Wahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern:

Eine Nachlese

Für die CDU und die FDP nehmen die Katastrophen kein Ende. Beide Wahlen sind für die Regierung Merkel ein Debakel. Merkels Regierung, die FDP noch mehr als die Union, erhielt zwei mal mehr die Quittung für ihren schlingernden politischen Kurs , ihre Konzeptionslosigkeit und Handlungsunfähigkeit. Die FDP bewies ihrer mittelständischen Wählerklientel, daß sie entgegen ihrer großmäuligen Versprechen für sie nichts tun kann. Ob Eurokrise, Krise der Weltwirtschaft oder die neuerliche Stagnation der produzierenden Wirtschaft — die bürgerlichen Sanierungskonzepte, gleichgültig ob neoliberal oder neokeynesianisch — greifen nicht oder bereiten postwendend neue Krisenszenarien vor. Die ratlose Wurschtelei zwischen den konkurrierenden Glaubenssätzen der bürgerlichen Nationalökonomie zerschellt am internationalen Charakter der Krise.

Die SPD ist diesbezüglich Teil des Problems. Aber vordergründig ist nach diesen letzten Wahlsonntagen alles bestens für die SPD. Das Wahlkampfkonzept, sich inhaltlich überhaupt nicht zu äußern und nette Herren an die Spitze zu stellen, ist wieder einmal aufgegangen. Die Schwäche ihrer Wahlkonkurrenten ermöglichte der SPD auf der Oberfläche des parlamentarischen Scheins wieder einmal Erfolge. Für die sozialdemokratischen Spitzen ist die Welt daher in Ordnung. In beiden Ländern kann sie weiter die Regierung anführen und die kapitalistische Krise weiter verwalten.

Hinter dem schönen parlamentarischen Schein der Verteilung der abgegebenen gültigen Stimmen — diese Prozentzahlen beherrschen die mediale Debatte — lenkt ein Blick auf die Wahlbeteiligung in Mecklenburg-Vorpommern die Aufmerksamkeit auf den Umstand, daß weitere zehn Prozent der Wahlberechtigten den Wahlurnen ferngeblieben sind. Alle Parteien außer den Grünen haben im Norden Stimmen verloren. Die herrschende bürgerliche Politik — einschließlich der Opposition - repräsentiert ganz offiziell nur noch eine Minderheit der Bevölkerung. Sie verliert damit an Legitimation.

In Berlin erlitt die regierende rot-rote Senatskoalition eine Wahlniederlage. Die SPD verlor zwar viel weniger Stimmen als noch vor wenigen Monaten erwartet, doch die Fortsetzung der rot-roten Koalition ist wegen der weiteren Verluste der Partei Die Linke nicht möglich. Deren Verlust von knapp 1,7 % sieht viel weniger dramatisch aus, als er eigentlich ist.

Die Zustimmung der Linken hat sich seit 2001 von 2006 bis 2011 von 22,6% über 13,4% im Jahre 2006 auf 11,6% in diesem Jahr fast halbiert. Wenn man bedenkt, daß die Linke nach der Wahl 2006 mit der WASG fusionierte, die 2006 nur knapp an der 5%-Hürde gescheitert war, muß von einem neuen Debakel des rechten Flügels der Linken ausgegangen werden.

Er erntet die Früchte von zehn Jahren allenfalls scheinlinker Real- und Regierungspolitik. Diese Herrschaften entzaubern dort, wo sie ihre Strategie in scheinsozialdemokratischen Regierungen praktizieren können, den reformistischen Mythos besser, als es Dutzende Entlarvungsflugblätter von Sozialisten tun können.

Der Höhenflug der Grünen — erstmaliger Einzug ins mecklenburgische Landesparlament und kräftige Gewinne in Berlin — erscheint gestoppt. Auch er hat seine Grundlage nicht in einer glaubhaften, noch so minimalistischen Strategie zur Gesellschaftsveränderung, sondern in der Schwäche der parlamentarischen Konkurrenz. Nichts zeigt das deutlicher als die Wahlerfolge der Piraten, die als unverbrauchte Protestpartei mit radikaldemokratischem Image nicht nur in Berlin mit 9% der abgegebenen Stimmen einen spektakulären Erfolg errangen, sondern auch im Norden bei gebildeteren Erst- und Jungwählern erhebliche Unterstützung fanden. Auch wenn hinter diesem Erfolg kein gesamtgesellschaftliches Konzept steht, repräsentiert diese Partei, die in Berlin dem linkeren Parteienspektrum Stimmen abjagte und Nichtwähler von 2006 mobilisierte, die Ablehnung der herrschenden Politik und den Willen der Jugend zu progressiven Reformen. Es ist jedoch unwahrscheinlich, daß die Piraten die in sie gesetzten Erwartungen erfüllen werden.

Die Faschisten haben bei dieser Wahl keine spektakulären Fortschritte gemacht. Aber sie haben besonders im äußersten Nordosten ihre soziale Verankerung konsolidiert und sind wieder in den Landtag eingezogen. Das allein belegt die Notwendigkeit, die Schwäche der Linken zu überwinden. Leider zeigt gerade in den Hochburgen der Faschisten die Partei Die Linke keinerlei Ansätze, den Opfern der kapitalistischen Krise eine Kampfperspektive aus ihrer Misere zu weisen. Stattdessen strebt sie in die Regierung, weil sie ungeachtet aller praktischen Erfahrungen der Illusion anhängt, sie könne die kapitalistische Krise besser verwalten als die offen bürgerliche Konkurrenz.

Es ist daher mehr als dringend , einen Neuformierungsprozeß der revolutionären Linken in Gang zu bringen.

Marxistische Initiative, 21.09.2011