Tunesien in Aufruhr!

Die Revolution marschiert!

Die Flamme der Revolution hat Tunesien erfaßt. Es begann am 17. Dezember mit einer Selbstverbrennung Mohamed Bouazizis, einem der vielen arbeitslosen Jungakademiker, vor einer Regierungsbehörde. Er schritt zur Verzweiflungstat, nachdem ihm auch noch die Gewerbeerlaubnis für einen Gemüsehandel verweigert worden war. Seine Tat fachte die Wut der Jugend an. Sie litt besonders under den steigenden Lebensmittelpreisen, der Repression und der Arbeitslosigeit. Fast jeder 2. Jugendliche ist arbeitslos. Und Besserung war nicht in Sicht…

Von der Stadt Sidi Bouzid breitete sich der Protest über das ganze Land aus. Am 8. Januar hatte die Revolte die Hauptstadt ergriffen. Die Repression, Tränengas, brutale Schlägereinsätze, Massenverhaftungen, schließlich Schüsse der Polizei und des Geheimdienstes der Diktatur Ben Ali blieben wirkungslos. Die Toten vergrößerten die Wut. Nach den Arbeitslosen beteiligten sich Gewerkschafter und Kleinhändler an der Revolte. Die Führung des tunesischen Gewerkschaftsbundes wurde durch den Druck ihrer Basis zur Beteiligung am Widerstand getrieben. Die Massen entwickelten Selbstvertrauen. Sie begannen ihre Macht zu spüren. Ausgehend von sozialen Forderungen formulierten sie immer weitergehende politische Ziele.

Nach Wochen immer breiter werdender Proteste begann das Regime zurückzuweichen. Ben Ali, der die Repression zunächst verteidigt hatte und von “Terroristen” gesprochen hatte, versprach, die Preiserhöhungen für Lebensmittel zu senken. Er schloß die Schulen und Universitäten.

Am 12. Januar entließ er den Innenminister und kündigte die Freilassung der Inhaftierten an.

Obwohl jeder Tunesier weiß, daß Ben Alis Familie in dieser Hinsicht alle Rekorde brach, kündigte er an, eine Ad hoc-Kommission solle die wuchernde Korruption untersuchen. Die Regierung werde zudem ein Sonderprogramm zur schnellen Schaffung von 300.000 Arbeitsplätzen aufllegen.

Danach versprach er Pressefreiheit, eine Vertiefung der Demokratie, weitgehende Reformen und kündigte den Verzicht auf eine Wiederwahl 2014 an. Als die Gärung in der Armee wegen der Dutzenden von Toten auf den Straßen unübersehbar wurde, als Soldaten begannen, sich mit Demonstranten zu verbrüdern und diese in einigen Fällen vor der Polizei beschützten, befahl er der Polizei, den Schußwaffengebrauch einzustellen.

Am 14. Januar fand ein zweistündiger Generalstreik statt. Tausende belagerten das Innenministerium, dessen Dach besetzt wurde und von überall wurde der Ruf nach Ben Alis Sturz laut. Ben Ali löste die Regierung und sein Parlament auf. Nichts half. Ben Ali trat zurück und floh. Die revolutionäre Bewegung der Massen hatte ihren ersten großen Sieg errungen.

Revolution ist ansteckend

Der Funke der tunesischen Revolution droht auf den gesamten arabischen Raum überzuspringen. Ob in Marokko, Algerien, Ägypten oder Jordanien — die Probleme der Massen sind überall die dieselben: extreme Arbeitslosigkeit, nicht zuletzt Jugendarbeitslosigkeit, die wirtschaftliche Marginalisierung immer größerer Teile der Bevölkerung, extreme Korruption und die brutale Repression durch Geheimdienste und Polizei heizen die Stimmung an. Überall greifen die von den imperialistischen Medien als “gemäßigt” bezeichneten Diktaturen zu immer repressiveren Maßnahmen, um als willige Kollaborateure und Marionetten des Imperialismus gemeinsam mit diesem ihre Staaten weiter ausplündern zu können. Libyen, Marokko und Jordanien kündigten jetzt plötzlich die Senkung der Lebensmittelpreise an. Die pro-westlichen Diktatoren sind mehr als beunruhigt. Beispielhaft zitiert sei eine Fernsehansprache Ghadafis:

“Tunesien lebt jetzt in Angst. Familien könnten jetzt in ihren Schlafzimmern überfallen und abgeschlachtet werden, Bürger auf den Straßen ermordet als wenn es die bolschewistische oder amerikanische Revolution wäre.”

Bereits seit einiger Zeit sind in Algerien und Jordanien viele lokale Proteste aufgeflackert. In Algerien forderten Demonstranten die Senkung der Preise für Zucker, Mehl und Milch. Bei der Niederschlagung der Proteste starben auch dort Menschen. In Jordanien riefen Demonstranten einen Tag der Wut aus. In Amman, Maan, Karak, Salt, Irbid und weiteren Städten wurde der Rücktritt der Regierung gefordert. Dort ebenso wie in Kairo wurden Plakate hochgehalten mit der jeweiligen Kilometerangabe bis Djidda, dem Zufluchtsort von Ben Ali. In Jordanien wurde Ben Ali in Sprechchören aufgefordert, sein Fluchtflugzeug zu schicken, um den jordanischen Regierungschef abzuholen. In Kairo hieß es: “Wir sind die nächsten, wie sind die nächsten. Ben Ali, sag Mubarak, er ist der Nächste!” Die arabischen Massen ersehnen den Sturz aller Monarchen und Diktatoren. Sie schauen weiter nach Tunis.

Imperialistische Feuerlöscher und ihre Taktiken

Das Regime Ben Alis war ein Darling des Imperialismus, allen voran des französischen, der ehemaligen Kolonialmacht. Sarkozy bescheinigte Tunesien 2008 bei einem Staatsbesuch eine Vorkämpferrolle für universelle Menschenrechte und grundlegende Freiheiten. Noch wenige Tage vor seinem Sturz wurde Ben Ali vom französischen Außenministerium Polizei- und Militärhilfe angeboten, um wieder für die imperialistische Ruhe und Ordnung zu sorgen.

Die BRD, mit den meisten Parteistiftungen in Tunis vertreten , rühmt sich seit Jahren der für sie fruchtbaren wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Deutschland ist der drittgrößte Handelspartner Tunesiens. Deutsche Unternehmen haben 370 Millionen Euro Direktinvestitionen geleistet. Die deutsche Botschaft in Tunis rühmt sich der engen Zusammenarbeit auf wirtschaftlichem und militärischem Gebiet. Die von der SPD dominierte Sozialistische Internationale schloß die Partei Ben Alis dementsprechend erst nach dessen Sturz aus. Bis dahin war Ben Ali ein williger Partner für die BRD, die EU und den Aufbau der Festung Europa sowie der Sicherung ihres Vorfeldes gegen afrikanische Immigranten. Die westlichen Medien spielten mit. Lange, bis nichts mehr zu verbergen war, wurden die tunesischen Ereignisse totgeschwiegen.

Obama, der, wie die wikileaks-Veröffentlichungen beweisen, voll über die Lage informiert war, zeigte sich erst vorsichtig besorgt, als die brutale Repression via Internet ins Bewußtsein der Weltöffentlichkeit drang - und rief sodann die Demonstranten zur Ruhe auf. Inzwischen bieten sich alle imperialistischen Mächte an, Tunesien beim Aufbau der Demokratie zu helfen. Sarkozy versucht, die tunesischen Massen vergessen zu machen, daß Ben Alis Politik bis zuletzt unterstützt wurde, indem Frankreich Ali Asyl verweigerte. Er schließt sich jetzt dem Chor der heuchlerischen Freunde der imperialistischen Demokratie an.

Die Partei Die Linke entblödet sich nicht, die Bundesregierung ebenso dazu aufzurufen, beim Aufbau der Demokratie zu helfen. Als ob der deutsche Imperialismus dazu gebracht werden könnte, etwas anderes als deutsche Wirtschafts- und Großmachtsinteressen zu vertreten.

Stabilisierungsversuche

Alle diese Manöver zielen darauf ab, Tunesien und die arabischen Regime zu stabilisieren und die imperialistische Ordnung im Mittelmeerraum wieder zu festigen. Gelingt das, bedeutet es die Fortsetzung der imperialistischen Ausplünderung und Ausbeutung, die Fortsetzung von sparpolitischen Diktaten des Internationalen Währungsfonds und die Perpetuierung des Massenelends. Letztendlich läuft die Konservierung der imperialistischen Ordnung im Mittelmeerraum auf die Wiederetablierung eines diktatorischen Regimes hinaus.

Die herrschende Klasse Tunesiens ist voll dabei. Obwohl sich in ihrem Machtapparat ein Riß aufgetan hat —sichtbar am Bruch wenigstens zwischen Teilen des Militärs und dem Polizeiapparat sowie den Kämpfen zwischen Militär und Präsidentengarde — bemüht sie sich, das Heft wieder in die Hand zu bekommen. Der Versuch, eine Übergangsregierung zu bilden, in der die Schlüsselressorts in der Hand von alten Führungsmitgliedern der Partei Ben Alis bleiben sollen, belegt dies. Der Einschluß von Repräsentanten der alten legalen Oppositionsparteien und einige Gewerkschaftsfunktionäre als Minister können an diesem Bild nichts ändern.

Die Revolution geht weiter

Doch dieser Versuch erscheint zunächst gescheitert. Der anhaltende Widerstand der Gewerkschaftsbasis und der Jugend zwang die Gerkschaftsführer der UGTT schon nach einem Tag, sich aus der Regierung zurückzuziehen und mit der Basis die Forderung nach dem Ausschluß von Ministern der alten Regierungspartei zu erheben. Das ist zweifellos ein weiterer Sieg der Revolution. Aber die Reaktion wird nicht nachlassen und weitere Versuche zur Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung unternehmen.

Wirklich demokratische Verhältnisse wird es in Tunesien nur geben, wenn das System Ben Ali vollständig entmachtet wird. Dazu müssen dessen korrupte Funktionäre und die Profiteure der Familienbande enteignet und vor Gericht gestellt werden. Kräfte aus dem alten Sicherheitsapparat haben versucht, den revolutionären Prozeß aufzuhalten, indem sie aus PKWs wild um sich schossen. Die Gewerkschaften riefen daher dazu auf, Stadtteilkomitees und Milizen zur Selbstverteidigung zu bilden. Das ist der richtige Weg.

Ihre Ziele werden die Massen nur dann erreichen, indem sie sich weiter unabhängig in Stadtteilmilizen organisieren, diese Selbstorganisationen vernetzen und gemeinsam mit Delegierten der Betriebe, Schulen und Universitäten sowie Soldatenkomitees örtlich, regional und auf nationaler Ebene Räte bilden. Nur eine provisorische revolutionäre Regierung, die sich auf die kämpfenden Massen selbst stützt, kann mit den Kollaborateuren des Imperialismus aufräumen und so die Grundlagen für eine besssere Zukunft legen. Nur eine solche Arbeiterregierung wird wirklich freie Wahlen zu einer konstituierenden Versammlung durchsetzen können.

Das ist zugleich der Weg zur Durchsetzung der Interessen der Arbeiterklasse, eines würdigen Lebens für alle, zur Überwindung der Arbeitslosigkeit durch einen demokratischen Plan zum Aufbau der Wirtschaft, zum Sozialismus.

Die tunesischen Massen, Arbeiter und Arbeitslose sind die ersten Schritte auf diesem Weg gegangen. Sie haben durch den Druck auf die Gewerkschafter in der Übergangsregierung gezeigt, daß sie der herrschenden Klasse keine freie Hand lassen wollen. Es bleibt zu hoffen, daß sie in ihren weiteren Kämpfen eine revolutionäre Partei schafft, die den Plänen der herrschenden Klasse und des Imperialismus einen Strich durch die Rechnung macht.

Marxistische Initiative, 23.01.2011