Marxistische Staatstheorie

und der Zusammenbruch des Stalinismus

Eine Analyse der LTT (1995)

Inhalt:

Zur Einführung (Marcel Souzin)

1. Zur historischen Bedeutung der “Verteidigung der Sowjetunion”

2. Mechanischer Materialismus und Staatstheorie

3. Workers Power: Ökonomismus und Staatstheorie

4. Die sozialen Umwälzungen nach dem Zweiten Weltkrieg
- Probleme des Übergangs

5. Trotzki und die möglichen Pfade der Konterrevolution

6. Der Weg der Restauration

7. Selbstbestimmung, Lostrennung und nationale Frage

8. Der Putsch im August und das Ende der Sowjetunion

9. Die Krise der Restauration

10. Für ein Aktionsprogramm


Marcel Souzin: Zur Einführung

Das nachfolgend präsentierte Dokument ist das Ergebnis einer jahrelang geführten Debatte innerhalb der nicht mehr existierenden Leninistisch-Trotzkistischen Tendenz (LTT) wie auch zwischen der LTT und der Workers International League (WIL) und anderen Bestandteilen des Verbindungskomitees (trotzkistischer Gruppen), das 1989 außerdem noch Voce Operaia aus Italien, die österreichische Revolutionär-Kommunistische Liga (RKL) und die Revolutionary Workers League (RWP) aus Sri Lanka umfasste, die von Edmund Samarakoddy geführt wurde. Eines der unmittelbaren Ergebnisse dieser Debatte war, daß die deutsch-belgische LTT und die WIL ihre Zusammenarbeit vertieften, die kurz nach dem Debakel des Preparatory Committee begonnen hatte. Letzteres war nach der Zerfallskrise der britischen Workers Revolutionary Party unter Healy um die Workers Revolutionary Party/Workers Press in Britannien, die Internationale Arbeiterliga Nahuel Morenos in Lateinamerika und die Groupe d’Opposition et de Continuité de la Quatrième Internationale (GOCQI) von Balazs Nagy (besser bekannt unter seinem Pseudonym Michel Varga) sowie einer Gruppe südafrikanischer Trotzkisten gebildet worden. Die seinerzeitige LTT hatte an diesem Umgruppierungsversuch ohne große Illusionen teilgenommen, mit der festen Absicht, in der anstehenden Debatte soweit wie irgend möglich anstehende Fragen zu klären. Dies erweckte die Aufmerksamkeit der WIL. 1991 waren beide Organisationen zu der Ansicht gekommen, daß sie eine so weitgehende politische Übereinstimmung in Bezug auf die verschiedenen, damals wichtigen politischen Probleme erzielt hatten, daß sie trotz ihrer unterschiedlichen politischen Ursprünge miteinander fusionierten. Die entstehende Organisation behielt den Namen LTT bei. Kurze Zeit danach schloß sich die südafrikanische Gruppe “Genossen für eine Arbeiterregierung” der LTT an.

Der ursprüngliche Entwurf dieses Dokuments wurde von einem führenden Genossen der LTT aus Deutschland verfaßt und auf mehreren Leitungstreffen der LTT gründlich diskutiert. Dabei wurde ein gemeinsames Verständnis eines der wichtigsten Ereignisse des letzten Jahrhunderts entwickelt. Die LTT-Führung beauftragte dann die Genossen der Workers International League (WIL, britische Sektion der LTT) mit der Fertigstellung des Entwurfs, der einen ausführlichen historischen Überblick über die Debatte erhalten sollte, die in der Vierten Internationale zum Sturz des Kapitalismus in Osteuropa nach dem Zweiten Weltkrieg stattgefunden hatte. Diesen Auftrag hatten die Genossen mit aller Sorgfalt erfüllt und das Dokument wurde daraufhin von der LTT einstimmig angenommen.

Als das Dokument schließlich in der Zeitschrift “In Defence of Marxism” No. 3 im Juni 1995 veröffentlicht wurde, waren wir uns nicht bewußt, daß das der Schwanengesang der LTT sein würde. Neue politische Differenzen entstanden, Enttäuschung über die allzu langsame Entwicklung machte sich breit, in der englischen Führung führten zynische bürokratische Manöver dazu, daß die WIL in eine Krise geriet, die zur Auflösung der Organisation und ihre Ersetzung durch zwei neue Gruppen führte, wobei viele Genossen im Verlauf dieses Prozesses demoralisiert wurden, aus der Organisation getrieben wurden und dann beiden Gruppen fern blieben. Bald danach hörte die LTT auf internationaler Ebene auf zu arbeiten. Sie zollte ebenfalls ihren Tribut an eine der größten Niederlagen, die die internationale Arbeiterklasse in ihrer Geschichte erlitten hatte, die Implosion der Arbeiterstaaten. Workers Action, die jetzt noch verbliebene der beiden damals in Britannien entstandenen Organisationen, hat sich nach ihrem Bruch mit der LTT in eine rechtszentristische Gruppe verwandelt.

Der Zusammenbruch der LTT in der Periode 1996-1997 war kein isoliertes Phänomen. Er war Teil eines allgemeinen Trends, der auch zur zeitweisen Stärkung der Sozialdemokratie geführt hatte, zum nahezu vollständigen Verschwinden des Stalinismus und seiner chinesischen Variante, dem Maoismus, wenigstens in den imperialistischen Ländern und seiner Schwächung anderswo.

Weltweit war die “trotzkistische” Bewegung davon nicht ausgenommen. Es liegt auf der Hand, daß die kombinierten Auswirkungen der Implosion der Arbeiterstaaten und der Rückschläge der Niederlagen bzw. der Eindämmung der revolutionären Bewegungen (Portugal, Spanien, Angola, Vietnam …) dazu geführt haben, daß eine ganze Generation von Kadern “verbrannte”, die diese Bewegungen getragen hatte. Heute betritt weltweit eine neue Generation die politische Bühne. Der Kampf für den Aufbau der sozialistischen Bewegung muß mit um so mehr Energie geführt werden, wenn wir verhindern wollen, daß unser Planet und die Menschheit in der Barbarei versinken.

Dieses Dokument hat — unserer Ansicht nach erfolgreich — versucht zu erklären, was ein Arbeiterstaat ist, weshalb eine konterrevolutionäre Bewegung wie der Stalinismus zu fortschrittlichen Maßnahmen gezwungen wurde ohne deshalb aufzuhören, das Haupthindernis für die Emanzipation der internationalen Arbeiterklasse und der unterdrückten Völker zu sein. Es offeriert klare Kriterien dafür, was ein Arbeiterstaat ist, wie und ab wann er entsteht. Schließlich erklärt es, wie diese Umwälzungen ihrerseits wieder umgewälzt wurden und erneut ein brutaler Kapitalismus etabliert wurde, nötigenfalls mit Hilfe brutalster Repression.

Schließlich sollte die parasitäre Verteidigung der Arbeiterstaaten durch den Stalinismus diese Staaten von innen vollständig untergraben und ihren Zusammenbruch vorbereiten, den wir um das Jahr 1990 herum erlebten. Der Imperialismus brauchte seine verlorenen Märkte gar nicht mit Waffengewalt zurückerobern. Der Stalinismus servierte ihm die Arbeiterstaaten auf dem Silbertablett. Trotzkis Auffassung, daß der Stalinismus der Transmissionsriemen des Imperialismus in den Arbeiterstaaten war, wurde damit bestätigt.

Leider sind die Arbeiterklasse und ihre Bündnispartner im Wesentlichen passiv geblieben. Jahrzehnte politischer Repression in dieser oder jener Form und der parasitäre Lebensstil der stalinistischen Bürokraten — alles im Namen des Sozialismus und/oder Kommunismus - haben zu einer Vereinzelung innerhalb der Arbeiterklasse und zum Rückgang des Klassenbewußtseins geführt. Es wiederzubeleben ist heute eine der wichtigsten Aufgaben des Trotzkismus. Diese kann nur durch eine aktive Teilnahme am Klassenkampf und den Wiederaufbau der Vierten Internationale und ihrer Sektionen in jedem Land erfüllt werden.

Marcel Souzin

Brüssel, Oktober 2007


Marxistische Staatstheorie

und der Zusammenbruch des Stalinismus

“In Rußland setzt sich die reaktionäre Idee des Sozialismus in einem Lande durch. Das könnte letztlich zur Restauration des Kapitalismus führen.[1]

“...entweder beseitigt die Bürokratie, die immer mehr zum Organ der Weltbourgeoisie im Arbeiterstaat wird, die neuen Eigentumsformen und wirft das Land in kapitalistische Verhältnisse zurück oder die Arbeiterklasse stürzt die Bürokratie und öffnet den Weg zum Sozialismus.[2]

1. Zur historischen Bedeutung der “Verteidigung der Sowjetunion”

Der Zusammenbruch des Stalinismus in ganz Osteuropa und der ehemaligen Sowjetunion in den Jahren 1989-1991 ist das herausragendste weltpolitische Ereignis der letzten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts. Er führte zu einer dramatischen Verschiebung der internationalen Kräfteverhältnisse, zur Entfesselung von Kriegen, Wirtschaftskrisen und Umwälzungen der gesamten Region. Seine Schockwellen haben weltweit alle nationalistischen und Arbeiterorganisationen erfaßt, die sich zuvor über 75 Jahre lang über ihr Verhältnis zum “Kommunismus” und zur Sowjetunion definierten.

Seine Auswirkungen waren insbesondere für diejenigen unter ihnen greifbar, die sich mit dem Marxismus identifizierten. Aber die meisten Ergebnisse der vielen Neueinschätzungen und Selbstkritiken, zu denen dieser Zusammenbruch Anlaß gab, erwiesen sich als völlig ungenügend. Wir sind der Ansicht, daß es für den Marxismus nur dann eine revolutionäre Zukunft geben kann, wenn die Avantgarde der Arbeiterklasse die adäquaten Lehren aus diesen epochalen Ereignissen zieht.

Unter denen, die sich als “Trotzkisten” verstanden haben, hat die “russische Frage” immer wieder im Zentrum schärfster Auseinandersetzungen gestanden. Ursprünglich ging es dabei um die Frage, ob die Sowjetunion ein Arbeiterstaat geblieben war, den es gegen den Imperialismus zu verteidigen galt, insbesondere im Kriegsfall. Später wurde von der “russischen Frage” auch die Haltung zu den osteuropäischen und asiatischen Arbeiterstaaten und zu Kuba umfaßt. Jedesmal tauchte die Frage in neuer Form auf, besonders in der von 1946-1951 geführten Debatte um die “Pufferzone” in Europa und zu Kuba in den Jahren 1959-1963. Jedesmal bewirkte sie unter den Abkömmlingen der Vierten Internationale Trotzkis eine neue Krise.

Von Anfang an haben die Revolutionäre die “Verteidigung” der Sowjetunion in erster Linie mit der Verteidigung der Errungenschaften der Oktoberrevolution gleichgesetzt und nicht so sehr mit der Verteidigung der territorialen Integrität der Sowjeunion. Aber selbst während der allerletzten Etappen des Sterbeprozesses der degenerierten bzw. deformierten Arbeiterstaaten blieb die Frage nach der militärischen Verteidigung insofern relevant, als die Imperialisten nicht aufhörten, die Arbeiterstaaten militärisch unter Druck zu setzen. Aber die entscheidenden Schläge der sozialen Konterrevolution erfolgten auf politischem und nicht auf militärischem Gebiet. Nachdem überall restaurationistische, proimperialistische Regierungen an die Macht gelangt sind, ist der militärische Aspakt der “russischen Frage” nur noch von geschichtlichem Interesse. Aber die Kontroverse über die Klassennatur dieser Staaten behält ihre volle Bedeutung.

Trotzki und die Linke Opposition hatten seit den Anfängen der neuen Ökonomischen Politik in den zwanziger Jahren sowohl ultralinke wie auch rechtszentristische Kräfte bekämpft, die die weitere Verteidigung der Sowjetunion mit dem Argument ablehnten, daß eine neue Form der bürgerlichen Klassenherrschaft errichtet worden sei. Die ersten Vertreter einer Theorie des Staatskapitalismus waren die Menschewiki. Ähnliche Theorien wurden von Karl Kautsky und einigen Anarchisten entwickelt.

Im Jahre 1926 kam die von den alten Bolschewiki V.M. Smirnov, T. Sapronow und N. Osinsky geführte Gruppe der Demokratischen Zentralisten zu dem Schluß, daß in der Sowjetunion der Arbeiterstaat liqidiert worden war. Osinsky und Sapronow entwickelten Versionen staatskapitalistischer Theorien.[3] Alle drei starben in den Säuberungen der dreißiger Jahre. Sie waren jedoch bis dahin unterschiedliche politische Wege gegangen. Osinsky wurde Anhänger Bucharins. Allem Anschein nach traten die Demokratischen Zentralisten in den Lagern trotz ihrer Einschätzung der Klassennatur des Staates weiter für dessen militärische Verteidigung ein.[4]

Hugo Urbahns, der Haupttheoretiker des Leninbundes in Deutschland (der bis 1930 mit der Linken Opposition zusammenarbeitete), entwickelte ebenfalls staatskapitalistische Ansichten.[5] Derartige Positionen wurden von einigen deutschen Trotzkisten bis in die Mitte der dreißiger Jahre hinein vertreten, ebenso von Yvan Craipeau in der trotzkistischen Bewegung Frankreichs.[6] 1937 stellten James Burnham und Joseph Carter in der US-amerikanischen Socialist Workers Party die These auf, die Sowjetunion sei weder ein bürgerlicher noch ein Arbeiterstaat.[7] Binnen zwei Jahren schlossen sich ihnen die Parteiführer Max Shachtman und Martin Abern an. Gemeinsam bildeten sie eine heterogene Gruppe, die die Bezeichnung der Sowjetunion als degenerierten Arbeiterstaat ablehnte.[8]

Sowohl Burnham als auch Shachtman waren von Bruno Rizzi beeinflußt, einem italienischen Autoren.[9] Sie zogen aber andere Schlußfolgerungen aus dessen Analyse. Shachtman, der die Theorie des bürokratischen Kollektivismus entwickelte, hielt zunächst weiter an seiner Position fest, daß die Sowjetunion zu verteidigen sei, weil sie eine historisch fortschrittlichere Formation sei als der Kapitalismus. Im Laufe seiner späteren Entwicklung zu einem Sozialdemokraten und Kalten Krieger gelangte er jedoch zu der Position, daß der bürokratische Kollektivismus im Vergleich mit dem Kapitalismus eine niedere Stufe der historischen Entwicklung repräsentierte und endete als Unterstützer des US-Imperialismus gegen die degenerierten bzw. deformierten Arbeiterstaaten. Burnham, der die These von der Revolution der Manager[10] vertrat, ging viel schneller zur Rechten über und forderte dann sogar einen Angriffskrieg gegen die Sowjetunion.

Die Ausdehnung der stalinistischen Machtsphäre nach dem Zweiten Weltkrieg verschaffte diesen Theorien neue Atemluft. Die Werke des Ex-Trotzkisten Tony Cliff, Staatskapitalismus in Rußland[11] und des jugoslawischen Dissidenten Milovan Djilas, Die neue Klasse[12], waren Produkte dieser Periode. Das, was die Vertreter der Thesen von “der neuen Klasse”, vom “Staatskapitalismus”, vom “bürokratischen Kollektivismus” und der “Revolution der Manager” verband, war die Auffassung, daß die stalinistischen Verbrechen zur Überwindung des Arbeiterstaats geführt hatten und daß deshalb die militärische Verteidigung der Arbeiterstaaten zu beenden sei. Die Verteidigung der Sowjetunion oder der “stalinistischen Staaten”, die nach dem Kriege entstanden waren, so behaupteten sie, wäre gleichbedeutend mit der politischen Unterstützung für den Stalinismus. Trotzki hatte im Gegensatz dazu immer die These vertreten, daß diese Verteidigung nicht die unkritische Unterstützung für irgendwelche Varianten stalinistischer Politik bedeute.

Obwohl alle diese Strömungen in der Arbeiterbewegung der fünfziger Jahre klein und einflußlos blieben und eine Anpassungsreaktion auf den Kalten Krieg repräsentierten, waren sie zum Teil auch ein Produkt der theoretischen Sackgasse, in die die trotzkistische Bewegung geraten war. Die große Mehrheit der trotzkistischen Bewegung der vierziger Jahre hatte sich im Hinblick auf die Einschätzung der sich herausbildenden Arbeiterstaaten Osteuropas der Realität verweigert und diese nicht als solche anerkannt. Die mechanische Wiederholung “orthodoxer” trotzkistischer Formeln wurde den Herausforderungen der Nachkriegswelt überhaupt nicht gerecht. Und, was noch schlimmer war, es gelang nicht einmal, diejenigen Fingerzeige in Trotzkis Schriften aufzugreifen und fruchtbar zu machen, die den Ausgangspunkt für eine Analyse der sozialen Umwälzungen in Osteuropa und China hätten sein können.

Die Abkehr von dieser Positionen und das Bekenntnis, die Haltung zur Verteidigung der Sowjetunion auf diese Staaten auszudehnen, waren zwar Schritte in die richtige Richtung, aber die Diskussion über die “Pufferzone” hatte soviel methodologische Konfusion offenbart, daß künftige Krisen vorprogrammiert waren. Die Debatte über Kuba zeigte, daß keines der theoretischen Probleme gelöst worden war.

Das Vereinigte Sekretariat (VS) der Vierten Internationale kam auf der Grundlage der Einschätzung zustande, daß in Kuba ein “gesunder Arbeiterstaat” entstanden war. Währenddessen weigerte sich der Rumpf des Internationalen Komitees der IV. Internationale um Healys Socialist Labour League in Britannien und Lamberts Parti Communiste Internationalist in Frankreich anzuerkennen, daß sich in Kuba seit dem Sturz Batistas irgendetwas qualitativ geändert hatte. Er hielt an der unhaltbaren Position fest, daß in Kuba ein bürgerlicher Staat bestehen geblieben war.

Ohne eine vereinheitlichte Theorie dazu, wie ein Arbeiterstaat entsteht und dazu noch ohne ausreichendes empirisches Wissen über die ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklungen unter stalinistischer Herrschaft war es dann beinahe unvermeidlich, daß die Ereignisse von 1989 bis 1991 die verschiedenen Spielarten des “Trotzkismus” erneut in die Krise stürzten. Da man die Entwicklung in die eine Richtung nicht verstanden hatte, scheiterte man ein zweites Mal, als die Entwicklung in die entgegengesetzte Richtung verlief. Die Schnelligkeit des Zusammenbruchs des Stalinismus vertiefte noch die Konfusion. Aus der chronischen theoretischen Krise wurde seine akute politische Desorientierung.

Die “Optimisten” rannten den antistalinistischen Oppositionsbewegungen hinterher, im Glauben, die langerwartete politische Revolution habe begonnen. Die Logik ihrer Position, die Überzeugung, daß alles fortschrittlich sei, was die stalinistische Herrschaft ersetzen würde, verführte sie dazu, den Fall der Mauer zu bejubeln und die “demokratische” Konterrevolution zu unterstützen. Angesichts der verbreiteten Illusionen in die bürgerliche Demokratie und die kapitalistische Restauration verließen die “Pessimisten” die Klassenlinie in die entgegengesetzte Richtung und propagierten die “Einheit” mit den in Auflösung begriffenen Bürokratien, denen sie ein ureigenes Interesse an der Verteidigung der Arbeiterstaaten andichteten.

Die programmatischen Gegensätze, die zwischen den verschiedenen “revolutionären” Strömungen 1989-1991 bestanden, fanden ihren Ausdruck auf der theoretischen Ebene. Das Ergebnis war, daß bezüglich der Klassennatur der Sowjetunion und der osteuropäischen Staaten kein Konsens besteht. Die meisten der “Optimisten” klammern sich an de Vorstellung, daß immer noch Arbeiterstaaten existieren und glauben, die Konterrevolution habe ihren entscheidenden Sieg erst noch zu erringen. Etwas anderes zu denken, entspräche nicht ihrer optimistischen Einstellung. Hinter diesem vordergründigen Optimismus lauert die trübselige Annahme, daß ein Zusammenbruch der Arbeiterstaaten die Arbeiterklasse um Jahrzehnte zurückwerfen könnte.

Für die Pessimisten bedeutet die Tatsache, daß sich keine “Reiss-Fraktion” in der Reihen der Bürokratie befand, daß sie sich noch tiefer in einem sektiererischen Labyrinth aus welthistorischen Niederlagen und Faschismus verfangen haben. Ihre Vorstellung, daß es zwischen Stalinismus und Sozialdemokratie eine absolute Trennlinie gäbe, ist von der Wirklichkeit Lügen gestraft worden. Insofern den Stalinisten in einigen Ländern ein politisches Comeback gelungen ist, geschah dies, indem sie sich in marktorientierte Sozialdemokraten verwandelten. Die größte der Vierten Internationalen, das Vereinigte Sekretariat, ist paralysiert und vertritt keine gemeinsame Position. In Übereinstimmung mit seiner föderalistischen Struktur vereinte ihr letzter Weltkongreß 1990 unter einem Dach sowohl Kräfte, die mit Champagner die deutsche Wiedervereinigung begrüßten als auch solche, die darin die größte Niederlage der deutschen Arbeiterklasse seit 1933 sahen!

Socialist Action, die sympathisierende Sektion des VS in den USA, vertritt die folgende These: “Die Lage in diesen Ländern (der Sowjetunion und in Osteuropa) kann im großen und ganzen dahingehend zusammengefaßt werden, daß es sich um degenerierte Arbeiterstaaten im Übergang zum Kapitalismus handelt - unter der politischen Herrschaft von Regierungen, die sich auf ein Bündnis zwischen Bürokraten und sich herausbildenden Kompradorenkapitalisten stützen.”[13] Das ist, soweit es um die Beurteilung des Klassencharakters eines Staates geht, eine absolut schwammige Position. Andererseits bewegt sich ein Teil der Anhänger des VS in die Richtung der Anerkennung der Tatsache, daß bereits bürgerliche Staaten restauriert worden sind.

Für Lutte Ouvrière, und wohl auch für ihre internationale Tendenz, die Internationale Kommunistische Union, “hat auf der legalen Ebene der Versuch begonnen”, die auf die Transformation der Sowjetgesellschaft in eine kapitalistische Gesellschaft zielende soziale Konterrevolution durchzuführen. Diese sei “in Wirklichkeit aber noch weit davon entfernt, vollendet” zu sein. Eine kleine Minderheit von LO ist allerdings der Ansicht, “daß der Staat das Instrument der bürgerlichen Konterrevolution geworden ist, mit anderen Worten einfach ein bürgerlicher Staat.”[14]

Die Debatte über die Klassennatur der Ex-Sowjetunion ist keine trockene akademische Frage. Theorie und praktische und programmatische Perspektiven sind nicht durch eine chinesische Mauer voneinander getrennt. Es geht um eine grundlegende theoretische Herausforderung, aus der klare politische Schlußfolgerungen gezogen werden. Wer sich als Aufgabe setzt, den Kapitalismus zu stürzen, für den ist die Fähigkeit, revolutionäre und konterrevolutionäre Prozesse analysieren zu können, kein verzichtbarer Luxus, sondern unbedingt notwendiges Rüstzeug, um in diese Prozesse eingreifen zu können. Fünf Jahre nach dem Zusammenbruch des Stalinismus in Osteuropa und drei Jahre nach dem Ende der Sowjetunion ist es an der Zeit, daß sich Marxisten dieser Herausforderung stellen und aufhören, sich mit Pfeifen im Walde selbst Mut zu machen.

2. Mechanischer Materialismus und Staatstheorie

Diejenigen, die die osteuropäischen Länder und die Ex-Sowjetunion immer noch als deformierte bzw. degenerierte Arbeiterstaaten ansehen, stützen ihre These mit mehr oder weniger Beredtsamkeit darauf, daß die wichtigsten Teile der Wirtschaft immer noch nationalisiert sind. Trotz der Tatsache, daß wir es mit restaurationistischen Regierungen zu tun haben, so argumentieren sie, bleibe der Staat ein die Basis reflektierendes Überbauphänomen. Tatsächlich scheinen einige aus dem Zusammenhang gerissene Zitate aus Trotzkis Werken diese Auffassung zu stützen. Wer die Mühe der Suche nicht scheut, wird eine ganze Reihe von Beispielen “politischer Kurzschrift” finden, in denen Trotzki die Existenz von Arbeiterstaaten mit dem weiter bestehenden nationalisierten Eigentum begründet. Ein Beispiel: “So lange die von der Oktoberrevolution geschaffenen Eigentumsformen nicht überwunden werden, bleibt das Proletariat die herrschende Klasse”[15]

Die Aufgabe von Marxisten besteht jedoch nicht darin, ohne Sinn und Verstand heilige Texte zu wiederholen, sondern darin, aus der ihnen zugrundeliegenden marxistischen Methodik zu lernen. Um die Klassennatur der Sowjetunion einzuschätzen, muß man mit der grundlegendsten Frage beginnen, nämlich: Was ist ein Arbeiterstaat?

Trotzki verwendet diese lakonisch kurze Definition: “Der Klassencharakter eines Staates wird bestimmt durch sein Verhältnis zu den Eigentumsformen an den Produktionsmitteln” und “durch den Charakter der Eigentumsformen und Produktionsverhältnisse, die der gegebene Staat schützt und verteidigt.”[16] Das impliziert ein dialektisches und kein mechanisches Verhältnis zwischen Basis und Überbau: Es geht nicht nur darum, welche Eigentumsformen in einem gegebenen Moment existieren, sondern darum, welche dieser Formen der Staat verteidigt und zu entwickeln sucht.

Entsprechend dieser Herangehensweise argumentierte Lenin zu Beginn des Jahres 1918 wie folgt: "Es hat wohl keinen Menschen gegeben, der sich die Frage nach der Wirtschaft Rußlands gestellt und dabei den Übergangscharakter dieser Wirtschaft bestritten hätte. Kein einziger Kommunist hat wohl auch bestritten, daß die Bezeichnung Sozialistische Sowjetrepublik die Entschlossenheit der Sowjetmacht bedeutet, den Übergang zum Sozialismus zu verwirklichen, keineswegs aber, daß die neuen ökonomischen Zustände als sozialistisch bezeichnet werden."[17]

Obwohl unbestreitbar ist, daß die Bolschewiki im Jahre 1917 und 1918 noch über eine bürgerliche Wirtschaft herrschten, würden wohl nur ökonomistische Pedanten leugnen wollen, daß das junge sowjetische Regime ein Arbeiterstaat war. Die Arbeiterklasse übte durch ihre Räte direkt die Staatsmacht aus und das Räteregime machte sich daran, die Bourgeoisie zu expropriieren.

Wir, die Leninistisch-Trotzkistische Tendenz, haben an anderer Stelle die folgende Definition verwandt: “Ein Arbeiterstaat ist grundlegend ein Staat, in dem die Bourgeoisie politisch unterdrückt ist, um sie ökonomisch als Klasse zu enteignen. Das ist das, was scheinbar so unterschiedliche Ereignisse wie die Oktoberrevolution 1917 und die bürokratischen Umstürze in Osteuropa, Asien und Kuba gemein haben. Wir lehnen sowohl rein "ökonomische" wie rein "politische" Definitionen ab.”[18]

Die Geschichte kennt zahllose Beispiele von Widersprüchen zwischen Staaten und den von ihnen beherrschten ökonomischen Formen, die belegen, daß der Klassencharakter eines Staates nicht einfach mechanisch bestimmt werden kann. Als sich in Europa beispielsweise das Handelskapital herausbildete, geschah dies unter weiterexistierenden Feudalstaaten. In diesem Jahrhundert haben Marxisten eine ganze Reihe von Staaten als bürgerliche Staaten charakterisiert, die noch durch Überreste vorkapitalistischer Gesellschaftsformationen geprägt waren, aber ebenso auch Länder, in denen erhebliche Teile der Produktionsmittel nationalisiert waren z.B. Algerien, Angola, Äthiopien, Ägypten, Burma, Libyen, Mocambique, Syrien, etc.). In den Ländern, in denen früher Arbeiterstaaten bestanden, gab es z.T. vorkapitalistische Überreste und bedeutende kapitalistische Sektoren der Wirtschaft. Hinzu kommt, daß viele der osteuropäischen Länder schon vor 1947/1948 (nach Ansicht der meisten Trotzkisten entstand die Mehrzahl der osteuropäischen Arbeiterstaaten in diesen Jahren) große staatliche Wirtschaftssektoren hatten.

Das entscheidende Kriterium zur Unterscheidung eines Arbeiterstaates von einem bürgerlichen Staat ist nicht ein bestimmtes Ausmaß an Nationalisierungen (das ist die Position des Komitees für eine Arbeiterinternationale , KAI/CWG) und auch nicht die Frage, ob eine zentralistische Planung existiert (das ist die Position von Workers Power und der Liga für eine Revolutionäre Kommunistische Internationale, LRKI), noch die vorgebliche “Verbundenheit” des Staatsapparats mit der Verteidigung der vergesellschafteten Produktivkräfte (dies ist die Position der International Communist League (ICL - Spartakisten), und der Internationalen Bolschewistischen Tendenz (IBT), sondern welchen Klasseninteressen die Wirtschaft und der Staat letztlich dienen.

Weder die Zahl der Privateigentümer noch das Ausmaß an Nationalisierungen bestimmen für sich genommen den Klassencharakter eines Staates, weil der Staat nicht mit der Ökonomie identisch und teilweise unabhängig von dieser ist. Das ist der Grund dafür, daß sich der Charakter eines Staates und derjenige einer Ökonomie mit unterschiedlichem Tempo verändern können. So war z.B. die den Bolschewiki zu Anfang der zwanziger Jahre durch die widrigen Umstände aufgezwungene Neue Ökonomische Politik eine Konzession an das Privatkapital, die sich alles in allem - zumindest anfänglich - im Rahmen der Verteidigung der Interessen der Arbeiterklasse bewegte. Im Gegensatz dazu bereitet die heute von den chinesischen Stalinisten verfolgte Politik, privatkapitalistische Unternehmen in Sonderwirtschaftszonen zu fördern, die Restauration des Kapitalismus vor.

Die von der Militant Tendency (KAI/CWG) vertretene Theorie des “proletarischen Bonapartismus”[19] ist das krasseste Beipiel für einen Vulgärmaterialismus, der wie das Kaninchen auf die Schlange auf Nationalisierungen starrt. Angola und Burma waren von Anfang an bürgerliche Staaten. Die von kleinbürgerlichen Armeeoffizieren durchgeführten umfangreichen Nationalisierungen schufen dort die Basis für die Herausbildung einer bürgerlichen Klasse, deren Interessen vom Staatsapparat und Justiz verteidigt wurden.

3. Workers Power: Ökonomismus und Staatstheorie

Nach Lage der Dinge haben Workers Power und die LRKI (in Deutschland vertreten durch die Gruppe Arbeitermacht) den anspruchsvollsten “ökonomistischen” Versuch unternommen, die Entstehung der degenerierten bzw. deformierten Arbeiterstaaten zu theoretisieren und die Position zu verteidigen, daß die Ex-Sowjetunion und die osteuropäischen Länder immer noch Arbeiterstaaten sind.

Nach Workers Power ist ein Arbeiterstaat wesentlich durch drei Aspekte gekennzeichnet: “...die Verstaatlichung der entscheidenden Teile der Produktionsmittel; ihre Koordination und ihre Steuerung entsprechend den von der herrschenden bürokratischen Kaste gesetzten Zielen, was notwendig die Negation des Wertgesetzes innerhalb des Staates impliziert; der Schutz dieses Systems durch Störungen des von außen wirkenden Wertgesetzes durch ein staatliches Außenhandelsmonopol.”[20]

Getreu dieser “ökonomistischen” Methode hat sich Workers Power daran gemacht, den Entstehungszeitpunkt genau zu “datieren”. Danach “war in Jugoslawien der Prozeß der Herausbildung eines bürokratisch degenerierten Arbeiterstaates mit der Umsetzung des ersten Fünfjahresplanes im Frühjahr 1947 vollendet”.[21] Ebenso in China: “Die im Jahre 1953 auf der Grundlage einer klaren Einschränkung des Wirkens des Wertgesetzes eingeführte Planung kennzeichnet die Errichtung eines degenerierten Arbeiterstaates in China”.[22] Und obwohl “Castro im Sommer 1960 schon den entscheidenden Bruch mit der kubanischen und der US-amerikanischen Bourgeoisie vollzogen hatte, geht Workers Power davon aus, daß der Arbeiterstaat erst 1962 entstanden ist, “mit der Einführung des ersten Fünfjahresplans”.[23] In der zweijährigen Zwischenzeit soll es eine “bürokratisch-antikapitalistische Arbeiterregierung” gegeben haben, die schließlich die Phase der “Doppelherrschaft” aufhob. (Mit wem die Doppelherrschaft bestand, wo doch die Bourgeoisie bereits enteignet und unterdrückt und die Arbeiterklasse demobilisiert gewesen war, bleibt dabei ein Geheimnis!).

Mit ihrer Suche nach neuen und wasserdichten Schemata haben Workers Power und das LRKI nur neue Probleme aufgehäuft. Wenn alles das, was für das Funktionieren eines Arbeiterstaates nötig ist, schon vor dessen Schaffung vorhanden sein muß, stellt sich die Frage, wozu man überhaupt einen Arbeiterstaat braucht und was seine Aufgabe sein soll. Die Geschichte zeigt, daß Staaten eine Vorreiterrolle bei der Schaffung ökonomischer Verhältnisse im Interesse derjenigen Klasse spielen, die sie kontrollieren. Engels formulierte das wie folgt: "Das Proletariat ergreift die Staatsgewalt und verwandelt die Produktionsmittel zunächst in Staatseigentum."[24] Die englische bürgerliche Revolution von 1640 war nicht Ausfluß eines bereits entwickelten Kapitalismus, sondern sie beseitigte (zumindest die wichtigsten) die Hindernisse, die seine Entwicklung behinderten.

Für Workers Power ist das Gegenteil der Fall: Der Staat ist immer der Ausdruck bereits vorher existierender Produktions- und Eigentumsverhältnisse.[25] Das führt zur haarsträubenden Idee, die Entstehung der Arbeiterstaaten auf die Tage zu “datieren”, an denen die Stalinisten Fünfjahrespläne verkündeten. Aber in den osteuropäischen Ländern war das erst zwei bis drei Jahre nach den Jahren 1947-1948 der Fall, dem Zeitpunkt, zu dem die größten Teile der Bourgeoisie enteignet und die bürgerlichen Parteien ausgeschaltet wurden.

Die Behauptung von Workers Power, sie könne zu jedem beliebigen Zeitpunkt bestimmen, welchen Klassencharakter ein gegebener Staat hat und daraus die notwendigen taktischen Schlüsse ziehen[26], hält keiner Überprüfung statt. Es ist alles andere als klar, welche besonderen Einsichten Revolutionäre gehabt haben sollten, wären sie im Verlauf der Ereignisse von 1948 bis 1950 mit dieser Theorie bewaffnet gewesen. Wie hätten sie genau feststellen sollen, in welchem Ausmaß sich das Wertgesetz Geltung verschaffte? Vermutlich hätten sie auf die Veröffentlichung der stalinistischen Pläne warten müssen, um ihr Programm nachträglich der jeweils neuen Lage anzupassen.

Die Idee, daß die Existenz einer zentralen Planung das Schlüsselkriterium für die Bestimmung des Charakters eines Staates ist, stellt alle bisherigen Einschätzungen des Klassencharakters des Sowjetstaates bis 1928 in Frage. Zweifellos würde Workers Power darauf entgegnen, daß die Arbeiterklasse ihre Macht nach 1917 direkt durch ihre Räte ausübte. Aber die Räte hatten als Organe der direkten Arbeiterdemokratie schon im Jahre 1921 ihren Niedergang durch die Einberufung der Arbeiter in die Rote Armee, den Wechsel revolutionärer Arbeiter in den Verwaltungsapparat , durch Erschöpfung, Vereinzelung, Krankheiten und Hunger sowie Rückkehr auf das Land schon hinter sich - sieben Jahre vor der Wende Stalins zur Industrialisierung, zur Kollektivierung und zur umfassenden Planung.

Kein Trotzkist wird bestreiten, daß zwischen dem revolutionären Arbeiterstaat von 1917 und den stalinistischen Regimen des “real existierenden Sozialismus” ein tiefer Graben verläuft. Nichtsdestotrotz ist festzustellen, daß Workers Power dadurch, daß zwei völlig verschiedene Arten von Kriterien angelegt werden, um deren Charakter zu bestimmen, vor dem theoretischen Problem steht, daß die Auffassungen von einem “gesunden” Arbeiterstaat und von einem “degenerierten Arbeiterstaat” überhaupt nichts mehr miteinander zu tun haben.

Die Modellvorstellung, die sich Workers Power von einem Arbeiterstaat macht, ist nur eine der Oberfläche verhaftete Beschreibung, dazu noch die Beschreibung einer bestimmten Etappe ihrer Entwicklung. Dieses Modell hat der Überprüfung durch die Geschichte nicht standgehalten. Es ist auf alle Fälle höchst fragwürdig, ob ihre Ökonomien tatsächlich “nach den Zielvorgaben der herrschenden bürokratischen Kaste” funktionierten. Abgesehen davon, daß hier der Gedanke einer eigenen, “bürokratischen Produktionsweise” mitschwingt, kontrastiert diese Vorstellung mit dem Bild, das in nahezu der gesamten Literatur über die Sowjetunion gezeichnet wird, wonach die Wirtschaft eben nicht nach Plan verläuft, sondern ihre Möchtegernplaner immer wieder dadurch frustriert, daß Knappheit und Zusammenbrüche auftreten, die ihrerseits das Ergebnis von Fehlplanungen sind. Das ganze stimmt nicht einmal auf der Ebene der oberflächlichen Beschreibung. Jugoslawien war z.B. jahrelang ein deformierter Arbeiterstaat, in dem es weder einen zentralen Plan als bestimmenden Faktor der Wirtschaft gab, noch ein Außenhandelsmonopol.

Selbst unter kapitalistischen Verhältnissen stimmt die Vorstellung nicht, daß der Preis von Waren immer vom Wert der in ihnen verkörperten gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit bestimmt wird. Das Wertgesetz verschafft sich nicht Geltung gemäß den idealen Normen der freien Konkurrenz, sondern im Rahmen realer Widersprüche. Es ist “normal”, daß das Wertgesetz im speziellen verletzt wird und sich auf allgemeiner Ebene durchsetzt. Es ist im Kapitalismus üblich, daß ganze Branchen der Wirtschaft in einzelnen Staaten subventioniert werden - im Gesamtinteresse der jeweiligen Bourgeoisien.

In Ländern, in denen die Bourgeoisie schwach ist, greift sie gern zu staatskapitalistischen Methoden. In Angola, wo ein großer Teil der Wirtschaft militarisiert ist, kann von einem normalen Funktionieren des Wertgesetzes keine Rede sein. Und was ist mit Ländern wie Äthiopien, in denen Hungersnöte von einem Ausmaß auftreten, daß überhaupt kaum noch etwas produziert wird. in keinem dieser Fälle werden sich Marxisten zur Aussage versteigen, daß kein bürgerlicher Staat mehr existiert.

Wie hat sich Workers Power Theorie des degenerierten Arbeiterstaates nach 1989 gehalten? Zunächst sah es im Falle der DDR so aus, als gäbe es eine klare Schnittlinie mit der am 1. Juli 1990 vollzogenen Währungsunion mit der Bundesrepublik.

Aber in allen anderen Fällen war der Versuch, einen “rein ökonomischen” Punkt zu bestimmen, von dem an die Entwicklung unumkehrbar war, zum Scheitern verurteilt. Noch im Jahre 1991 konnte Workers Power schreiben, daß es “die Zerschlagung der Planung als zentrales Steuerungsinstrument der Gesamtwirtschaft ist, die die Zerstörung des proletarischen Charakters der Eigentumsverhältnisse und des Staates anzeigt, der sie verteidigt”.[27]

Aber die Wahl bürgerlich-restaurationistischer Regierungen in ganz Osteuropa und der Ex-Sowjetunion ging überall Hand in Hand mit der Zerstörung der stalinistischen Planungsorgane und dem Fall des Außenhandelsmonopols. Die private kapitalistische Akkumulation wurde überall aktiv gefördert und bestehende legale Hindernisse dafür beseitigt. Was danach bleibt, ist eine substantielle Hinterlassenschaft an Staatseigentum, das trotz seines Ursprungs in etwa dieselbe Funktion erfüllt wie in schwachen kapitalistischen Staaten.

Angesichts der Bedeutung, die Workers Power bis dahin der Frage der “Planung” beigemesssen hatte, wäre es logisch gewesen, wenn Workers Power anerkannt hätte, daß - wenigstens auf der Ebene des Staates - eine soziale Konterrevolution schon stattgefunden hatte. Aber an diesem Punkt kollidierten zwei Aspekte der Theorie von Workers Power miteinander. Da Workers Power die nachträgliche Anerkennung von degenerierten Arbeiterstaaten von Anfang an davon abhängig gemacht hatte, daß nicht nur eine Planung eingeführt wurde, sondern auch davon, daß “die Bourgeoisie vollständig abgeschafft” worden war[28] - und da weder eine zahlreiche neue Bourgeoisie entstanden war, noch das Wertgesetz “normal” funktionierte - beschloß Workers Power, daß wenigstens auf absehbare Zeit noch keine bürgerlichen Staaten restauriert worden sind.

Der Hang zu formal-logischen Kategorien ließ keinen Platz für die Widersprüche der realen Welt, nämlich für eine Lage, in der die stalinistischen Wirtschaftsmechanismen zusammengebrochen waren, aber noch keine entwickelte Bourgeoisie vorhanden war, die das Vakuum unmittelbar hätte ausfüllen können. Workers Power hat dann weiter die Realität nach seinem vorgefertigten Schema zurechtgestutzt und wenig überzeugend die These vertreten, daß das Drehen an der Banknotenpresse, um die Staatsunternehmen zu subventionieren, auch eine Restform der Planung sei[29] - obwohl offenkundig ist, daß es in einem Land wie Rußland völlig ausgeschlossen ist, von einer “Wirtschaftsplanung” inmitten einer galoppierenden Inflation zu sprechen.

Um den Rückzug von derart unhaltbaren Positionen vorzubereiten und um die offenkundig vorhandene innere Opposition zu beruhigen, entwickelte der 3. Kongreß der LRKI im August 1994 die Kategorie der “moribunden Arbeiterstaaten”. Diese werden definiert als “degenerierte Arbeiterstaaten mit restaurationistischen Regierungen, die aktiv an der Zerstörung der Grundlagen der Planwirtschaft arbeiten. Das Ziel aller Regierungen in den moribunden Arbeiterstaaten ist klar: die vollständige Zerstörung des Systems der Kommandoplanung und die Umwandlung der Wirtschaft in eine funktionierende Marktwirtschaft.”[30]

Wenn man von Trotzkis Definition eines Arbeiterstaates ausgeht, wonach dessen Charakter danach zu bestimmen ist, welche Eigentumsverhältnisse er verteidigt und beschützt, handelt es sich bei dieser Beschreibung ganz klar um die von bürgerlichen Staaten. Die Kategorie des moribunden Arbeiterstaates ist genauso ein eklektischer Unsinn wie die des “Übergangsstaates” der Vierten Internationale von 1948. Es ist eine “bürgerliche Staatsform”, deren sozialer Inhalt unbestimmt bleibt.

Der Versuch, den Staat nach rein ökonomischen Kategorien zu definieren, führt Workers Power zu folgendem Schluß: “Ein Wechsel des Führungspersonals innerhalb des schon bürgerlich-überformten Staatsapparats - von objektiven zu subjektiven Restaurationisten - ist nicht der Moment des qualitativen Sprungs beim Übergang vom Arbeiterstaat zum bürgerlichen Staat. Nur eine Tendenz, die allen wesentlichen Punkten Trotzkis Analyse aufgegeben hat, könnte den Zusammenbruch der bürokratischen Diktatur mit dem Zusammenbruch des Arbeiterstaats selbst verwechseln.”[31]

Zu denjenigen, die alle wesentlichen Punkte der Analyse Trotzkis aufgegeben hätten, müßten wir dann auch ... Trotzki selbst zählen: Der unvermeidliche Zusammenbruch des stalinistischen Bonapartismus wird nicht sofort den Charakter der UdSSR als Arbeiterstaat in Frage stellen. Eine sozialistische Wirtschaft kann man nicht ohne sozialistische Macht aufbauen. Das Schicksal der Sowjetunion als sozialistischer Staat hängt von dem Charakter des politischen Regimes ab, das den Stalin-Bonapartismus ablösen wird.[32]

Angemerkt sei, daß für den traurigen Fall, daß es Nazi-Deutschland gelungen wäre, die Sowjetunion zu erobern, es wohl einen beachtlichen staatlichen Sektor beibehalten hätte. Nach der Theorie von Workers Power hätte in diesem Falle der Arbeiterstaat überlebt - wenn auch unter einer faschistischen Regierung!

4. Die sozialen Umwälzungen nach dem Zweiten Weltkrieg

- Probleme des Übergangs

Die soziale Konterrevolution in Osteuropa und der Sowjetunion liefert trotz einiger offenkundiger Unterschiede ein Spiegelbild des Prozesses, der Ende der vierziger Jahre zur Entstehung der deformierten Arbeiterstaaten führte. Beide sind der Gegenstand beträchtlicher Dispute zwischen Trotzkisten gewesen - auch, wenn diese häufig nicht gerade erhellend waren. Unser Verständnis der “Vorwärtsbewegung” sollte in erheblichem Umfang auch das Verständnis der regressiven Entwicklung in die entgegengesetzte Richtung prägen.

Die kapitalistischen Staaten Osteuropas waren mit Ausnahme der Tschechoslowakei alle industriell rückständig und vor dem Krieg vorwiegend agrarisch geprägt. Während der dreißiger Jahre waren sie alle Halbkolonien entweder des französischen oder des deutschen Imperialismus. In Polen, der Tschechoslowakei und Jugoslawien spielten staatliche Eingriffe in die Wirtschaft eine große Rolle.

Die militärische Besetzung durch Nazi-Deutschland verwandelte sie in direkte Kolonien des deutschen Imperialismus. Der größte Teil des Eigentums der Bourgeoisie wurde geplündert und entweder vom deutschen Staat in Besitz genommen oder deutschen Unternehmen übergeben. Der Einfluß des deutschen Kapitalismus wuchs auch in den Volkswirtschaften der verbündeten Staaten Ungarn, Rumänien und Bulgarien.

Nach der Niederlage des deutschen Imperialismus kontrollierte die sowjetische Armee ganz Osteuropa. Die durch die Kriegszerstörungen enorm geschwächte Bourgeoisie befand sich in der Krise. Viele ihrer Repräsentanten waren geflohen. Für die Vern-Ryan-Tendenz der US-amerikanischen Socialist Workers Party (SWP) bedeutete die Kontrolle des Repressionsapparates durch die Stalinisten, daß “mit dem Zeitpunkt des Beginns der Besatzung diese Staaten aus zwingender marxistischer Sicht als Arbeiterstaaten bezeichnet werden müssen”.[33]

Obwohl viele der Kritiken der Vern/Ryan-Tendenz an der SWP und der Vierten Internationale zu Anfang der fünfziger Jahre durchaus scharfsinnig waren, gibt es gegen ihre Theorie eine ganze Reihe von Einwänden. Allgemein gilt, daß es sich um eine Theorie handelt, die geschichtliche Prognosen durch im Nachhinein gefertigte Beschreibungen ersetzt. Das Ergebnis eines Prozesses wird in dessen Anfang hineininterpretiert.

Die Überbetonung der Kontrolle des Repressionsapparates durch Vern/Ryan ist einseitig. Der Staat besteht nicht nur aus eine “Bande Bewaffneter”. Sie sind nur ein - wenngleich wichtiger - Bestandteil des Staates. Diese sind darüberhinaus politischen Herren untergeordnet, die bestimmen, welche Eigentumsverhältnisse geschützt werden. Weil sie von dieser Theorie ausgingen - einige Linke glaubten, daß die sowjetische Armee organisch mit der Verteidigung des nationalisierten Eigentums verbunden war, erwarteten viele, daß sie gewungen sein würde, gegen die Konterrevolution 1989-1991 einzugreifen. Aber nicht das erste Mal in der Geschichte erwies sich, daß Armeen ohne große Probleme ihre Klassenzugehörigkeit ändern können.

Ihre Theorie ist auch nicht in der Lage zu erklären, weshalb die Kontrolle der Repressionsapparate durch die Stalinisten weder im republikanischen Spanien noch im teilweise besetzten Finnland, dem nördlichen Iran, der sowjetischen Besatzungszone Österreichs nach dem Zweiten Weltkrieg oder in Afghanistan in den achtziger Jahren gleichbedeutend mit der Entstehung von Arbeiterstaaten war.

Vern/Ryan tendierten dazu, dem Stalinismus einen Drang zur Überwindung des Kapitalismus zuzuschreiben, was eindeutig mit ihrer besondern Sichtweise auf den Stalinismus zu tun hat: “Unsere Bewegung hat den Stalinismus immer als eine zentristische Strömung gesehen”.[34]

Ganz gewiß wäre die sowjetische Bürokratie gegen Ende des Krieges 1945 in der Lage gewesen, mit der osteuropäischen Bourgeoisie ohne große Schwierigkeiten Schluß zu machen. Vern/Ryan äußern sich aber kaum dazu, was sie wirklich tat. Eine seriöse Untersuchung zeigt, daß das, was in Osteuropa zwischen 1945 und 1948 existierte, schwache bürgerliche Staaten waren, die von und mit Hilfe der Stalinisten wiederaufgebaut wurden[35].

Es stimmt, daß die meisten der offen faschistischen, “unpatriotischen” Elemente der Bourgeoisie gesäubert wurden und daß die Schlüsselstellungen der Repressionsapparate von der Sowjetbürokratie und ihren Mietlingen besetzt wurden. “Unzuverlässige” (d.h. anti-sowjetische) bürgerliche Kräfte wurden durch Elemente ersetzt, die bereit waren, mit den Stalinisten voll und ganz zusammenzuarbeiten. Aber andere offene Reaktionäre, Kollaborateure, Monarchisten, Klerikale und sogar frühere Faschisten wurden toleriert und in einigen Fällen sogar für die Kommunistischen Parteien rekrutiert.

Auf der anderen Seite zwang man Arbeiter, die bei Ankunft der Roten Armee Fabriken und Ländereien in Besitz genommen hatten, diese wieder zu räumen. Bürgerliche Parteien und Parlamente wurden wiedererrichtet, in Übereinstimmung mit dem Abkommen von Jalta. Der Begriff “Volksdemokratie” war nicht nur aus Zynismus geprägt worden. Stalin hatte die Absicht, schwache bürgerliche Staaten unter sowjetischer Vormundschaft aufrechtzuerhalten, ähnlich wie in Finnland.

Das hohe Maß an Nationalisierungen war eine Kriegsfolge. In vielen Fällen befürwortete die Bourgeoisie das Staatseigentum und erkannte seine Notwendigkeit an, weil sie nicht in der Lage war, die entstandenen Lücken zu füllen. In der Tschechoslowakei fielen dem Staat 60 % der Industrie und das gesamte Bankensystem zu, das die deutsche Besetzung hinterlassen hatte, ohne daß die einheimische Bourgeoisie enteignet werden mußte. In Polen, wo die Zerstörungen und die Verluste an Menschenleben viel größer waren, wurden im ersten Jahr nach der Befreiung 90 % der Industrie nationalisiert.

Damit war keineswegs ein Angriff auf das Privateigentum als solches verbunden, wie die Stalinisten nicht müde wurden zu betonen. In Ungarn wurden Fabriken und Bergwerke wieder Privateigentümern übergeben. Streiks wurden überall als Sabotage des Wiederaufbaus verurteilt.

Die politischen Kräfte, mit denen die Stalinisten in diesen Jahren die Macht teilten, waren alles andere als zu vernachlässigende Größen. In Rumänien wurde die Monarchie beibehalten und eine Koalition von KP und Liberaler Partei gebildet, die vom antisemitischen Reaktionär Radescu angeführt wurde und die Anhänger der faschistischen Eisernen Garde umfaßte.

Auch Bulgarien behielt unter der von den Stalinisten initiierten Koalition der Vaterländischen Front seine Monarchie. Diese wurde zwischen 1944 und 1946 vom erzreaktionären General Georgiev angeführt. Die KP stellte nur drei Minister, und andere Kräfte, darunter die Bauernpartei, besetzten wichtige Posten. Bei den Wahlen in Ungarn errang 1945 die Kleinlandwirtepartei 57 %, die Stalinisten errangen nur 17 % der Stimmen.

Polen erlebte eine Koalition zwischen den Stalinisten und den diversen Anhängern der in London ansässigen proimperialistischen Emigranten. Die KP sah sich einer beachtlichen Konkurrenz von Seiten der Sozialistischen Partei und der polnischen Bauernpartei gegenüber. Die in der Tschechoslowakei im März 1945 gebildete Koalitionsregierung umfaßte die Kommunistische Partei, die Sozialdemokraten, die nationalen Sozialisten, die katholische Volkspartei und die slowakischen Demokraten. Obwohl die Stalinisten über einen beträchtlichen Anhang verfügten - sie hatten bei den Wahlen im Mai 1946 38% der Stimmen erzielt - konnten die bürgerlichen Parteien sich noch weitere zwei Jahre in verhältnismäßiger Freiheit betätigen.

Es muß dabei daran erinnert werden, daß die verschiedenen Kleinlandwirte- und Bauernparteien in Wirklichkeit bürgerliche Parteien waren, die trotz des Vorhandenseins einiger radikaler Elemente auch als Refugium für Repräsentanten der vor dem Krieg herrschenden Kreise fungierten, die gute Verbindungen in den Westen hatten.

Nur in Jugoslawien und Albanien existierten im Gefolge des Partisanenkrieges keine nennenswerten bürgerlichen Kräfte. Die kurzlebige Koalition zwischen der jugoslawischen KP und dem monarchistisch-reaktionären Subasich hielt nur von 1944-1945. Es gibt keinerlei Hinweise darauf, daß das alles nur eine machiavellistische Verschwörung Stalins gewesen ist, um “sozialistische” Staaten zu schaffen. Der Schutz bürgerlicher Interessen, auch, wenn es die Interessen jener waren, die bereit waren, mit den sowjetischen Besatzern zusammenzuarbeiten, war ein entscheidender Bestandteil von Stalins Strategie der friedlichen Koexistenz mit dem Westen. Ihr Pendant war die gleichzeitig praktizierte getreue Klassenkollaboration der stalinistischen Parteien im Westen.

Erst nach der Entfesselung des Kalten Krieges gegen Ende des Jahres 1946 und besonders nach der Ankündigung des Marshallplanes im März 1947, mit dem sich die Reorganisation der osteuropäischen Bourgeoisien unter imperialistischer Führung abzeichnete, scheiterte das von Stalin angestrebte Bündnis. Damit ergab sich für Stalin die Notwendigkeit, die Länder der Pufferzone zum Westen als deformierte Arbeiterstaaten zu konsolidieren.

Ohne Bezugnahme auf die entscheidende Wende der internationalen Lage - deren Ernst damals von beiden Seiten begriffen wurde - läßt sich die einschneidende Natur der Vseränderungen nicht erklären, die 1947/1948 stattfanden. Die Theorie Vern/Ryans mißt der Wende der internationalen Lage jedoch keine besondere Bedeutung zu.

Der Geschichtsverlauf belegt etwas anderes. Im Verlauf der Jahre 1946 und 1947 festigten die sich belebenden Volkswirtschaften der osteuropäischen Länder ihre Verbindungen zum Westen. Das Handelsvolumen mit der Sowjetunion sank drastisch ab, während der Handel mit den USA gleichzeitig schnell zunahm.[36] Der Marshallplan und die erklärte Bereitschaft der tschechoslowakischen und der polnischen Regierungen, die Hilfe anzunehmen, drohten, diesen Trend noch zu festigen. Weit davon entfernt, die ihnen zugedachte Funktion als defensiver “Puffer” auszufüllen, drohten die Volksdemokratien zu feindlichen Vorposten des Imperialismus im Vorfeld der Sowjetunion zu werden. Berücksichtigt man, daß gleichzeitig die Kommunistischen Parteien in Frankreich, Italien und Belgien aus den Regierungskoalitionen hinausgeworfen wurden, so war klar, daß die Übereinkunft bezüglich der “Einflußsphären” zerbrochen war.

Der endgültige Bruch mit der Bourgeoisie - bürokratisch “von oben” vollzogen - fand mit geringfügigen zeitlichen Variationen in ganz Osteuropa nahezu gleichzeitig im Zeitraum Ende 1947 und Anfang 1948 statt. Die Politik der Säuberung der bürgerlichen Parteien wurde durch Parteienverbote komplettiert, durch die Eliminierung von konkurrierenden Arbeiterparteien durch unter Druck vollzogene Fusionen der sozialdemokratischen und kommunistischen Parteien, sowie durch die Konzentration der gesamten Macht in den Händen der Stalinisten. Im Rahmen einer Nationalisierungskampagne wurde das meiste des verbliebenen privatkapitalistischen Kapitals verstaatlicht. Mit der teilweisen Ausnahme der Tschechoslowakei[37] wurde dazu die Arbeiterklasse nicht mobilisiert.

Wie kann dieser allem Anschein nach “friedliche” Prozeß im Lichte der marxistischen Staatstheorie verstanden werden? Was ist mit der berühmten Schlußfolgerung von Marx und Engels aus den Erfahrungen der Pariser Kommune, wonach “die Arbeiterklasse, einmal zur Herrschaft gekommen, nicht fortwirtschaften könne mit der alten Staatsmaschine. [38] Hat Lenin denn nicht einen großen Teil seiner Schrift "Staat und Revolution" der These gewidmet, daß kapitalistische Staat nicht durch ein Paket von Reformen überwunden werden kann, sondern zerschlagen werden muß?

Und was ist mit der Warnung Trotzkis, daß “wer also behauptet, der Sowjetstaat habe sich allmählich von einem proletarischen zu einem bürgerlichen Staat gewandelt, spult nur den reformistischen Film in umgekehrte Richtung ab.”[39]

Erst einmal müssen wir feststellen, daß auch dann, wenn sich 1947/1948 nichts ereignete, das an einen Bürgerkrieg erinnerte, die Phänomene von Politikern, die es vorzogen, aus dem Fenster zu springen anstatt den Fahrstuhl zu benutzen, von Massenverhaftungen und Säuberungen, von Parteienfusionen unter dem Druck von Gewehren weder besonders “friedlich” noch typisch “reformistisch” waren. Sie alle stellen Elemente der Gewalt dar. Als allgemeine Regel kann man sagen, daß das Ausmaß aufzuwendender Gewalt in etwa der Kraft der Opposition und des von ihr geleisteten Widerstands entsprach. In einer Lage, in der die Stalinisten bereits den Repressionsapparat kontrollierten, mußte natürlich viel weniger Macht ausgeübt werden als es beispielsweise in einem imperialistischen Land mit einem großen stehenden Heer der Fall sein wird.

Es ist zweitens notwendig, daran zu erinnern, daß es sich um Staaten handelte, die weit davon entfernt waren, dem Bild “normaler” bürgerlicher Staaten zu entsprechen. Diese Staaten befanden sich in einer einzigartigen Lage, von der unwahrscheinlich ist, daß sie sich jemals wiederholt. Die Bourgeoisie versuchte ihren dünnen Lebensfaden zu retten, indem sie sich der sowjetischen Besatzung anpaßte, wobei sie auf einen großen Teil ihrer Souveränität verzichtete. Die sowjetische Bürokratie entschied sich ihrerseits dafür, diese Bourgeoisie um ihrer internationalen Politik willen zu bewahren. Ein solches Verhältnis war alles andere als ein Normalzustand. Es war instabil und konnte nicht lange bestehen bleiben. Das Vorhandensein eines bürgerlichen Staates, dessen Politik zu einem großen Teil durch einen Arbeiterstaat diktiert wird, ist aber nicht einzigartig, wie die jüngere Geschichte Finnlands zeigt.

Die Volkswirtschaften dieser Länder waren rückständig und in erheblichem Maße bereits vor 1947 nationalisiert. Die Konzentration des Eigentums in den Händen des Staates - Staatskapitalismus - ist typischer Ausdruck des Endstadiums der Krise der Bourgeoisie. Eine solche Situation wurde sowohl von Engels als auch von Lenin vorhergesehen.[40] In diesem Sinne bereitet der bürgerliche Staat der Herrschaft des Arbeiterstaates als eines “bürgerlichen Staates ohne Bourgeoisie” den Weg.

Heißt das, daß wir die Position vertreten, daß der bürgerliche Staat als Plattform zur Schaffung eines Arbeiterstaates genutzt werden kann und daß wir die Staatstheorie des Marxismus grundlegend revidieren wollen? Die scheinbar graduelle Transformation staatlicher Strukturen ensprach, oberflächlich betrachtet, dem Muster der graduellen Umwandlung feudaler in kapitalistische Staaten, das in den meisten Ländern Mittel- und Osteuropas praktiziert wurde. Die halbfeudale Aristokratie war im 19. Jahrhundert gezwungen, die Industrialisierung zu betreiben, wollte sie ihren Sturz in die ökonomische und politische Bedeutungslosigkeit abwenden. In diesen Fällern wurde der Staatsapparat an die Bedürfnisse der neuen Produktionsverhältisse angepaßt, wobei der alte institutionelle Rahmen beibehalten wurde. Schließlich veränderte sich deren gesellschaftlicher Inhalt.

Tim Wohlforth, dessen Theorie der strukturellen Assimilation[41] einer der wenigen ernsthaften Versuche seit den vierziger Jahren gewesen ist, die Debatte um die “Pufferzone” wiederzueröffnen, drückte sich um das Problem der “Datierung” der Umwälzungen dadurch herum, daß er argumentierte, diese seien als ein längerer Prozeß zu begreifen, mit einem Staat, der einen zwitterhaften oder Doppelcharakter hatte: “Man kann sicher angeben, wann der Prozeß beginnt und am Ende der Entwicklung kann man feststellen, daß ein qualitativer Wandel stattgefunden hat. Im Verlauf dieses Prozesses erscheinen die Dinge jedoch zu keinem Zeitpunkt wirklich klar. Im Hinblick auf beide Qualitäten erscheint der Prozeß zunächst extrem widersprüchlich. Was zuvor existierte und das, was daraus wird, erscheint in einem komplexen Beziehungsgeflecht. Es gibt daher keinen bestimmten Zeitpunkt, zu dem der qualitative Sprung eintritt. Das ein qualitativer Wandel stattgefunden hat, wird erst einige Zeit nach Beendigung des Prozesses klar.”[42]

Diese Position, die von Westoby[43] übernommen wurde, ist die Achillesferse der Theorie der strukturellen Assimilation. Wenn der Marxismus nicht in der Lage ist, den Klassencharakter eines gegebenen Staates zu bestimmen, taucht nicht nur ein Fragezeichen bezüglich seiner Fähigkeit zur Analyse der Klassenverhältnisse überhaupt auf, sondern auch bezüglich seiner Fähigkeit zur Entwicklung eines der gegebenen Lage entsprechenden Programms. Natürlich ist es unbestreitbar, daß die Abschaffung des Kapitalismus in Osteuropa einen prozesshaften Charakter hatte und nicht zu einem einzelnen Zeitpunkt an einem bestimmten Tag stattfand. Wohlforth und Westoby bringen es jedoch fertig, diesen Prozeß zu mystifizieren anstatt ihn verständlich zu machen. Trotz ihrer kritischen Haltung gegenüber der Führung der Vierten Internationale liefern sie dieser ein Alibi.

Wie bereits gesagt, war der Bruch mit der Bourgeoisie durchaus real und ziemlich abrupt . Der Zeitpunkt wurde bestimmt durch einen abrupten Wandel der Weltlage. Nachdem die verbliebenen Zentren bürgerlicher politischer und wirtschaftlicher Macht innerhalb weniger Monate zerschlagen worden waren, waren die Fundamente für eine neue Staatsmacht geschaffen worden.

Die Fähigkeit der stalinistischen Bürokratie zur Umsetzung eines so grundlegenden Wandels entsprang nicht einer besonderen politischen Konjunktur, sondern sie war ein Nebenprodukt ihres bonapartistischen Charakters. Aber während Isaac Deutscher und Michel Pablo darin den Überrest eines historischen Interesses an der Abschaffung des Kapitalismus sahen, lag das wirkliche “Geheimnis” des stalinistischen Bonapartismus darin begründet, daß er sowohl im Innern wie auch auf internationaler Ebene zwischen den Klassen manövrierte, ohne eine eigene, “organische” Klassenbasis zu haben. Einerseits hatte er die Arbeiterklasse des weltweit ersten Arbeiterstaats politisch expropriiert, andererseits war er weiter auf dessen Grundlagen als Quelle seiner materiellen Privilegien angewiesen. Dies zwang ihn zu einem höchst schwierigen Balanceakt zwischen den eigenen Massen und dem Imperialismus.

Zwischen 1944 und 1947 kontrollierten die Stalinisten die Repressionsapparate und Teile der Regierungen der osteuropäischen Staaten. Aber obwohl diese Staaten immer noch bürgerliche Staaten geblieben waren, befanden sie sich doch in einer besonderen Lage der Abhängigkeit von einer nicht nur im geographischen sondern auch im Sinne der Klassenbindung fremden Macht. Dadurch, daß die Bürokratie die aktiven oppositionellen Elemente beider Hauptklassen ausgeschaltet hatte, genoß die Bürokratie ein Höchstmaß an politischer Unabhängigkeit. Sie konnte die Bausteine der neuen Staaten nach ihren eigenen Vorstellungen und ohne Rücksicht auf überkommene Formen gestalten. Sie hatte keinen Widerstand einer bürgerlichen Konterrevolution oder einer proletarischen, antibürokratischen Revolution zu befürchten.

Verglichen mit den zwitterhaften Staatsformen des frühen Kapitalismus bestanden also erhebliche Unterschiede. Anders als jene wurden die Staatsapparate in Osteuropa nicht als “fertige” Staaten übernommen, sondern sie wurden zerstört. Nominell bürgerliche Institutionen wurden mit neuem Personal besetzt, das ganz andere Funktionen ausübte. Weit davon entfernt, reformistische Konzepte zu stützen, unterschied sich das Vorgehen während des Umwälzungsprozesses 1947/1948 grundlegend vom sozialdemokratischen Reformismus. Die bürgerlichen Staaten wurden zerschlagen - aber auf andere Weise, als es der klassische Marxismus vorhergesehen hatte: Zugestandenermaßen nicht zu einer im voraus bestimmten Stunde an einem bestimmten Tag, aber dennoch zerschlagen.

Das Überleben einiger Institutionen des bürgerlichen Staates, auf das die Theoretiker des Staatskapitalismus und einige andere Beteiligte an der Debatte um die Pufferzone immer wieder hingewiesen haben, ist demgegenüber von untergeordneter Bedeutung. Es unterstreicht nur den degenerierten Charakter des Transformationsprozesses. Daran ändert auch nichts, daß z.T. dieselben Richter, die in den dreißiger Jahren Kommunisten abgeurteilt hatten, in den vierziger Jahren manchmal über die Opfer der stalinistischen Säuberungen zu Gericht saßen; daß alle möglichen bürgerlichen Verwaltungsmethoden den Wandel überdauerten; daß eine Reihe von quasi-demokratischen Institutionen, einschließlich nominell unabhängiger Blockparteien und Pseudoparlamente beibehalten wurden. Derartige Elemente sind für die Bestimmung des Klassencharakters eines Staates nicht entscheidend. Diejenigen Trotzkisten, die so argumentierten, gaben ihre Positionen zu Anfang der fünfziger Jahre stillschweigend auf.

Die entscheidende Frage für Marxisten ist nicht, welcher Klassenherkunft Staatsbürokraten sind, sondern die, in welchem Klasseninteresse sie tätig sind. Die Geschichte der bürgerlichen Revolutionen hat bereits gezeigt, daß es immer opportunistische Elemente gab, die versuchten in den aufgewühlten Wassern von Revolution und Konterrevolution zu schwimmen. General Monck und der Vikar von Bray in England sowie Fouché und Talleyrand liefern hierfür Beispiele. Selbst die Bolschewiki waren gezwungen, einen Gutteil der alten Staatsdiener für eine Übergangszeit weiterzubeschäftigen und mußten danach sogar auf “militärische Spezialisten” zurückgreifen.

Wie nicht anders zu erwarten, erwiesen sich die bei den bürokratischen Umstürzen in Osteuropa angewandten Methoden als noch viel degenerierter und als noch viel weniger wählerisch hinsichtlich des Rückgriffs auf den Bodensatz der alten Gesellschaft. Nachdem 1947 der neue sozio-ökonomische Kurs eingeschlagen wurde, paßten sich die Überreste der alten Ordnung entweder dem neuen Regime an oder sie wurden systematisch gesäubert. Die staatlichen Institutionen und die Justiz beherbergten zwar noch viele reaktionäre Elemente, wurden aber ebenso im Sinne der neuen Verhältnisse umgebaut. Die Loyalität des Staatsapparats wurde dadurch gesichert, daß dieser mit der verstaatlichten Wirtschaft verbunden und dann immer enger verflochten wurde.

Aber mit der Entstehung der deformierten Arbeiterstaaten waren die Verhältnisse noch nicht ein für alle Mal geregelt. Trotzkisten haben in der Folge dazu geneigt, das Ausmaß der Bedeutung der Einführung der Planwirtschaft und anderer typischer Charakterzüge der bürokratischer Herrschaft für die Fortdauer ihrer künftigen Existenz zu überschätzen. Tatsächlich blieben diese immer Gegenstand strategischer Planspiele der sowjetischen Außenpolitik, was sich z.B. darin zeigte, daß die sowjetische Führung zu Anfang der fünfziger Jahre bereit war, die DDR zum Handelsobjekt zu machen: “Malenkov und Berija sahen die deutsche Teilung und die Anwesenheit von Truppen aus Ost und West auf deutschem Boden als ein Haupthindernis an für die Rationalisierung der sowjetischen Außenpolitik und als eine Hauptursache internationaler Spannungen. Sie faßten nichts geringeres ins Auge als den Abzug aus Deutschland und ein Sich-Selbst-Überlassen des ostdeutschen kommunistischen Regimes, in der Hoffnung, sie könnten damit den Westen dazu bewegen, sich ebenfalls aus Deutschland zurückzuziehen.”[44] Ihr Vorschlag an Eisenhower: “Es sollte so schnell wie möglich ein Friedensvertrag mit Deutschland abgeschlossen werden, der dem deutschen Volk die Möglichkeit zur Wiedervereinigung gibt. Unmittelbar danach sollten die Besatzungstruppen abgezogen werden.”[45]

Obwohl es zwischen dem, was sich in Osteuropa 1939/1940 und 1947/1948 abspielte erhebliche Unterschiede gab, hätten Trotzkis letzte, im Kampf gegen die Opposition Burnhams und Shachtmans verfaßte Schriften der Vierten Internationale als unentbehrliches analytisches Handwerkzeug dienen sollen.

“Es ist viel wahrscheinlicher”, so schrieb er 1939, “daß die Moskauer Bürokratie in denjenigen Gebieten, die sich die Sowjetunion einverleiben wird, den Großgrundbesitz enteignen und die Produktionsmittel verstaatlichen wird. Diese Variante ist am wahrscheinlichsten nicht deshalb, weil die Bürokratie dem sozialistischen Programm treu geblieben ist, sondern deshalb, weil die Bürokratie die politische Macht und die damit verbundenen Privilegien mit den alten herrschenden Klassen in den eroberten Gebieten weder teilen will noch kann.”[46]

Im Hinblick darauf, ob dies die Einschätzung des konterrevolutionären Wesens des Stalinismus in Frage stellt, hatte er folgende Position: “Das entscheidende politische Kriterium ist für uns nicht die Frage, ob in diesem oder jenem Gebiet die Eigentumsverhältnisse umgewälzt werden, wie wichtig diese auch für sich genommen sein mögen, sondern die Auswirkungen dieser Veränderungen auf das Bewußtsein des Proletariats und der Weltarbeiterbewegung, die Entwicklung der Fähigkeit, früher eroberte Positionen zu verteidigen und neue zu erobern. Von diesem und allein entscheidenden Standpunkt aus betrachtet, behält die Politik Moskaus insgesamt gesehen, ihren reaktionären Charakter und bleibt das Haupthindernis auf dem Weg zur Weltrevolution.”[47].

Trotzki war auch nicht dafür, der Roten Armee irgendeine historische Mission oder ihr eine unabhängige Rolle im Klassenkampf zuzusprechen: “Wir haben niemals versprochen, alle Aktionen der Roten Armee, die zum Instrument der bonapartistischen Armee geworden ist, zu unterstützen. Wir haben nur versprochen, die UdSSR als Arbeiterstaat zu verteidigen und auch da nur diejenigen Dinge, die Bestandteil eines Arbeiterstaats sind.”[48].

Er sah auch eine Situation voraus, in der der Kapitalismus nicht durch eine Arbeiterrevolution, sondern durch einen “Bürgerkrieg eigener Art, ... gestützt auf von der Moskauer Bürokratie kontrollierte Bayonette” gestürzt werden könnte.[49] Gleichzeitig warnte er davor, daß diese “Missionare mit Bayonetten” die Massen dem Sozialismus entfremden könnte.[50]

Die Vierte Internationale hat auf die Nachkriegsentwicklungen nicht in angemessener Weise reagiert. Ihre Reaktionen erfolgten nicht nur verspätet, sondern sie waren auch methodisch fehlerhaft, wodurch ihr nachfolgender Zusammenbruch vorbereitet wurde. Sie machte sich zur Gefangenen ihrer Prognose, daß der Kapitalismus in Osteuropa nur durch eine “strukturelle Assimilation” in die Sowjetunion gestürzt werden könnte, so wie Ostpolen und die baltischen Staaten in den Jahren 1939/1940. Nachdem sie diese Perspektive überwunden hatte, akzeptierte sie bereitwillig die These, daß der Stalinismus letztlich doch “eine revolutionär Orientierung” verfolgen könne.

Ironischerweise wird die damalige Linie, die Ende der vierziger Jahre von der Vierten Internationale vertreten wurde, sowohl von dem “Antipablisten” David North wie vom “Pablisten” Pierre Frank verteidigt. North meint, daß der Zweite Weltkongreß von 1948 “zu Recht die Auffassung vertreten” habe, daß der Kapitalismus in der Pufferzone noch nicht abgeschafft worden war,[51] während Frank behauptet, daß “trotz einiger gegen diejenigen Mitglieder der besitzenden Klassen, die mit den Nazis zusammengearbeitet hatten, gerichteter Maßnahmen, die (sowjetische) Armee die bürgerlichen Gesellschaftsstrukturen dieser Länder intakt gelassen hatte”.[52]

David Rousset scheint eines der ersten Mitglieder der Vierten Internationale gewesen zu sein, das aufgrund der weitestgehenden Verstaatlichungen der Industrie der Länder der Pufferzone davon ausging, daß dort Arbeiterstaaten entstanden waren.[53] Seinem entsprechenden Beitrag zum Plenum des Internationalen Exekutivkomitees von 1946 wurde von Ernest Mandel widersprochen, der auf der folgenden Position beharrte: “Die Bürokratie kann neue Territorien nur dadurch unter ihre Kontrolle bringen, daß sie sie strukturell in die aus der Oktoberrevolution hervorgegangene Basis assimiliert.”[54]

Der Zweite Weltkongreß der Vierten Internationale trat im April und Mai 1948 zusammen. Die entscheidenden Umwälzungen hatten zu diesem Zeitpunkt bereits stattgefunden. Seine von Mandel vorgelegte Hauptresolution war: “Die UdSSR und der Stalinismus”. “Zu leugnen, daß der gesellschaftliche Charakter dieser Länder kapitalistisch ist,” so behauptete sie, “läuft, in welcher Form auch immer, auf die Akzeptanz der revisionistischen stalinistischen Theorie hinaus und darauf, daß man ernsthaft die Möglichkeit in Betracht ziehen muß, daß der Kapitalismus durch Terror von oben zerstört werden kann, ohne das revolutionäre Eingreifen der Massen.”[55]

Änderungsanträge der britischen RCP (Revolutionary Communist Party) des Inhalts, daß der Sturz des Kapitalismus in den Ländern der Pufferzone entweder schon erfolgt war, daß die Bourgeoisie die Kontrolle über die Regierungen und Staatsapparate schon verloren hatte oder diese Ereignisse kurz vor ihrem Abschluß standen, wurden mit großer Mehrheit niedergestimmt.[56]

Unmittelbar nach dem Kongreß, noch im Juni 1948, kam es zwischen der Sowjetunion und Jugoslawien zum Zerwürfnis. Die Einschätzung des Kongresses, daß Jugoslawien ein kapitalistischer Staat war, in dem im Kriegsfall die Haltung des revolutionäre Defaitismus praktiziert werden sollte, wurde als Makulatur behandelt. Die Führung der Vierten Internationale begann sofort, Jugoslawien als Arbeiterstaat zu behandeln, geführt von einer Partei, die mit dem Stalinismus gebrochen hatte.[57] Das Internationale Sekretariat sandte dieser drei Offene Briefe, von denen einer mit dem pathetischen Appell schloß: “Jugoslawische Kommunisten, laßt uns gemeinsam für den Aufbau einer neuen leninistischen Internationale kämpfen”.[58]

Obwohl eine Mehrheit der Vierten Internationale auch danach noch daran festhielt, daß die Länder der Pufferzone weiter kapitalistisch waren, war diese Einschätzung immer schwieriger aufrechtzuerhalten. Die Resolution des Siebten Plenums des Internationalen Exekutivkomitees vom April 1949 beschreibt die Pufferzone als einzigartigen Typus zwitterhafter Übergangsgesellschaften im Prozeß des Übergangs, mit so unbestimmbaren und unklaren Zügen, daß es extrem schwierig ist, ihr grundlegendes Wesen zusammenfassend zu benennen.”[59]

Tatsächlich war diese Kategorie des “einzigartigen Übergangsstaats” eine grundlegende Revision des Marxismus. Sie lief darauf hinaus, daß ein Staat gleichzeitig der Staat zweier Klassen sein kann oder bezüglich beider einen neutralen Charakter haben kann.

Die gewundene Erklärung des IEK bewegte sich zwischen zwei Polen. Einerseits hieß es, die osteuropäische Bourgeoisie sei “geschwächt” bzw. “nahezu gänzlich verschwunden”.[60] Andererseits hieß es, “die Länder der Pufferzone sind mit Ausnahme Finnlands und der russischen Besatzungszonen Österreichs und Deutschlands auf dem Wege der strukturellen Assimilation in die UdSSR, aber ... diese ist noch nicht abgeschlossen.”[61]

Um diese Schlußfolgerung zu rechtfertigen mußte das IEK eine ganze Reihe von zweitrangigen Kriterien aufstellen, die seiner Ansicht nach erfüllt zu sein hatten, um die Länder der Pufferzone als Arbeiterstaaten anerkennen zu können. Nationale Grenzen hatten zu fallen und “wirkliche Planung” eingeführt zu werden, entweder durch die Einverleibung in die Sowjetunion oder durch die Schaffung einer Balkan-Donau-Föderation.

Überflüssig zu erwähnen, daß keines dieser Kriterien jemals erfüllt worden ist. Die qualitativ gleichen Züge der Länder Osteuropas und der Sowjetunion waren jedoch offenkundig. Die Vierte Internationale begann sich in zwei Lager zu spalten. In jenes, das begann, anzuerkennen, daß es sich bei den Ländern der Pufferzone um Arbeiterstaaten handelt und damit argumentierte, daß diese dafür die ökonomischen Kriterien erfüllten. Die anderen argumentierten, daß die politischen Kriterien dafür nicht erfüllt waren.

Bert Cochran (E.R. Frank) vertrat im März 1949 die Position, daß es sich um Arbeiterstaaten handelte, und begründete dies mit vergleichenden Statistiken zum Ausmaß der Verstaatlichungen. Morris Stein vertrat im Juli 1949 im Politischen Komitee der amerikanischen SWP (Socialist Workers Party) die folgende, mit dem Marxismus nur schwer vereinbare Position: “Anstatt sich frühzeitig auf irgendwelche Charakterisierungen hinsichtlich des sozialen Charakters der Länder der Pufferzone festzulegen, sollten wir besser die weiteren Entwicklungen abwarten.”[62]

Als die Diskussion im August fortgesetzt wurde, wurden die Positionen der RCP ohne Rücksicht auf Tatsachen beiseite geschoben. “Ich habe ihre letzten Papiere nicht gelesen. Aber darauf kommt es auch gar nicht an, denn ihre Position, wurde schon vor sechzehn Monaten formuliert.... Als sie erstmals (im April 1948) behaupteten, daß es sich bei den Ländern der Pufferzone um Arbeiterstaaten handelt, hatten in diesen Länder noch keine umfangreichen Nationalisierungen stattgefunden.”[63]

Im September schlug Michel Pablo der Vierten Internationale vor, Jugoslawien als Arbeiterstaat anzuerkennen - eine Position, die er seit über einem Jahr implizit vertreten hatte. Mandel griff ihn im Oktober an, indem er auf die Schwächen der Position jener verwies, die bereit waren, von Nationalisierungen auf den Sturz des Kapitalismus zu schließen, hielt aber starr an seinem Einwand fest, daß dafür eine echte proletarische Revolution vonnöten sei. Bezeichnenderweise gestand Mandel dabei selbst ein, daß seine Position sich mehr auf allgemeine politische Überlegungen stützte als auf die Untersuchung der objektiven Wirklichkeit. “Unsere Haltung zum Stalinismus die davon bestimmt ist, daß dieser ein ineffektives Instrument zum Sturz des Kapitalismus ist, verlöre all ihren Sinn.”[64]

Joe Hansen kritisierte im Dezember 1949 die Mehrheitsposition, indem er auf zwei Hauptwidersprüche in deren Positionen hinwies: Der zweite Weltkongreß, der behauptet hatte, daß in der Pufferzone unbedingt eine revolutionäre Massenmobilisierung geben müsse, um Arbeiterstaaten zu schaffen, hatte zugleich zugestanden, daß es 1939-40 weder im Baltikum noch in Ostpolen, Karelien und Bessarabien solche revolutionären Massenmobilisierungen gegeben hatte und der Kapitalismus dort dennoch beseitigt worden war. Die Resolution des Siebten Plenums hatte das kapitalistische Wesen der Länder der Pufferzone betont und gleichzeitig betont, dies bedeute nicht, daß die Bourgeoisie in diesen Ländern als herrschende Klasse die Macht in den Händen hält.[65]

Obwohl seine Methode der Hansens ähnelte, wonach ein bestimmtes Ausmaß an Nationalisierungen einen Arbeiterstaat ergibt, war Pablo im Februar 1950 noch nicht bereit, über die Anerkennung Jugoslawiens als Arbeiterstaat hinauszugehen. Dies sei ein “spezieller Fall”, nämlich das Ergebnis einer proletarischen Revolution seit 1941 (auch, wenn die Vierte Internationale von dieser bis 1948 noch keine Notiz genommen hatte). Der Bruch mit dem Kreml sei der Höhepunkt dieses Prozesses gewesen. Bezüglich des Rests der Pufferzone war er weiter der Ansicht, diese “nähere sich der Assimilation in die UdSSR”, gestand aber zu, daß diese auch ohne Beseitigung der Grenzen oder ihren formellen Anschluß an die Sowjetunion stattfinden könne.[66]

Cochran war wesentlich unverblümter: “Wir meinen, daß dann, wenn sich die staatlichen und wirtschaftlichen Strukturen dieser Länder denen der UdSSR gleichen, diese auch dielbe Klassennatur haben müssen. Jede andere Position stellt unsere Einschätzung der Sowjetunion in Frage.”[67] Für ihn waren die Länder der Pufferzone nach 1945 durch ein “Regime der Doppelherrschaft” gekennzeichnet und die stalinistischen Verfassungen der Jahre 1948-1949 erklärte er zum “juristischen Ausdruck der Tatsache, daß das Regime der “Doppelherrschaft in diesen Ländern beendet worden war.[68]

Es war Pablo, der den Begriff des “deformierten Arbeiterstaates” prägte. Ursprünglich, auf Jugoslawien angewandt, meinte er einen Staat, der quantitativ, nicht qualitativ durch die Bürokratie deformiert war.[69] Im April 1950 nahm das Achte Plenum des IEK formell die Position Pablos zu Jugoslawien an, obwohl es weiter Kräfte gab, die sich dem widersetzten, darunter der dafür von David North als weitsichtiger und scharfsinniger Dissident gelobte John G. Wright.[70]

Um den Schein von Einheit aufrechtzuerhalten, blieb keine andere Wahl als die, die Diskussion so schnell wie möglich diplomatisch in Vergessenheit geraten zu lassen. Mandel ließ zwischenzeitlich seine Einwände stillschweigend fallen. Im August 1951, auf dem Dritten Weltkongreß, wurde die Kategorie “deformierter Arbeiterstaat” dann auch endgültig auf die anderen Staaten der Pufferzone angewandt. Aber auch dies wurde zur Gesichtswahrung mit dem Satz ergänzt: “Wir glauben immer noch, daß diese Staaten bis 1949 eine grundlegend kapitalistische Struktur beibehielten”.[71] Damit wurde gesagt, daß die Position des Siebten Plenums korrekt war und daß der qualitative Wandel in Osteuropa auf irgendeine Weise seit 1949 stattgefunden haben mußte.

Die trotzkistische Bewegung sollte für diese Einheitsshow einen hohen Preis zahlen. Die Resolutionen des Dritten Weltkongresses wurden mit überwältigender Mehrheit angenommen. Aber die zugrundelegenden theoretischen Differenzen blieben bestehen und wurden unter den Teppich gekehrt. Und die politische Konsequenz war eine Kehrtwende von der Stalinophobie zur Stalinophilie. Hatte man sich vorher lange an die Position geklammert, daß nur echte proletarische Revolutionen in der Lage sind, den Kapitalismus abzuschaffen, sorgte die Enthüllung, daß die Stalinisten auf einem halben Kontinent den Job schon erledigt hatten, für eine tiefgreifende Anpassung der Vierten Internationale, die ihre Rolle nunmehr darin sah, die Kommunistischen Parteien nach links zu drängen.

Diesen politischen Zusammenbruch kann man nicht einfach nur mit “falscher Politik” oder mit individuellem “Verrat” erklären. Die grundlegende Ursache der Desorientierung der Vierten Internationale war ihr Unvermögen, die marxistische Staatstheorie weiterzuentwickeln und zu erklären, wieso eine konterrevolutionäre Bürokratie, die sich als Totengräberin der ersten erfolgreichen proletarischen Revolution betätigt hatte, dennoch in der Lage war, die Bourgeoisie zu expropriieren.

Mandels Befürchtung, daß man dem Stalinismus damit eine historische Mission zugestehen würde, sollte sich mehr als bewahrheiten: Der Anpassung der Vierten Internationale an Tito folgten die an Mao, an Castro und Ho Chi Minh. Allen wurde bescheinigt, unter dem “Druck der Massen”, mit dem Stalinismus gebrochen zu haben.

Die Aufgabe zu bestimmen, welche Produktionsverhältnisse ein Staat schützt und/oder zu entwickeln bestrebt ist, ist letztlich durch eine politische Analyse zu lösen. Im Falle der klassischen sozialen Revolutionen, wie der bürgerlichen in Frankreich 1789 und der sozialistischen Oktoberrevolution in Rußland 1917, wo die Staatsmacht aus den Händen einer Klasse in die einer anderen übergeht, bereitet das keine Schwierigkeit.

Die Entscheidung der Frage nach der Klassennatur eines Staates wird jedoch dann extrem schwierig, wenn eine kleinbürgerliche Führung mit beiden Hauptklassen der modernen kapitalistischen Gesellschaft in Konflikt gerät, mit der Bourgeoisie und dem Proletariat - typischerweise dort, wo beide extrem geschwächt und politisch führungslos sind. Das war an einem bestimmten Punkt ihrer jeweiligen Entwicklung sowohl in Kuba als auch in Nicaragua der Fall.

In einer solchen Situation müssen die Praxis der betreffenden Führung und die Haltung des Staates zu den Eigentumsverhältnissen und den beiden Hauptklassen sorgfältig analysiert werden. Eine qualitative Veränderung wäre durch die Tatsache gekennzeichnet, daß begrenzte kollektivistische Eingriffe in die Wirtschaft nicht mehr ausreichen, um die Lage zu stabilisieren und daher unmittelbar nach drastischeren Eingriffen verlangen, der Unterdrückung der Bourgeoisie. Die Alternative wäre eine zunehmende Paralyse, die der politischen Konterrevolution den Weg bereitet.

Die aus der nikaraguanische Revolution 1979 nach einem bewaffneten Kampf gegen die Diktatur Somozas hervorgegangene Regierung war im wesentlichen eine radikale Volksfront, bestehend aus einer kleinbürgerlichen Führung, Arbeiterparteien und minoritären, antisomozistischen Sektoren der nikaraguanischen Bourgeoisie. Sie repräsentierte ein ähnliches Spektrum wie die von Fidel Castros geführten Krafte in Kuba 1959. Sie setzte sofort erhebliche Verstaatlichungen und tiefe Eingriffe des Staates in die Wirtschaft durch.

Aber dennoch, trotz der subjektiv “sozialistischen Absichten” der FSLN, beschritt die nikaraguanische Revolution nicht den “kubanischen Weg”. Das Schicksal solcher Revolutionen ist eng mit dem Wesen ihrer politischen Führungen verbunden, die an der Spitze dieser Staaten stehen. Eine revolutionäre internationalistische Führung hätte den Aufstand der USA/Contras nicht nur mit militärischen Mitteln bekämpft, sondern dadurch, der Bourgeoisie im Inland die Basis zu entziehen, und damit, die Revolution zu verbreiten. Aber ohne eine solche revolutionäre Führung war angesichts des internationalen Kräfteverhältnisses, das nicht zuletzt durch die Ablehnung der sowjetischen und kubanischen Bürokratien beinflußt war, eine Wiederholung des kubanischen Weges zuzulassen, der Ausgang der Entwicklung vorbestimmt - das mit Chamorro und den Contras ausgehandelte Abkommen im Jahre 1989.

5. Trotzki und die möglichen Pfade der Konterrevolution

Die dogmatischsten Spielarten des “orthodoxen Trotzkismus” haben häufig versucht, die Realität an die Prognosen Trotzkis anzupassen, anstatt die Wirklichkeit zu analysieren und dabei Trotzkis Ideen als Werkzeug zu benutzen. Aus der in einigen der Schriften Trotzkis geäußerten Vorstellung, daß eine kapitalistische Restauration nur nach einem Bürgerkrieg durchgesetzt werden könnte, machten die Epigonen ein überhistorisches Dogma. Es ist kein Wunder, daß die Ereignisse von 1989 bis 1991 die Mehrheit dieser Möchtegern-Trotzkisten völlig überraschten. Anstatt sich von der reaktionären Vorstellung zu lösen, daß der Marxismus eine Art Kristallkugel zur Vorhersage der Zukunft ist, verzweifelten einige an ihrem Glauben an ihren “Gott-Vater” und begannen sich nach einem reineren, vor-bolschewistischem Marxismus umzusehen.

Andere klammerten sich an die Vorstellung, daß die soziale Konterrevolution erst noch bevorstehe und der Bürgerkrieg erst noch vor ihnen läge.

Ohne das Potential für Bürgerkriege der verschiedensten Art in den osteuropäischen Ländern und der ehemaligen Sowjetunion im geringsten unterschätzen zu wollen, muß festgestellt werden, daß der Bürgerkrieg, den die Epigonen erwarteten, keineswegs die Voraussetzung für eine Restauration bürgerlicher Staaten war - nicht zuletzt, weil andere Schlüsselelemente der diesbezüglichen Einschätzung Trotzkis, so die Einschätzung, daß die von der Bürokratie verratene soziale Revolution “in den Köpfen der werktätigen Massen” immer noch lebendig sei[72], in den 55 Jahren, die seit Trotzkis Einschätzung verflossen waren, in der Realität erheblich erodiert waren.

Mit der Reduktion des Trotzkischen Nachdenkens über die Möglichkeit einer Konterrevolution auf einen einzigen Satz haben die Epigonen dem Trotzkismus einen Bärendienst erwiesen - und dabei dessen historische und dialektische Entwicklung übersehen. Ohne in die Falle des Versuchs zu gehen zu zeigen, daß Trotzki den Gang der Ereignisse doch vorhergesagt hat, zeigt eine abgerundete Studie seines Werkes, daß er über mehrere mögliche Wege der Konterrevolution nachgedacht hat und daß unter Berücksichtigung des jeweiligen Kontexts eine ganze Reihe seiner Gedanken heute noch fruchtbar gemacht werden können. Natürlich lassen sich eine ganze Reihe von agitatorischen Manifesten, Reden zitieren, in denen die Bolschewiki die Weltrevolution als “unausweichlich” bezeichneten. Aus ihren reiferen Schriften geht jedoch hervor, daß sowohl Lenin als auch Trotzki immer verstanden haben, daß Revolutionen und Konterrevolutionen das Ergebnis des Kampfes lebendiger Klassenkräfte sind. Ihre Prognosen waren immer durch die jeweiligen historischen Umstände bedingt und sie lösten sich selten vom Gegenwartskontext und den sich daraus ergebenden kurzfristigen Möglichkeiten.

Unmittelbar nach der Revolution ergab sich das wahrscheinlichste Potential für eine Konterrevolution aus einem Bündnis einheimischer Kräfte - Großgrundbesitzer, Monarchisten, Kapitalisten, reiche Bauern - mit einer imperialistischen Intervention von außen. Aber der sowjetische Sieg im Bürgerkrieg hatte auch zu einem unsicheren Frieden mit den Imperialisten geführt. Die Revolution konnte Atem schöpfen. Die Wahrscheinlichkeit eines erfolgreichen Aufstands der Weißgardisten schwand. Hinzu kam, daß die Bauernschaft unabhängig davon, was sie über die Bolschewiki dachte, ein Interesse an der Revolution in Form der Agrarrevolution hatte. Das erklärt, weshalb die Machenschaften imperialistischer Agenten wie Sydney Reillys kläglich scheiterten. Die klügeren Konterrevolutionäre wie der führende Kadett Ustryalov sahen in der Entwicklung des neuen Regimes selbst ein größeres Potential und setzten darauf, daß die Neue Ökonomische Politik” ganz von selbst zur Rückentwicklung zum Kapitalismus führen würde.

Während seines letzten Kampfes in den Jahren 1922 bis 1923 wurde Lenin immer stärker des Wachstums konservativer bürokratischer Kräfte in der Partei- und Staatsbürokratie bewußt, die durch ihren Chauvinismus und ihre Bereitschaft zum Rückzug in zentralen Fragen wie dem des Außenhandelsmonopols dem möglichen Zusammenbruch der proletarischen Diktatur den Weg bereiteten, eine Diktatur, die - um es mit den Worten Moshe Lewins zu sagen - immer mehr in einem Vakuum ausgeübt wurde.[73]

Die Gefahren, die mit der Wiederbelebung des Privateigentums verbunden waren, waren den führenden Bolschewiki immer sehr bewußt. In seinem Bericht über die Entwicklung der gesellschaftlichen Produktion auf dem 12. Parteitag im April 1923 bemerkte Trotzki: “Die kleine Warenproduktion und der Kleinhandel bilden einen uns feindlich gegenüberstehenden Block.”[74] Er faßte dann schließlich zusammen, welche Bedingungen erfüllt sein mußten, damit der Arbeiterstaat überlebt: “Wenn wir erklären müßten, worauf sich unsere Hoffnungen auf ein Überleben der Revolution stützen, dann müßten wir antworten: 1. Auf die politische Macht der Partei, die von der Roten Armee gestützt wird; 2. auf die nationalisierte Industrie; 3. auf das Außenhandelsmonopol. Es würde genügen, einen dieser Pfeiler zu zerstören, um das ganze Gebäude zum Einsturz zu bringen.”[75]

Die Gefahr eines möglichen Bündnisses zwischen Bürokraten, den Profiteuren der Neuen Ökonomischen Politik und den Kulaken ist ein Dauerthema in den Schriften Trotzkis, die er während des Kampfes der Linken Opposition von 1923-1927 verfaßte. In seiner Schrift “Kapitalismus oder Sozialismus”[76] von 1925, einem verschleierten Angriff auf das ökonomische Programm Bucharins und Stalins konzentriert er sich auf die Forderung nach genauen und mit der Weltwirtschaft vergleichbaren Wirtschaftsdaten, weil dies im Gegensatz zur offiziellen Legende von der sich selbst genügenden sowjetischen Wirtschaft den niedrigen Stand ihrer Entwicklung und das viel niedrigere Niveau der Arbeitsproduktivität offen gelegt hätte.

1927, während der letzten Phase, in der die Linke Opposition öffentlich auftreten konnte, wurde diese Gefahr zunehmend zur Realität. Die “Plattform der Vereinigten Linken Opposition[77] konzentrierte die Aufmerksamkeit auf den Zusammenhang zwischen der Stabilisierung des Weltkapitalismus, den Zustrom von konterrevolutionären und chauvinistischen Elementen in die Bürokratie und der Unzufriedenheit der Bauern, die durch die Schere zwischen steigender landwirtschaftlicher Produktion und Warenmangel entstanden war.

Trotzkis Artikel “Thermidor”[78] aus dieser Zeit wurde im allgemeinen wenig Aufmerksamkeit zuteil, vielleicht, weil Trotzki seine Ansichten zu dieser Frage bekanntlich 1935 einer Revision unterzog. Trotzki diskutiert in ihm zwei Varianten konterrevolutionärer Entwicklungen, was bereits zeigt, daß er in der Frage des “Bürgerkriegs” alles andere als kategorisch festgelegt war: “Aber die bürgerliche Restauration ist, allgemein gesprochen, nur auf zwei Wegen vorstellbar, entweder durch einen scharfen und abrupten Umsturz (mit oder ohne ausländische Intervention) oder schrittweise, in Form aufeinanderfolgender Veränderungen. Das wäre das, was Ustryalov eine “Talfahrt mit angezogener Handbremse” nennt. Solange die europäische Revolution noch nicht gesiegt hat, kann nicht geleugnet werden, daß sich Möglichkeiten für eine bürgerliche Restauration entwickeln können. Welche der beiden Möglichkeiten unter unseren Umständen die Wahrscheinlichere ist, der Weg eines plötzlichen Umsturzes oder der Weg aufeinanderfolgender kleinerer Erschütterungen mit einer thermidorianischen Etappe als unmittelbarer erster Stufe, kann derzeit nur extrem bedingt beantwortet werden. Insofern als die Möglichkeit einer Restauration nicht generell ausgeschlossen werden kann, müssen wir mit beiden dieser Varianten rechnen, mit oder ohne angezogene Bremse, alle Chancen abwägen, und die Faktoren analysieren, die dazu beitragen können.[79]

Die akute Krise von 1927 veranlaßte Stalin zu einer abrupten Kehrtwende, von einer Politik der Aussöhnung mit den Kulaken zur Politik der Zwangskollektivierung. Trotz ihrer desaströsen Ergebnisse und obwohl sie die Ungleichheit auf dem Lande nicht beseitigte, hat die Eliminierung der ländlichen Kleinbourgeoisie diese als ernsthafte Anwärterin auf die Macht zumindest kurzfristig ausgeschaltet. Die durch die Neue Ökonomische Politik entstandene Bourgeoisie wurde durch die Kampagne zur beschleunigten Industrialisierung ebenfalls eliminiert.

Trotzkis Einschätzung änderte sich dementsprechend. Mehr und mehr erblickte er in der Bürokratie die Hauptgefahr im Innern. Tatsächlich war seine Einschätzung der bucharinistischen Rechten als “Hauptgefahr” und als “thermidorianischem Flügel der Partei” für die Linke Opposition der Grund, weshalb sie einen Block mit ihr zur Frage der innerparteilichen Demokratie ablehnte.

Die Einschätzung der “Rechten Opposition” als “maskierter Form der Konterrevolution” als Stellvertreterin der Kulaken und der NÖP-Elemente zieht sich durch Trotzkis Schriften in Alma Ata. Was immer man nachträglich von dieser Position halten mag - die Leichtigkeit, mit der es Stalin gelang, die Rechte Opposition auszuschalten, ließ auch dieses Szenario immer unwahrscheinlicher erscheinen.

Als Trotzki 1933 seinen Artikel “Die Klassencharakter des Sowjetstaates - Die IV. Internationale und die UdSSR” schrieb, entwarf er eine Perspektive, die mit ihrem Bild der inneren Zersetzung in einiger Hinsicht immer noch brennend aktuell erscheint:”Die Arbeiter, die die Kontrolle über Staat und Wirtschaft verloren haben, könnten, um sich selbst zu verteidigen, zu Massenstreiks Zuflucht nehmen. Die Disziplin der Diktatur würde gebrochen. Unter dem Druck der Arbeiter und der wirtschaftlichen Schwierigkeiten, wären die Trusts gezwungen, das System der Planwirtschaft zu durchbrechen und miteinander zu konkurrieren. Die Erschütterung des Regimes würde natürlich auf dem Lande stürmischen und chaotischen Widerhall finden und unweigerlich auf die Armee überspringen. Der sozialistische Staat würde zusammenbrechen. An seine Stelle träte das kapitalistische Regime, genauer gesagt, das kapitalistischen Chaos.”[80]

Diese Überlegungen werden in der “Verratenen Revolution” noch schärfer herausgearbeitet, wo Trotzki das Wechselspiel der Krisen von Herrschaft und Ökonomie diskutiert: “Ein Zusammenbruch des Sowjetregimes würde unweigerlich einen Zusammenbruch der Planwirtschaft und damit die Abschaffung des staatlichen Eigentums nach sich ziehen. Die Zwangsbindung der Trusts untereinander und zwischen den Fabriken eines Trusts würde sich lockern. Die erfolreichsten Unternehmen würden sich beeilen, eigene Wege zu gehen. Sie könnten sich in Aktiengesellschaften umwandeln oder eine andere transitorische Form des Eigentums finden, etwa eine mit Gewinnbeteiligung der Arbeiter. Gleichzeitig und noch leichter würden die Kolchosen zerfallen. Der Sturz der heutigen bürokratischen Diktatur wäre also, wenn keine neue sozialistische Macht diese ersetzt, gleichbedeutend mit einer Rückkehr zu kapitalistischen Verhältnissen bei katastrophalem Rückgang von Wirtschaft und Kultur.”[81]

(...) “Auf dem Gebiete der Industrie würde die Entnationalisierung bei den Betrieben der Leicht- und Nahrungsmittelindustrie beginnen. Das Planprinzip würde während einer Übergangszeit auf eine Reihe von Kompromissen hinauslaufen, die zwischen der Staatsmacht und den einzelnen “Genossenschaften”, d.h. den potentiellen Eigentümern (Sowjetindustrie-kapitänen, ehemaligen, emigrierten Besitzern und ausländischen Kapitalisten), geschlossen würden. Obwohl die Sowjetbürokratie einer bürgerlichen Restauration gut vorgearbeitet hat, müßte das neue Regime auf dem Gebiete der Eigentumsformen und der Wirtschaftsmethoden nicht Reformen, sondern eine soziale Umwälzung durchführen.”[82]

Und er hob hervor, daß die Bürokratie selbst den größten Teil der Kader für die Konterrevolution stellen würde: “Würde dagegen die herrschende Sowjetkaste von einer bürgerlichen Partei gestürzt, so fände letztere unter den heutigen Bürokraten , Administratoren und Technikern, Direktoren, Parteisekretären , den privilegierten Spitzen überhaupt, nicht wenige willfährige Diener. Eine Säuberung des Staates wäre natürlich auch in diesem Falle erforderlich, doch hätte die bürgerliche Restauration wahrscheinlich weniger zu entfernen als eine revolutionäre Partei.”[83]

Gegen jene, die einseitig darauf beharren, daß Trotzki ausschließlich an einen gewaltsamen Sturz der Sowjetmacht gedacht hatte, verweisen wir schließlich auf die der Genfer Konferenz vorgelegten Thesen über “Die Vierte Internationale und die Sowjetunion”, die von Trotzki entworfen und zur selben Zeit geschrieben wurden wie die “Verratene Revolution”. Die Stalinsche Verfassung von 1936, so hob er hervor, “öffnet der Bürokratie einen legalen Weg für die ökonomische Konterrevolution, d.h. für die Restauration des Kapitalismus in Form eines “kalten Staatsstreichs”.[84]

Wie diese Zitate belegen, hielt Trotzki es bis zu diesem Zeitpunkt für wahrscheinlich, daß politische und ökonomische Konterrevolution Hand in Hand gehen würden. In einer Replik auf Burnham und Carter im Jahre 1937 revidiert er jedoch diesen Standpunkt und argumentiert: “Im Falle einer erfolgreichen bürgerlichen Konterrevolution müßte sich die neue Regierung noch für eine längere Zeitspanne auf die nationalisierte Wirtschaft stützen.”[85] Diese Aussage impliziert auch, daß die Vorstellung, Trotzki hätte die Möglichkeit erwägen können, daß noch nach einer siegreichen Konterrevolution von einem Arbeiterstaat gesprochen werden könnte, völlig absurd ist.

Nach dem Ausbruch des zweiten Weltkriegs prognostizierte Trotzki in seinen letzten Schriften eine ganze Reihe seiner Wendepunkte. Seit 1933 hatte er vor der Gefahr gewarnt, die für die Sowjetunion vom deutschen Imperialismus ausging. Er sah den Hitler-Stalin-Pakt ebenso voraus wie seinen Bruch: “Wenn Hitler siegt ... wird er Deutschland im Interesse der deutschen Rüstungsmaschinerie zum wichtigsten Kunden der Staatsbetriebe der UdSSR machen. Im Augenblick ist er der Verbündete und Freund Stalins. Aber sobald er mit Hilfe Stalins an den westlichen Fronten siegreich ist, wird er umgehnd seine Waffen gegen die UdSSR richten.[86]

Die Eile, mit der Trotzki 1939 die Losung “Für eine unabhängige Sowjetukraine” aufgriff, hing mit der Gefahr zusammen, daß die stalinistische Repression die ukrainischen Massen in die Arme reaktionärer Nationalisten und des deutschen Imperialismus treiben würde. Diese Gefahr sollte sich voll und ganz verwirklichen. Als die deutschen Truppen 1941 Kiew besetzten, wurden sie als Befreier gefeiert.[87]

Natürlich hat Trotzki kein Handbuch über die kapitalistische Restauration der neunziger Jahre geschrieben. Einige seiner Vermutungen waren strikt zeitgebunden, andere haben sich als bleibend relevant herausgestellt. Er hinterließ uns eine ausreichende Zahl von Fingerzeigen, um uns gut auf das Siechtum des Stalinismus vorzubereiten. In der Praxis stellte sich jedoch heraus, daß die meisten seiner Anhänger nicht in der Lage waren, die Menetekel an der Wand zu deuten und noch viel weniger, diesen Prozeß zu analysieren. Verschiedene Strömungen des griechischen Trotzkismus beharren heute noch auf der Position, daß es unmöglich sei, den Kapitalismus in den ehemaligen Arbeiterstaaten zu restaurieren. Diese Position fußt auf einem totalen Mißverständnis in Bezug auf die von Trotzki gesehene Analogie mit dem Thermidor in der französischen Revolution - kombiniert mit einem metaphysischen Glauben an die Macht des nationalisierten Eigentums. Obwohl es stimmt, daß Trotzki 1935 den Begriff des Thermidor benutzte, um die konterrevolutionäre Stabilisierung des Stalinismus auf der Grundlage des nationalisierten Eigentums zu beschreiben, war bei ihm kristallklar, daß dennoch eine weitere Rückentwicklung zum Kapitalismus immer möglich blieb. Inwiefern könnten wir heute noch sagen - wie Trotzki 1935 schrieb- , daß “der Sowjetstaat, sofern er die Entwicklung der Wirtschaft und der Kultur sichert, ein Arbeiterstaat bleibt”?[88] Die Wirtschaft ist ruiniert, die Massen sind pauperisiert, die Kultur ist um Jahrzehnte zurückgeworfen. Angesichts solch scharfer Brüche in der Geschichtsentwicklung sind die Wiederholungen alter Formeln sinnlose Übungen einer absolut unverdaulichen Form des Marxismus.

6. Der Weg der Restauration

Mit Trotzki gehen wir davon aus, daß die Bürokratie den Arbeiterstaat nur insofern verteidigte, als er eine verläßliche Quelle für Privilegien war. Obwohl sie die Arbeiterklasse politisch enteignet hatte, war sie doch gezwungen, ihr erhebliche Zugeständnisse zu garantieren: Arbeitsplatzsicherheit, billige Mieten und andere wesentliche Dinge. Lange Zeit war es die Furcht vor Widerstandsaktionen der Arbeiterklasse, die die marktorientierten Teile der Bürokratie davor zurückschrecken ließ, diese Errungenschaften in Frage zu stellen.

Trotzdem betätigte sich die Bürokratie in der Sowjetunion und den deformierten Arbeiterstaaten als Transmissionsriemen zwischen den nationalisierten Produktivkräften und dem Weltkapitalismus. Der wachsende Appetit der Bürokraten, aus ihren Privilegien Privateigentum werden zu lassen, wurde durch ein schwindendes Vertrauen in die bürokratische Planung der Wirtschaft angestachelt.

In den dreißiger Jahren konnte Trotzki noch schreiben, daß “die nationalisierte und geplante Wirtschaft der UdSSR für die nach einer besseren Zukunft strebende Menschheit die größte Schule ist” und daß sie “eine Entwicklung der Produktivkräfte gesichert hatte, die in der Weltgeschichte nicht ihresgleichen findet”.[89] Aber der Höhenflug der imperialistischen Nachkriegswirtschaft ließ die sowjetische Wirtschaft weit zurückfallen. Nachdem die anfänglichen Erfolge der “ursprünglichen sozialistischen Akkumulation” (die durch die Statistiken der Bürokratie größer erschienen als sie waren) erst einmal errungen waren, war der weitere Übergang zum Sozialismus blockiert.

Langfristig betrachtet repräsentierten die Jahrzehnte seit den späten fünfziger Jahren einen langsamen Übergang in die entgegengesetzte Richtung.

Die Methoden der stalinistischen “Kommandowirtschaft” wirkten als Bremse der Entwicklung der vergesellschafteten Produktivkräfte. Zwischen 1951 und 1980 sanken die Wachstumsraten der industriellen Produktion von Fünfjahresplan zu Fünfjahresplan. Das wurde in den fünfziger und sechziger Jahren zum Teil durch die Anwendung arbeitsintensiver Methoden verdeckt, die trotz Kommandostruktur und des niedrigen technologischen Standards zu einem beträchtlichen Wachstum beitrugen. In den siebziger Jahren wurden die Anzeichen für einen Zusammenbruch durch den sprunghaften Anstieg der Ölpreise auf dem Weltmarkt überwunden[90]. Ende der siebziger Jahre hatten die stalinistisch geprägten Produktionsverhältnisse die Entwicklung der Produktiv-kräfte unter Berücksichtigung der Auswirkungen des Wettrüstens nach dem Vietnamkrieg erstickt. Dieser sich verschärfende Widerspruch bereitete der vertieften Krise der achtziger Jahre den Weg, die ihrerseits zum politischen Zusammenbruch in den Jahren 1989-1991 führen sollte.

Je mehr sich der Widerspruch zwischen den vergesellschafteten Produktivkräften und der Kommandostruktur (der zentralen Planung!) zuspitzte, desto mehr versuchten die Stalinisten der wirtschaftlichen Stagnation mit Marktexperimenten beizukommen. Ende der achtziger Jahre hatte der Stalinismus bereits in fast allen Ländern versucht, Reformprogramme einzuführen - und war überall damit gescheitert.[91]

Diese Fehlschläge trugen dazu bei, das, was bei den Arbeitern vom Vertrauen in den Übergang zum Sozialismus in diesen Staaten noch vorhanden war zu untergraben und stärkte die Illusionen in den Kapitalismus.

Die Hauptnutznießer der verschiedenen stalinistischen “Reformversuche” waren die städtischen Mittelschichten, die “Spezialisten, die Manager und die “Intellektuellen”.[92] Das Wachstum dieser Schichten zeigte nicht nur den tiefgreifenden demographischen Wandel an - 1980 lebten sechzig Prozent der sowjetischen Bevölkerung in Städten und 28 Prozent hatten einen Hochschul- oder Fachhochschulabschluß - sondern auch den Versuch der Bürokratie, ihre soziale Basis zu erweitern.

Auf jeden Fall überstieg das gesellschaftliche Gewicht dieser Schichten ihre numerische Stärke. Aus diesen Schichten ging ein Großteil der Dissidentenbewegung hervor, die mit dem Reformtempo unzufrieden war und auf die bürgerliche Demokratie orientiert war. Gerade diese Kräfte wollte Gorbatschows Politik der Glasnost und der Perestroika ansprechen - ebenso wie vorzeitige Reforminitiativen in Osteuropa wie der Prager Frühling.

Diese Mittelschichten begannen zunehmend “Demokratie” und Markt miteinander gleichzusetzen. Diese bürokratischen Reformen “von oben” bewirkten zeitweilig, daß die liberalen, marktorientierten Sektoren der Bürokratie und die Mittelschichten sich miteinander verbündeten. Das galt auch für die meisten der früheren Dissidenten. Vom Rest der Arbeiterklasse durch einen tiefen Graben getrennt, ohne Glauben an eine sozialistische Perspektive, verlor die Intelligenz schnell ihre Geduld mit dem offenkundig scheiternden Reformprozeß und suchte nach einer radikaleren Abrechnung mit dem alten Regime, in der Hoffnung, das Heil in der Marktwirtschaft zu finden. Gorbatschows Entschlossenheit, den Reformprozeß mit Hilfe des alten Parteiapparates zu managen, entfremdete ihm diese Schichten, die er mit seiner Politik hatte ansprechen wollen.

Die Masse der Arbeiterklasse war demgegenüber trotz ihres enorm gestiegenen Gewichts atomisiert, den revolutionären Traditionen und ihren eigenen Organisationen seit Jahrzehnten entfremdet. Politisch entfremdet, wirtschaftlich unzufrieden und im Arbeitsprozeß entmotiviert, war sie weder Appellen noch Mahnungen oder Drohungen gegenüber empfänglich. “Sie tun so als ob sie uns bezahlen und wir tun so, als ob wir arbeiten” war ein weit verbreiteter Samizdat-Witz. Arbeiter standen Glasnost und Perestroika skeptisch gegenüber. Ihr Bewußtsein blieb auf trade-unionistischem Niveau. Ein Beispiel hierfür lieferten die Bergarbeiter, deren kämpferische Streiks 1989 und 1991 die Sowjetunion erschütterten und die dabei dem Restaurationisten Jelzin auch an kritischen Wendepunkten treu blieben.

Mit Ausnahme einiger nichtrussischer Republiken, in denen sie die Nationalisten unterstützte, spielte die Landbevölkerung keine nennenswerte Rolle. Trotz der bestürzenden Ineffektivität der sowjetischen Landwirtschaft kamen Gorbatschows häufig wiederholte Ankündigungen, die Bauern würden wieder die “wahren Herren” des von ihnen bearbeiteten Landes, nicht an. Die enormen Investitionen, die Einzelbauen hätten tätigen müssen, um auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig zu werden, wirkten abschreckend.

Diese Faktoren reichen größtenteils aus, um die Form der Konterrevolution von 1989-1991 zu erklären - weshalb sie einen kleinbürgerlich-städtischen Charakter annahm und nicht die Form eines ländlichen Aufstands, wie viele in den zwanziger Jahren geglaubt hatten. Eine ganze Reihe von Elementen der Analyse Trotzkis sollte trotzdem bestätigt werden. Unter Gorbatschows Führung gab es eine ganze Reihe von kleineren Erschütterungen auf dem Weg bergab in die kapitalistische Restauration. Seine Warnung vor den Folgen der Einführung von Konkurrenzmechanismen zwischen den Betrieben und vor der Abschaffung des Außenhandelsmonopols erwiesen sich als völlig richtig.

Jenen, die die institutionelle Kontinuität betonen, empfehlen wir, sich mit der Position Trotzkis bezüglich der Wahrscheinlichkeit zu befassen, daß große Teile der Bürokratie auf die Seite der Konterrevolution übergehen. Die Manager der Staatsbetriebe bildeten einen fruchtbaren Boden für die Entstehung künftiger neuer Eigentümer. Die Konzentration der politischen Macht in den Händen der Bürokratie bereitete einer Kette kleiner “kalter Staatsstreiche” den Weg. Ohne eine revolutionäre Führung unterminierten die mächtigen Streikwellen der Bergarbeiter in den Jahren 1989 und 1991 das alte Regime, das seinen Platz für ein kapitalistisches Regime räumte - oder besser: für das kapitalistische Chaos. Und schließlich spielte die nationale Frage eine zentrale Rolle beim schließlichen Zusammenbruch der Sowjetunion.

Die lange Zeit der stalinistischen Herrschaft hat die Bürokratien nicht organisch mit den nicht-kapitalistischen Grundlagen der Arbeiterstaaten verbunden. Sie blieben stets parasitäre Kasten in den Arbeiterstaaten. Das wurde jetzt durch die Rolle der Stalinisten und Ex-Stalinisten im Prozeß der sozialen Konterrevolution bewiesen.

Genau in diesem Kontext ist die Frage nach der Doppelrolle oder der Doppelfunktion bzw. dem Charakter der Bürokratie zu erörtern.[93] Der materielle Kern dieser “Doppelung” liegt im Doppelcharakter des Arbeiterstaates als “bürgerlichem Staat ohne Bourgeoisie”, der gezwungen ist, beim Aufbau des Sozialismus noch bürgerliche Normen der Distribution zu beachten.

Der Sieg einer konterrevolutionären Bürokratie in einem isolierten und rückständigen Arbeiterstaat hat diesen Widerspruch extrem verschärft: “Die Funktion Stalins ... hat einen Doppelcharakter. Stalin dient der Bürokratie und damit der Weltbourgeoisie - aber er kann der Bürokratie nicht dienen ohne zugleich die sozialen Grundlagen zu verteidigen, die die Bürokratie im eigenen Interesse ausbeutet. In diesem Ausmaß ist er gezwungen, das nationalisierte Eigentum vor imperialistischen Angriffen und gegen den Appetit der habgierigsten Elemente der Bürokratie selbst zu verteidigen. Aber er verteidigt es mit Methoden, die der vollständigen Zerstörung des Arbeiterstaates selbst den Weg bereiten.”[94]

Diese Analyse wurde von den beiden Hauptströmungen der trotzkistischen Bewegung nach 1953 verfälscht. Das internationale Sekretariat und später das Vereinigte Sekretariat interpretierte den “Doppelcharakter” des Stalinismus als Ausdruck seiner subjektiven Absichten: gut und schlecht, progressiv und reaktionär. Das Internationale Komitee folgte Joseph Hansen, der kühn erklärte, der Stalinismus sei durch und durch konterrevolutionär - aber dennoch vor Tito, Mao und Ho Chi Minh seinen Kotau machte.

Die Haltung der Stalinophilen, die glaubten, der Stalinismus sei in der Weise mit dem Arbeiterstaat verbunden, daß er immer gezwungen sei, ihn zu verteidigen, war nicht weniger falsch. Wenn man früher Illusionen in diese Richtung haben konnte, so sollten sie heute schlicht weggefegt worden sein.

Keine dieser Denkschulen, die sich an statische - und grundlegend falsche - Vorstellungen von dieser Dualität klammerten, war wie Trotzki in der Lage, auf materialistische Weise vorauszusehen, wie diese Dualität untergraben wurde: “... wenn die Bürokratie immer mächtiger wird, unangefochtener, privilegiert und konservativ, bedeutet das, daß im Arbeiterstaat die bürgerlichen Tendenzen auf Kosten der sozialistischen wachsen, mit andern Worten, daß der innere Widerspruch, der zu einem gewissen Grad von Anfang an kennzeichnend für einen Arbeiterstaat ist, nicht, wie die Norm verlangt, verschwindet sondern sich verschärft.”[95]

Je tiefer die Arbeiterstaaten in die wirtschaftliche Krise gerieten, desto unsicherer wurden sie als Quelle der Privilegien. Von daher waren die Bürokraten immer weniger gewillt, sie als deren Grundlage zu verteidigen und sie begannen nach Möglichkeiten Ausschau zu halten, im Rennen die Pferde zu wechseln - bis zu dem Punkt, wo sich die Dualität nahezu völlig erschöpft hatte.

Das Dilemma, vor dem eine Bürokratie steht, die ihren Glauben an das eigene System verloren hatte, produzierte seine dementsprechenden Fraktionen - jede mit einer eigenen gesellschaftlichen Basis. Die “Betonköpfe” fürchteten, daß die Bürokratie durch die Restauration beiseite gefegt werden würde und hielten immer verzweifelter am alten Apparat fest. Der stalinistische Mainstream hoffte, das Tempo des Übergangs so managen zu können, daß sich für große Teile der Bürokratie in der neuen Ordnung würden Nischen finden lassen. Seine Ideologie wurde der “Marktsozialismus”. Die “Radikalen” setzten auf Geschwindigkeit und sahen das Heil in der Zerschlagung der Kommandowirtschaft. Auf deren Trümmern wollten sie einen Blitzstart des Kapitalismus versuchen.

Nirgendwo - und das aus guten Gründen - tauchte in der Bürokratie eine revolutionäre Strömung bzw. eine “Reiss-Tendenz” auf.

Die krisengeschüttelten Bürokratien, die dazu hier und da mit früheren Oppositionellen ein Bündnis eingingen, waren dann in der Lage, mit der Transformation der Arbeiterstaaten in bürgerliche Staaten zu beginnen - ohne dabei auf bedeutenden Widerstand von Seiten der Arbeiter zu stoßen.

Der Zusammenbruch begann im Frühjahr 1989 in Polen, beschleunigte sich in der DDR und wurde schnell zur Lawine. Im Verlauf dieser Periode fanden in jedem dieser Länder Ereignisse statt, die im Bewußtsein der Massen den Bruchpunkt mit dem politischen System des Stalinismus symbolisierten. In Polen waren dies die ersten, partiell freien Wahlen 1989, in der DDR der Fall der Mauer am 9. November 1989, in Rumänien der Sturz Ceausescus am 25. Dezember 1989, in der Sowjetunion der gescheiterte Putsch vom 21. August 1991.

An jedem dieser Wendepunkte war die Konterrevolution weit davon entfernt, vollendet zu sein und zu den Zeitpunkten, zu denen diese Ereignisse stattfanden bestand immer noch die Möglichkeit der Entwicklung von Kämpfen zur Verteidigung des nationalisierten Eigentums. Aber da es keine revolutionären Führungen gab, bahnten diese Ereignisse der Schaffung bürgerlicher Staaten den Weg, die den Kapitalismus aufbauten und schützten. Der Versuch, eine einzelne ökonomische Maßnahme herauszugreifen, anhand derer es möglich sein soll zu bestimmen, wann genau der Übergang von einem Arbiterstaat zu einem bürgerlichen stattfand, ist eine pedantische akademische Übung, abgehoben von der realen politischen Entwicklung des Klassenkampfs.

Auf der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa im Jahre 1990 verpflichteten sich alle herrschenden Bürokratien Osteuropas, in ihren jeweiligen Ländern den Kapitalismus zu restaurieren. Seit diesem Zeitpunkt, zu dem die führenden Elemente der stalinistischen Bürokratien dafür optierten, den Kapitalismus zu restaurieren, waren die Arbeiterstaaten als Instrumente zur Verteidigung des nationalisierten Eigentums paralysiert. Ohne signifikanten Widerstand der Arbeiterklasse und ohne irgendeinen nennenswerten Widerstand auch nur von Teilen der Bürokratie begann die Zerstörung und Transformation der Staatsapparate, die über das ökonomische System herrschten. In den meisten Fällen wurden die alten Bürokraten, die am meisten mit dem alten System identifiziert wurden, von neuen bürgerlichen Kräften beiseitegedrängt, die jetzt die Träger des Restaurationsprozesses sind.

Diese einheitliche Politik der Bürokratien war nicht nur deshalb möglich, weil es der Arbeiterklasse in diesen Staaten sogar an revolutionären Führungen im Embryonalstadium fehlte. Hinzu kam, daß die Arbeiterklasse ihr Vertrauen in kollektive Lösungen für ihre Probleme zunehmend verloren hatte, das sich früher (in der DDR 1953, in Ungarn und Polen 1956, in der Tschechoslowakei 1968 und in Polen 1971, 1976, 1980-1981) immer noch Geltung verschafft hatte.

Dies war seinerseits der tiefen Krise geschuldet, die die Kommandowirtschaft ergriffen hatte. Die Sackgasse des “real existierenden Sozialismus” und das Fehlen eines alternativen Programms für die politische Revolution hatte die ganze “alte Scheiße” in Form der bürgerlich-demokratischen, sozialdemokratischen, “Selbstverwaltungskonzepte” sowie der nationalistischen und sogar faschistischen Ideologien wieder hoch kommen lassen. Der Fähigkeit vollständig entwöhnt, als Klasse für sich zu handeln, tendierte die Arbeiterklasse dazu, nur auf Auswirkungen der Restauration zu antworten, anstatt diese prinzipiell in Frage zu stellen.

Die von vielen trotzkistischen Gruppen vertretene Auffassung, daß es in den osteuropäischen “Revolutionen” von 1989 bis 1991 lediglich am “subjektiven Faktor” fehlte, geht deshalb an der Sache vorbei. Es handelt sich bei dieser Auffassung um subjektivistische Interpretationen des “subjektiven Faktors”, dessen Qualität abgehoben von den objektiven Verhältnissen gesehen wird, die das Bewußtsein der Arbeiterklasse beeinflussen.

Revolutionäre Parteien fallen nicht vom Himmel. Ihre Erfolgsmöglichkeiten hängen ab vom Bewußtsein der Massen selbst. Das heißt natürlich nicht, daß es Zeitverschwendung gewesen wäre, in den Zusammenbruch des Stalinismus einzugreifen. Es bedeutet aber, daß jedes voluntaristische Verständnis von “revolutionärer Führung”, das sich auf völlig unzureichende Lageanalysen stützt, unvermeidlich zum Scheitern verurteilt ist.

7. Selbstbestimmung, Lostrennung und nationale Frage

Vor dem Putsch im August 1991 - und manchmal sogar noch danach - haben einige der stalinophilen Gruppen wie die International Bolshevik Tendency, die Spartacists und andere) den Kampf gegen nationale Bewegungen und sezessionistische Bewegungen mit dem Kampf für die Verteidigung des Arbeiterstaates gleichgesetzt.

In ihrer Stellungnahme vom 15. September 1991 erklärte die IBT ihre Solidarität mit den stalinistischen Hardlinern, weil sie Einheiten der “Schwarzen Barette” ins Baltikum gesandt hatten, um dort sezessionistische Bewegungen niederzuschlagen.[96] Für die IBT war der Putschversuch im August deshalb gerechtfertigt, weil sich “Gorbatschow geweigert hatte, das Eingreifen im Baltikum konsequent zu beenden und die dortigen Regierungen abzusetzen. Er drängte vielmehr erneut in Richtung Marktwirtschaft.”[97] Die deutsche Sektion der International Communist League (die Spartakist-Arbeiterpartei) posaunte im Januar 1992: “Auflösung der Sowjetunion heißt Desaster”.[98]

Die im Vorfeld des Putsches am heißesten umstrittenen Fragen innerhalb der Bürokratie waren die, wie die Sowjetunion ihren Großmachtstatus bewahren und der Großteil der Bürokratie seinen sozialen Status aufrechterhalten konnte. Die letztere Sorge fand seitens der Hardliner ihren Ausdruck in einem offen großrussischen Chauvinismus, was in den nichtrussischen Republiken seinerseits die reaktionären Nationalisten stärkte.

Die IBT erkannte zwar, daß die Hardliner “nur zu gewillt waren, auf den großrussischen Chauvinismus und sogar auf den Antisemitismus zurückzugreifen, um ihre politisches Monopol zu schützen”[99], aber das hielt sie nicht von einem politischen Schulterschluß ab, weil die vorgebliche Verteidigung des nationalisierten Eigentums durch die Hardliner für sie schwerer wog als ihr Chauvinismus.

Das auch nur indirekte Bündnis mit derartigen Chauvinisten bedeutete nicht nur, den Begriff des Trotzkismus in den Schmutz zu ziehen, sondern es hieß auch, dem kleinbürgerlichen Nationalismus in die Hände zu arbeiten und das Wachstum des Antikommunismus zu begünstigen.

Diejenigen, die sich an die prokapitalistischen großrussischen Chauvinisten in der stalinistischen Bürokratie anpaßten, revidierten nicht nur die leninistisch-trotzkistische Position zur nationalen Frage im allgemeinen, sondern insbesondere auch die bolschewistische Position zum Kampf für das nationale Selbstbestimmungsrecht innerhalb von Arbeiterstaaten, wie sie vor der stalinistischen Degeneration der Sowjetunion entwickelt worden war. Gestützt auf eine falsche Analyse des Stalinismus war diesen Kapitulanten kein Mittel zu schade, um die Rolle der Bürokratie zu bewahren: Terrorismus gegen die Arbeiterklasse, großrussischer Chauvinismus gegen nationale Minderheiten und die Militarisierung der Politik.

Es sollte bekannt sein, daß das revolutionäre Rußland das Recht Finnlands und der baltischen Republiken anerkannt hatte, kapitalistische Staaten zu bilden. Die Bolschewiki unter Lenin und Trotzki hatten dieses Recht nicht nur gezwungenermaßén akzeptiert.

Lenin kämpfte erfolgreich darum, dieses Recht ins Programm der Kommunistischen Partei Rußlands aufzunehmen: "In der nationalen Frage besteht die Politik des Proletariats, das die Staatsmacht erobert hat, zum Unterschied von der bürgerlich-demokratischen, formalen Proklamierung der Gleichheit der Nationen, die im Imperialismus nicht zu realisieren ist, darin, unbeirrt die Annäherung und den Zusammenschluß der Arbeiter und Bauern aller Nationen in ihrem revolutionären Kampf für den Sturz der Bourgeoisie in der Praxis zu verwirklichen. Die Erreichung dieses Ziels erfordert die völlige Befreiung der kolonialen und der anderen bisher unterdrückten oder nicht gleichberechtigten Nationen, einschließlich der Gewährung der Freiheit der Lostrennung, als Garantie dafür, daß das vom Kapitalismus überkommene Mißtrauen zwischen den werktätigen Massen der verschiedenen Nationen und die Erbitterung der Arbeiter der unterdrückten Nationen gegen die Arbeiter der Unterdrückernationen völlig zerstreut und von einem bewußten und freiwilligen Bündnis abgelöst wird."[100]

Es stimmt, daß dieses Recht für die Bolschewiki unter Lenin und Trotzki kein absolutes Recht war und daß bei mehreren Gelegenheiten betont worden war, daß es den Notwendigkeiten des Klassenkampfs untergeordnet war. Nichtsdestotrotz verstanden sie, daß es als Vorbedingung für die Schaffung der revolutionären Einheit des Proletariats verteidigt werden mußte.

Bucharin und Preobraschenski verfaßten das “ABC des Kommunismus” als ein Handbuch zur Popularisierung des nachrevolutionären Programms, das die Bolschewiki auf ihrem Achten Parteitag im März 1919 beschlossen hatten, auf dem Höhepunkt des Bürgerkrieges. In ihm wurde das Recht nationaler Minderheiten auf Lostrennung, auch unter bürgerlicher Führung, ausdrücklich anerkannt: “Nehmen wir weiter an, irgendeine Nation mit einer bürgerlichen Regierung will sich von einer Nation mit proletarischer Ordnung lostrennen, wobei die Arbeiterschaft derjenigen Nation, die sich lostrennen will, in ihrer Mehrheit oder zum großen Teil für die Lostrennung ist. ... Am besten ist es auch in diesem Falle, es dem Proletariat zu ermöglichen, mit seiner Bourgeoisie unter vier Augen zu bleiben, damit sie ihm nicht fortwährend sagen kann, nicht ich unterdrücke dich, sondern dieses oder jenes Land.”[101]

Aber während der revolutionäre Rätestaat inmitten des Bürgerkriegs und von allen Seiten belagert bereit war, dieses Recht anzuerkennen, dienten sich diese “Trotzkisten” 1991 als Grenztruppe der kollabierenden Sowjetunion an. Sektierer wie die Spartakisten und Voce Operaia benutzen das Beispiel Georgiens, wo sich über dessen Kampf um Selbstbestimmung aus militärstrategischen Erwägungen am Ende des Bürgerkriegs im Jahre 1921 hinweggesetzt worden war, um die historische Ausnahme zur Regel zu machen.

Trotzki rechtfertigte die militärische Besetzung Georgiens damit, daß die Revolution unmittelbar militärisch bedroht war. Er räumt in seiner unvollendeten Stalin-Biographie jedoch ein, daß “in Georgien eine verfrühte Sowjetisierung eine Zeit lang den Menschewismus gestärkt hatte und daß es dort deswegen 1924 zum Aufstand der Massen kam, so daß Georgien nach Stalins eigenem Zugeständnis “neu umgepflügt” werden mußte.[102]

Die heutigen Sektierer vertreten eine neue Norm, nämlich die, daß die Verteidigung eines Arbeiterstaates gegenüber dem Kampf um die Selbstbestimmung nationaler Minderheiten grundsätzlich den Vorrang genießt. Diese Position geht von der pessimistischen Annahme aus, daß die Mehrheit der Arbeiterklasse den Arbeiterstaat nicht verteidigt und nicht verteidigen wird und daß deren Handeln durch militärische Mittel ersetzt werden muß. Zu Zeiten Lenins und Trotzki konnte die Abweichung von der Norm in Georgien noch mit dem enormen revolutionären Prestige der Sowjetunion gerechtfertigt werden.

Aber unter dem Stalinismus können militärische Aktionen zur Unterdrückung von Forderungen nach nationaler Unabhängigkeit die Verbindungen zwischen den Arbeitern der unterdrückten Nation und ihren kleinbürgerlichen und nationalistischen Führungen nur zementieren und so das Potential für eine politische Revolution vom Wege abbringen. “Trotzkisten”, die eine solche Linie vertraten, haben aktiv das Geschäft der Restaurationisten besorgt.

Angesichts der massenhaften Unterstützung für die Forderung nach Unabhängigkeit hätten Trotzkisten dem Drang der Nationalisten nach unabhängigen kapitalistischen Staaten die Forderung nach unabhängigen Sowjetrepubliken entgegenstellen können, wobei sie das Recht unterdrückter Nationen und Völker auf staatliche Lostrennung anerkannt hätten. Nur mit einer solchen Politik wäre es möglich gewesen, den Nationalisten den Wind aus den Segeln zu nehmen und gleichzeitig für die Einheit der Arbeiter aller Nationalitäten im Kampf für die politische Revolution einzutreten. Das war der Kurs für die Ukraine, auf den Trotzki gegen Ende der dreißiger Jahre immer entschiedener drängte. Er vertrat diese Position sowohl gegen die Mitläufer des Stalinismus wie auch gegen Sektierer wie Oehler, weil damals selbst aus den fragmentarischen Informationen, die aus der Sowjetunion herausdrangen, immer deutlicher geworden war, daß der Stalinismus die Rolle des Zarismus als Gefängniswärter der Nationen übernommen hatte. Er war deshalb dafür, diese Forderung auch für andere nichtrussische Republiken aufzustellen: “Wir sind für die Unabhängigkeit der Sowjetukraine und, wenn die Weißrussen das wünschen, auch für eine unabhängige weißrussische Sowjetrepublik.”[103]

Die Krise des Nachkriegstrotzkismus hat zu zwei vergleichbar bankrotten Versionen der Revision des revolutionären Erbes geführt: Eine, die den stalinistischen Bürokratien hinterherlief und eine andere, die sich an kleinbürgerliche Nationalisten anpaßte. In nicht geringem Maße trug das dazu bei, die Wiederentstehung revolutionärer Parteien in der Sowjetunion und den osteuropäischen Ländern zu verhindern. Eine der Aufgaben der revolutionären Marxisten besteht darin, das Beste am revolutionären Erbe auch in der nationalen Frage mit Nachdruck zu verteidigen.

8. Der Putsch im August und das Ende der Sowjetunion

Der Putsch vom 19. August 1991 war für alle, die sich als Trotzkisten bezeichnen eine entscheidende politische Prüfung.[104] Die IBT glaubte, in Yanayevs “Notstandskomitee” den thermidorianischen Flügel der Bürokratie wiedergefunden zu haben, der den Arbeiterstaat in der Stunde seiner Not verteidigt. Dem großrussischen Chauvinismus der Putschisten verlieh sie Tiefe, indem sie deren Konflikt mit einigen der nationalistischen Führungen in den nichtrussischen Republiken als Entscheidungskampf zwischen dem Arbeiterstaat und der sozialen Konterrevolution interpretierte. Die IBT glaubte auch - und diesen Glauben teilte sie mit vielen anderen Gruppen, die damals schwiegen - , daß ein erfolgreicher Putsch das Tempo des Restaurationsprozesses verlangsamt hätte. Aber es war ausgerechnet der Putsch, der den Jelzin-Anhängern den Vorwand lieferte, die Zerstörung der Sowjetunion zu beschleunigen und die kapitalistische Restauration voranzutreiben.

Tatsächlich unterschieden sich das von den Putschisten vorgestellte Programm nicht wesentlich von dem der anderen Kräfte der kapitalistischen Restauration und die Position, daß nur der Jelzin-Flügel (im Gegensatz zu Gorbatschow und den Putschisten) das bewußte Instrument der Weltbourgeoisie gewesen war, ist unhaltbar. Gorbatschow hat seit 1990 nicht nur einige marktorientierte “Reformen” durchgesetzt, sondern bewußt die kapitalistische Restauration betrieben. Im Winter 1990-91 bremste Gorbatschow das Tempo der Restauration deutlich ab und bewegte sich auf die “Konservativen” zu. Das war ein Versuch, die schwindende “demokra-tische” Basis für seine Politik wettzumachen. Aber die unentwirrbaren wirtschaftlichen Probleme zwangen ihn bereits im Frühjahr 1991, sich wieder in die Arme der “Radikalen” zu werfen.

Festzuhalten ist aber, daß keiner der Flügel der in Zersetzung befindlichen Bürokratie zu diesem Zeitpunkt in der Lage war, das Tempo des Restaurationsprozesses willkürlich zu bestimmen. Dieses war abhängig davon, in welchem Ausmaß es gelang, ausländisches Kapital zu Investitionen zu bewegen und davon, wie schnell es gelang eine neue einheimische Kapitalistenklasse zu entwickeln. In diesem Sinne konnte auch Schatalins 500-Tage-Plan zur Privatisierung der Wirtschaft, den Gorbatschow im Oktober 1990 aufgab, kurzfristig keine ausschlaggebende Rolle spielen.

In den Monaten vor dem Putsch wurde die Geduld der Imperialisten wegen der wirtschaftlichen und politischen Lage in der Sowjetunion auf das Heftigste strapaziert. Aber in den Augen fast aller Imperialisten blieb Gorbatschow der viel seriösere und verläßlichere Partner als der unberechenbare und unzuverlässige Jelzin. Kurz vor dem Putsch wurde Jelzin vom Europäischen Parlament noch sehr reserviert empfangen. Gorbatschow wurde demgegenüber nach dem Gipfel der G7 im Juli 1991 vom britischen Premierminister Major sehr freundlich empfangen. Im Verlauf ihrer Diskussionen bezeichnete Major Jelzin abfällig als “Populisten”.[105]

Gorbatschows größtes Problem war, daß die ihm entgegengebrachten Sympathien auf wirtschaftlicher Ebene nicht zu spürbarem Entgegenkommen führten. Vom G7-Gipfel kehrte er mit leeren Händen zurück und in einigen westlichen Presseorganen wurde sogar über die Notwendigkeit einer chilenischen Lösung spekuliert, um die kapitalistische Restauration durchführen zu können.

Obwohl die Frage nach dem Tempo der Restauration bei der Spaltung der Bürokratie eines der Elemente war, die sie verursachten, war sie nicht die einzige, und nicht die entscheidende. Yanayev und seine Anhänger wurden durch den von Gorbatschow abgeschlossenen Unionsvertrag zum Putsch motiviert. In ihm sahen sie einen Verrat am Großmachtstatus der UdSSR.

Mehr noch. Das Ziel der kapitalistischen Restauration war überhaupt kein Diskussionsgegenstand. In ihrer Erklärung an die Vereinten Nationen und die Regierungen der Welt vom 19. August 1991 betonten die Putschisten ausdrücklich, daß die ergriffenen Notstandsmaßnahmen “keinesfalls ... zur Aufgabe des grundlegenden Reformkurses auf allen Gebieten des staatlichen und gesellschaftlichen Lebens führen werden.”[106] Weiter betonten sie ihren Willen, die promarktwirtschaftlichen Reformen Gorbatschows fortzusetzen und versprachen: “Um den realen Beitrag aller Formen unternehmerischer Tätigkeit erhöhen zu können, werden wir dafür bessere Bedingungen schaffen.”[107]

Die Reaktion der meisten imperialistischen Politiker auf den Putsch war die Ankündigung ihrer Beritschaft, die Zusammenarbeit mit der Sowjetunion auch mit deren neuer Führung fortzusetzen. Einige bürgerliche Kommentatoren sahen darin die Chance, den Prozeß der Restauration zu verlangsamen, um die Gefahr der Provokation größerer Klassenkämpfe abzuwenden.

Diese Überlegungen hinderten weder die Spartacists noch Franco Grisolia von der damaligen Fraktion für eine trotzkistische Internationale daran, Jelzin während der Augustereignisse zur Hauptgefahr zu erklären und über ein mögliches Bündnis mit den Putschisten zu spekulieren, denen sie vorwarfen, den Putsch nicht professionell genug durchgeführt zu haben (so die Spartacists) bzw. nicht genügend proletarischen Massenanhang zu haben (so Grisolia).

Beide beanspruchten, sich auf Trotzkis im Übergangsprogramm der Vierten Internationale von 1938 formulierte Hypothese eines Bündnisses mit dem thermidorianischen Teil der Bürokratie gegen die soziale Konterrevolution zu stützen. Trotzki hielt einen solchen Block aber nur unter den extremsten Ausnahmebedingungen für möglich (bezeichnenderweise setzt er dazu den Begriff Einheitsfront in An- und Ausführungszeichen). Die Spartakisten und die IBT verwandelten diese Hypothese in die strategische Achse ihrer Politik - außerhalb von Zeit und Raum und ohne jede konkrete Analyse.

Tatsächlich haben diese Kapitulanten vor dem Stalinismus und großrussischen Chauvinismus (die beide restaurationistisch sind) beide nicht zeigen können, daß es in der Bürokratie auch nur eine kleine stalinistische Minderheitsströmung gab, die sich der Verteidigung des Arbeiterstaats gegen die soziale Konterrevolution verpflichtet sah, von einer revolutionären gar nicht zu reden.

Müßige Spekulationen darüber “ob” es zulässig gewesen wäre, mit den Putschisten ein Bündnis einzugehen, “wenn” diese eine proletarische Massenbasis oder ein besseres Programm gehabt hätten, gehen an den Tatsachen vorbei. Das Versäumnis, den tatsächlichen sozio-ökonomischen Kurs der verschiedenen Strömungen der Bürokratie ernsthaft zu analysieren, wurde durch das weitere Versäumnis verschlimmert, zu prüfen, welche Kräftekonstellation der Arbeiterklasse die besten Möglichkeiten eröffnete, sich zu organisieren, Vertrauen in die eigene Kraft zu entwickeln und ihr Klassenbewußtsein zu entwickeln.

Der Gedanke, daß die politische Unabhängigkeit der Arbeiterklasse zu einem Handelsgegenstand im Austausch gegen das “Recht” gemacht werden könnte, passiv einen Militärputsch zu unterstützen, war Trotzki völlig fremd. Das Programm der politischen Revolution fußt auf der Grundvoraussetzung, daß die Arbeiterklasse den Arbeiterstaat nur mit ihren eigenen, proletarischen Methoden verteidigen kann. Sie hat ausschließlich ein Interesse daran, die proletarischen Errungenschaften zu verteidigen, die durch ihn geschützt werden, nicht aber den bürokratischen Apparat, der auf ihm lastet.

Angesichts des Putsches, dessen Scheitern sich erst nach drei Tagen abzeichnete, hätten Revolutionäre eine Orientierung vertreten müssen, die es der Arbeiterklasse ermöglicht hätte, sich von einer atomisierten und desorientierten Masse in eine Klasse für sich zu entwickeln, mit Selbstvertrauen und Klassenbewußtsein sowie Verständnis für die sich ihr stellenden Aufgaben. Eine rein ökonomische Verteidigung der Arbeiterinteressen war gar nicht möglich ohne auch die bis dahin erworbenen demokratischen Rechte zu verteidigen - das Streikrecht, Koalitionsrecht, Versammlungsrecht, das Recht, Parteien zu gründen etc.

Die Haltung der Putschisten zur Arbeiterklasse war klar. Die erste Resolution des Notstandskomitees war unmißverständlich: “Die Aktivitäten politischer Parteien, gesellschaftlicher Organisationen und von Massenbewegungen, die die Normalisierung der Lage beeinträchtigen, müssen eingestellt werden. ... Die Staatsanwaltschaft, das Innenministerium, der KGB und das Verteidigungs-ministerium werden zusammenarbeiten, um ein wirksames Handeln der Ordnungskräfte und der Streitkräfte zu ermöglichen. ... Versammlungen, Straßenkundgebungen, Demonstrationen und auch Streiks werden verboten. Wenn nötig, wird eine Ausgangssperre verhängt, werden flächendeckend Streifen und Kontrollen durchgeführt und das Grenz- und Zollsystem gestärkt. ... Allen Versuchen des Ungehorsams gegenüber Staatsbediensteten, die die Bestimmungen des Ausnahmezustands durchsetzen, wird entschlossen begegnet werden.”[108]

Das zeigt klar auf, daß die pseudotrotzkistischen Strategen von “Bündnissen mit dem thermidorianischen Flügel der Bürokratie” eine “Kleinigkeit” übersehen hatten: daß jeder Versuch, die Arbeiterklasse zur Verteidigung ihrer Klasseninteressen unabhängig zu mobilisieren, sie sofort in Konflikt mit ihren “Verbündeten” gebracht hätte, den Putschisten. Mit anderen Worten: Diese “Einheitsfront” hätte nur funktionieren können, wenn die Arbeiterklasse zu Hause geblieben wäre! Vor die krasse Wahl zwischen Widerstand und Kapitulation vor dem Putsch gestellt, entschieden sie sich für die letztere Option. Sie begründeten diese Entscheidung damit, daß Jelzin - in diesem Augenblick - der “Hauptfeind” gewesen ist. Natürlich bedeutete der Umstand, daß jede unabhängige Aktion der Arbeiterklasse unweigerlich sofort zu einer scharfen Konfrontation mit den Putschisten geführt hätte, nicht, daß es für Revolutionäre richtig gewesen wäre, Jelzin politisch zu unterstützen.

Nichtsdestotrotz bestand am 19. August 1991 die wichtigste Aufgabe darin, die demokratischen Rechte der Arbeiterklasse und der nationalen Minderheiten gegen deren unmittelbare Bedrohung durch den Putsch zu verteidigen, durch die Mobilisierung für einen Generalstreik und, wenn die Verhältnisse dafür herangereift wären, durch die Organisierung eines bewaffneten Aufstands. Jelzin hatte deswegen nicht aufgehört, ein politischer Feind zu sein, aber er mußte in dieser Lage mit anderen Methoden bekämpft werden als jenen, die gegen die Putschisten angewandt werden mußten.

Auch ohne Jelzin eine Einheitsfront vorzuschlagen (wie es Workers Power und die LRKI gemacht haben) war klar, daß in Betrieben gemeinsame Aktionen mit den Anhängern Jelzins unausweichlich und im Kontext eines Generalstreiks und einer verallgemeinerten bewaffneten Konfrontation notwendig waren. Dabei hätten die Revolutionäre Jelzin und seine Anhänger dafür kritisieren müssen, daß sie keine entschiedenen Maßnahmen gegen die Putschisten ergriffen und, anstatt entschlossen die Arbeiter zu mobilisieren, ihre Hoffnungen in Teile des stalinistischen Apparats setzten. Ein Erfolg einer solchen Politik hätte auf Seiten der Revolutionäre die Bereitschaft vorausgesetzt, einen militärischen Block mit Jelzin und seinen Anhängern zu bilden. Vergleichbare Taktiken hätten gegenüber den Nationalisten in den nichtrussischen Republiken angewandt werden können, von denen die meisten feige abwarteten, was beim Putsch herauskam.

Die meisten derjenigen, die über die Möglichkeit eines Bündnisses mit dem thermidorianischen Flügel der Bürokratie spekulierten (FTI, ICL, Verbindungskomitee der Kommunisten) landeten bei der scheinrevolutionären Linie, sich aus dem Konflikt herauszuhalten und sich für eine unabhängige Mobilisierung der Arbeiterklasse auszusprechen. Aber das war eine vollkommen abstrakte Position. Eine Mobilisierung der Arbeiterklasse hätte nur gegen den Putsch erfolgen können. Wenn Jelzins Aufruf zum Generalstreik ein größeres Echo gefunden hätte, wäre es eine Farce gewesen, daneben zu einem “anderen” Generalstreik neben dem sich entwickelnden aufzurufen. Es hätte sich im Gegenteil die Notwendigkeit aufgedrängt, innerhalb dieser Bewegung die Arbeiter vor den Gefahren zu warnen, die mit Jelzin verbunden waren und dem Programm der bürgerlichen Restaurationisten ein Übergangsprogramm zur Verteidigung der Arbeiterrechte gegenüberzustellen.

Innerhalb von drei Tagen sollte sich die Lage jedoch völlig verändern. Jelzin nutzte die durch den Putsch und die weitgehende Apathie der Arbeiterklasse geschaffene Lage aus , um die restaurative Entwicklung zum Kapitalismus voranzutreiben. Die Grundlage für einen taktischen Block mit den Jelzinisten (ähnlich dem der Bolschewiki mit Kerenski während des Kornilow-Putsches) war entfallen. Aber die Tatsache, daß Jelzin jetzt der Hauptfeind wurde rechtfertigt weder im Nachhinein die Politik der Putschisten noch die Politik einer “kritischen Unterstützung” des Putsches.

Weder die Putschisten noch irgendeine relevante Strömung der Bürokratie hatte ein ernsthaftes Programm zur Verteidigung des Arbeiterstaates vorgeschlagen. Aber die Putschisten hatten auch kein tragfähiges Programm für die kapitalistische Restauration. Als das klar wurde, scharte sich der fragmentierte Apparat um Jelzin, was wiederum bedeutete, daß er auf den Versuch verzichten konnte, Arbeiter gegen den Putsch zu mobilisieren. Hätte er das tun müssen, muß davon ausgegangen werden, daß dies aller Wahrscheinlichkeit nach zu einer Radikalisierung geführt und womöglich die Restauration gefährdet hätte - unabhängig von Jelzins Absichten.

Die Ergebnisse des Putsches zeigen, daß die überwältigende Mehrheit der stalinistischen Bürokratie die Restauration in der einen oder anderen Form unterstützte. Anstatt das Tempo der Restauration zu drosseln, bewirkte der Putsch das Gegenteil. Jelzin war nun in der Lage, jene Bürokraten zu säubern, die bezüglich des restaurativen Kurses noch gezögert hatten.

Trotzki hat den degenerierten Arbeiterstaat bei mehr als einer Gelegenheit mit einer von einer reaktionären Bürokratie beherrschten Gewerkschaft verglichen. Er hat aber auch die Grenzen dieser Analogie benannt: “Sollten die Gentlemen (die Bürokraten) außerdem noch die Gewinne der Bourgeoisie gegen Angriffe von Seiten der Arbeiter verteidigen, sollten sie Streiks für Lohnerhöhungen bekämpfen, und sich gegen die Unterstützung von Arbeitslosen wenden, hätten wir es mit einer Organisation von Streikbrechern zu tun und nicht mit einer Gewerkschaft.”[109] Wer könnte heute ernstlich in Frage stellen, daß es sich bei der Regierung Jelzin um eine ”Organisation von Streikbrechern” handelt, die dem Arbeiterstaat im Bündnis mit den Imperialisten das Rückgrat gebrochen hat?

Nirgendwo fällt der Wirklichkeit der Zugang in die Köpfe schwerer als bei Doktrinären und Sektierern. Stalinophile wie die Spartacists, die erwartet hatten, daß die Bürokratie - in welch’ begrenzten Ausmaß auch immer - den Arbeiterstaat verteidigen würde, wurden durch Jelzins Gegenputsch in Verwirrung gestürzt. Mehr als ein Jahr nach diesem Ereignis klammerte sich die ICL immer noch an die Einschätzung, daß die (Ex-)Sowjetunion ein Arbeiterstaat sei.

Die Spartakist-Arbeiterpartei, die deutsche Sektion der ICL, schrieb im Februar 1992: “Die Auflösung der Sowjetunion bedeutet nicht, daß diese eine vollendete kapitalistische Konterrevolution hinterläßt, sondern ein gigantisches Durcheinander; denn das, womit wir es bei der Auflösung der Sowjetunion zu tun haben, ist eine ganze Reihe von Regierungen, die durch und durch konterrevolutionär sind und die die Absicht haben, den degenerierten sowjetischen Arbeiterstaat zu zerschlagen.”[110]

In derselben Ausgabe ihrer Zeitung zitiert sie zustimmend einen Artikel aus Workers Vanguard, in dem Jelzin als “Möchtegern-Totengräber der Sowjetunion” bezeichnet wird.[111] Und diese Erkenntnis wird mit einem Zitat aus der Financial Times garniert: “Die Nachricht vom Tod der Sowjetunion, erscheint ein bißchen voreilig.”[112] Es folgt die große Hoffnung der Spartakisten: “Im ganzen Land wird über einen möglichen neuen Putsch gesprochen - diesmal, so wird gesagt, würde das Militär eine wichtige Rolle spielen - und/oder über einen Volksaufstand, hervorgerufen durch die Wirtschaftskatastrophe und durch den wachsenden Hunger.”[113]

Im November 1992 änderte die ICL ihre Position abrupt und erläuterte dies mit dem vagen Hinweis, daß die Tatsache, daß die Arbeiterklasse es versäumt habe, der Konterrevolution Widerstand zu leisten, für die Einschätzung des Staates als bürgerlich ausschlaggebend sei.[114]

9. Die Krise der Restauration

Diejenigen, die immer noch meinen, in den osteuropäischen Ländern und der die Ex-Sowjetunion gäbe es Arbeiterstaaten, zwängen die Realität tatsächlich in ein abstrakt vorgefertigtes starres Schema, das sich auf zweitrangige Kriterien stützt, die aus verschiedenen marxistischen Klassikern zusammengesucht worden sind. Kriterien, die die Geschichte darüberhinaus als falsch verworfen hat. Das zieht sie noch tiefer hinein in den theoretischen Sumpf. Sie sprechen über Arbeiterstaaten, obwohl Rußland und die anderen Staaten der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten seit über vier Jahren von prokapitalistischen Regierungen geführt werden, die die kapitalistische Restauration aktiv vorwärts treiben. Wenn diese Theorie korrekt wäre, müßten ihre Anhänger zugestehen, daß es möglich ist, daß Konterrevolutionäre einen Arbeiterstaat in Besitz nehmen und ihn zu konterrevolutionären Zwecken instrumentalisieren können - ohne seinen grundlegenden gesellschaftlichen Charakter zu verändern.

Nicht alle Strömungen der “trotzkistischen Bewegung”, die leugnen, daß bürgerliche Staaten entstanden sind, warten darauf, daß ein Bürgerkrieg ausbricht. Aber ebenso wie die Doktrinäre verweisen sie auf die offenkundigen Probleme, mit denen die kapitalistische Entwicklung konfrontiert ist. Insbesondere verweisen sie auf die Schwierigkeiten, auf die die Privatisierung stößt, weil es an ausländischen Investitionen mangelt, auf die Schwäche der einheimischen Kapitalakkumulation sowie auf die schmerzhafte und schwierige Umwandlung von Staatseigentum in Kapital. Dazu kommt die Entstehung einer korrupten Bourgeoisie, die aus der früheren Nomenklatura, Kriminellen und Kompradorenelementen gebildet hat. Weiter zu nennen sind die Probleme, die die Integration in den Weltmarkt dem Versuch bereitet, wenigstens die Kerne der existierenden Volkswirtschaften zu erhalten. Solche Bedingungen mußten zwangsläufig extrem instabile Verhältnisse produzieren, gekennzeichnet durch verschärfte Klassenkämpfe, die Entwicklung fremdenfeindlicher und faschistischer Bewegungen, repressive Regime, abrupte Veränderungen der politischen Lage einschließlich Bürgerkriege.

Aber diese Faktoren, so richtig sie benannt sind, beweisen keineswegs, daß immer noch Arbeiterstaaten existieren. Sie sind die Geburtswehen eines schwachen Kapitalismus, der unter alles andere als “normalen” Bedingungen operiert. Der theoretische Hauptfehler, mit dem wir es hier zu tun haben, ist das Versäumnis, zwischen dem Staat und dem sozioökonomischen System zu unterscheiden und den Wesensunterschied zwischen einem Arbeiter- und einem bürgerlichen Staat zu erfassen.

Auf alle Fälle müßte zwischen den Verhältnissen in den verschiedenen Ländern unterschieden werden. Es ist offenkundig, daß der Restaurationsprozeß in den verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich verläuft. Die wirtschaftlich entwickelteren Länder Osteuropas, die tschechische Republik, Ungarn, Polen, Slowenien und die Länder des Baltikums die zwischen 1989 und 1992 eine tiefe Krise durchlebten, haben begonnen sich zu erholen. Mit einer Produktivität von 40 % des deutschen Niveaus, aber Löhnen, die nur 15 % des deutschen Lohnniveaus erreichen, gelang es ihnen, ausländische Investoren anzuziehen. Sie könnten der EU assoziiert werden. Für andere Staaten wie Rumänien und Bulgarien und besonders der Ex-Sowjetunion sieht die Lage schlechter aus - ohne daß Besserung in Sicht wäre.

Der Wendepunkt des gescheiterten Putsches bedeutete keineswegs, daß die kapitalistische Restauration aus ökonomischer Sicht schon vollbracht war. Den degenerierten Arbeiterstaat zu zerstören war eine Sache, einen aufstrebenden Kapitalismus aufzubauen eine andere. Obwohl es nach dem Putsch von 1991 jedermann klar war, daß die Sowjetunion nicht wiederauferstehen würde, begegnete Jelzin doch den gleichen störrischen Widerständen wie vor ihm Gorbatschow. Präsidialerlasse wurden nur zögerlich und partiell umgesetzt. Eine kapitalistische Restauration ohne vorherige Kapitalakkumulation oder massive Auslandsinvestitionen kann nicht über Nacht gelingen und ihr Ausgang ist alles andere als gesichert.

Jelzins Gegenputsch erzielte unmittelbar vor allem politische und nicht so sehr ökonomische Wirkung. Dieses Ereignis grub sich im Bewußtsein der Massen ein und schwächte die wenigen Stalinisten, die versuchten, Widerstand zu leisten.

Die Hauptaufgaben, die sich in den verschiedenen Ländern den Kräften der Restauration stellten, lassen sich wie folgt zusamenfassen:

- Aufbau eines funktionierenden kapitalistischen Staates

- Säuberung des Staatsapparates von oben bis unten

- Auflösung des zentralen Planungsapparates

- Aufhebung der Beschränkung des Handels und des Kapitalverkehrs und die Entwicklung eines kapitalistischen Bankensystems

- Rückzug des Staates aus der Wirtschaft, Umwandlung des Staatseigentums und der Arbeitskraft in Kapital

- Aufbau einer neuen Steuer- und Fiskalverwaltung.

Die Aufgaben bezüglich Staat und Wirtschaft stehen nicht unabhängig nebeneinander, aber sie sind auch nicht identisch. Der Übergang vom Arbeiterstaat zum Kapitalismus ist durch eine Phase des “Staatskapitalismus” gekennzeichnet, die Entwicklung verläuft spiegelbildlich wie die in den osteuropäischen Ländern in den vierziger Jahren - nur umgekehrt. Sie repräsentiert alles andere als eine Fortsetzung der Planwirtschaft. Sie ist vielmehr die einzige Möglichkeit, große Teile der Wirtschaft für die Privatisierung vorzubereiten. Ein zentraler Bestandteil dieser Strategie ist die Unwandlung von Geld in Kapital. Die Währung muß international austauschbar gemacht werden. Die Preise müssen freigegeben werden und so mit einem großen Knall das Geld wieder seine Funktion als realer (d.h. kapitalistischer) Wertausdruck zurückerhalten, was einerseits die Kapitalakkumulation durch die damit verbundene Verarmung der Massen erleichtert und andererseits die Entstehung einer profitorientierten Warenproduktion.

Dieser Prozeß ist die Folge, nicht die Ursache der Restauration eines bürgerlichen Staates.

Die ursprüngliche Akkumulation des Kapitals findet im beträchtlichen Ausmaß durch Kompradoren sowie mit unmittelbar kriminellen Methoden statt, wobei die politischen und wirtschaftlichen Managementpositionen des alten stalinistischen Apparats ausgenutzt werden. Die Entstehung der neuen Bourgeoisie ist deshalb gekennzeichnet durch Korruption und die Plünderung des Staatseigentums wo immer sich die Gelegenheit dazu bietet. Aber obwohl die Entstehung einer kapitalistischen Klasse ohne den Rückgriff auf solche Methoden gar nicht denkbar ist, stellen sie gleichzeitig ein Hindernis dar für ein “normales” Funktionieren des kapitalistischen Staates. Letzterer muß stabile Rahmenbedingungen für jede kapitalistische Betätigung schaffen.

Während der Phase seiner Geburtswehen fehlt dem neuen bürgerlichen Staat deshalb selbst die Legitimität moderner imperialistischer Staaten, die sich in Konflikten zwischen ihren Staatsbürgern den Anschein von Neutralität geben müssen. Er wird also den modernen kapitalistischen Anforderungen an einen Staat nicht gerecht. Aber bürgerliche bzw. kapitalistische Staatsapparate müssen nicht irgendwelchen Idealbildern entsprechen oder “fertig” sein, um nicht schon als solche ihre Dienste leisten zu können. Wir haben ja bereits darauf hingewiesen, daß bürgerliche Staaten über längere Zeiträume hinweg mit vorkapitalistischen Produktionsverhältnissen koexistieren können.

In Transformationsphasen entscheidet der Charakter und die wirkliche Politik der Führung eines Staates über den Klassencharakter eines Staates. Nur, wenn man sich von diesem Kriterium leiten läßt, lassen sich die gestellten Fragen klar beantworten - im Einklang mit der geschichtlichen Entwicklung.

Der Klassenkampf hat in den degenerierten und deformierten Arbeiterstaaten niemals vollständig aufgehört. Dasselbe gilt für die neuen bürgerlichen Staaten. Er hat nur andere Formen angenommen. Eine Phase langandauernder politischer Instabilität, in der Gruppen rivalisierender Kapitalisten miteinander wetteifern, die Schalthebel der politischen Macht in ihre Hände zu bekommen, ist unvermeidlich. Zwischen den Klassen sowie den verschiedenen Schichten der Klassen und dem neuen Staat entstehen neue Beziehungen. Diese ständigen Veränderungen der Klassenverhältnisse und in den staatlichen Institutionen widersprechen keineswegs unserer Charakterisierung dieser Staaten als bürgerlich. Ihr schwächlicher Charakter zeigt jedoch an, daß die Instabilität wahrscheinlich so lange anhalten wird, wie es keiner Partei gelingt, Autorität zu erlangen und keine anderen Mittel in Sicht sind, die Beziehungen zwischen der neuen Bourgeoisie und dem neuen Staat zu regulieren.

Die Entwicklung seit 1991 hat bewiesen, daß der Block, den Jelzin damals um sich scharen konnte, alles andere als stabil war. Es sind immer wieder Konflikte ausgebrochen, die das Beziehungsgeflecht zwischen den verschiedenen Teilen der Bürokratie und dem Restaurationsprozeß beleuchten. Einige sind dafür, sich auf der Grundlage der nationalisierten Wirtschaft vor der Weltmarktkonkurrenz zu schützen, um eine starke russische Bourgeoisie zu schaffen. Andere sind bereit, eine durch den Imperialismus dominierte kapitalistische Wirtschaft hinzunehmen. Beide Strömungen haben Jelzin zeitweise unterstützt oder doch zumindest toleriert und waren sowohl an der Regierung Jelzin beteiligt wie auch im konservativen Parlament vertreten. In den Provinzen stützten sich die Restaurationisten auf die regionalen Apparate, die frei von direkter politischer Kontrolle des Zentrums agierten.

Jelzins Machtkampf mit dem russischen Parlament im Jahre 1993 hat die entstandenen Konflikte nicht gelöst.[115] Militärisch hatte er gesiegt, aber es war klar, daß er den Apparat und die Armee nicht fest im Griff hatte. Und obwohl ihn seine zweiter "Gegenputsch" gestärkt hatte, hatten die energischeren unter den "Modernisierern", bei den Wahlen im Dezember 1993 doch schon einen beträchlichen Teil ihrer Unterstützung eingebüßt. Während des Wahlkampfs brach eine Streikwelle aus.

Dem von Jelzin zusammengebrachten Wahlbündnis gelang es trotz massiver finanzieller Unterstützung durch die Banken nicht, auch nur 20 % der Stimmen auf sich zu vereinigen. In den Provinzen wurde es eliminiert. Trotz des Umstands, daß diese Zahlen für die am meisten mit den internationalen Banken verbandelten Restaurationisten eine Niederlage bedeuteten, sollten diese Ergebnisse nicht zu dem Schluß verleiten, daß deshalb die kapitalistische Restauration als solche in Frage gestelt war. Die Banken hatten auch die Kampagne des russisch-nationalistischen Außenseiters Shirinovsky finanziert, um der Unzufriedenheit ein Ventil zu verschaffen. Bis zu den Wahlen hatte sich Shirinovsky gegenüber Jelzin zurückgehalten und ihn in der Verfassungsfrage unterstützt. Jelzin hatte Shirinovsky dafür im Wahlkampf ein Monopol auf die Repräsentanz des Nationalismus verschafft. Shirinovskys Wahlerfolg und ebenso die Erfolge der Opposition zwangen Jelzin dazu, die Interessen der neuen "nationalen" Kapitalisten und der großrussischen Demagogen stärker zu berücksichtigen.

Das war eine qualitative Änderung gegenüber früheren Zeiten. In einem bürgerlichen Staat sind politische Veränderungen nicht gleichbedeutend damit, daß die Kapitalisten und ihre Repräsentanten die von ihr gespielten gesellschaftlichen Rollen aufgeben müssen. Deshalb muß der neue Staat versuchen, die Gegensätze zwischen den verschiedenen konkurrierenden Kapitalfraktionen auszugleichen und auszutarieren. Im Gegensatz dazu war die Säuberung stalinistischer Bürokraten aus der Nomenklatura mit dem Verlust ihrer materiellen Privilegien und ihrer gesellschaftlichen Rolle verbunden.

Solange innerhalb des Restaurationsprozesses die grundlegnden Konflikte ungelöst bleiben, wird es Jelzin und seinen Nachfolgern nicht gelingen, stabile Rahmenbedingungen für die kapitalistische Entwicklung zu schaffen. Die Arbeiterklasse ist gegenwärtig desorientiert und ihr fehlt jedwede revolutionäre Führung. Aber wenn es der Arbeiterklasse gelingen sollte, sich wieder auf die Verteidigung ihrer Interessen zu besinnen, würde es gegen sie aller Wahrscheinlichkeit nach schnell einen Schulterschluß der Restaurationisten in Form einer Militärdiktatur oder sogar des Faschismus geben. Jelzins Versuche, ein starkes Präsidialsystem zu etablieren, sind nur die schwache Antizipation einer solchen Entwicklung.

10. Für ein Aktionsprogramm

Die zentrale Aufgabe von Trotzkisten besteht darin, der Arbeiterklasse in allen Gebieten der ehemaligen Sowjetunion dabei zu helfen, revolutionäre Parteien aufzubauen - Sektionen der wiederaufzubauenden Vierten Internationale. Sie haben sich dazu auf alle Kämpfe der Arbeiterklasse und anderer unterdrückter Teile der Bevölkerung gegen die Auswirkungen der kapitalistischen Restauration zu orientieren. Im Rahmen dieses Papieres ist es nicht möglich, mehr als die Grundzüge eines Programms zu skizzieren.

Ein solches Programm muß mit der Verteidigung der demokratischen Rechte und Freiheiten der Arbeiterklasse und der Unterdrückten beginnen:

- Für eine verfassunggebende Versammlung!

In der jetzigen Periode, in der noch nicht die Bedingungen gegeben sind, um wirkliche Räte zu bilden und in der Revolutionäre für diese nur propagandistisch werben können, muß die multinationale Arbeiterklasse in den Städten und Kolchosen gegen Jelzins Duma mobilisiert werden.

Die Hauptachse des Programms muß die Verteidigung der materiellen Interessen der Arbeiter, der Jugend und der Rentner sein:

- Für die gleitende Lohnskala, für die ständige Anpassung der Renten an die steigenden Preise!

- Verteidigt das nationalisierte Eigentum und die sozialen Dienste!

- Stoppt alle Entlassungen!

- Stopp der Privatisierung und der Korruption!

- Enteignet die neuen Reichen, die neuen Banken und die Verbrecherbanden!

Die exstalinistischen Bürokraten und die neue Bourgeoisie können durch den Kampf für Arbeiterkontrolle über die Fabriken und Kolchosen und einen demokratisch durch Produzenten und Konsumenten erstellten Plan gestoppt werden.

- Für Arbeiterkomitees, die eine Generalinventur staatlicher Institutionen und der Wirtschaft vornehmen, um deren weitere Plünderung durch die Restaurationisten Einhalt zu gebieten!

Um diesen Kampf führen zu können, müssen sich die Arbeiter auf gewerkschaftlichem Gebiet und politisch unabhängig von den Restaurationisten und den Chauvinisten organisieren. Trotzkisten müssen sowohl in den Gewerkschaften als auch in eventuell entstehenden Arbeitermassenparteien arbeiten, um dort in demokratischer Konkurrenz mit anderen Strömungen für ihr Programm und die Notwendigkeit einer revolutionären Führung zu werben.

- Für eine klassenkämpferische Politik der Gewerkschaften und ihre Demokratisierung!

- Für eine Arbeiterpartei, die sich auf die Gewerkschaften stützt!

In allen wichtigen Kämpfen werden die Arbeiter mit faschistischen Schlägern und anderen Reaktionären sowie mit der Polizei und Armee konfrontiert sein. Eine Arbeiterpartei muß alle Arbeiterorganisationen, das Streikrecht und auch die demokratischen Rechte der Mannschaftsdienstgrade der Armee verteidigen.

- Für den Aufbau von Selbstverteidigungsgruppen und Arbeitermilizen!

- Für Soldatenkomitees!

Gleiche Rechte für Frauen. Arbeiterfrauen müssen gleichberechtigter Teil der Arbeiterklasse sein und an der politischen wie sozialen Revolution teilnehmen können. Solche Kämpfe müssen geführt werden für:

- Gleicher Lohn für gleiche Arbeit!

- Kindergärten rund um die Uhr!

- Kostenlose Verhütungsmittel und das Recht auf Abtreibung!

- Kostenlose Kantinen in den Fabriken und Wohnvierteln, kostenlose Wäschereien!

- Gleiche Rechte für Schwule und Lesben!

Die Arbeiter werden ihre Rechte nur dann erfolgreich verteidigen können, wenn sie in ihren Kämpfen die größtmögliche Einheit herstellen können. Trotzkisten werden für eine Einheitsfront aller Organisationen kämpfen, die sich auf die Arbeiter in Stadt und Land stützen. Sie befürworten einen gemeinsamen, multinationalen Kampf gegen die soziale und politische Reaktion und kämpfen dabei für das Recht aller unterdrückten Nationen auf Selbstbestimmung, bis hin zum Recht auf staatliche Lostrennung. Trotzkisten werden sich jeder Form des Rassismus und Chauvinismus widersetzen, insbesondere der großrussischen Varietät.

Eine kämpfende Einheitsfront der Arbeiterklasse wird in der ganzen ehemaligen Sowjetunion die Bildung von Fabrikkomitees und echter Räte auf die Tagesordnung setzen. Im Verlauf ihres Kampfes gegen die alten Bürokraten und die zu Restaurationisten gewendeten Bürokraten ist es möglich, daß die Arbeiter neue Kampf- und Organisationsformen entwickeln als die früher in der Praxis bewährten und getesteten. Aber wenn sie erfolgreich sein wollen, werden sie einen Kampf für eine Arbeiterregierung führen müssen, die sich auf die Massenorganisationen der Arbeiterklasse und die Grundsätze der Arbeiterdemokratie stützt. In einer solchen Regierung wird es für Kräfte, die zurück zum Stalinismus wollen, keinen Platz geben.

Es lebe der Internationalismus!

Für den Wiederaufbau der Vierten Internationale!


[1]Leo Trotzki bei der Beerdigung von Adolf Joffe, 1927, zitiert in: G. Saunders (ed), Samizdat: Voices of the Soviel Opposition, Monad, 1975, p. 97
[2]Leo Trotzki, Das Übergangsprogramm, Berlin, Verlag Ergebnisse und Perspektiven, ohne Jahrgang, S. 34
[3]vgl. Leo Trotzki: Arbeiterstaat, Thermidor und Bonapartismus, in: Trotzki Schriften, Sowjetgesellschaft und stalinistische Dikatatur 1929-1936, Bd. 1.1, S. 581 ff und R.V. Daniels: The Conscience of the Revolution, Simon and Schuster, 1969
[4]Samizdat, p.207
[5]vgl. M. Dewar, The Quiet Revolutionary, Bookmarks, 1989, p.16
[6]vgl. L.Trotsky, Writings of leon Trotsky (1937-38), pp.34-44 und Yvan Craipeau: Le mouvement trotskyste en France, Paris 1971, p. 208 ff
[7]vgl. G. Breitman (ed), The Founding of the Socialist Workers Party, Monad, 1982, pp.141-5; L. Trotsky, Writings of Leon Trotsky (1937-38), pp.60-71
[8]See L. Trotsky, In Defence of Marxism, New Park, 1975, and J.P. Cannon, The Struggle for a Proletarian Party, Pathfinder, 1972.
[9]B. Rizzi, The Bureaucratization of the World, Tavistock, 1985
[10]James Burnham: Die Revolution der Manager, Wien 1949
[11]T. Cliff, State Capitalism in Russia, Pluto, 1974
[12]Milova Djilas: Die neue Klasse,
[13]Sociaiist Action (US), World Political Resolution submitted to the USec 14th World Congress, August 1994
[14]Class Struggle, No. 51, December 1992
[15]L. Trotsky, Writings of Leon Trotsky (1933-34), Pathfinder, 1972, p.104
[16]L. Trotsky, Writings of leon Trotsky (1937-38), p.65, p.61
[17]W.l. Lenin, Über linke Kinderei und Kleinbürgerlichkeit, in: Gesammelte Werke, Bd. 27, S. 315 (327f)
[18]Comrades for a Workers Government(South Africa)/Leninist-Trotskyist Tendency: Fusion Declaration, Workers News, No. 44, Mar-Apr 1993
[19]T. Grant, The Unbroken Thread, Fortress, 1989, pp.342-70
[20]K. Harvey, 'Polands Transition to Capitalism', Permanent Revolution 9, Summer/Autumn 1991
[21]Workers Power/lrish Workers Group, The Degenerated Revolution: The Origins and Nature of the Stalinist States, WP/lWG, 1982, p.53
[22]ebenda, p. 59
[23]ebenda, p. 72
[24]F. Engels, in: MEW Bd. 20, S. 20 (261)
[25]Trotskyist International, No. 11, May-Aug, 1993, p. 45
[26]The Degenerated Revolution, p. 97
[27]Permanent Revolution No. 9
[28]The Degenerated Revolution, p.46
[29]Trotskyist International, No. 11, p.47
[30]Trotskyist International, No. 16, Jan-Apr 1995, p.24
[31]Trotskyist International, No. 11, p.45
[32]L. Trotzki, Arbeiterstaat, Thermidor und Bonapartismus, in: Schriften 1, Sowjetgesellschaft und stalinistische Diktatur, Bd. 1.1, S. 581 (607)
[33]Documents of the VernlRyan Tendency, Communard Publishers, n.d., p.33
[34]ebenda, p. 3
[35]Der nachfolgende Abschnitt stützt sich zu einem großen Teil auf die von T. Wohlforth and A. Westoby, in "Communists' Against Revolution", Folrose, 1978 zusammengetragenen Informationen, folgt ihnen aber nicht in der Bewertung; außerdem auf C. Harman, Class Struggles in Eastem Europe 1945-48, Bookmarks, 1988 and A. Westoby, Communism Since Warld War II, Harvester, 1981
[36]F. Claudin, The Communist Movement: From Comintern to Cominform, Peregrine, 1975, p.464
[37]Siehe J. Bloomfield, Passive Revolution: Politics and the Czechoslovak Working Class 1945-48, Allison and Busby, 1979
[38]F.Engels: Einleitung zu Marx' Bürgerkrieg in Frankreich, in MEW Bd. 22, S. 188 (197)
[39]L. Trotzki, Der Klassencharakter des Sowjetstaates, in: Schriften, Sowjetgesellschaft und stalinistische Diktatur Bd. 1.1, S. 456 (458)
[40]vgl. A. Richardson, Introduction to In Defence of the Russian Revolution, vii-ix
[41]In Wohlforth and Westoby, 'Communists' Against Revolution
[42]ebenda, pp. 87-8
[43]Communism Since World War II, p.387
[44]I. Deutscher, Russia, China and the West 1953-1966, Penguin, 1970, p.47. Eine detaillierte Darstellung der Wendungen der stalinistischen Deutschlandpolitik siehe D. Dallin, Soviet Foreign Policy After Stalin, Lippincott, 1961
[45]Russia, China and the West, p. 48
[46]L. Trotsky, In Defence of Marxism, p. 22
[47]ebenda., p.23
[48]ebenda, p.36
[49]ebenda, p.113
[50]ebenda, p.34
[51]D. North, The Heritage We Defend, Labor Publications, 1988, p.145
[52]P. Frank: The Fourth International, Ink Links, 1979, pp. 72-3
[53]Quoted in S. Bornstein and A. Richardson, The War and the International, p. 217
[54]E. Germain (das ist Mandel), 'The Soviet Union after the War', SWP International Information Bulletin, Vol, No. 2, September, 1946
[55]Zitiert in in S. Bornstein and A. Richardson, The War and the International, p. 217
[56]ebenda, p. 217
[57]Siehe B. Pitt, 'The Fourth International and Yugoslavia (1948-50)', Workers News supplement, July 1991
[58]ebenda
[59]Class, Party, and State and the Eastern European Revolution, SWP Education for Socialists, 1969, p.13
[60]ebenda, p. 11
[61]ebenda, p. 14
[62]ebenda, p.19
[63]zitiert nach D. Norlh, The Heritage We Defend, pp.162-3
[64] Zitiert ebenda, p. 175
[65]Class, Party, and State and the Eastern European Revolution, p.22
[66]M. Pablo, 'Yugoslavia and the rest ofthe Buffer Zone', SWP International Information Bulletin, May 1950
[67]Class, Party, and Stare and the Eastern European Revolution, p.40
[68]ebenda, p. 41-42
[69]Pablo mutmaßte, daß der Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus "eine ganze geschichtliche Epoche" dauern könne, mit einer "ganzen Bandbreite an Übergangsregimen", die mehr oder weniger "deformiert" sein könnten. Diese wenig bemerkenswerte Prognose, die sich kaum von Lenins Auffassung der Übergangsepoche unterschied, wurde durch diejenigen , die später, 1953, das Internationale Komitee der Vierten Intenationale gründeten, in die Legende verwandelt, Pablo habe "Jahrhunderte" lang mit deformierten Arbeiterstaaten gerechnet.
[70]D. North, The Heritage We Defend, p.181
[71]Pierre Frank: Bericht an den Kongreß, Class, Party, and State and the Eastern European Revolution, p.50
[72]L. Trotsky, The Revolution Betrayed, New Park, 1982, p. 255
[73]Vgl. W.I. Lenin and L. Trotsky, Lenin s Fight Against Stalinism, Pathfinder, 1975, and M. Lewin, Lenins Last Struggle, Pluto, 1975
[74]L. Trotsky, 'Socialism and the Market', Workers News No. 31, May 1991
[75]ebenda
[76]Lev .D. Trockij, Kapitalismus oder Sozialismus, Berlin 1925
[77]Entwurf einer Plattform der Vereinigten Linken Opposition,1927, in: Trotzki Schriften 3, Linke Opposition und Vierte Internationale, Bd. 3.2, S. 981 ff (am Entwurf hatten neben Trotzki auch Sinowjew, Kamenew, Smilga, Pjatakow u.a. mitgearbeitet)
[78]L.Trotsky, The Challenge of the Left Opposition (1926-27), Pathfinder, 1980, pp.258-64, vgl. auch L. Trotzki, Über Thermidor und Bonapartismus, November 1930, in: Schriften 1, Sowjetgesellschaft und stalinistische Diktatur 1929-1936, S. 224 (225)
[79]L.Trotsky, The Challenge of the Left Opposition (1926-27), Pathfinder, 1980, pp.258 (260,261)
[80]L. Trotzki, Schriften Bd. 1.1, S. 456 (488f)
[81]Leo Trotzki: Verratene Revolution, in: Schriften Bd.1.2, S. 687 (955)
[82]ebenda, S. 956 f
[83]ebenda, S. 956
[84]L. Trotzki: Die IV. Internationale und die UdSSR. Die neue Verfassung - eine neue Etappe der Entartung des Arbeiterstaates, in: Schriften Bd. 1.1, S. 670 (675)
[85]L. Trotzki, Weder proletarischer noch bürgerlicher Staat? in: Schriften Bd. 1.2, S. 1118 (1123)
[86]Trotsky, In Defence of Marxism, pp.19-20
[87]Einen autobiographischer Bericht über das Leben unter der Besatzung liefert A. Kuznetsov, Babi Yar, Penguin, 1982
[88]L. Trotsky, Writings of Leon Trotsky (1934-35), p.170
[89]L. Trotsky, Writings of Leon Trotsky (1937-38), p.35
[90]Man kann darüber streiten, zu welchem Preis dies erfolgte. Auch, wenn die Zahlungsbilanzprobleme so gelöst wurden, hat dieser Verwendungszweck der Ressourcen die weitere Entwicklung doch geschwächt.
[91]Der scharfsinnige Dissident Andrei Amalrik schrieb diesbezüglich schon 1969: "Die sog. Wirtschaftsreform, von der ich bereits gesprochen habe, war im wesentlichen eine halbherzige Maßnahme, die in der Praxis vom Parteiapparat sabotiert wurde, weil sie, logisch zu Ende bebracht, ihre Machtstellung gefährdet hätte." A. Amalrik, Will the Soviet Union Survive Until 1984?, Penguin, 1980, p.34.)
[92]See D. Singer, The Road to Gdansk, Monthly Review, 1982, chap. 3
[93]vergleiche hierzu D. Bruce, 'Trotsky and the Materialist Analysis of Stalinism. A Reply to Cliff Slaughter.', WRP interna! document, and A. Richardson, Introduction to In Defence of the Russian Revolution
[94]L. Trotsky, Writings of Leon Trotsky (1937-38), p.65
[95]ebenda, p. 67
[96]1917, No. 11,Third Quarter, 1992
[97]ebenda
[98]Spartakist, No. 92, January 1992
[99]1917, ebenda
[100]W. I. Lenin Werke, Bd. 29, S. 111
[101]N. Bukharin and E. Preobraschenskij, Das ABC des Kommunlsmus, Zürich 1985, S. 349
[102]L. Trotzski, Stalin, Köln, o. Jhg., S. 388
[103]L. Trotsky, In Defence of Marxism, p. 24
[104]For an analysis of the tactical issues, and the positions of various Trotskyist currents, see M. Sullivan, 'The August Coup Revisited', Workers News No. 46, August 1993
[105]Guardian, June 21, 1993
[106]Frankfurter Allgemeine Zeitung, August 20, 1991
[107]Putsch -The Diary, p.19
[108]Putsch -The Diary, p.19
[109]L. Trotsky, In Defence of Marxlsm, p.31, p.36; Writings of Leon Trotsky (1937-38), p.64-5
[110]Spartakist, January 1992
[111]Workers Vanguard, December 27,1991
[112]Financlal Times, December 1, 1991
[113]Spartakist, January 1992
[114]How the Soviet Workers State was Strangled, Spartacist pamphlet, 1991
[115]How the Soviet Workers State was Strangled, Spartacist pamphlet, 1991