Liebe Genossinnen und Genossen,

zunächst einmal vielen Dank für Euer Schreiben. Wir möchten auf alle in ihm gestellten unf aufgeworfenen Fragen eingehen:

1. Welche Bedeutung messen wir unserem Aktionsprogramm für den Organisationsaufbau zu, welchen Charakter hat es?

Es ist zunächst UNSER Programm, das Programm, das unser Handeln als Marxisten bzw. Kommunisten bestimmt und es ist zugleich das Kurzprogramm, das wir der Arbeiterklasse und ihrer Avantgarde vorschlagen; es ist ein Übergangsprogramm mit Tages- und Minimalforderungen, mit demokratischen und Übergangsforderungen sowie auch Übergangsforderungen für spätere Klassenkampfetappen, die heute allgemein als Maximalforderungen verstanden werden.

Wir verstehen unser Aktionsprogramm daher ausdrücklich nicht nur als für die Arbeiterklasse schon konkretisiertes Programm mit ausnahmslos konkreten und schon taktisch bestimmten Losungen (die sind in ihm auch enthalten). Ganz im Gegenteil. Uns beschleicht ein wenig der Verdacht, daß ihr ein Aktionsprogramm einer marxistischen Organisation mit dem Vorschlag einer revolutionären Partei für ein proletarisches Einheitsfrontangebot z.B. gegen eine faschistische Bedrohung) konzeptionell verwechselt. In unserem Aktionsprogramm gibt es Übergangslosungen wie "Für eine Arbeiterregierung" und "Für Räteherrschaft", die heute und in näherer Zukunft als Aktionslosungen fast so fern zu sein scheinen wie die Losung "Für den Kommunismus" (die maximallosung schlechthin). Wer diese Losungen heute in der BRD konkretisieren will, müßte sich wohl auf seinen Realitätsinn untersuchen lassen.

Wir halten diese Losungen dennoch für unentbehrlich: Wir müssen als Kommunisten kenntlich sein und als Parteiaufbauinitiative anbieten. Wir wissen, daß die Marxistisch Initiative nur mit dem offenen Bekenntnis zu diesen Zielen heute schon deutlich machen kann, daß nur die Verbindung der Tageskämpfe mit dem Kampf für den Kommunismus eine realistische, lebenswerte Zukunftsperspektive bietet. Wir wollen uns mit denjenigen organisieren, die diesen Kampf schon heute aufnehmen und führen wollen, mit denen, die wissen, daß der aggressive Weltimperialismus die sozialen und ökologischen Lebens- und Überlebensbedingungen der Arbeiterklasse und sogar der Menschheit mit Sozialabbau, permanenten Kriegen und ökologischen Katastrophen untergräbt und gefährdet. Deshalb wollen wir uns als radikale Systemalternative und Fundamentalopposition zu den imperialistischen Verhältnissen darstellen und streben den Aufbau einer (internationalen) Partei an, die als solche von allen Klassen der kapitalistischen Gesellschaft wahrgenommen und anerkannt wird. Die Frage danach, wie und wem unter welchen Voraussetzungen regiert werden kann und die faktisch an linke Aktivisten gerichtete Propaganda gegen eine Regierungsbeteiligung, die nur kapitalistische Krisenverwaltung betreibt, ist allerdings in der Auseinandersetzung mit dem Reformismus bleibend aktuell. Deshalb müssen auch "abstrakte" Losungen wie die "Für eine Arbeiterregierung", die noch nicht als konkretisierte Forderungen umsetzbar sind, Teil eines Aktionsprogramms sein. Nur, wenn wir bei den fortgeschrittensten Teilen der Arbeiterklasse und der verschiedenen Bewegungen schon heute Übergangslosungen für spätere Etappen des Klassenkampfs propagieren, werden wir in der Lage sein, sie später massenwirksam zu machen.

Kommunistische Propaganda, die Fundamentalkritik der kapitalistischen bzw. imperialistischen Verhältnisse aus materialistischer Sicht sowie die Begründung kommunistischer Ziele durch und mit der Darstellung dieser Verhältnisse und ausgehend von den Bedürfnissen aller Teile der Arbeiterklasse halten wir für eine grundlegende Aufgabe. Ohne die Erfüllung dieser Aufgabe wird es letztlich nicht gelingen, die zum Kampf entschlossensten Teile der Arbeiterklasse zu sammeln. Wir gestehen gern zu, daß wir noch weit entfernt sind, auf diesem Gebiet unseren eigenen Ansprüchen und Wünschen zu genügen. Es fehlt uns an Führungskadern, Mitgliedern, Unterstützern und Helfern. Das alles spricht aber nicht dagegen, dieses Arbeitsziel für künftige Mitglieder anzugeben und aufzuzeigen, wofür man sich kollektiv qualifizieren muß. Nur, wenn das gelingt, wenn eine Partei heranwächst, die mit jedem neuen Mitglied neue Multiplikatoren marxistischer bzw. kommunistischer Agitation und Propaganda gewinnt, wird sich die Klasse die heutigen Maximallosungen als Tagesaufgaben setzen.

Wir sind daher der Ansicht, daß diese "abstrakten" und so gar nicht tagesaktuell erscheinenden Übergangslosungen unentbehrlich sind für den Parteiaufbau, unentbehrlich dafür, damit zu beginnen, der Arbeiterklasse - wenn auch zunächst nur interessierten Minderheiten der Klasse - klar zu machen, daß der systematische Kampf für den Sozialismus bereits heute aufgenommen wurde. Dieser Kampf ist, um Eure diesbezügliche Frage zu beantworten, mit dem Aufbau einer marxistischen Kampfpartei von Aktivisten der gewerkschaftlichen und politischen Bewegungen identisch, wobei sich die These der Identität auf das Wörtchen systematisch bezieht.

Auch der Kampf in einzelnen Bewegungen leistet zur Vorbereitung des Sozialismus in aller Regel wichtige Beiträge - insofern er zur Selbstbewußtwerdung der Arbeiterklasse beiträgt. Die Aktivisten dieser Bewegungen werden von uns, das ist zu betonen, daher nicht als Linke zweiter Klasse gesehen, auf die Parteiaktivisten herabschauen könnten. Wir suchen zu ihnen ein partnerschaftliches Verhältnis, auch, wenn sie im Einzelfall ein Marxismusverständnis vertreten, das wir verkürzt oder falsch halten (in diesem Sinne akzeptieren wir u.a., daß es Marxisten gibt, die nicht klassenkämpferisch orientiert sind, z.B. manche der sog. roten Professoren und Nur-Theoretiker und viele bewegungsaktivisten) . Wir bemühen uns deshalb, uns frei vom (schon von Lenin bemängelten) Hochmut vieler Marxisten und Kommunisten zu halten. Weder haben wir solchen Kräften in der Praxis bewiesen, daß wir unseren Ansprüchen an uns selbst genügen, noch können wir als kleiner überörtlicher Zirkel auf eine bewährte umfassende Praxis verweisen. Deshalb sind ja gerade die ersten Schritte beim Parteiaufbau die schwersten.

Um Eure Frage zu beantworten, an welche Teile der Arbeiterbewegung wir uns richten: Wir richten uns mit unserem Programm, auch und gerade mit unseren Maximalforderungen nicht nur an die Arbeiterbewegung oder Teile davon, sondern inhaltlich an die gesamte Klasse der Lohnabhängigen und darüberhinaus an alle Werktätigen sowie Unterdrückten - unabhängig von näher bestimmten "Zielgruppen". Wir stellen uns mit dem Aktionsprogramm vor. Wir sagen aber auch deutlich, daß wir die Zusammenarbeit mit allen Kräften und Strömungen suchen, die bereit sind, wenigstens für einen Teil dieses proletarischen Programms zu kämpfen, was aber Kritik an deren Halbheiten nicht ausschließt.

Wir machen die Zustimmung zu unserem gesamten Programm nicht zur Bedingung einer Zusammenarbeit und fordern dieselbe Haltung auch von anderen Kräften und Strömungen. Das ist einer der Kerne der Einheitsfrontpolitik: Kommunismus muß weder notorisch opportunistisch wie im Falle der DKP noch sektiererisch sein. Dabei verkennen wir nicht, daß sich Marxisten heute nicht zuletzt auch gegen solche Linke behaupten müssen, die glauben, sie müßten ihre radikalen Ziele verstecken, um sich nicht zu isolieren. Mit dieser Haltung wird in aller Regel die eigene Anpassung an den Reformismus mit pädagogischem Raisonnement bemäntelt, der dann im öffentlichen Diskurs unangefochten bleibt und dadurch begünstigt wird.

Wir glauben nicht, daß ein kurzes, die Haltung der Marxisten komprimiert zusammenfassendes Programm zu irgendeinem Zeitpunkt entbehrlich ist.

Doch zurück zur Frage, wen wir ansprechen?

Wir werden natürlich konkret diejenigen Aktivisten und unzufriedenen Elemente der Arbeiterklasse und der Jugend ansprechen, die wir im Rahmen unserer leider begrenzten Praxis in politischen und/oder gewerkschaftlichen Bewegungen, über unsere homepage und Druckmedien ansprechen können. Was sonst? Wir wären z.Z. nicht einmal dazu in der Lage, einen Reisekader aufzubauen, der beispielsweise in anderen Teilenm der Republik in Streikbewegungen interveniert, wobei wir ein solches Konzept angesichts unserer Arbeitskapazitäten auch nicht für sehr sinnvoll halten.

Diejenige, die wir und andere Gruppen mit demselben Anspruch tatsächlich erreichen können, sind übrigens leider nicht immer identisch mit denjenigen Kräften im Land, die am meisten politisiert und radikalisiert sind und uns relativ nahe stehen. Wir erkennen deshalb an, daß es immer wieder Kräfte gibt oder neu auftauchen werden, die sich als Marxisten verstehen und die die gleiche Motivation haben wie wir. Mit ihnen streben wir die Kooperation, Diskussion und, wo immer möglich, die politische und organisatorische Fusion an - auf nationaler und/oder internationaler Ebene. Dabei sind für uns die trotzkistischen Gruppen nicht zwangsläufig die ersten Ansprechpartner (Gruppen mit relativ richtiger Politik können ebenso abgeschottet und unflexibel sein wie die schlimmsten sektiererischen Psychopathensammelstellen). Wir sehen keine überzeugende Alternative zu diesem verhältnismäßig offenen und flexiblen Weg zur Entstehung einer Partei.

Wir bezeichnen uns noch als Zirkel, weil wir wegen unserer numerischen Schwäche auf absehbare Zeit nicht in der Lage sein werden, alle die Funktionen wahrzunehmen, die gemeinhin mit dem Begriff einer Partei verbunden sind. Wir sind dabei trotzdem schon mehr als ein loser Zusammenschluß (als solcher hatten unsere Genossen in Berlin begonnen). Wir wären, wenn dieselbe Erwartungshaltung wie an eine größere Partei bzw. Organisation an uns herangetragen würde, hoffnungslos überfordert. Andererseits sind wir davon überzeugt, auf konzeptioneller und theoretischer Ebene bereits viel entwickeltere und reifere Positionen zu haben (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) als die uns bekannten und deutlich größeren linken Parteiansätze.

In Bezug auf die vorhandenen internationalen Strömungen haben die meisten unserer jüngeren Mitglieder noch verhälnismäßig begrenzte Kenntnisse. Dort haben wir auch noch interne Defizite und unsere Leitung arbeitet auf diesem Gebiet faktisch mit einem Vertrauensvorschuß auf der Basis von außerhalb der MI gesammelten Erfahrungen mit verschiedenen Strömungen der trotzkistischen Weltbewegung, die z.T. sehr weit vor die Gründung der Marxistischen Initiative zurückreichen (Erfahrungen liegen bei einzelnen Genossen der MI vor mit dem VS, der LTF, den Morenisten, der LTT, den Lambertisten, der ITO, der Grant-Tendenz und den International Socialists). Faktisch gehen wir davon aus, daß es sich bei den größeren Strömungen dieser Bewegung um mehr oder minder ausgeprägt zentristische Organisationen handelt, die selbst Bestandteil der Krise der Führung der Arbeiterklasse sind (auf die Führungskrise kommen wir noch zurück).

Wir wollen in den diversen politischen gewerkschaftlichen und sozialen Bewegungen als organisierte Marxisten für die Gesamtinteressen der proletarischen Bewegung kämpfen. Das ist natürlich ein alter Hut. Aber es fehlt bedauerlicherweise überall an Leuten, die ihn sich aufsetzen. Der Kampf für das Gesamtinteresse der proletarischen Bewegung bedingt, daß von uns die objektiven Interessen und Bedürfnisse des Proletariats vertreten werden - was auch in den verschiedenen Ausbildungssektoren und im Jugendbereich gilt, ausdrücklich ohne daß dadurch der Kampf auch für spezifische Interessen und Bedürfnisse ausgeschlossen ist!

Wir sehen weder die Gefahr, daß die Losungen unseres Aktionsprogramms"im luftleeren Raum" stehen bleiben, weil unklar sein soll, an wen sich unsere Losungen und Forderungen richten, noch halten wir es für ein Problem, daß der eine oder andere Zufallsleser unseres Programms die Forderung nach einer Demokratierung der Gewerkschaften "als frommen Wunsch verstehen" dürfte (wie unsere Ziele insgesamt, die unter den in der BRD gegebenen Kräfteverhältnissen fast ausnahmslos als zur Zeit nicht durchsetzbar erscheinen).

Wenn eines unserer lohnabhängigen Mitglieder - in welcher Gewerkschaft auch immer- z.B. anläßlich des Ausverkaufs der Telekom-Beschäftigten durch die Verdi-Bürokraten (Tarifabschluß mit Verlängerung der Wochenarbeitszeit bei gleichzeitiger massiver Nominallohnsenkung) nicht in der Lage sein sollte, die Notwendigkeit dieser Losung darzustellen ist bei ihm bzw. ihr Hopfen und Malz verloren. Wenn er, bzw. sie, dabei nicht in der Lage ist, die Situation in der eigenen Gewerkschaft und im eigenen Betrieb anzusprechen, um dann situationsadäquat auf seine bzw. ihre Kolleginnen und Kollegen einzugehen, nützt ihm oder ihr auch kein ausführlicheres Aktionsprogramm. Mit anderen Worten: Unsere Mitglieder sollen mit dem Aktionsprogramm flexibel und unter Nutzung ihres eigenen Kopfes umgehen. Das Programm versteht sich nicht als letztes oder gar ausschließliches Wort zu jedem Thema und schon gar nicht als eine Art buchstabengetreu zu behandelnde heilige Schrift - obgleich wir es natürlich sehr verteidigenswert finden... . Andererseits reflektiert der Umstand, daß wir diese Losung nicht umfangreich für die BRD weiter entwickelt haben (abstrakt und logisch wäre das aufgrund historischer Erfahrungen in andern Ländern auf hypothetischer Ebene möglich, wie die Liga für die 5. Internationale bei jeder Gelegenheit beweist), natürlich die aktuelle organisatorische Schwäche nicht nur der Marxistischen Initiative, sondern der marxistischen Bewegung im weitesten Sinne, einschließlich der sogenannten Gewerkschaftslinken, die bis jetzt immer noch verhältnismäßig marginalisiert ist.

Manche Leser mögen daraus ableiten, daß diese Forderung wie andere auch nur frommer Wunsch ist. Aber das sind Einwände, die gegen alle historischen Programme der sozialistischen Arbeiterbewegung hätten ebenso vorgebracht werden können - womit wir nicht behaupten wollen, daß unser Aktionsprogramm "historisch" ist (natürlich arbeiten wir daran, aber...).

2. Zur "Krise der Proletarischen Führung"

Eure Kritik an Trotzkis These, daß die jetzige Krise der menschlichen Kultur eine Krise der proletarischen Führung ist, teilen wir nicht.

Ihr unterstellt Trotzki die subjektivistisch verflachte Interpretation seiner Aussage, der viele seiner Epigonen in der trotzkistischen Nachkriegsbewegung gehuldigt haben. Diese haben das Problem des Parteiaufbaus von der realen Klassenkampfentwicklung und damit auch von der Entwicklung des realen, historisch unter konkreten Bedingungen entwickelten Klassenbewußtseins gelöst. Der Parteiaufbau erhielt bei diesen Strömungen, für die die Lambertisten ein Paradebeispiel sind, einen mystischen bzw. metaphysischen Charakter. Nicht nur die bewußtseinsmäßige Heterogenität des der Klasse wird bei ihnen ignoriert, sondern auch der durch die historischen Erfahrungen der Klasse geprägte andauernde Bewußtseinswandel. Das war Trotzki zu allen Zeiten bewußt. Er spricht deshalb im Übergangsprogramm davon, daß wir uns in einer vorrevolutionären Periode der Agitation, Propaganda und Organisierung befinden. Aus Trotzkis Diagnose im Jahre 1938 folgt also mitnichten, daß es sich Marxisten erlauben könnten, bei der Bestimmung der konkreten Aufgaben des Parteiaufbaus von der Entwicklung des Bewußtseins der Klasse im Verlauf der Klassenkampfentwicklung zu abstrahieren. Ganz im Gegenteil.

Umgekehrt bleibt es richtig, daß eine erfolgreiche soziale Revolution im Kapitalismus nur möglich ist, wenn die politische Führungskrise des Proletariats durch den Aufbau der revolutionären Partei gelöst wird - was wegen der Wechselwirkung zwischen marxistischer Organisation und Arbeiterklasse nichts an der Richtigkeit des Satzes ändert, daß eine revolutionäre Massenpartei vorrangig das Produkt der Selbstbewußtwerdung der Klasse ist und ihr Aufbau als Massenpartei nur dort gelingen kann, wo sich das Klassenbewußtsein durch die (verarbeiteten) Klassenkampferfahrungen positiv entwicklelt. Für letzteres braucht die Klasse ihre Partei. Wir dürften uns in dieser Hinsicht einig sein.

3. Zum Charakter der Epoche

Wir haben auf unserer homepage eine ganze Reihe von zum Teil auch schon älteren Artikeln, die dieses Thema aufgreifen.

Wir gehen in der Tat davon aus, daß die imperialistische Epoche die Epoche des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus ist, die Epoche der sozialistischen Weltrevolution. Trotzkis Satz im Übergangsprogramm, daß wir uns in einer vorrevolutionären Zeit der Agitation, Propaganda und Organisierung befinden, bezieht sich auf diese grundsätzliche Aktualität der sozialen Revolution in der imperialistischen Epoche, nicht nur auf eine vorrevolutionäre Lage im konjunkturellen Sinne. Die hat es übrigens auch im Jahre 1938 nichtgegeben. In Europa triumphierte der Faschismus, die Volksfronten in Frankreich und Spanien bereiteten der Reaktion den Weg, in Asien triumphierte der japanische Militarismus. Auch damals waren große Teile der internationalen Arbeiterklasse demoralisiert, desorientiert, dem Einfluß reaktionärer Ideologien erlegen und hatten ihr Vertrauen in die eigene Kraft und die sozialistische Perspektive verloren.

Deshalb sprach Trotzki ja von der Reife (sogar der Überreife) der objektiven geschichtlichen Bedingungen für die Revolution, der Unreife des Proletariats und davon, daß in dieser Situation alles von eben dieser unreifen Arbeiterklasse abhängt, d.h. in erster Linie von seiner revolutionären Vorhut. Letzteres deshalb, weil er in den klassenbewußten, d.h. den sozialistischen Kräften denjenigen Faktor sah, der allein bewußt und zielgerichtet strategisch handeln kann und nicht nur durch die Ereignisse getrieben wird. Dessen Möglichkeiten hingen wiederum notwendig davon ab, wie sich die objektive Lage der Klasse entwickelte. Das Übergangsprogramm als Ausweis der aufzubauenden Weltpartei verzichtete aus agitatorischen Gründen selbstverständlich darauf, auszuführen, daß sich der Kapitalismus nach schweren Niederlagen der Arbeiterklasse auch stabilisieren könnte. Das hat Trotzki aber an anderen Stellen getan.

Trotzkis These, daß damals die Produktivkraftentwicklung stagnierte, war trotz der von ihm in vielen Artikeln gemachten Einschränkungen mehr als fragwürdig. Nachdem die Niederlagen der Arbeiterbewegung und die Katastrophe des Weltkriegs die Voraussetzungen für einen neuen und anhaltenden Boom des Weltkapitalismus geschaffen hatten, war sie vollends unhaltbar. Das hat unserer Ansicht nach jedoch nichts an der grundsätzlichen, welthistorischen Reife der objektiven Bedingungen für die soziale Revolution geändert. Der Wirtschaftsboom machte den imperialistischen Kapitalismus weder fortschrittlich noch weniger menschheitsfeindlich. Die objektiven sozioökonomischen Bedingungen drängten die Arbeiterklasse der imperialistischen Metropolen viel seltener auf den Weg des offenen Klassenkampfs, das ist richtig. Viele Widersprüche wurden dort in dieser Phase abgemildert. Aber selbst dort gab es plötzliche Ausbrüche von Massenkämpfen (Belgien, Frankreich, Italien und schließlich noch Portugal). In der sog. Dritten Welt gab es immer noch viele Kämpfe: China, Korea, Indochina, Algerien, Kuba, Ostafrika, im südlichen Afrika, etc. Die imperialistische Epoche blieb die Epoche des welthistorischen Übergangs zum Sozialismus. Phasen der relativen Stabilisierung des Kapitalismus ändern daran nichts. Sie rechtfertigen erst recht keine Rückkehr zu Minimal- und Maximalprogramm oder gar zur Aufgabe des kommunistischen Maximalprogramms, ohne daß das Übergangsprogramm zur reformistischen Illusionsmacherei degeneriert.

4. Zu unserer innerorganisatorischen Arbeit:

Euer Eindruck, daß unsere Leitungsarbeit noch zu schwach ausgeprägt ist, können wir bedingt zustimmen. Auch wir sind der Ansicht, daß unsere Leitung personell stärker besetzt sein sollte. Aber das könnten wir ebensogut von unseren beiden örtlichen Gruppen sagen und erst recht von unseren Stützpunkten in Hamburg und Brüssel (letzterer hat, weil im Ausland, ohnehin einen faktischen Sonderstatus, weil wir den Genossen dort keine verbindlichen Vorschriften machen werden, was sie zu tun haben und was nicht).

Andererseits halten wir es grundsätzlich nicht nur nicht für erforderlich, theoretische Texte und solche über historische Fragen als kollektive Texte zu verabschieden, sondern für falsch. Die Organisation erhielte dadurch nach außen einen Sektencharakter, würde als völlig abgeschottete In-Group in Erscheinung treten. Wir streben jedoch an, Genossinnen und Genossen zum Schreiben von Artikeln und zu eigenständiger theoretischer Arbeit zu ermutigen - was dann Diskussionen (auch öffentlich geführte) keineswegs ausschließt und damit auch Offenheit gegenüber außenstehenden Linken deutlich zu machen, die wir ermutigen wollen, ihre Fähigkeiten einzubringen. Wir halten deshalb auch die Veröffentlichung von Artikeln, die im Einzelnen problematische Thesen enthalten mögen, für akzeptabel und sogar wünschenswert.

Wichtige Einzelartikel, für die einzelne Mitglieder namentlich zeichnen, sind übrigens dennoch regelmäßig intern gegengelesen.

Wir haben daher keinen Zweifel, daß es uns auch künftig gelingen wird, nach außen sichtbar Kurs zu halten.

5. Unsere Position zur Frage des Parteiaufbaus und unsere diesbezüglichen kritischen Anmerkungen zu Euren Papieren fügen wir bei.

Mit solidarischen Grüßen

Marxistische Initiative

(Leitung)