Beiträgen versucht wird, zwischen Marx und Engels einen Gegensatz in dieser wichtigen Frage zu konstruieren. Wie allgemein bekannt, haben Marx und Engels zeit ihres Lebens alle wichtigen Sachen gemeinsam diskutiert. Die MEW heißt nicht zufällig M(arx)-E(ngels)-Werke.

Nun folgt ein neuer Thread im Karl-Marx-Forum, der inzwischen von der Forenmoderation für nicht registrierte Personen gesperrt wurde. Eine Registrierung ist nur per Mail-Kontakt zum Administrator möglich. Der Genosse B.I.Bronsteyn wurde rausgeschmissen, was von Wal Buchenberg als Bronsteyns persönlicher Wunsch dargestellt wird. Meno Hochschild, der vorher unregistriert veröffentlichen konnte, ist nun kalt ausgesperrt und verzichtet auf die nachträgliche Registrierung in der Annahme, daß die Registrierung im Karl-Marx-Forum wohl fehlschlagen wird. Daher folgt seine letzte Antwort nunmehr hier.

Autor - Wal Buchenberg (31.03.2012, 20:55):

Charles Fourier über die künftige Arbeit - eine schlechte Utopie

[W. Buchenberg zitiert Charles Fourier aus: Theorie der vier Bewegungen und der allgemeinen Bestimmungen. Hsrg von Theodor W. Adorno. EVA Frankfurt 1966

"Die Zivilisierten (der heutigen Gesellschaft w.b.) haben meist nur drei bis vier vorherrschende Neigungen. Man wird ihnen also eine große Zahl neuer Bedürfnisse entwickeln müssen und in jedem Einzelnen zehnmal mehr Leidenschaften wecken, als er heute besitzt. Um zu diesem Ziel zu gelangen, müssen wir eine Methode wählen, ... (die) darin besteht, die Arbeit attraktiv zu machen, so dass sie, die heute auf dem Lande und in der Manufaktur nur unter Zwang mit Abscheu geleistet wird, mit Vergnügen ausgeführt würde." ...

".... bei der Arbeit, die in der neuen Gesellschaftsordnung ebenso attraktiv sein wird wie bei uns das Festessen und andere Genüsse. Wenn in einer Gruppe von zwanzig Mitgliedern jeder Einzelne ein Amt hat, so werden Tatenlust und Wetteifer nur um so größer sein, ohne dass ein Pfennig ausgegeben werden müsste, außer für die Abzeichen, durch die sie sich unterscheiden, denn die Serie (das Arbeitsteam, w.b.), das in Leidenschaft für die Aufgabe entbrannt ist, die sie vereint, gibt ihren Offizieren (Chefs, w.b.) keine Entlohnung. Zwei Motive bewegen sie, ihre Leidenschaft, die sie zu der Serie (zur Arbeit im Team, w.b.) treibt, und das Ansehen des Ranges, der sie auszeichnet."

"Wenn man aber ... einen Kanton mit ungefähr einhundertvierzig Serien (=Arbeitsteams, w.b.) gründet, für Bodenkultur, Manukfakturen, Künste und Wissenschaften, wenn man sie regelrecht gegeneinander ausspielt, kann man so reizvolle Wettkämpfe, so viel Interesse an den verschiedenen Arbeiten entfachen, dass alle diese Serien (=Arbeitsteams, w.b.) unter den Einfluss der allgemeinen Attraktivität geraten, dass sie einander zu wunderbaren Leistungen hinreißen, ohne dass der Gewinn der Anreiz wäre. Nur das Feuer ihrer Leidenschaften, nur eine blinde Vorliebe für ihre Lieblingsbeschäftigungen treibt sie an. Ihre Begeisterung wird so groß sein, dass der Millionär und luxuriöse Weichling von heute, sich vor Tagesanbruch erheben wird, um persönlich die Arbeit des Teams, dem er angehört, zu beleben und mitzuhelfen. Tagsüber wird er sich abmühen wie ein Galereensklave, weil er durch sein Beispiel seine Gruppen und seine Lieblingsteams anfeuert, und wird nach aller Plage darüber klagen, dass man die Länge des Tages nicht verdoppeln kann, um die Mühe zu verdoppeln, die ihn glücklich macht. All seine Mitarbeiter, ob reich, ob arm, werden seine Begeisterung teilen, und darum werden die Arbeitsteams der Leidenschaft wertvolle Ernten von einem Boden einbringen, um den sich die Zivilisierten vergeblich bemühen."
Aus: Kleine Bibliothek des Wissens und des Fortschritts. Band I. Zweitausendeins, Frankfurt.

Und W. Buchenberg kommentiert es in seinem Forenbeitrag als "schlechte Psychologie", "Herrschafts- und Wachstumsideologie" und "schlechte Utopie".]

Beantwortet von:

Antwort auf: Wal Buchenberg (31.03.2012, 20:55)

Autor - Meno Hochschild (03.04.2012, 09:40):

schlechte Utopie???

Offenbar sind manche Zeitgenossen so vollkommen im Geiste der entfremdeten Arbeit der kapitalistischen Klassengesellschaft gefangen, daß die Idee der Arbeit als Selbstverwirklichung und erstes Lebensbedürfnis im Kommunismus für sie zur nicht erstrebenswerten "schlechten" Utopie gerät.

Daß Fourier in seinen ökonomischen Vorstellungen nicht bis zur Enteignung der Kapitalisten kam, ist sicherlich sein größter Schwachpunkt. Keine Frage, aber seine sozialpsychologischen Überlegungen zur Arbeit in einer (kommunistischen) Zukunftsgesellschaft verdienen es, ernst genommen zu werden, so wie von den marxistischen Klassikern.

Sportlicher Wettstreit ist im Kommunismus vollkommen legitim und anders als im Kapitalismus keine Farce, da freiwillig statt erzwungen. Ich kann selbst durch die Begeisterung für mein eigenes Open-Source-Programmierprojekt nur zu gut nachvollziehen, welch mächtige Triebfeder ein Wettkampf sein kann. Ebenso klage ich auch über den Mangel an Zeit dafür und würde am liebsten noch viel mehr daran arbeiten, aber jetzt im Kapitalismus hält mich die notwendige Arbeit (mit der ich meine Brötchen verdiene) von der freien Arbeit ab. Für mich ist die Maximierung der freien Arbeit tatsächlich nahe an dem, was ich als paradiesische klassenlose kommunistische Gesellschaft ansehen würde. Und ich habe Mitleid mit denen, die Arbeit nur noch als äußeren Zwang und notwendige Plackerei verstehen können. Tatsächlich verliert auch gesellschaftlich notwendige Arbeit im höheren Stadium des Kommunismus seinen Zwangscharakter, da gepaart mit der allgemeinen Produktivkräfteentwicklung sich genügend Freiwillige für die jeweilige Tätigkeit finden lassen.

Übrigens sind auch die Kapitalisten und ihre Personalmanager nicht alle doof. Es ist nicht jeder ein TV-Stromberg. Zumindest in kapitalistischen Schönwetterperioden setzen sie oft auf die Motivierung von Mitarbeitern auf möglichst freiwilliger Basis - sei es per Wettstreit oder diverse Formen von Mitbestimmung, innerbetriebliches Gesundheitsmanagement, Ideenprämien etc. Die meisten Kapitalisten wissen schon, welche großen Produktivitätszuwächse auf diesem Wege möglich sein können, aber: Die kapitalistischen Profitverwertungsgesetze schieben dem letztlich einen Riegel vor, ganz gleich, was die individuellen persönlichen Motive der Kapitalisten und Manager sind. Und dann wird vor allem in Krisenzeiten zuerst da gespart, wo die Arbeit ihren notwendigen Charakter am wenigsten zeigt.

Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Wer weiterhin an die notwendige Zwangsarbeit glaubt, der muß letztlich in einer sozialistischen Gesellschaft auch Aufseher voraussetzen, die den Zwang ausüben. Mit anderen Worten: Es geht dann nicht ohne eine bürokratische Kaste, wie wir sie zum Beispiel früher in der UdSSR zu Stalins und Breschnews Zeiten gesehen haben. In der mildesten Form müssen Aufseher mindestens die geldwerte Verteilung der gesellschaftlich erarbeiteten Produkte an die Arbeiterklasse organisieren, was in der sozialistischen Übergangsgesellschaft für eine gewisse Zeit leider noch unvermeidlich ist. Unter Stalin kam es sogar zu breiten staatsterroristischen Zwangsmaßnahmen. Aber in einem gesunden Arbeiterstaat werden nach und nach diese Formen wie auch der gesamte Staat absterben, in dem Maße, wie die gesellschaftlich notwendige Arbeit ihren Zwangscharakter verliert.

Ehrlich, eine angeblich kommunistische Gesellschaft, in der die gesellschaftlich notwendige Arbeit als ewiger Zwang erscheint, erscheint mir als die wirkliche schlechte Utopie! Dafür wird auch die Arbeiterklasse letztlich nicht zu begeistern sein.

Beantwortet von:

Antwort auf: Meno Hochschild (03.04.2012, 09:40)

Autor - Wal Buchenberg (03.04.2012, 10:24):

schlechte Utopie, ja

[In seiner Antwort schreibt Wal Buchenberg im wesentlichen, daß Arbeit immer seinen Zwangscharakter behalten würde und daß Wettstreit für seine Teilnehmer ein Alptraum sei, da immer andere den Wettkampfteilnehmern die Regeln und Ziele diktieren würden (auch im Kommunismus). Selbsbestimmtes Arbeiten heißt für W. Buchenberg, daß die Arbeitenden ihre Ziele und Zwecke selbst bestimmen und sich nicht durch "Leidenschaften" und "Wettbewerbe" von irgendwelchen "Zielebestimmern" zum Arbeiten verführen und manipulieren lassen.]

Beantwortet von:

Antwort auf: Wal Buchenberg (03.04.2012, 10:24)

Autor - B.I.Bronsteyn (03.04.2012, 16:11):

"Bochumer Kommune" - eine schlechte Utopie, ja

Die Unart von Wal Buchenberg, oberlehrerhaft Zitate "zum Lesen" zu empfehlen, die er selbst ganz offensichtlich nicht wirklich verstanden hat, während er gleichzeitig nichts anderes als stumpfsinnige, inhaltsfreie Invektive dieser Art von sich gibt wie:

  1. Das ist schlechte Psychologie.
  2. Das ist eine Herrschafts- und Wachstumgsideologie, die die Arbeitenden mittels angestachelter “Leidenschaften” manipulieren will, um sie zu maximaler Verausgabung ihrer Arbeitskraft zu bewegen.
  3. Das ist schlechte Utopie.

Das nervt allmählich, zumindestens mich, und mein Interesse an dieser "Diskussion" schwindet in dem Masse, wie ich zu erkennen beginne, um was für eine monströse Missgeburt es sich bei dem Konzept der "Bochumer Kommune" mit ihrer "Bedürfnisbürokratie" handelt. Gewiss, jetzt bin ich auch invektiv, aber ich erkenne die Gültigkeit des Sprichworts "Quot licet Iovi non licet bovi" nicht an. Ich kann auch invektiv holzen.

Doch zu dem Zitat, das sich Wal Buchenberg aus dem Kapital geklaubt hat, um seine These von der Ewigkeit der Zwangsarbeit zu verteidigen. Zitieren können bedeutet nicht, verstanden zu haben. Das Zitat ist hier zu finden, zum Nachlesen:

http://www.mlwerke.de/me/me25/me25_822.htm#Kap_48_III

Vor dem von Buchenberg aus dem Zusammenhang gerissenen Textteil findet sich folgender Satz:

Der wirkliche Reichtum der Gesellschaft und die Möglichkeit beständiger Erweiterung ihres Reproduktionsprozesses hängt also nicht ab von der Länge der Mehrarbeit, sondern von ihrer Produktivität und von den mehr oder minder reichhaltigen Produktionsbedingungen, worin sie sich vollzieht.

Auf diesen Satz folgt erst das von Wal Buchenberg aus dem Zusammenhang gerissene Zitat. Hat dieser Satz uns etwas zu sagen? Oh ja, das hat er.

Der wirkliche Reichtum der Gesellschaft und die Möglichkeit beständiger Erweiterung ihres Reproduktionsprozesses hängt also nicht ab von der Länge der Mehrarbeit, sondern von ihrer Produktivität und von den mehr oder minder reichhaltigen Produktionsbedingungen, worin sie sich vollzieht.

Schon Fourier, der im Unterschied zu seinen "Kritikern" vom Schlage eines Proudhon oder Max Stirner oder Eugen Dühring ein Genie war (laut Engels) erkannte zu seiner Zeit, Anfang des 19. Jahrhunderts, dass ein Großteil der Arbeit in der Zivilisation nutzlosen oder sogar negativen Charakter hatte. Zwei Drittel der Bevölkerung gingen nach Fouriers Aussage damals keinen oder sogar negativen Beschäftigungen nach. Parasiten der Arbeit waren für Fourier zum Beispiel:

- an den Haushalt gefesselte Frauen;
- alle Angestellten, "deren Tätigkeiten nur infolge der zerstückelten Arbeit nötig sind und darum in der Assoziation überflüssig werden" (er war selbst ein solcher und wusste es);
- Militärapparate;
- Staatsbeamte;
- Arbeiten für die Regierung, die “jeder zu betrügen sucht”;
- "neun Zehntel" der Kaufleute und Handelsagenten

Natürlich, dass so etwas möglich ist, basiert auf der hohen Produktivität einer solchen (frühkapitalistischen) Gesellschaft, so dass sie sich einen solchen Parasitismus der Arbeit überhaupt leisten kann.

Und wie sieht es heute aus?

Geradewegs jeder Beschäftigte etwa eines Konzerns wie Siemens arbeitet einen Großteil seiner Zeit de facto an der Produktion von Destruktionsmitteln, vulgo Rüstungsgütern. Kriegsindustrie erblüht u.a. auch in Form der Wiederauferstehung des Söldnerwesens (der Form nach eine Variante der Lohnarbeit). Der "Schutz des Privateigentums" in vielfältigen Formen (von privaten Sicherheitsdiensten bis hin zu diversen Versicherungen) ist das Zentrum gleich mehrerer Branchen. Die Beispiele könnten noch vielfach fortgesetzt werden. Wie technologisch reichhaltig muss eine Gesellschaft sein, die es sich leisten kann, "Produktionsmittel in Destruktionsmittel" zu wandeln?

Kurz gesagt: der Großteil weltweit heute als "notwendig" erscheinenden Arbeiter ist gar nicht wirklich notwendig, um etwa das gegenwärtige technologische Niveau zu halten und alle Menschen in ihren Grundbedürfnissen zu versorgen.

Wer es sich einfach macht und jede Arbeit gleich mit "notwendiger Arbeit" setzt, so wie es Wal Buchenberg explizit und erklärtermassen macht, dem können solche Dinge gar nicht ins Auge fallen.

Und auch noch "travail attractif" (Karl Marx) muss für jeden Vulgärmarxisten natürlich ein Greuel sein.

Für Wal Buchenberg und seine Leute ist einfach jede Arbeit "notwendige Arbeit", weil sie den Begriff "notwendige Arbeit" in Wirklichkeit gar nicht verstanden haben. Er ist nämlich selbst schillernd.

Für Kapitalisten ist "notwendige Arbeit" nämlich etwas anderes als für den Proletarier.

Für den Kapitalisten ist nämlich "notwendige Arbeit" diejenige Arbeit, die er braucht, um seinen Laden zum Laufen zu bringen.
Für den Proletarier ist "notwendige Arbeit" diejenige, die er aufwenden muss, um mit dem Ertrag seine Grundbedürfnisse zu decken.

Für den Indianer auf den karibischen Inseln war es nicht "einsichtig", warum er auf den Feldern der Kolonialisten arbeiten sollte, er deckte seine Bedürfnisse lieber dadurch ab, dass er mit seinesgleichen gemeinschaftlich fischen, jagen und sammeln ging. Aus seiner Sicht war "notwendige Arbeit" etwas ganz was anderes als für den Kolonialisten, dessen Latifundien ohne "notwendige Zwangsarbeit" gar nicht funktionieren konnte, und schon gar kein Mehrprodukt abwerfen.

Für Wal Buchenberg aber ist offensichtlich jede Arbeit notwendige Arbeit, sie sagen das sogar wörtlich. Und die Freiheit beginnt erst nach der Arbeit, die ewige Zwangsarbeit ist.

Gewiss, ein Karl Marx hatte schon vor 1848 ziemlich genau definiert, was er unter entfremdeter (entäusserter) Arbeit verstand, und dass die entfremdete Arbeit im Kommunismus aufgehoben sein wird, das setzte er schon voraus, wenn er darauf hinweis, dass es immer, auch in Zukunft, ein "Reich der Notwendigkeit" geben müsse, dem Rechnung getragen werden muss, um das "Reich der Freiheit" zu eröffnen.

Das sagt aber nichts darüber aus, wie und auf welche Weise und vor allem mit welcher Organisation der Arbeit dem "Reich der Notwendigkeit" Rechnung getragen werden kann.

Aber dass irgendjemand ihm den Blödsinn unterschieben würde, dass das gleichbedeutend wäre mit der Arbeit als äusseren Zwang als ewiges Prinzip für alle Gesellschaftsmitglieder, ich bin mir sicher, mit soviel Ignoranz konnte er gewiss nicht rechnen.

Gewiss: in der "Bochumer Kommune" mag die Arbeit als äusserer Zwang Strukturmerkmal sein, was dieses "Modell", wie Meno Hochschild zu recht sagt, abstossend und unattraktiv macht.

Antwort auf: Wal Buchenberg (03.04.2012, 10:24) und Kim B.

Autor - Meno Hochschild (Veröffentlichung nicht im Forum, sondern hier):

Über das bürgerliche Menschenbild

Eine erstaunliche Debatte, die inzwischen die Administration des Karl-Marx-Forums veranlaßt hat, die ärgsten Kritiker des Bochumer Kommunismusverständnis auszusperren und das bisher im Hinblick auf Schreibrechte öffentliche Forum zu schließen. Dennoch möchte ich gewisse Aspekte von Wal Buchenbergs Antwort auf meinen Beitrag nicht einfach so stehen lassen und veröffentliche meine Erwiderung eben außerhalb des Forums zum Nachlesen.

Zitat von W. Buchenberg: die Überlegungen von Fourier sind vor allem im Sowjetsystem "ernst genommen" worden. Da hat man "sozialistische Wettbewerbe" veranstaltet.

Mit Verlaub: Das Sowjetsystem mit all seinen bürokratischen Entstellungen und Arbeitsformen hatte mit Fourier rein gar nichts zu tun, viel eher schon mit im Kapitalismus abgekupferten verzerrten Wettbewerbsmodellen, die vielfach nach außen Anlaß für Satire boten. Im Ernst: Wie kann man in Anbetracht von GULAGs zu Stalins Zeiten (bis hin zu mitunter tödlicher Zwangsarbeit) nur entfernt an Fouriers Modell der anziehenden Arbeit denken??? Ein empörender Vergleich.

Buchenbergs Ausführungen zu Wettstreits ...

Ein "Wettstreit" hat Teilnehmer, das sind nach deiner Vorstellung die Arbeitenden. Aber jeder "Wettstreit" hat auch welche, die die Ziele setzen. Die nehmen selber an dem "Wettstreit" gar nicht teil. Und dann hat jeder "Wettstreit" auch (Schieds)Richter, die über richtig und falsch oder gut und böse richten. Auch diese sind keine Teilnehmer. Jeder Wettstreit ist für die Teilnehmer eine Zwangsjacke. Den Sportlern/Teilnehmern ist nicht erlaubt, sich zusammenzutun und die Regeln ihres Wettkampfes zu ändern und zu bestimmen. Die linken Utopisten von Fourier bis zu dir sehen sich alle in der Rolle der Richter, nicht in der Rolle der Teilnehmer. Nur so kann man den Wetteifernden ein Glücksgefühl andichten. Jeder Wettstreit und jeder sportliche Wettkampf ist ein Abbild von entfremdeter Arbeit, wo andere die Ziele setzen, die die Teilnehmer erreichen sollen, und um die sie mit anderen "wetteifern". Da gibt es erstens die Zielbestimmer (Planbürokraten oder Kapitalisten), zweitens gibt es die Schiedsrichter (Manager) und drittens die Malocher (Teilnehmer).

... sind längliche Betrachtungen des Wettstreits, wie er in seiner schlimmsten Form im Kapitalismus als Farce vorkommen kann. Aber leider mangelt es hier W. Buchenberg an Phantasie. Es kommt ihm nicht entfernt in den Sinn, daß sich die Teilnehmer eines Wettstreits auch selbst Regeln und gemeinsame Übereinkünfte geben können. Man denke nur an Fußball und andere sportliche Wettkämpfe. Von Zwang kann da keine Rede sein. Niemand MUSS Fußball spielen, Sportverbände hin oder her, aber mit Sicherheit wirkt der sportliche Wettstreit motivierend. Warum nicht auch in der kommunistischen Gebrauchswertproduktion?

Und was sagt Buchenberg zur Arbeit? Das kommunistische Arbeitsleben ist selbstbestimmt und nicht fremdbestimmt. Selbstbestimmt heißt zuallerst, dass die Arbeitenden ihre Ziele und Zwecke selbst bestimmen und sich nicht durch "Leidenschaften" und "Wettbewerbe" von irgendwelchen "Zielebestimmern" zum Arbeiten verführen und manipulieren lassen. Ganz in diesem Tenor lästert Wal Buchenberg auch über die Fourier'sche Spaßgesellschaft als Gegenstück zur Bochumer Kommune. In letzterer ist Arbeit also ohne Leidenschaft, nur mit stocknüchternem Verstand zu verrichten. Wie traurig und phantasielos! Quasi Roboterarbeit. Übrigens: Was passiert mit denjenigen, die aus der Reihe tanzen und sich nicht in dieses Korsett zwängen lassen? Forenausschluss. Zu mehr reicht die Macht der Bochumer Kommune glücklicherweise nicht.

Und weiter sagt Buchenberg provokativ in Verletzung der von ihm selbst verantworteten Forenregeln (-Vermeidung persönlicher Ansprache-): Und was ist mit allen notwendigen Arbeiten, die erst die natürliche Basis für freies Arbeiten schaffen? Freies Programmieren ist für dich der Kommunismus. Okay. Aber wer beschafft dir was zum Anziehen? Wer beschafft dir was zu Essen? Wer unterhält deine Wohnung? Wer putzt deinen Clo? Wer klärt deine Scheiße weg, die du den Clo runterspülst? Wer beseitigt deinen Müll, den du produzierst? Das sind alles Tätigkeiten, die durch äußere Zwänge anfallen, und die im Kommunismus nicht verschwinden werden.

Ich kann Wal Buchenberg beruhigen. Selbstverständlich besorge ich mir selber meine Kleidung, kann mich auch selbst anziehen, gehe täglich einkaufen, nicht nur für mich allein. Nein, auch für eine größere Familie, beteilige mich an der Hausarbeit, Müllbeseitigung usw. Im Ernst, das sind alles Tätigkeiten des alltäglichen Lebens, die noch nicht in die Sphäre der kapitalistischen Warenzirkulation und -produktion fallen, aber ebensowenig auch in die Sphäre der kommunistischen Gebrauchswertproduktion in einer kommunistischen Gesellschaft. Das Thema der Debatte ist ein anderes: Gesellschaftliche notwendige Arbeit und was daraus im Kommunismus werden kann. Hausfrauen- oder Hausmannsarbeit gehören nicht dazu.

Zweitens: Die von Buchenberg vorgenommene starre Trennung in notwendige und freie Arbeit wird im Kommunismus selbstverständlich so nicht existieren. Siehe dazu auch Bronsteyns hervorragende Ausführungen über die komplexe zusammengesetzte Arbeit. Oder bei Engels: Ein Architekt kann auch mal die Karre schieben. Im übrigen ist auch Universitätsdozenten und Studenten zumutbar, z.B. 2-3 mal im Jahr ein Klo auf der Uni zu putzen - als Mitbenutzer des Klos und Voraussetzung für eine attraktive Dozenten- oder Studientätigkeit. Und was das freie Programmieren in meinem Fall angeht: Es kommen dabei Teiltätigkeiten vor, die für mich alles andere als spaßig, ja öde sind. Trotzdem bleibt es eine meiner Leidenschaften, besonders dann, wenn ich schwierige Probleme lösen kann. Andererseits kann das für viele Zeitgenossen wie der blanke Horror erscheinen, sogar schlimmer als Kloputzen, zum Beispiel, wenn es um höhere Mathematik geht. Freie Arbeit muß also nicht für jeden gleichermaßen attraktiv sein, ebensowenig wie notwendige Arbeit für jeden gleichermaßen unattraktiv ist. Und was den ach so starren unversöhnlichen Gegensatz zwischen notwendiger und freier Arbeit angeht: Meine notwendige Arbeit bzw. mein Brötchenerwerb besteht ebenfalls aus Programmieren. Ich würde allerdings auch sagen, im Kommunismus wäre meine jetzige notwendige Arbeit zu mindestens 95% überflüssig, während meine jetzige freie Arbeit weitaus nützlicher wäre. Soviel als persönliche Fußnote zum Thema Produktivkräfteentwicklung und Charakter und Bedeutung der gesellschaftlich notwendigen Arbeit im Kommunismus. Es ist vor diesem Hintergrund wirklich nicht schwer, sich vorzustellen, wie die Aufhebung der Entfremdung der Arbeit im Kommunismus gehen kann.

Ich deutete in meinem vorherigen Beitrag die fatale Möglichkeit von Aufsehern an: Wie will die Bochumer Kommune dafür sorgen, daß notwendige Zwangsarbeit verrichtet wird, wenn freiwillige Arbeit nicht in Frage kommen soll? Von Buchenberg selbst kommt da praktisch nur Schweigen im Walde. Ein anderer Genosse namens Kim B. wird hier deutlicher. Er schreibt in einem Disput mit Bronsteyn: Die Anwendung des Verstandes ist die einzige Möglichkeit, Gewalt und Zwang zu verhindern. Der Verstand? Das passt zu Buchenbergs Definition der Arbeit als zweckbestimmte Problembeseitigung. Eine merkwürdige Argumentation für einen, der sich zum (materialistischen) Marxismus bekennt. Sind Menschen wirklich durch irgendwie über den Menschen schwebende Vernunftsprinzipien statt durch eigene soziale Interessen und Leidenschaften geleitet? Um das von Kim B. bemühte Beispiel der Altenpflege in einem seiner Beiträge zu bemühen: Jeder soll sich rein rational sagen (zwingen?), daß die mühsame Pflege der eigenen Großmutter notwendig sei (warum eigentlich? - vielleicht um selber im Alter besser behandelt zu werden - ein eigennütziges Motiv). Natürlich, Leidenschaft, Mitgefühl und Fürsorge gelten nicht (oder sind bestenfalls von nebensächlicher Bedeutung). Es muß die "Vernunft" regieren. Aber halt, ist die notwendige Arbeit in der Bochumer Kommune nicht ewiger unverhinderbarer Zwang? Ja, genau das schreibt Kim B. in einem vorherigen Beitrag:

Weil sich aus rationalen Gründen nie ein gesunder Mensch aus freien Stücken um das Scheiße wegschaffen bemühen wird, ergibt sich zwingend, dass im Kommunismus niemand die Scheiße wegschaffen wird, sie also im Plumpsklo, hinterm haus oder sonstwo in der Natur landen wird.

Der Widerspruch ist offenkundig. Derselbe Verstand bzw. die rationalen Gründe gebieten nach Kim B. es, die unangenehmen menschlichen Hinterlassenschaften nicht freiwillig zu beseitigen. Was nun? Wenn es nicht einmal der Verstand schafft, wer oder was sorgt dann dafür, daß notwendige Zwangsarbeit verrichtet wird? Vielleicht wird es doch Aufseher in der Bochumer Kommune geben.

Das Menschenbild dieser Bochumer Kommune kommt mir irgendwie bekannt vor. Unangenehme Tätigkeiten werden angeblich nie freiwillig angenommen, mit anderen Worten: Menschen sind von Natur aus faul. Wo haben wir das schon mal gehört? Richtig! Die Kapitalisten und ihre bürgerlichen Medien sagen es tagtäglich. Arbeiter müssen zur Lohnarbeit gezwungen werden. Mithin erscheinen sie aus kapitalistischer Perspektive als tendenziell faul (wollen nicht mehr arbeiten), egoistisch und eigennützig (fordern zu viel). Gut, das sagen vielleicht nur hartgesottene Konservative und denken es nicht immer so laut. Etwas klügere bürgerliche Vertreter sagen wie auch sehr viele Arbeiter: Ja Kommunismus ist eine schöne Utopie, nur leider nicht möglich, weil die Menschen von Natur aus eben faul, egoistisch etc. wären. In Wirklichkeit handelt es sich um eine Projektion der herrschenden Klassenverhältnisse in die menschliche biologische Natur. Es ist aber der ideologische Widerhall der kapitalistischen Lohnarbeit, die notwendig Zwangscharakter hat. Ich fürchte, die Vertreter der Bochumer Kommune sitzen leider auch diesem bürgerlichen Menschenbild auf. Stimmen kann dieses Bild aus proletarischer Perspektive ohnehin nicht. Beispiel Altenpflege: Viele junge Arbeiter entscheiden sich aus freien Stücken für den Ausbildungsberuf der Altenpflege, wohl wissend, daß dazu auch übelriechende Tätigkeiten wie das Abwischen eines Hinterns gehören. Einen Zwang der Berufswahl gibt es nicht. Und die eher schlechte Bezahlung kann als Motivation nur eine untergeordnete Rolle spielen. Vielmehr sind offensichtlich soziale und fürsorgerische Motive für ihre Berufswahl von Bedeutung - auch das sind wichtige Fourier'sche Leidenschaften.

Nachtrag: Überhaupt ist das so eine Sache mit dem Verstand und der "zweckbestimmten Problembeseitigung", was angeblich Gewalt und Zwang verhindern soll. Auch hier kommt es auf den Standpunkt und die Zeit an. Kim B.s Satz suggeriert einerseits, daß Menschen in früheren Epochen und Gesellschaftsformationen dümmer gewesen sein müssen, da offenkundig früher stets nur ein Zwangssystem durch das nächste abgelöst wurde (z.B. der Wechsel von der Feudalzeit zum Kapitalismus). Das ist jedoch höchst fragwürdig, denn ich halte z.B. die Nutzbarmachung des Feuers, die Einführung des Ackerbaus etc. in der Steinzeit durchaus für sehr verständig, wenn nicht sogar genial, besonders wenn die damaligen Produktivkräfte betrachtet werden. Andererseits ist dieser "Lösungsansatz" zur Vermeidung von Zwang nicht nur vollkommen ahistorisch, sondern auch von sozialen Interessen abhängig. Zum Beispiel wird aus kapitalistischer Perspektive die Anwendung von Gewalt geradezu vernunftmäßig sein, z.B. das Rufen der Polizei als Streikbrecher. Eine pointierte Nachfrage: Wie sieht es mit der Anwendung des Verstands in der Bochumer Kommune aus?

Vielleicht haben Vertreter der Bochumer Kommune schon mal ihre zukünftige Aufseherrolle geübt, als es um die Entfernung von Bronsteyns Registrierung ohne Rückfrage und die nachträgliche Sperrung des Forumthreads ging. Aus ihrer Sicht wohl auch eine zweckbestimmte Problembeseitigung.

Cross references: