Was tun gegen die faschistische Gefahr?

Was bringt ein NPD-Verbot?

Fast täglich finden sich in den Nachrichtenspalten der Zeitungen Meldungen von rassistischen Übergriffen auf Schwarze und Migranten, faschistischen Angriffen auf Linke, Punks oder Obdachlose, Anschlägen auf linke Zentren, Hakenkreuzschmierereien oder die Schändung jüdischer Friedhöfe. Keine Woche vergeht ohne faschistische Aufmärsche. Insbesondere in ländlichen, deindustrialisierten Gebieten Ostdeutschlands sind faschistische Gruppierungen mittlerweile in der Jugendkultur ebenso etabliert wie in der Kommunalpolitik. Die NPD sitzt in Fraktionsstärke in den Landtagen von Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen. Doch Faschismus ist kein ostdeutsches Phänomen. Auch im Westen, im Ruhrgebiet oder in Bayern, haben Neonazis ihren “Kampf um die Straße, um die Köpfe und um die Parlamente” aufgenommen. NPD und DVU stützen sich längst nicht mehr nur auf Randgruppen. Ihre Kandidaten, Wähler und Sympathisanten kommen aus der sprichwörtlichen Mitte der Gesellschaft — darunter sind in der Krise des Kapitalismus wild gewordene Unternehmer, Handwerker und kleine Kaufleute ebenso wie von den traditionellen “Arbeiterparteien” SPD und LINKE in Stich gelassene Arbeiter und Arbeitslose.

Zur Hauptkraft im faschistisch-rechtsextremen Lager ist die NPD geworden. Ehemalige Funktionäre der rechtspopulistischen Republikaner sind ebenso in die Reihen der NPD getreten wie Schläger der neonazistischen Kameradschaften. Von einer besitzbürgerlich ausgerichteten Altherrenpartei ewiggestriger Wehrmachts-Nostalgiker am rechten Rand der CDU hat sich die NPD während der 90er Jahre zu einer jugendlichen, dynamischen Kraft mit systemüberwindendem Anspruch entwickelt, die kein Geheimnis aus ihrem Ziel eines nationalsozialistischen — sprich: faschistischen — Deutschland macht.

Über 175.000 Menschen haben im vergangenen Jahr die Forderung der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes VVN-BdA nach einem Verbot der NPD unterschrieben. Sie haben damit Stellung genommen gegen rechte Schläger, aggressiven Rassismus, Antisemitismus, die Abschaffung demokratischer Freiheiten und gegen hemmungslosen Militarismus. Ein Verbot dieser wichtigsten faschistischen Partei in Deutschland würde diese Nazis von den staatlichen Geldzuwendungen der Parteienfinanzierung abschneiden. Sie könnte nicht mehr so einfach als zugelassene Partei Demonstrationen anmelden und öffentliche Gebäude für ihre Propagandaveranstaltungen anmieten. Ein NPD-Verbot würde auch vielen rechten Wählern deutlich machen: Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen!

Die Marxistische Initiative steht der auch von DKP und SDAJ, MLPD und Teilen der Linkspartei vertretenen Forderung nach einem NPD-Verbot dennoch ablehnend gegenüber. Wieso? Weil ein Appell an das Parlament oder die bürgerliche Justiz, die faschistische Bewegung zu illegalisieren, die faschistische Gefahr nicht beseitigt und nicht einmal effektiv bekämpft.

Faschismus ist nicht nur Ausdruck ewig gestriger Unbelehrbarkeit und ideologischer Verblendung. Er ist als Massenbewegung zugleich und in erster Linie das Produkt einer verrottenden, in Fäulnis übergehenden kapitalistischen Gesellschaft. Der Faschismus wird immer dann zur akuten Gefahr, wenn das Kleinbürgertum, deklassierte Mittelschichten und Arbeitslose jedes Vertrauen in eine sozialistische Krisenlösung verloren haben und bereit sind, sich für eine reaktionäre Krisenlösung mobilisieren zu lassen. Obwohl die Faschisten aus Sicht der herrschenden Klasse zurzeit eher ein innen- wie außenpolitisches Ärgernis sind, sind die Faschisten für sie eine strategische Reserve im Klassenkampf. Die Bourgeoisie greift nach allen historischen Erfahrungen (Italien, Deutschland und Spanien) dann auf die Dienste der Faschisten zurück, wenn sie die Radikalisierung und Unzufriedenheit der Arbeiterklasse mit ihren normalen, parlamentarischen und autoritären Herrschaftsmethoden und Repressionsinstrumenten nicht mehr in den Griff bekommt.

Die Bourgeoisie hat deshalb ein durch und durch taktisches Verhältnis zu den wildgewordenen Kleinbürgern der NPD. Sie sieht in den Faschisten keine wirklichen Feinde, sondern ungebärdige und undisziplinierte Kampftruppen, die gezügelt, aber nicht zerschlagen werden müssen. Selbst dort, wo sie zu Verboten faschistischer Vereinigungen greift, setzt sie Verbote nicht konsequent um. Neugründungen werden -anders als bei Verboten linker Organisationen- regelmäßig geduldet. Das Verbot einer faschistischen Partei wird die Bourgeoisie nicht davon abhalten, bei Bedarf eine neue faschistische Partei aus dem Bodensatz der bürgerlichen Gesellschaft zu stampfen.

Hinzu kommt: Appelle an den bürgerlichen Staat schüren nur Illusionen in diesen Staat, anstatt deutlich zu machen, dass nur der eigene Kampf die Niederlage der Faschisten sichert. Dazu braucht es Mut in die eigene Kraft, den gemeinsamen Kampf der Arbeiterbewegung und aller Antifaschisten.

Wir haben vom bürgerlichen Staat im Kampf gegen Rechts nichts zu erwarten. Es ist die Polizei dieses Staates, die regelmäßig Nazikundgebungen schützt und antifaschistische Proteste mit Knüppeln auseinandertreibt. Es ist die Justiz dieses Staates, die Antifaschistinnen und Antifaschisten zu Geld- und Haftstrafen verurteilt. Es ist dieser Staat, der mit der Abschiebung von Flüchtlingen und Migranten der Naziforderung “Ausländer raus” nachkommt. Es ist dieser Staat, der Millionen hier lebender Menschen zu Bürgern zweiter Klasse macht, in dem er Migrantinnen und Migranten gleiche Rechte verweigert und auch damit die Nazipropaganda von der angeblichen Minderwertigkeit von “Ausländern” unterstützt. Es sind die Politiker der Regierungsparteien CDU/CSU dieses Staates, die mit ihren rassistischen Hetzkampagnen gegen “Ausländerkriminalität” den Boden für faschistische Gruppierungen bereiten. Und es ist die von diesem Staat geschützte kapitalistische Wirtschaftsordnung, deren soziale Verwerfungen mit Massenarbeitslosigkeit, Lohnsenkungen, Fabrikschließungen und Hartz IV erst den Nährboden für das Wachstum faschistischer Parteien bieten.

Bereits das letzte von der rot-grünen Bundesregierung angestrengte Verbotsverfahren endete zu Gunsten der NPD. Nicht etwa, weil der NPD keine Verfassungsfeindlichkeit nachzuweisen wäre, sondern weil sich Bund und Länder weigerten, die Spitzel des Verfassungsschutzes aus den Gremien der NPD abzuziehen und so ein rechtsstaatliches Verfahren zu ermöglichen. Bis heute sind V-Leute der Geheimdienste zum Teil in führenden Positionen der NPD — Nazihetzer auf Staatskosten also. Ein V-Mann in Nordrheinwestfalen hat sogar Waffen ins Nazimilieu eingeschleust und war in kriminelle Aktivitäten bis hin zu einem Raubüberfall verwickelt. CDU/CSU sind strikt gegen einen Abzug der V-Leute aus der NPD, und selbst scheinbare Befürworter eines NPD-Verbots wie SPD-Chef Beck halten die Geheimdienstspitzel für unverzichtbar. Unter diesen Voraussetzungen würde auch ein neues NPD-Verbotsverfahren scheitern und die Nazis am Ende gestärkt hervorgehen lassen.

Vor allem aber hat die geschichtliche Erfahrung gezeigt, dass jedes Verbot einer faschistischen Partei dazu dient, dem bürgerlichen Staat das Gesetzesinstrumentarium und die Legitimation zu geben, auch gegen linke und fortschrittliche Organisationen vorzugehen. Das Verbot der faschistischen “Sozialistischen Reichspartei”, einer direkten Nachfolgeorganisation der NSDAP, Anfang der 50er Jahre diente so der Vorbereitung des Verbots der Kommunistischen Partei Deutschlands KPD 1956. In Frankreich wurden nach dem Arbeiter- und Studentenaufstand im Mai 1968 mehrere kommunistische und anarchistische Organisationen auf einer gesetzlichen Grundlage verboten, die noch von der “antifaschistischen” Volksfrontregierung der 30er Jahre gegen die französischen Faschisten stammte. In Deutschland folgte auf die Verbote faschistischer Organisationen wie der Freiheitlichen Arbeiterpartei FAP Anfang der 90er Jahre 1993 das Verbot der Arbeiterpartei Kurdistans PKK.

Jeder Appell an den Staat, im Namen der Demokratie die Bekämpfung der Nazis zu übernehmen, schürt Illusionen in die Stabilität der parlamentarischen Verfasstheit des bürgerlichen Staates anstatt das wirkliche Verhältnis zwischen den Kapitalisten und dem Faschismus deutlich zu machen. Jede im Namen des Kampfes gegen Rechtsextremismus beschlossene Gesetzesverschärfung kann und wird mit ausgesuchter Brutalität besonders gegen die Linke und die Arbeiterbewegung eingesetzt werden. Durch Einschränkungen der Versammlungsfreiheit werden Nazis in einzelnen Bundesländern zwar daran gehindert, ihre antisemitische Hetzte vor Holocaustgedenkstätten zu betreiben, doch auch Antifaschistinnen und Antifaschisten werden dort keine kämpferischen Gedenkveranstaltungen für die Opfer des Nazi-Faschismus mehr abhalten können. Zuerst wurde Nazi-Skins das Tragen von Springerstiefeln auf Demonstrationen untersagt; dieses Jahr mussten auch linke Punks ihre Stahlkappenschuhe auf der Gedenkdemonstration für Liebknecht und Luxemburg in Berlin ausziehen. Im Dezember 2007 beschloss die Innenministerkonferenz, im Kampf gegen Rechtsextremismus künftig “extremistischen” Vereinen und Parteistiftungen die Gemeinnützigkeit zu entziehen. Der Haken an der Sache: Die NPD hat bislang gar kein Anrecht auf eine staatlich finanzierte Parteistiftung. Sollte dieser Beschluss also umgesetzt werden, geht dies eher zu Lasten zahlreicher fortschrittlicher Vereinigungen, die vom Verfassungsschutz als linksextrem eingeschätzt werden.

Selbstorganisierter Antifaschismus statt Appelle an den bürgerlichen Staat

Wer in Deutschland verhindern will, dass die Faschisten wieder zur akuten Gefahr für das Überleben der Arbeiterbewegung werden, muss in erster Linie dafür sorgen, dass eine neue marxistische Partei entsteht, die erfolgreich gegen die Offensiven von Kapital und Regierung kämpfen kann und tatsächlich kämpft. Der Versuch, ein Bündnis mit eben dieser (bürgerlichen) Regierung gegen den Hauptfeind der Arbeiterbewegung von morgen und (zugleich der letzten Trumpfkarte der Bourgeoisie in der Krise) zu schließen, ist eine illusionäre Don Qichoterie. Nebenbei bemerkt ist das exakt die Politik, die die SPD schon vor 1933 betrieben hat…

Entscheidend im Kampf gegen den jetzt schon erstarkenden Faschismus ist heute der gemeinsame Widerstand von unten, sowohl von denjenigen, die wie Migrantinnen und Migranten, Schwule, Linke oder Punks schon heute von Angriffen der Neonazis betroffen sind, wie auch von all` denjenigen, die wie die Gewerkschaften schon morgen auf der Abschussliste der Nazis stehen werden. Statt Illusionen in die Polizei zu streuen, die bei Naziüberfällen gern lange auf sich warten lässt und am Ende keine politischen Motive erkennen will, müssen wir antifaschistischen Selbstschutz organisieren.

In breiten Bündnissen müssen die Linkspartei, sozialistische und kommunistische Organisationen, autonome Antifa, Migrantenvereine, Schwulen/Lesbenverbände und vor allem die Gewerkschaften als größte Organisationen der Werktätigen in Deutschland den Widerstand gegen Naziterror organisieren. Wir müssen die Nazis dort stoppen, wo sie ihre Stärke herbeziehen: auf der Straße. Doch mit einzelnen Steinwürfen auf NPD-Büros oder Brandsätzen unter den Autos von Nazikadern werden wir die Faschisten nicht zurückdrängen können. Nur wenn es uns gelingt, breite antifaschistische Aktionsbündnisse zu schließen und massenhaft den Nazis entgegenzutreten, können wir ihre Aufmärsche stoppen. Nicht symbolische Kundgebungen fernab der Naziaufmärsche werden helfen, sondern nur die direkte Konfrontation. Am 1.März 1997 gelang es 15.000 Münchnerinnen und Münchnern, den Marsch von 5000 NPD-Anhängern gegen die Ausstellung “Verbrechen der Wehrmacht” zu stoppen. Auch in den letzten Jahren konnten in vielen deutschen Städten Nazidemonstrationen durch Sitzblockaden und Gegendemos gestoppt, behindert oder zumindest isoliert werden. Wir müssen die Nazis überall dort mit massenhaftem Widerstand konfrontieren, wo sie öffentlich auftreten wollen. So werden ihre Anhänger frustriert und ihre Führer isoliert.

Unverbindliche Allianzen gegen “Extremismus und Gewalt”, die sich zugleich gegen angebliche Gewalt von Links richten, symbolische “Bunt- statt Braun-Feste” der Stadtverwaltungen und Gewerkschaftsbürokraten fernab von gleichzeitig stattfindenden Naziaufmärschen, Menschenketten oder “Bündnisse für Demokratie und Toleranz” die von Unternehmerverbänden, CSU/CDU und FDP und sogar der Polizei mitgetragen werden, lehnen wir ab. Denn nicht mit den entschiedenen Verteidigern der bürgerlich-kapitalistischen Ordnung, die mit ihren Sondergesetzen gegen Migranten Rassismus erst hoffähig gemacht haben, können wir die Nazibanden stoppen, sondern nur, wenn wir eine sozialistische Systemalternative aufzeigen.

Kapitalismus und Faschismus

Immer mehr frustrierte Jugendliche, Arbeiter, die um ihre Arbeitsplätze bangen, kleine Handwerker und Ladenbesitzer, die angesichts eines globalisierten Kapitalismus Existenzangst haben und Deklassierte und Arbeitslose beginnen, in faschistischen Parteien wie der NPD die einzige Systemalternative zu sehen. Die neoliberale Regierungspolitik der Linkspartei in Berlin und ihre Rolle als Arzt am Krankenbett des Kapitalismus in vielen Kommunen tragen zur Diskreditierung der Linken insgesamt bei. Ein gut gemeintes “Nazis raus aus den Köpfen”, wie es die Linkspartei plakatiert, erklärt nicht, wie das faschistische Gedankengut überhaupt erst in die Köpfe kommen konnte.

Der Philosoph Max Horkheimer erklärte nach seiner Flucht vor den Nazifaschisten 1939 in den USA zutreffend: “Wer vom Kapitalismus nicht reden will, soll vom Faschismus schweigen.” Tatsächlich ist es das kapitalistische System mit seinem Konkurrenzprinzip, dem Kampf aller gegen alle, in dem nur die Stärksten überleben, das die Grundlage für das Aufkommen entmenschter faschistischer Banden legt. Wenn Gewerkschaftsbürokraten gemeinsam mit Unternehmerverbänden für den “Standort Deutschland” kämpfen und Linksparteichef Oskar Lafontaine deutsche Familienväter vor polnischen Billigarbeitern warnt, öffnet dies Tür und Tor für das rassistische Gift, das die Kolleginnen und Kollegen vom Kampf gegen ihren wahren Gegner — die deutschen Bosse und Banken — ablehnt.

Zwar darf Antikapitalismus keine Eintrittshürde für die Teilnahme an antifaschistischen Bündnissen sein. Hier sollte jeder willkommen sein, der etwas gegen Neonazis und Rassismus tun will. Marxistinnen und Marxisten dürfen es sich aber nicht nehmen lassen, in antifaschistischen und antirassistischen Aktionsbündnissen, auf Demonstrationen und Veranstaltungen zugleich über eine sozialistische Alternative zu reden. Denn wenn Linke beim Antifaschismus stehen bleiben, geben sie der hohlschwätzigen Anti-Nazi-Rhetorik der bürgerlichen Parteien SPD und Grünen nur eine linke Flankendeckung. Solange wir die entscheidenden sozialen Konfliktfelder nicht selber mit einer sozialistischen Programmatik besetzen, können sich Faschisten als die einzig wahre Systemalternative präsentieren und unsere Kämpfe gegen Nazi-Skins und die NPD bleiben letztlich Scheingefechte mit dem Rücken zur Wand.

Kein Fußbreit den Nazis!
Für antifaschistischen Selbstschutz statt Illusionen in den bürgerlichen Staat!
Weg mit allen Sondergesetzen gegen Migrantinnen und Migranten! Gleiche und demokratische Rechte für alle, die hier leben! Für Freizügigkeit statt Einwanderungsbeschränkungen!
Für eine sozialistische Alternative!