Frankreich:

Die NPA

Revolutionäre oder radikalreformistische Partei?

Von Olivier Madou[1]

Neue Antikapitalistische Partei (Nouvelle Parti Anticapitaliste — NPA) ist der provisorische Name der politischen Partei, deren Entstehungsprozeß von der Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR — Revolutionäre Kommunistische Liga) 2007 initiiert wurde. Sie verzeichnet gegenwärtig einen gewissen Erfolg in wichtigen Schichten der Arbeiterklasse Frankreichs, aber auch bei Jugendlichen. Die provisorische Führung, das Comité d’Animation Nationale (CAN — das Nationale Initiativkomitee) geht von etwa 11.500 Anhängern aus. Im Verlauf des Konstituierungsprozesses sind 400 Basiskomitees entstanden, die sich so stürmisch entwickeln, daß es vielen Mitgliedern schwer fällt, damit Schritt zuhalten.

Vom 30. Januar bis zum 1. Februar 2009 wird der Gründungskongreß stattfinden. Am 29. Januar will sich die LCR auflösen. Wir halten es in dieser aktuellen, von einer tiefen Krise des Kapitalismus gekennzeichneten Situation für wichtig, diesen dynamischen Gründungsprozeß einer neuen Partei zu beleuchten, die sich zum Antikapitalismus bekennt … aber nicht zur Revolution und noch weniger zum Kommunismus. Das ist der Zusammenhang, in dem wir unsere Beiträge zu einer politischen Debatte über das Wesen der neuen Partei einbringen: Wird sie eine revolutionäre oder radikalreformistische Partei?

Um die Sache nicht unnötig kompliziert zu machen, werden wir die häufig verwandten Begriffe “links” und “extrem links” benutzen, obwohl sie keine präzisen (und marxistischen) politischen Charakterisierungen ermöglichen. Sie sind bloße Etikettierungen, die keinesfalls eine genaue Prüfung der in Frage stehenden politischen Positionen entbehrlich machen, wenn festgestellt werden soll, ob die jeweiligen Inhalte der Verpackung entsprechen.

Zur Vorgeschichte der NPA

Es ist gut 15 Jahre her, seitdem es der französischen extremen Linken gelang, auf der Ebene der Wahlen einen Durchbruch zu erzielen, insbesondere bei der Wahl aller Wahlen der Fünften Republik, der Präsidentschaftswahl. Der Durchbruch der extremen Linken auf dieser Ebene hatte mehrere Gründe, deren wichtigster die starke Kampfbereitschaft der französischen Arbeiterklasse auf dem Terrain des elementaren Klassenkampfs ist und nicht zuletzt die gleichzeitige Zersplitterung auf der Wahlebene. Dazu kam die bis dahin nicht gekannte Krise des Reformismus und seiner beiden Hauptparteien, der PS (Sozialistische Partei und der PCF (Kommunistische Partei Frankreichs) im Zusammenhang mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion.

Vor diesem Hintergrund erreichte die Kandidatin von Lutte Ouvrière (LO — Arbeiterkampf), Arlette Laguiller, 1995 bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen 5,3 %, das waren 1,5 Millionen Stimmen. Nach diesem in Europa bis dahin einzigartigen Erfolg für eine Partei, die sich auf die Revolution und den Trotzkismus berief, sollte die Führung von LO die Idee des Aufbaus einer neuen Arbeiterpartei lancieren. Aber die Führung von LO ließ diese Perspektive sehr schnell wieder fallen, die sie dann als rein propagandistisch und als Losung ohne wirklichen politischen Gehalt bezeichnete. Diese folgenschwere Rückzugsentscheidung zu einem Zeitpunkt, zu dem die Bewegung gegen Rentenkürzungen von 1995 die Nasenspitze in diese Richtung lenkte, provozierte heftige Debatten innerhalb dieser Organisation.

Im März 1997 beendete die Führung von LO diese Debatte auf bürokratische Weise, indem sie die Gruppen in Bordeaux und Rouen sowie Mitglieder, die sich mit diesen solidarisierten, ausschloß. Diese Genossen, die ihrer Organisation zu Recht deren sektiererischen Kurs vorwarfen, organisierten sich kurz danach als eigenständige Organisation, Voix des Travailleurs (VdT — Stimme der Arbeiter). Diese mehrere hundert Mitglieder umfassende Gruppe schloß sich im Jahre 2000 der LCR an. Sie organisierte sich dort als interne Strömung der LCR unter dem Namen Démocratie Révolutionnaire. Diese Tendenz, die eine starke Arbeiterbasis hat, konzentrierte ihre Aktivität auf die Achse des Aufbaus einer neuen revolutionären Partei oder vielmehr einer neuen Arbeiterpartei.

Im Jahre 2002, 5 Jahre nach dem Sieg der PS und der PCF bei den Parlamentswahlen 1997 und der Bildung einer Regierung der pluralistischen Linken unter der Präsidentschaft von Chirac, erlitt Lionel Jospin in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl eine verheerende Niederlage. Er erhielt damit die Quittung für die loyale und die Interessen des französischen Kapitals gewissenhaft ausführende Verwaltung der Regierungsgeschäfte. Ebenso erlebte der kommunistische Kandidat Robert Hue ein Debakel, während die drei Kandidaten der extremen Linken (LO, LCR und, zu einem geringeren Teil die PT (Parti des Travailleurs) einen Durchbruch verzeichneten. Auf diese drei Organisationen, die sich im Gegensatz zu den reformistischen Programmen von PS und PCF zum “Klassenkampf” bekannten, entfielen fast drei Millionen Stimmen (ungefähr 10,4 %). In der zweiten Wahlrunde standen sich nur zwei Kandidaten der Bourgeoisie gegenüber: Der scheidende Präsident Chirac und sein extrem rechter Konkurrent Jean Marie Le Pen. Im Namen des Antifaschismus und wegen einer angeblich drohenden Faschisierung wich die Führung der LCR vor einer massiven Kampagne der bürgerlichen Medien, der PS, der PCF und der Gewerkschaftsführungen zurück und rief dazu auf, den Kandidaten der FN (Front Nationale) “auf der Straße und an der Wahlurne zu schlagen”. Im Klartext: Sie rief dazu auf, Chirac zu wählen. Das Resultat ist bekannt: Ein Plebiszit von 82 % für den Kandidaten des Großkapitals.

Nichtsdestotrotz kennt die gesellschaftliche und politische Situation Frankreichs in diesen Jahren keine Atempause. Ganz im Gegenteil. 2003 gab es große Streikbewegungen, die mit einer Niederlage der Arbeiterklasse und der Lehrer endeten; bei den Regionalwahlen 2004 wurden den bürgerlichen Parteien die Hosen ausgezogen; im Referendum über den europäischen Verfassungsvertrag trug das NEIN einen überwältigenden Sieg davon; die Revolten in den Vorstädten; die Siege, die die Studenten und die Arbeiterklasse auf der Straße in der Bewegung gegen die CPE[2] errangen, etc etc. Die extreme Linke und hier besonders die LCR, die von ihrem Sprecher Olivier Besancenot repräsentiert wurde, war Nutznießerin dieser Entwicklung. Sie verdoppelte ihre Mitgliederzahl (von 1500 auf 3000). Es gelang ihr aber organisatorisch kein qualitativer Entwicklungssprung. In dieser Zeit, 2003, auf ihrem 15. Kongreß, warf die LCR das Bekenntnis zum Kampf für die Diktatur des Proletariats als Ballast ab und sagte sich damit vom Kampf der Arbeiter der Pariser Kommune wie dem der Bolschewiki los.

Das Überbordwerfen dieses ideologischen “Ballasts” - die Strömung des Pablismus[3] hat den Hang zu solchen Aktionen im Verlauf ihrer geschichtlichen Entwicklung wiederholt an den Tag gelegt — hinderte den Kandidaten der LCR aber nicht daran, einen wichtigen politischen Erfolg bei der Präsidentschaftswahl zu erringen. Er errang nach einer enormen Vielzahl von Wahlveranstaltungen im Jahre 2007 4,1 % bzw. 1.600.000 Stimmen. Danach setzte sich in der LCR die Idee der Schaffung einer neuen antikapitalistischen Partei durch.

Unabhängig davon gelang es zur selben Zeit auch in anderen europäischen Ländern antikapitalistische Parteien aufzubauen: In Portugal den Linken Block, in Deutschland Die Linke, in den Niederlanden die Sozialistische Partei, etc. Im Sommer 2007 setzte die Führung der LCR den Gründungsprozeß der NPA in Gang und rief zur Schaffung von Basisgruppen auf. Von der Mehrzahl ihrer internen Strömungen wurde sie dabei unterstützt, mit Ausnahme der “rechten” Tendenz der Ligue, die von Picquet[4] geführt wird. Die LCR war damals der Ansicht, daß die neue Partei sowohl in den gesellschaftlichen Kämpfen wie bei Wahlen ein antikapitalistisches Programm verteidigen sollte. Sie sollte danach nach Auffassung ihrer Initiatoren eine strikte Unabhängigkeit von der SP wahren und jede Verwaltung von Institutionen gemeinsam mit ihr ablehnen und ihre Aktivitäten stattdessen auf den “Klassenkampf” und die gesellschaftlichen und politischen Mobilisierungen konzentrieren. Dazu sollte sie Verbindungen zu allen internationalen Organisationen knüpfen, die gleichartige Perspektiven verteidigen.

Ab Oktober 2007 organisiert die LCR in Städten, Betrieben und Universitäten öffentliche Versammlungen, um die praktischen Modalitäten zu diskutieren, die sich bei der Schaffung dieser neuen Partei ergeben. Diese Versammlungen, an denen einfache Arbeiter, Jugendliche, kämpferische Gewerkschaftsgruppen und diverse politische Gruppen mit revolutionärem oder reformistischem Anspruch teilnahmen, wurden ein großer Erfolg.

Es ist dabei festzustellen, daß sich das Projekt der NPA zu diesem Zeitpunkt in einer Mehrzahl von Punkten vom Projekt einer “ offenen antikapitalistischen Partei” der neunziger Jahre unterscheidet, das die Ligue damals schon propagiert hatte und mit dem sie seinerzeit Ökologen, kommunistische Wiedergründer[5] (die Episode der bekannten Komitees von Juquin in den Jahren 1988-90), die Selbsthilfebewegung, etc. sammeln wollte. Das Projekt der NPA ist vom Ansatz her linker ausgerichtet, was wohl der neuen politischen und gesellschaftlichen Lage geschuldet ist.

Hervorzuheben ist, daß die LCR der Hauptmotor des Aufbaus dieser neuen Partei ist. Sie will sich jedoch mit der neuen Partei verschmelzen und sich in ihr auflösen ohne in Form einer organisierten Strömung ihre Unabhängigkeit zu bewahren. Die LCR-Mitglieder bleiben aber Einzelmitglieder des Vereinigten Sekretariats der IV. Internationale … was denn doch wieder die Frage aufwirft, ob denn die anderen politischen Strömungen in der NPA in der einen oder anderen Weise ihren organisatorischen Zusammenhalt bewahren (das Recht zur Bildung von Tendenzen wird in den verschiedenen politischen Texten der NPA recht stiefmütterlich behandelt).

Francois Sabado, einer wichtigsten politischen und theoretischen Führer der LCR, formuliert dazu:

“Die Ex-LCR wird die einzige landesweit vertretene Organisation sein, die sich an der Gründung der NPA beteiligt. Es gibt daneben andere Strömungen wie die Fraktion von LO, die GR, kommunistische Genossen, Libertäre, aber es gibt unglücklicherweise keine andere Organisation mit dem Gewicht der LCR. Wäre das der Fall, würde sich das Problem ganz anders stellen. Bei den gegebenen Kräfteverhältnissen würde die Aufrechterhaltung einer gesonderten Organisation der Ex-LCR in der NPA den Aufbauprozeß der neuen Partei blockieren. Es würde ein System vergleichbar mit den russischen Matrjoschka-Puppen geschaffen, das nur das Mißtrauen schüren würde und dysfunktional wäre.” [6]

Tatsächlich erinnern die organisatorischen Praktiken der NPA in nicht unerheblichem Maße an die der LCR. Lutte Ouvrière (LO) hat es seinerseits sehr schnell abgelehnt, an diesem Prozeß des Aufbaus der neuen Partei teilzunehmen und ihr unter anderem vorgeworfen, das Terrain der Revolution, des Marxismus, des Trotzkismus und des Kommunismus zu verlassen.

“So sehr LO die Schaffung einer neuen radikal linken Partei mit Wohlwollen sieht, so sehr lehnen wir es ab, den Marxismus, den Leninismus, den Trotzkismus über Bord zu werfen - und sei es nur durch Verschweigen — nur, um neue Mitglieder zu gewinnen, die mit allen möglichen Sichtweisen kommen, nur nicht marxistischen leninistischen oder trotzkistischen. Wir haben bei dieser Unterredung gesagt, daß wir diese künftige Partei, wenn sie sich denn konstituiert, als eine Partei ansehen, die auf einer reformistischen Grundlage geschaffen wird. Die Radikalität ändert daran nichts. Das ist nicht die Art von Partei, die wir wollen.”[7]

Weiter heißt es, daß diese Partei nicht besseres wäre als eine künftige Parti Socialiste Unifié (PSU — Vereinigte Sozialistische Partei[8]).

Gleichzeitig haben sehr schnell kleine politische Gruppen mehr oder weniger intensiv am Gründungsprozeß teilgenommen, so die “Gauche Révolutionnaire” (GR — Revolutionäre Linke[9]), die “Fraktion L’Etincelle von LO” (Der Funke)[10], die “Groupe Communiste Révolutionnaire Internationaliste” (CRI), deren Mitglieder in Paris und Valence aus der NPA ausgeschlossen wurden[11]; das “Collectif Prométhée”, die Redakteure der Zeitschrift “Carré Rouge” (Chesnai, Bonin, etc.), die Anarchisten von “Alternatives Libertaires”, ein Teil der “Communistes Unitaires” der PCF, darunter Clémentine Autain (aber letztere gründeten dann am 13. Dezember 2008 inmitten des Kongresses der PCF eine neue Gruppierung …. Aber es nahmen auch Gruppen teil, die sich nicht als Teil der Arbeiterbewegung sehen, so “Les Alternatifs” (eine Gruppe, die größtenteils aus dem Zusammenbruch der PSU 1989 hervorgegangen ist), attac-Anhänger (“eine andere Welt ist möglich”), Anhänger eines Nullwachstums (so in Lyon), Sozialökologen, Mitglieder anti-neoliberaler Gruppen….

Das CAN (Nationales Initiativkomitee) spiegelt diesen Prozeß und das wirkliche Gewicht dieser Kräfte teilweise wider: Repräsentanten verschiedener Basisgruppen sind Teil dieser provisorischen politischen Führung, ebenso wie das gesamte Politbüro der LCR, zwei Mitglieder der Fraktion Etincelle von LO und eines der Gauche Révolutionnaire.

Die politischen Konturen der NPA

Es ist nicht zu bestreiten, daß die politische Initiative der Führung der LCR bei einem Teil der werktätigen Bevölkerung und der Jugend ein starkes Echo gefunden hat. Der momentane Erfolg des Aufbaus der NPA legt davon Zeugnis ab. So weit, so gut Einem wichtigen Teil der Mitglieder der LCR macht das Probleme. Während die Ideen der sozialen Revolution seit einigen Jahren wieder an Aktualität gewonnen haben und ganz besonders seit dem Ausbruch der jetzigen Finanz- und Wirtschaftskrise, haben die Führer der LCR von Anfang an auf eine breitangelegte Partei orientiert. Für sich selbst genommen, ist daran nichts Skandalöses.

Aber es befremdet, daß die Formulierungen im Beitrag der LCR zur Versammlung der Basiskomitees vom 28. und 29. Juni 2008 nicht vom “Sturz des Kapitalismus”, sondern nur vom “Bruch mit dem Kapitalismus” sprechen. Ebenso ist nicht die Rede von einer “sozialen Revolution” und auch nicht von der “Eroberung der politischen Macht”, sondern nur vom “revolutionären Umbau der Gesellschaft”.

Dieser Diskurs nach Art von Robert Hue (aus jener Zeit, die diesem so am Herzen liegt, der Periode der Mutation der PCF) verschleiert, worum es geht, nämlich, der künftigen Partei einen revolutionären proletarischen Charakter zu geben. Viel zu viele Texte sind mit Absicht mehrdeutig — unter dem Vorwand, eine breite Sammlung zu ermöglichen. Andererseits ist klar, daß die Führung der LCR darauf aus ist, von Ökologen bis zu Marxisten alles mögliche zusammenzukratzen und dafür bereit ist, auch die letzten Verbindungen zum Trotzkismus zu kappen, die sie noch hatte. Das alles ist nicht neu und im Gegensatz zur Fraktion L’Etincelle von LO oder der Gauche Révolutionnaire haben wir das nicht erst jetzt entdeckt.

Tatsächlich haben die LCR und ihre internationale Strömung, das Vereinigte Sekretariat der IV. Internationale, diesen politischen Kurs schon sehr lange verfolgt, der sie immer weiter weg vom Trotzkismus und der sozialistischen Revolution geführt hat.[12] In gleicher Weise wird auch im Text “Grundlegende Prinzipien” von der NPA weder von einer Partei der Arbeiterklasse gesprochen, noch von einer revolutionären bzw. kommunistischen Partei. Andere Gruppen oder Basisgenossen der NPA sprechen sich hingegen klar für ein marxistisches und revolutionäres Selbstverständnis dieser Partei aus (Die Fraktion l’Etincelle, die Gauch Révolutionnaire, die Gruppe CRI, das Collectif Prométhée …).

Hunderte von Abänderungsanträgen zeugen von der Suche nach einem revolutionären, marxistischen Kurs. Die Frage ist, welches Gewicht sie im politischen Kampf haben werden, der zwischen den Befürwortern eines Radikalreformismus — im wesentlichen gruppiert um die Führung der LCR - und den Befürwortern einer marxistischen Linie geführt wird. Die direkte und praktische Folge dieser politischen Wahl ist, daß die NPA dabei ist, ihre Organisation im wesentlichen und in erster Linie nach geographischen Gesichtspunkten aufzubauen. Auch daran, der Sammlung von Arbeitern nach territorialen Kriterien, ist nichts, was a priori schockierend wäre. Aber gleichzeitig bedeutet das, daß die künftige Partei nicht oder nur in zweiter Linie im Herzen der Klasse aufgebaut wird, in den Betrieben (obwohl die NPA durch einige Genossen der LCR und Ex-LO-Genossen in Industriezentren oder Betrieben verankert ist und über zahlreiche Verbindungen in die Gewerkschaften verfügt).

Tatsächlich gibt es sehr wenige Bereichs- oder Betriebsgruppen und es besteht ein erhebliches Risiko, daß die NPA letztlich keine wirkliche Arbeiterpartei sein wird. Die ersten Zahlen, die das CAN der NPA anläßlich des 2. Nationalen Koordinationstreffens am 8. und 9.11.2008 bekanntgegeben hat, sagen in dieser Hinsicht einiges aus. Die NPA ist sicherlich eine Partei, die viele Arbeiter angezogen hat, aber ihre soziale Basis ähnelt sehr derjenigen der jetzigen LCR und in gewisser Weise jener der Parti Socialiste (PS) der 80-er Jahre:


Statistik der NPA vom 8./9.11.2008

11180 versandte Fragebögen, die an 400 Basisgruppen in insgesamt 94 Departements versandt wurden. 2347 Fragebögen wurden zurückgesandt und ausgewertet.

Das Durchschnittsalter beträgt 44 Jahre.

63 % sind Männer. 37 % Frauen.

58 % arbeiten im öffentlichen Dienst, 42 % im privaten Sektor oder als Freiberufler.

18 % arbeiten im Bildungssektor (Grundschullehrer, Gymnasiallehrer, hochschullehrer);

13 % sind Rentner, 7,5 % sind Schüler oder Studenten, 4 % sind arbeitslos, 2 % sind Krankenschwestern, 2,1 % arbeiten bei der Post, 3,3 % arbeiten im Kulturbetrieb.


Noch grundlegender ist, daß die künftige NPA aus der Sicht der Führer der LCR vor allem (und ausschließlich) eine Partei der sozialen Kämpfe sein soll, d.h. eine radikale reformistische Partei … und auf keinen Fall eine Partei, die sich um die konkreten Fragen der Zentralisierung der Arbeiterklasse und der Jugend gegen die Regierung der Kapitalisten bemüht, um die Eroberung der politischen Macht durch die Arbeiterklasse, um die Frage einer Arbeiterregierung und der praktischen Antwort darauf, der Taktik der Einheitsfront, die verwirklicht werden muß, wenn die Macht erobert werden soll, wenn die Revolution als ständiges Ziel angestrebt wird. Auch vom Übergangsprogramm auf dem Weg zum Sozialismus etc. ist nicht die Rede. Kein programmatischer Text der künftigen Partei befaßt sich mit diesen wesentlichen Fragen. Das ist nach unserer Ansicht der wichtigste politische Charakterzug für die Beurteilung der jetzigen Etappe des Aufbaus der NPA.

Die NPA:

Eine radikalreformistische Partei angesichts der Herausforderungen der Klassenkämpfe

Die NPA ist bei weitem nicht die revolutionäre Arbeiterpartei, nach der Tausende von Arbeitern und Jugendlichen suchen und die in der jetzigen Krise des Kapitalismus gebraucht wird. Ihre “Allgemeine Resolution über die politische und gesellschaftliche Lage” - der provisorische Orientierungstext der NPA, der am 8./9.11.,2008 verabschiedet wurde, ist in dieser Hinsicht eindeutig.

Dementsprechend heißt es:

“Die Partei, die wir aufbauen, ist eine Partei für die Kämpfe. In diesem politischen und gesellschaftlichen Kontext, tragen wir eine besondere Verantwortung und müssen angesichts der Krise zeigen, daß es eine Linke gibt, die Widerstand leistet, eine Linke, die Vorschläge macht. Abgesehen von Einheitsinitiativen gegenüber der Gesamtheit der gesellschaftlichen und politischen Linken müssen wir daher in den kommenden Monaten eigenständige Kampagnen der NPA entwickeln, z.B.

  • für Arbeit, insbesondere für das Verbot von Entlassungen und für die Entwicklung öffentlicher Dienstleistungen
  • für eine Umverteilung des Reichtums, für die Erhöhung der Löhne und Renten, für die Erhöhung der Kaufkraft.

Zu den Gewerkschaften kein Wort. Die Ausverkaufspolitik der Apparate wird mit keinem Wort kritisiert und noch viel weniger bekämpft. Mehr noch: nach diesem Programm sind die Gewerkschaftsführungen indifferent…. Das ist politisch falsch — erinnert sei nur an den Verrat der Führung der CGT während des Eisenbahnerstreiks 2007. Vergessen wird die politische Kritik an den isolierten Aktionstagen, die politische Kritik an den Spitzengesprächen und den Spitzenabkommen zur Verteidigung des französischen Kapitalismus sowie an der Akzeptanz der bürgerlichen Krisenerklärungen. Mehr noch: In der FSU[13] führen die Genossen der LCR/NPA, die sich in der Gewerkschaftstendenz “Ecole Emancipée” (Emanzipierte Schule) organisiert haben, gemeinsam mit der Gewerkschaftstendenz der PCF, “Unité et Action”, die Gewerkschaft und unterstützen offen die Linie der Verhandlungen mit der Regierung über deren Reformen sowie der Aktionstage.

Zusammengefaßt haben die vorgelegten Texte einen ausgesprochen reformistischen Charakter. Es fehlt die Perspektive der Einheitsfront, die es Arbeitern und Jugendlichen ermöglicht, schon heute offen für die Einheit der Arbeiterorganisationen und für einen Generalstreik zu kämpfen, mit dem Sarkozy und seine Regierung gestürzt werden können.

Im Gegensatz zu dieser Perspektive der politischen Zuspitzung der Kämpfe der Arbeiterklasse gegen die Regierung der Kapitalisten spricht die NPA nur allgemein von Kämpfen. Die Eroberung der Macht steht bei ihr nicht im Zentrum ihrer Politik, ebensowenig der Kampf für eine Arbeiterregierung, die mit aller Entschlossenheit dem Kapitalismus zu Leibe rückt, um den Weg des Aufbaus des Sozialismus zu beschreiten. Von der Notwendigkeit der Diktatur des Proletariats als Vorbedingung für eine erfolgreiche Durchsetzung dieses politischen Ziels ist nirgends die Rede, etc. etc.

Was der künftigen Partei am meisten fehlt, ist, daß es trotz ihrer beträchtlichen Attraktivität bei Arbeitern noch nicht gelungen ist, einen Durchbruch in das Innere der Arbeiterklasse zu erzielen. Das Nichtvorhandensein einer wirklich revolutionären Perspektive ist ein Mangel, den die Arbeiterklasse und die Jugend dieses Landes schrecklich deutlich spürt. Dieses Versäumnis überläßt denjenigen Kräften das freie Feld, die mit tausenderlei Tricks und Manövern daran arbeiten, daß Sarkozy an der Macht bleibt und dafür sorgen kann, daß die Kapitalisten diese Gesellschaft weiter in ihrem Interesse führen können. Die Jugend, die Basisaktivisten, Gruppen und Organisationen, die bereit sind, für den Sturz des Kapitalismus zu kämpfen, müssen sich zusammenschließen und sammeln, um gemeinsam eine revolutionäre Partei aufzubauen. Die NPA ist nicht diese Partei, aber in ihr haben sich (alte und neue) Genossen zusammengefunden, die ehrlichen Herzens eine solche revolutionäre Partei aufbauen wollen. In diesem Sinne ist es wichtig, mit der Gesamtheit dieser Genossen und Arbeiter der NPA und mit denen, die ihr nahestehen, vom marxistischen Standpunkt aus die Debatte zu führen, innerhalb wie außerhalb der NPA.

Provisorische Schlußfolgerung

Auch, wenn die Führer der NPA ganz überwiegend einer Strömung entstammen, die sich längere Zeit zur Revolution, zum Leninismus und Trotzkismus bekannt hat, ist es nicht überraschend, daß die in Gründung befindliche NPA nicht die revolutionäre Arbeiterpartei ist. Nach dem Vorbild der neuen europäischen Linksparteien (dem portugiesischen Linken Block, der Sozialistischen Partei Hollands, der Partei “Die Linke”, der Koalition der griechischen Linken, etc) ist die NPA eine reformistische Partei, die sich zum Ziel gesetzt hat, das nach der Krise der PS und PCF entstandene politische Vakuum auszufüllen. Sie ist in Frankreich nicht die einzige Kraft, die versucht, in diese Bresche einzudringen. Mélenchon mit seiner Linkspartei versucht dasselbe.

Je mehr sich die Krise des Kapitalismus verschärft, um so offener unterstützen die PS und die PCF die französische Bourgeoisie und ihre Regierung. Damit geraten sie selbst immer tiefer in die Krise und hinterlassen ein politisches Vakuum. Dieses Vakuum müßte von einer revolutionären Partei gefüllt werden, die für die Eroberung der Macht durch die Arbeiterklasse kämpft, für eine Arbeiterregierung, für den Sozialismus. Aber eine solche Partei existiert noch nicht. Angesichts dessen kann die NPA dank ihres radikalen Scheins, der von den Hollande, Royal, Aubry[14] oder Buffet[15] grell absticht, einen wichtigen Teil der Arbeitervorhut und der Jugend anziehen, der, wie unsicher auch immer, auf der Suche nach einer wirklich revolutionären Partei ist. Unglücklicherweise entspricht der Gehalt der NPA nicht der Verpackung.

Der Aufbau einer wirklich revolutionären Arbeiterpartei, der die entscheidende Herausforderung für den Sieg der Revolution bleibt, verläuft über die Konfrontation der Orientierung der NPA und jener der Revolutionäre.

6. Dezember 2008

Übersetzung: Dieter Wilhelmi


[1]Der Beitrag ist eine Übersetzung aus der Zeitschrift “Combattre pour en finir avec le capitalisme”, herausgegeben von der Organisation Comité Communiste Internationaliste (Trotskyste ) CCI(T) - Internationalistisches Kommunistisches Komitee (Trotzkistisch).
[2]CPE - “Vertrag zur Ersteinstellung” war Teil eines neuen Arbeitsgesetzes, mit welchem ein weiterer Typus von Arbeitsverträgen in Frankreich eingeführt werden sollte. Das Gesetz wurde am 10. Februar 2006 von der Nationalversammlung ratifiziert und unter dem Druck eines landesweiten Schüler- und Studentenprotestes am 7. April von der Regierung zurückgezogen. Am 16. Januar 2006 hatte der Premierminister Dominique de Villepin das Gesetz angekündigt. Dieser Vertrag wäre anwendbar auf Arbeitnehmer unter 26 Jahren in Unternehmen mit mehr als 20 Mitarbeitern gewesen. Während der ersten zwei Jahre des Arbeitsverhältnisses hätte der Angestellte ohne Begründung und ohne Vorwarnung entlassen werden dürfen.
[3]Benannt nach Michel Pablo, einem Führer der IV. Internationale nach dem 2. Weltkrieg und nach der Spaltung der IV. Internationale 1952/53 einer der Führer des Internationalen Sekretariats der IV. Internationale.
[4]Diese Tendenz will ein breiteres Bündnis, das alle Parteien links der PS umfaßt. Sie wurde auf der Gründungskonferenz der NPA von einem Sechstel der Delegierten unterstützt.
[5]Eine Strömung der PCF
[6]Critique Communiste No. 187, 2008
[7]Lutte de Classe, No. 111, avril 2008
[8]Eine rechtszentristische französische Partei, die am 3. April 1960 gegründet wurde und sich 1989 selbst auflöste. Hervor ging die PSU aus einer Fusion der Parti socialiste autonome (PSA), einer Abspaltung der Section française de l'Internationale ouvrière (SFIO), der Union de la gauche socialiste (UGS) sowie einer Splittergruppe der Kommunistischen Partei Frankreichs, die sich um das Journal Tribune du Communisme gesammelt hatte. 1965 unterstützte die PSU zusammen mit allen anderen Parteien des linken Spektrums die Präsidentschaftskandidatur François Mitterrands. Zu den Präsidentschaftswahlen 1969 trat die PSU erstmals mit einem eigenen Kandidaten an, ihrem Vorsitzenden Michel Rocard, und erreichte mit Forderungen nach kollektiver Selbstverwaltung in der ersten Runde 3,61% der Stimmen, gleichzeitig das höchste Ergebnis, das von der PSU je bei Präsidentschaftswahlen erzielt werden konnte. 1974 unterstützte die PSU eine erneute Kandidatur François Mitterrands. Als im Oktober 1974 Michel Rocard den Antrag stellte, die PSU an die Parti Socialiste Français (PS) anzugliedern, führte dies zu heftigen Kontroversen. Nach verlorener Abstimmung verließen Michel Rocard und mit ihm zahlreiche Mitglieder die PSU und traten der PS bei. 1981 erhielt die PSU-Kandidatin Huguette Bouchardeau 1,1% der Stimmen im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen. 1988 konnte Pierre Juquin, der zuvor aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen worden war und dessen Präsidentschaftskandidatur unter anderem von der PSU unterstützt wurde, 2,1% der Stimmen auf sich vereinen.
[9]Diese ist Mitglied des Komitees für eine Arbeiterinternationale, dem in der BRD die SAV angehört.
[10]Die Fraktion wurde Anfang 2008 aus der LO ausgeschlossen, wohl hauptsächlich, weil sie am Gründungsprozeß der NPA teilnahm.
[11]Die Gruppe CRI hat inzwischen ihre Auflösung bekanntgegeben und dazu aufgerufen, in die NPA einzutreten und dort die Tendenz Claire zu unterstützen.
[12]Siehe den Artikel “Après son 15e congrès, ou va la LCR?” In: Bulletin Combattre Pour le Socialisme de la Fraction Publique du CPS no. 4 de mai 2004.
[13]Fédération Syndicale Unitaire, die größte Gewerkschaft der Lehrerschaft und des öffentlichen Dienstes in Frankreich
[14]Die vorstehenden Politiker gehören der PS an.
[15]Die Generalsekretärin der PCF.