Gerhard Branstner:
Lenin. Was haben wir falsch gemacht?

Versuch einer historischen Einordnung Lenins, aber auch unserer Zeit

I.

Ohne Lenin wäre die Oktoberrevolution mit Sicherheit nicht gelungen und ein ungeheuer wichtiger historischer Erfahrungsschatz wäre nicht gewonnen worden. Hätte Lenin die Ratschläge und Kritik Rosa Luxemburgs befolgt, wäre die Revolution in wenigen Tagen gescheitert.

Was haben wir falsch gemacht als ständige Frage Lenins an sich selber und alle anderen ist für Lenin charakteristisch, es ist ein Wesensmerkmal seines Charakters. Lenin war ein Genie nicht nur als Politiker und Theoretiker, Lenin war auch ein Genie als Mensch. Diese Frage war zweitens aber auch ein Zeichen seiner Weisheit. Schon Goethe wußte, daß er nur in der Nutzung des Wissens und der Erfahrungen anderer ein Genie sein konnte. Drittens steht diese Frage im genauen Gegensatz zum späteren "realen Sozialismus". Während Lenin auch aus der Kritik des Gegners Nutzen zog, verschloß man sich, um dem Gegner keinen Spalt zu öffnen, beispielsweise durch ungefälschte Wahlen. Der richtige "reale Sozialist" seiht einen Fehler erst dann ein, wenn der Fehler nicht mehr zu reparieren ist. Und wer rechtzeitig kritisiert, wird umgebracht. Siehe Stalins Terrorprozesse.

Die Macht des Sozialismus wurde in die Macht über den Sozialismus verkehrt. Das war die Sünde aller Sünden. Wenn der Zweck die Mittel heiligt, verderben die Mittel den zweck. Darauf einen zeitgenössischen Witz. Ein Käufer betritt ein Konsumwarenhaus und verlangt ein Kilo Zwiebeln. Ham wer nich, sagt die Verkäuferin. Dann ein Kilo Tomaten. Ham wer nich, sagt die Verkäuferin. Dann ein Gewehr. Ham wer, sagt die Verkäuferin. Aber wozu brauchense ein Gewehr? Um die Errungenschaften des Sozialismus zu verteidigen. Das war der beste Witz im Sozialismus. Da wird der Schutz wichtiger genommen als das zu Schützende, das Mittel frißt den Zweck auf. Hätte man diesen Witz verstanden und befolgt, wäre der Sozialismus zu retten gewesen. Ein Witz kann eine Gesellschaftsordnung retten! Im Ernst! Ein vierter Punkt ist, daß Lenin die Frage, was haben wir falsch gemacht, als politische Mehtode anwandte. Da durfte nichts auch nur einen Tag länger getan werden, wenn es nicht mehr notwendig war, da wurden Irrtümer nicht weitergeschleppt oder vertuscht, da wurden Fehler freimütig als solche zugegeben. Natürlich schützt die Frage, was ahben wir falsch gemacht, nicht automatisch davor, Fehler zu machen. Einige Beispiele: Lenin behauptet: Sowjetmacht plus Elektrifizierung des ganzen Landes gleich Kommunismus. Das ist hanebüchener Blödsinn. Oder: "Die große Initiative" kann man auch als Märchenbuch lesen, speziell, was die Modifikation der sozialistischen Arbeit betrifft. Oder: Daß Lenin nicht umgekehrt zum Kapitalismus den Gebrauchswert als Zweck des Tauschwertes und diesen als Mittel betrachtet hät. Diesem Fehler haben alle sozialistischen Länder bis zum Ende angehangen. Und die verbliebenen sozialistischen Länder hängen ihm bis heute an.

Als letzter Fehler sei angeführt Lenins Annahme, daß die Überlegenheit der Arbeitsproduktivität, der Produktivkräfte Kriterium der Überlegenheit des Sozialismus ist. Damit wurde ein Wertmaß des Kapitalismus zum Wertmaß des Sozialismus gemacht. Dieser Fehler war schon bei Marx angelegt. Ich habe das an anderer Stelle genauer dargestellt und kann hier darauf verzichten.

Wir müssen uns von der bisherigen Geschichte und von der kommenden und von dem Übergang der einen zur anderen ein neues Bild machen. Der Übergang von der Vorgeschichte zur eigentlichen Geschichte, ist als eigentliche Revolution zu begreifen. Marxens soziale Revolution muß zur totalen Revolution erweitert werden. Der Sozialismus ist der entscheidende erste Akt. Und die Herstellung des Kommunismus ist der letzte Akt und die eigentliche Geschichte selbst. Als das, als zwei Akte der eigentlichen Revolution haben beide die Würde der Vorhersehbarkeit (Was es zu beweisen gilt.). Also hätte auch der Zusammenburch des Sozialismus vorhergesehen werden können. Oder war das gar keiner? Oder ist er gar nicht zusammengebrochen? Oder haben wir die Fähigkeit des Vorhersehens verloren? Vor lauter blindemn Glauben an die gesetzmäßige Notwendigkeit. Wieviel Katholizismus haben die Kommunisten in sich aufgenommen? Wieviel Katholizismus steckt im Stalinismus? An Götzen glauben, Inquisition und Hexenverfolgung. Die Unfehlbarkeit Stalins wurde strenger gehütet als die Unfehlbarkeit des Papstes. Ist der Stainismus nicht weniger "früher Sozialismus" als vielmehr später Kapitalismus? Ist er nicht eine feudal-kapitalistische Form der Verbürgerlichung des Sozialismus? Ist der "reale Sozialismus" gescheiterter Beginn des wirklichen Sozialismus oder eine paradoxe Verfallsform des Kapitalismus? Oder beides? Alle diese Fragen und dergleichen mehr sind nicht nur erlaubt, sondern notwendig. Und sie sind mittels des Marxismus auch beantwortbar. Allerdings nicht allein mit dem bisherigen, gefordert ist der Marxismus von heute.

Die alten, aus dem Kapitalismus überkommenen ökonomischen, juristischen, moralischen und geistigen Gegebenheiten, Gewohnheiten und Gepflogenheiten, die Warenwirtschaft und die Entlohnung nach der Leistung (laut Marx "dem Prinzip nach" noch "bürgerliches Recht") einerseits und andrerseits die sozialistischen Ziele und Notwendigkeiten (die Aufhebung der Ausbeutung, soziale Gerechtigkeit und sozialistische Moral, die Gelichberechtigung etc.) bilden nicht nur einen bisher ungekannten Widerspruch zwischen Bedingungen und Gesetz, zwischen Altem und Neuem, sie bieten auchdie Wahl zwischen zwei Linien der Staatspolitik, ihren Mitteln und Methoden: die Orientierung auf das neue Gesetz, oder die Orientierung an den alten Bedingungen. Die Entscheidung für die zweite Linie, die Orientierung an den alten Bedingungen, ist allerdings ein Schritt der Verbürgerlichung. Während Lenin sich für die Orientierung auf das neue Gesetz entschied, obwohl das das größere Risiko war, entschied Stalin sich für die zweite Linie.

Stalinismus ist Konterrevolution gegen den Sozialismus. Wie sonst sollte man das nennen, was den Sozialismus derart lebensgefährlich verletzt und verunglimpft hat? Wenn wir die Millionen Ermordeter und Paralysierter in ihrer wissenschaftlichen, militärischen, ökonomischen, künstlerischen, moralischen, poetischen Potenz bewerten, wenn wir die Billionen an materiellen Schäde, gleich, in welcher Währung, bewerten, wenn wir bewerten, was der "reale Sozialismus" ignoriert, verschlafen, verketzert, verpönt oder kaputtgemacht hat, erkennen wir, daß hier ein permanenter Selbstmord eines Gesellschaftssystems stattgefunden hat. Hätte Marx diesen, den "realen Sozialismus" vorausgesagt, hätte man ihn für einen perversen Kaffeesatzwahrsager gehalten. Voraussagen kann man aber nur die historische Notwendigkeit, nicht ihre Verfehlungen. Die Sowjetunion hat die schlimmsten äußeren Gefährdungen überstanden, die Inteventions- und Bürgerkriege und den Zweiten Weltkrieg, nur die innere Gefährung, die Selbstgefährdung hat sie nicht überstanden. Diese Gefährdung hatte bereits Lenin erkannt.

Was bleibt, ist der verhängnisvolle Trugschluß, der die Untaten am Sozialismus zu Untaten des Sozialismus macht. Damit Schluß mit diesen Betrachtungen.

II.

Zur historischen Einordnung der sozialistischen Revolution. Die Frage nach den drei Quellen des Marxismus (die englische Ökonomie, der französische utopische sozialismus und die klassische deutsche Philosophie) ist in Millionen Köpfe gelangt. Die Frage nach den Quellen, die Marx nicht hatte, ist weit weniger geläufig. Dabei ist sie weit produktiver. Und welche Quellen hatte er, hat sie aber nicht genutzt? Weil er nicht die Zeit dafür hatte, oder den Kopf? (Beispielsweise war Marx gleichweit wie Darwin davon entfernt, die Anpassung als Naturgesetz der Gesellschaft zu begreifen.) Das grundlegende Gesetz des Menschen ist die Anpassung. Das erscheint unbegreiflich und unästetisch nur, solange die Anpassung allein als biologischer Vorgang oder moralische Unanstädigkeit, nicht aber als gesellschaftliche Form eines Naturgesetzes verstanden wird. Die Physiker, nicht zuletzt Einstein und Heisenberg, sahen und sehen das höchste Ziel ihrer Forschung in der sogenannten Weltformel, das heißt in der Entdeckung der Formel, in der alle Bewegungen der physikalischen Materie auf einen einheitlichen, zusammenfassenden Begriff gebracht sind. Das ist bis heute nicht gelungen. Für die lebende Natur einschließlich des Menschen sucht man ebenfalls nach einer solchen Weltformel. Dafür stehen Begriffe wie Pantheismus oder, was besonders gegenwärtig die Mode ist, die Ganzheitstheorien. Aber das sind nur Aushilfsbemühungen, wenn nicht gar Irrwege. die wirkliche zusammenfassende Formel ist im Gesetz der Anpassung gefunden. Allerdings nur,w enn seine Darwinsche Fassung durch die Erkenntnis der spezifisch menschlichen Anpassung vertieft und zugleich auf eine höhere Ebene gehoben ist.

Alle von Darwin erkannten Gesetze haben ihren schließlichen Sinn im Gesetz der Anpassung. Was Darwin selbst in dieser Konseq uenz nicht gesehen hat. Dieses Gesetz ist das grundlegende Entwicklungsgesetz allen Lebens, also auch des gesellschaftlichen, menschlichen. Auch in Zeiten, wo wir im Einklang mit der Natur leben. Es ist das einzige Gesetz, das gleichermaßen für beide Wirklichkeiten gilt. Das hat Darwin selber nich begriffen. Und Marx auch nicht.

Die wissenschaftliche Leistung von Marx war ungleich größer als die von Darwin. Wovon dieser keinen Begriff hatte. Aber unabhängig davon ist die von Darwin aufgedeckte Gesetzömäßigkeit ungleich umfassender als die von marx. Und sie ist allen von Marx aufgedeckten Gesetzmäßigkeiten übergeordnet, wovon dieser nun wieder keinen Begriff hatte. Und Darwin auch nicht. Das Gesetz der Anpassung kann nicht in der Form auf die Gesellschaft übertragen werden, in der Darwin es aufgestellt hat. Es erhält, angewandt auf die Gesellschaft, zwei grundlegende Besonderheiten. Die erste Besonderheit besteht darin, daß der Mensch sich der Natur anpaßt, indem er die Natur sich anpaßt. Wenn das Tier im Winter eine Ortsveränderung in wärmere Zonen vornimmt oder sich einen Winterpelz wachsen läßt, zieht der Mensch einen Mantel über oder heizt die Wohnung ein. Das Tier verändert sich, der Mensch verändert seine Umwelt.

Die zweite Besonderheit besteht darin, daß der Mensch sich mittels seiner gesellschaftlichen organisation der Natur anpaßt. Von den Produktionsinstrumenten und Produktionsverhältnissen, den Klassenstrukturen über die Arbeitsteilung, die Wissenschaften bis zum Staat, Justiz, Moral usw. ist ihm die gesellschaftliche Organisation Organ der Anpassung. Die gesellschaftliche Organisation, ihre Notwendigkeit, ist nur zu verstehen, wenn sie als das dem Menschen eigene Organ der Anpassung verstanden wird. Das ist die natürliche Funktion der gesellschaftlichen Organisation des Menschen. Siehe den Bienenstaat in seiner Funktion der Arbeitsteilung.

Diese beiden Besonderheiten zu erkennen war Voraussetzung, um die Anpassung als das für Natur und Gesellschaft gleichermaßen gültige Gesetz zu entdecken.

Trotz der hohen Eigengesetzlichkeit sind die spezifischen Gesetze der Gesellschaft Gesetze zweiter Ordnung. Sie (die Naturgesetze der Gesellschaft, wie Marx die von ihm entdeckten Gesetze nannte) sind Gesetze der gesellschaftlichen Organisation des Menschen. Also Gesetze des Organs der Anpassung. Und als das sind sie Funktion des Gesetzes erster Ordnung. Mit anderen Worten: Die Naturgesetze der Gesellschaft werden zu Funktionen eines Gesetzes der Natur.

So paradox es erscheint: Marx hat mit der Entdeckung der gesellschaftlichen Gesetze die Isolierung der Gesellschaft von der Natur verstärkt, weil die Spezifik der Gesellschaft hervorgehoben. Ebnso hat er mit diesen Gesetzen erst die Möglichkeit geschaffen, die Anpassung als das Gesetz der Einheit von Gesellschaft und Natur zu entwickeln. Das ist Dialektik.

Die Realisierung des Gesetzes der Anpassung als natürliche Freiheit setzt die Realisierung der sozialen Freiheit voraus. Mit anderen Worten: Das Gesetz der Anpassung bestimmt, welche Art von Gesellschaft nötig ist, um die Anpassung zu verwirklichen. Bisher hat die gesellschaftliche Organisation zwar der Anpassung als Organ gedient und als das deren Form bedingt, jetzt aber bedingt die Anpassung die gesellschaftliche Organisation als freie Gesellschaft. Das Gesetz der Anpassung verlangt eine bestimmt Organisation der Gesellschaft, es verlangt die Gesellschaft als funktionsfähiges Organ der Anpassung. Und nur eine Gesellschaft, die diese Funktion erfüllt, kann sozialistisch und schließlich kommunistisch genannt werden. In diesem Sinne führt Darwin logisch genommen zum Kommunismus. Auch wenn Darwin wie Marx keine vorstellung von dieser Logik hatten. Und Lenin auch nicht.

Das Wechselspiel von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen hat sein übergeordnetes Kriterium folgich in der Anpassung, Wenn die Produktivkräfte zur Naturzerstörung führen, müssen die Produktionsverhältnisse geändert werden.

Die Einheit von Mensch und Natur, ihre Harmonie, ist Bedingung der Fortexistenz des menschlichen Geschlechts. Die Gesellschaftsorganisation ist Organ dieser Einheit, ihr regulierendes Instrument. Die kapitalistische Gesellschaftsordnung ist zunehmend statt kreatives nur noch destruktives Organ. Die Katastrophe ist eine Frage der Zeit. Der Kapitlaismus hat seine Zeit bereits überschritten. Das Gesetz der Anpassung wird zum Scharfrichter des Kapitalismus: Die Frage steht jetzt nicht mehr, wo es sich besser lebt, sondern wo es sich überlebt. Die Anpassung in der vertieften und erweiterten Fassung ist das einzige Naturgesetz, das auch für die Gesellschaft gilt.

Die eigentliche Geschichte begint, wo das Gesetz der Anpassung ein und für alle mal als Gesetz erster Ordnung erkannt und verwirklicht wird. Mit anderen Worten: Der Übergang von der Vorgeschichte zur eigentlichen Geschichte besteht darin, die Gesellschaft bewußt als Organ der Anpassung einzurichten. Indem die Anassung die gesellschaftliche Organisation zu ihrem Organ macht, macht sie die Gesellschaftsordnung zu ihrer Funktion. Und wenn das nicht mehr funktioniert, wenn die Menschheit in die ökologische Krise geraten ist, muß die Gesellschaft ein für alle mal als Organ der Anpassung organisiert werden. Erst dann verläßt die Menschheit ihre Vorgeschichte und tritt in ihre eigentliche Geschichte ein.

Die eklatante Verletzung eines Gesetzes der NAtur, des Gesetzes der Anpassung, der Einheit von Mensch und Natur als Folge der Verletzung des gesellschaftlichen Gesetzes der Hamonie von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen findet nur einmal statt, sie ist die einmalige und einzigartige Herausforderung des Menschen als Vernunftwesen. Es ist die Probe darauf, ob der Mensch eine Fehlleistung der Naut ist. Ob er das wirklich ist, entscheidet sich in unserer Zeit und nur dieses eine Mal.

Die Reduzierung der natürlichen Existenzbedingungen ist ein Prozeß, in dessen Verlauf die Menscheit immer schmerzlichere und schließlich unerträglich ekörperliche und seelische Schäden erleiden wird. Der Absturz auf das Niveau des Höhlenmenschen ist da noch die freundlichste Aussicht. die Prügel, die uns die geschändete Natur verabfolgen wird, werden schon den nötigen Willen befördern, die richtige Alternative zu erfassen, da kann kein Zweifel sein. So unangenehm die Ürgel auch sein werden, so sehr sind sie unsere sichere Hoffnung.

Das moderne, im "Naturgesetz des Menschen" neu gefaßte Darwinsche Gesetz, wonach die gesellschaftliche Organisation des Menschen das Organ der Anpüassung von Mensch und Natur ist, muß als das begriffen und gestaltet werden, was ein langwieriger, epochaler Prozeß ist. Aber in ihm wird der Mensch wieder ein endliches Wesen in der unendlichen Natur, womit er seine natürliche Identität erlangt. Der Mensch wird wieder zu einem "Kind" der Natur.

Der Mensch ist gesellschaftliches Wesen nur, um das höchste Wesen der NAtur zu werden. Hierher gehört der schönste Satz, den Friedrich Engels je geschrieben hat: "Der Mensch ist die zum Bewußtsein ihrer selbst gekommene Nautr." Die Ablösung des Kapitalismus ist die Realisierung eines Naturgesetzes. Wenn die Ablösung des Kapitalismus nicht die Realisierung eines Nautrgesetzes ist, unterfordern wir die Geschichte, wie es der "reale Sozialismus" getan hat.

III.

Wir haben es mit einer zweifachen Negation der Negation zu tun: Der Mensch kommt aus der Natur, stellt sich ihr als gesellschaftliches Wesen gegenüber, um als höchstes Wesen wieder ein Wesen der Natur zu werden. Hegelscher geht es nicht. Hegel hatte die Entgegenstellung immer als Voraussetzung der dritten Stufe begriffen. Und eben die Entgegenstellung stellt die zweite Negation der Negation dar: Klassenlose Urgesellschaft, Klassengesellschaft und klassenloser Kommunismus. Diese zweite Negation der Negation begreifen wir nur, wenn wir die erste begreifen. Was der geniale Rousseau ahnte, die Rückkehr des Menschen in die Natur, soll auf ganz andere Weise Wirklichkeit werden, wenn wir nicht ein Fehlversuch der Natur sein wollen.

Die zeitlichen Dimensionen werden aber auch ganz andere sein. Die Menschwerdung wurde noch vor wenigen jahren mit 300 000 Jahren angenommen. Nach heutigen Erkenntnissen sind es 3 Millionen Jahre, also das zehnfache. Die Herstellung des Kommunismus wird auch ungefähr 10 mal länger brauchen, als noch vor wenigen Jahren angenommen. Eine Frage ist allerdings, ob uns die Umweltzerstörung die Zeit läßt. Ein Teil der Fachleute sagt uns einen baldigen Kollaps voraus, der andere Teil ein langesSiechtum. Bewiesen ist weder das eine noch das andere. Was wir bruachen, um die Welt zu retten, ist die soziale Vererbung. Das ist eine einfache Methode. Und doch ist sie ganz und gar ungewöhnlich, denn sie wäre die Selbstentlarvung eines jeden Systems, sowohl des Kapitlaismus als auch des "realen Sozialismus". Der Mensch ist, wie wir wissen, ein Produkt der biologischen Vererbung, einer von unserem Willen unabhängigen individuellen Entwicklung. Er unterliegt aber auch einer gesellschaftlichen Vererbung, nämlich der Weitergabe und dem Erwerb gesellschaftlicher Erfahrungen und Einflüsse durch die Familie, die unmittelbare Umgebung, die Politik, die sozialen Verhältnisse usw. Aber diese Weitergabe und der Erwerb sind mehr oder weniger zufällig, von guter und böser Absicht bestimmt. Fehlerhaft, der Wegwerfgesellschaft geschuldet oder dem falschen Auswahlprinzip, immer aber dominiert von den herrschenden Interessen. Diese soziale Vererbung prägt aber den Menschen als soziales, als gesellschaftliches, als Gattungswesen. Daher muß die soziale Vererbung kultiviert werden. Die Geschichte muß auf eine Art bewußt gemacht, gewertet und verwertet werden, daß sie der Bildung des Menschen als Gattungswesen dient. Die soziale Vererbung ist das einzige und notwendige Hilfsmittel, um die historische Dialektik, um die neue historische Qualität der menschlichen Geschichte zu gewinnen, die Unterforderung der Geschichte zu vermeiden: Die Läuterung der realen Geschichte des Menschen, die Verwirklichung des Menschen als Gattungswesen. Wenn wir die positiven Elemente unserer Geschichte nicht akkumulieren, aufheben, verwerten und die negativen nicht kritisch verarbeiten, bleiben wir unfähig, die vorgeschichte zu überwinden und die Zukunft, die eigentliche Geschichte, zu gewinnen.

Immer mal wieder ist die Behauptung Mode, daß die moralisch-sittliche Entwicklung des Menschen hinter der industriellen, wissenschaftlichen zurückbleibt. Diese Behauptung ist leider falsch, denn die sittlich-moralsiche Entwicklung fällt hinter sich selber zurück. Klassengesellschaft bedeutet: Dreitausend Jahre moralische Verderbnis des Menschen, z.B. daß er heute als Ausgebeuteter an der Ausbeutung der Dritten Welt teilhat oder in Kriegen zum Mörder Unschuldiger wird oder ohne Unrechtsbewußtsein Massenmörder zu Präsidenten wählt. Diese Verderbnis ist Ergebnis eines historischen Prozesses und kann nur in einem historischen Prozeß überwunden werden. Die Korrumpierung ist ein Wesensmerkmal des "modernen" Kapitalismus. Diese Korrumpierung reicht von der "Verbeamtung" über die Abgeordnetendiäten, das System der Ratenzahlung und des Konsumterrors bis zu den vielfältigen Formen der moralischen Korrumpierung: "Ich bin stolz, Deutscher zu sein!"

Das ökonomische Wesensmerkmal der Klassengesellschat ist die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen. Ihr politisches Wesensmerkmal ist die Verwaltung des Menschen durch den Menschen. Sie ist ein verhängnisvoller Fluch, der auf uns lastet. Durch diese Verwaltung wird die Autonomie des Menschen, sein höchstes Gut,eingeschränkt und aufgehoben. An die Stelle der eigenen Entscheidung über sich selber tritt die fremde Entscheidung über ihn, sein Wohl und Wehe hängt von der Urteilsfähigkeit, dem Gerechtigkeitssinn, der Laune, den Interessen, dem Charakter anderer ab. Wenn die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen schon infam ist, so ist die Verwaltung des Menschen durch den Menschen noch infamer. Die Ausbeutung entwendet ihm nur sein Produkt, die Verwaltung entwendet ihn selber. Und kehrt ihn gegen sich selber, macht ihn zum "Selbstverwalter". Die Demütigung wird zu Selbstdemütigung. Und die will er nun partou nicht wahrhaben. Die Verwaltung des Menschen durch den Menschen verdichtet sich, historisch gesehen, zunehmend. Und sie reicht von der Geburt bis zum Grab. Der Mensch trägt sie als Gefühl, als bewußte und unbewußte Last sein leben lang mit sich. Und er kann diese Last nicht abschütteln. Als besonders effektive Instrumentarien der Verwaltung des Menschen durch den menschen erweisen sich mehr und mehr der Gesetzesdschungel und die Bürokratie. Die Verwaltung des Menschen ist die tiefgreifendste, folgenschwerste und zugleich komplizierteste Verkehrung des menschlichen Wesen. Nehmen wir noch die Belehrung des Menschen durch den Menschen hinzu, die Belehrung des Ohnmächtigen durch den Mächtigen, des Armen durch den Reichen, des Verlierers durch den Sieger und schließlich die Übermacht der Medien, so ist die sittlich-moralische Verderbnis des Menschen perfekt. Aber ohne diese Verderbnis würde die "parlamentarische Demokratie" nicht funktionieren, weil ihr der zugerichtete Wähler fehlte.

Während verseuchte Tiere in einem weitgezogenen Umkreis sofort massenweise getötet, der "vorbeugenden Schlachtung" zugeführt werden, auch wenn sie nur den Verdacht einer Gefährdung des Menschen darstellen, wird der Kapitalismus am Leben gelassen, obwohl er im dringenden Verdacht steht, die gesamte Menschheit zu vernichten. Wo bleibt da die Vernunft? Wo bleibt da die Logik? Daß dieser schmähliche Kapitalismus gegen den Sozialismus immer noch die bessere Figur abgibt, verdankt er nur dem unverdienten Glück, daß er sich mit dem "realen Sozialismus" vergleichen kann und nicht mit dem wirklichen.

Wenn es im Kapitalismus einen Rechtsstaat gäbe, gäbe es keinen Kapitalismus mehr. Er wäre, als verbrecherisches System überführt, längst zum Tode verurteilt worden.

Hubert Morh schreibt im ND vom 22.06.2000 von der "größten Bedrohung der Menscheit durch eine Supermacht, die mit dem Anspruch auftritt, in Sachen 'Menschenrechte' Urteilsvollstrecker in einer (juristischen) Person zu sein. Die größte Gefahr für die Menschheit bedeutet ohne Zweifel jener Beschluß der NATO, im Bedarfsfall auch ohne Billigung des Sicherheitsrates der UN, also 'auf eigene Faust', loszuschlagen auf jeden Staat, der nach ihrer Feststellung massiv gegen Menschenrechte verstößt." Da hat der Kapitalismus das Faustrecht, die mittelalterliche Selbstjustiz, nachdem sie sogar in Wildwestfilmen verpönt wwurde, wieder eingeführt.

Die Verkommenheit dieser Welt und die Verlorenheit dieser Welt scheinen unüberbietbar. Doch sie steuert wieter auf dem Weg ins Chaos, in den Abgrund. Wir sind noch lange nicht in der Talsohle angelangt. Die Zustpitzung der letzten Krise des Kapitalismus, das wechselseitige Anheizen der sozialen und der ökologischen Krise,w esentlich verursacht durch die Krise der Kapitalverwertung, steht noch bevor. In ihrer Verbindung mit der sittlichen krise. Dieser Kapitalismus zerstört die positiven Eigenschaften des Menschen und treibt die negativen hervor, ebenso die negativen gesellschaftlichen Zustände. Und eine unberechenbare Anzahl ökologischer Schäden wird irreparabel bleiben. Dieser Kapitalismus kennt kein Erbarmen, kein Gebot der Vernunft und kein moralisches Halt. Und die Menscheit wird erst nach den schrecklichsten Erfahrungen und Dutzenden Niederlagen die Kraft und Reife gewinnen, den Augiasstall auszumisten, den die Klassengesellschaft angerichtet hat, tausendmal größer als der des Herkules.

Eine besondre Aufgabe hat die soziale Vererbung in der Verwertung des "realen Sozialismus". Bei einerseits einer saudummen oder schändlichen Politik sind andrerseits wertvolle Ergebnisse erzielt worden, deren Mißachtung einen unverzeihlichen Verlust darstellt.

Die durch diese Geschichte verdorbene Menscheit, wo der massenhafte Tod durch Krieg, Hunger und vergiftete Umwelt ohne Unrechtsbewußtsein verursacht wird, kann niemals die eigentliche Geschichte des Menschen sein oder schaffen. Die Verderbnis der Menscheit kam auch Stalin zugute. Ohne die hunderttausende Henkersknechte wären Stlin und der Stalinismus nicht möglich gewesen. Ohne all die Bedingungen, Gewohnheiten, Strukturen, ohne den Untertanengeist, ohne die mehrtausendjährige Klassengesellschaft. Die Geschichte wird von Menschen gemacht, die von der Geschichte gemacht wurde. Da gibt es keine Ausnahme. Auch Lenin ist keine Ausnahme, obwohl er eine Ausnahmeerscheinung war. Anders sind seine Fehler und Irrtümer nicht erklärbar. Und doch hat er uns verwöhnt, er hat die Maßstäbe durcheinander gebracht. Da hat Stalin sie schon eher zurechtgerückt. Das erklärt, weshalb die Jahrzehnte nach Stalin den Sozialismus nicht wesentlich über Stalin haben hinauswachsen lassen. Auch nach ihm hat das jahrtausendalte Erbe der Klassengesellschaft dominiert. Da die Verdorbenheit des Menschen weitgehend unbewußt ist, leiden selbst die bewußten Kommunisten unter ihr. Wie diffizil das Problem selbst bei hochgebildeten Sozialisten/Kommunisten ist, zeigt uns Dimitroff in seinem Auftritt beim Reichstagsbrandprozeß, wo er die Alternative "Hammer oder Amboß" sein, stellt. Auch wenn er sich da auf Goethe bezieht, macht das die Falschheit dieser Alternative nicht besser. Die Klassenmoral, die die Menschen in Schläger und Geschlagene einteilt, schleppen selbst hochkultivierte Menschen mit sich. Auch deshalb sind die ersten Revolutionen unvermeidlich eine Unterforderung der Geschichte.

Die Revolution reduziert sich nicht auf die sozialistische. Wir haben es mit dem Übergang von der Vorgeschichte der Menscheit zu ihrer eigentlichen Geschichte, mit der eigentlichen Revolutin zu tun. Zur eigentlichen Revolution gehören erstens der Prozeß der partiellen, gescheiterten oder zeitweilig gelungenen sozialistischen Revolutionen und die verschiedenen Formen des gescheiterten Sozialismus, zweitens der gelungene Sozialismus in seiner ersten Stufe, seine Realisierung unter den überkommenen Bedingungen (siehe die "Muttermale" in "Kritik des Gothaer Programms") und seiner zweiten Stufe, seine Realisieung unter den ihm eigenen Bedingungen, und drittens die Herstellung des Kommunismus gemäß den 5 Projektionen der "zweiten Menschwerdung". Danach beginnt die eigentliche Geschichte. Ohne diesen umfassenden Begriff von der eigentlichen Revolution würde der Fehler der Oktoberrevolution und des "realen Sozialismus", die Geschichte zu unterfordern, wiederholt. Wir müssen Abschied nehmen vom "realen Sozialismus", um uns ein ungetrübtes Bild vom wirklichen Sozialismus machen zu können und zugleich den "realen Sozialismus" und seine positive und negative Hinterlassenschaft dialektisch aufzuheben.

Die Frage, kam der Sozialismus in Rußland zu früh oder wäre er wo anders glücklicher gewesen, ist klar beantwortbar. Der Sozialismus ist bei den ersten Versuchen nie reif, er kommt immer zu früh. Deshalb braucht er mehrere Anläufe, und welcher der glückliche ist, kann vorher keiner sagen. Lenin sagt: Sozialismus lernt man im Sozialismus. Jedenfalls sollte man dem land oder den Ländern, die nach der dummerweise ungeplanten Niederlagte als erste wieden den Sozialismus wagen, Rabatt einräumen.

Die meisten, wenn nicht alle Unternehmungen mit großer Zukunft begannen mit Bruchlandungen. Davon zeugt nicht nur Otto Lilienthal. Auch Spartakus, Columsbus, Müntzer, die Theorie der Urzeugung, des Weltäther, Zeppelin. Auch der Kapitalismus macht da keine Ausnahme. Robespierre und Napoleon sind nur die eklatantesten Beispiele. Alleind er Sozialismus soll mit der ersten Bruchlandung für alle mal klein beigeben. Dabei ist er die Unternehmung mit der größten Zukunft und die allerschwierigste dazu. Da wird es mit einer Bruchlandung nicht getan sein.

Eine allen verständliche und zugängliche Information über die Moral der Niederlage des Sozialismus wäre das mindeste. Und wenn sie nur erklärt und glaubhaft machte, daß ein Scheitern des ersten Versuchs nicht ein Scheitern des Sozialismus überhaupt ist. Wenn ein Kind bei seinen ersten Schritten isn Leben hinfällt, kann man sagen, es ist gefallen, aber die tiefere Wahrheit ist, daß es das Laufen lernt. Statt zu sagen, daß der Sozialismus gescheitert ist, sollten wir also besser sagen, daß die eigentlche Revolution das Laufen lernt.

Zum Schluß

Aus der Welt, wie sie jetzt ist und aus dem Begriff von ihr, wie er jetzt ist, kann keine neue Welt entstehen. Der richtige Begriff aber ist nicht vorhanden.

Ohne eine vernünftige Vorstellung vom Kommunismus ist der Sozialismus nicht aufbaubar. Denn er ist die erste Phase. Von was? Es heißt: Ohne Verständnis der Vergangenheit ist die Gegenwart nicht zu verstehen. Ohne verständnis der Zukunft noch weniger. Woher aber die Zukunft nehmen? Marx und Engels haben sehr wenig über die Zukunft gesagt. Das wird ihnen als Bescheidenheit, als weise Zurückhaltung gutgeschrieben. Nun haben wir den Salat.

Wenn wir nicht wissen, woher wir kommen, wissen wir nicht, wohin wir gehen. Seltener wird gesagt: Wenn wir nicht wissen, wohin wir gehen, wissen wir nicht, woher wir kommen. Beide Fragen sind aber eine dialektische Einheit und gleich wichtig. Der Mensch ist als Gattungswesen von perspektivischer Fähigkeit. Die soziale Vererbung, die kreative Aneignung der Vergangenheit, hat ihr dialektisches Gegenstück in der Vorahmung der Zukunft. In der Vorahmung der fünfgroßen historischen Projektionen. Diese Projektionen sind die logisch-historische Konsequenz der Negation der Negation, die Wiederherstellung der klassenlosen Urgesellschaft, der Gesellschaft der Naturvölker auf höherer Ebene, nämlich 1. die Harmoniserung unserer Verhältnisses zur Natur, wo die Notwendigkeit der Erhaltung der Natur zur Freiheit der Gestaltung der Natur wird, 2. die Freisetzung, die Entbindung der menschlichen Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte, wo der Gebrauchswert nicht nur der Konsumtionsmittel, sondern der Gebrauchswert der Arbeit selbst, der Produktionsinstrumente, der Produktionsweise sinnstiftend wird, 3. wo das Spiel kreativer Wesenart des historisch erwachsenen Menschen wird. 4. wo die Gleichheit als dialektisches Prinzip die sittliche und kulturelle Bildung des Menschen hervorbringt und 5. wo die Heiterkeit als Funktion und Genuß der Freiheit ihre höchste Stufe erreicht.

Die Läuterung des Menschen zum Gattungswesen muß in der Vorahmung der Geschichte kulminieren. Die Vorahmung ist nicht nur das dialektische Gegenstück zur sozialen Vererbung, sie ist auch eine hohe Motivation des revolutionären Kampfes.

Die Kümmerlichkeit unserer Vorahmung der eigentlichen Geschichte ist ein weiterer Grund der unvermeidlichen Unterforderung der Geschichte durch die ersten Revolutionen.

Als eine Hausaufgabe der Vorahmung, als Denkrätsel noch ein besonderes Problem: Daß der Mensch ein ontologisches und ein phylogenetisches, ein Einzelwesen und ein Gattungswesen ist, macht ihm mehr zu schaffen, als er weiß. Er hat keine historische Geduld, er fällt auf die unsinnigsten religiösen und politischen Verheißungen herein. Seine phylogenetische und seine ontogenetische Uhr haben einen unterschiedlichen Gang, sie messen die Zeit verschieden. Gibt es danch zwei Wahrheiten? Sind beide wahr? Seine Lebensplanung ist schizophren. Ist er ein Teil vom Ganzen oder ist das Ganze ein Teil von ihm? Eines steht fest: Die menschliche Gesellschaft ist erst dann menschlich, wenn sie deisem Doppelcharakter des Menschen gerecht wird. Wie muß diese Gesellschaft sein? Eine neue Frage. Ohne einen besseren Menschen kann es keine bessere Welt geben. Der bessere Mensch wird aber nicht vornehmlich das Produkt der Belehrung doer Erziehung sein, sonder das Produkt der unter seiner Mitwirkung sich verändernden gesellschaftlichen Bedingungen.

Während Kautsky der Meinung war, daß der Sozialismus nur mit im Kapitalismus geformten Funktionären zu machen sei, setzte Lenin dagegen, daß Sozialisten im Sozialismus reifen. Auch wenn die Köchin als Regierungschefin ein bißchen kurz gedacht war.

Wenn die Urgesellschaft, die Gesellschaft der Naturvölker, die Kindheit des Menschen war, durchläuft er mit der Klassengesellschaft seine Flegeljahre. Da sind Bocksprünge, Rüsselsprünge, Purzelbäume und Bruchlandungen die beliebtesten Arten der Fortbewegung. Oder anders gesagt: Die Geschichte irrt sich dauernd. Oder mit Marx gesagt: Die Gesetze setzen sich durch, indem sie sich nicht durchsetzen. Wenn die Vorgeschichte schon voller Irrtümer ist, so ist es der Übergang zur eigentlichen geschichte noch mehr. Er könnte die Komödie der Irrungen genannt werden. Oder ebenso sehr die Tragödie der Irrungen. Ich rede von der Zeit, in der wir leben.

Gottes Mühlen mahlen langsam. Die Mühlen der Menscheit mahlen noch langsamer. Das Ausmisten des Augiasstalles und die Verwirklichung der 5 großen Zukunftsprojektionen gehören zusammen. Beide sind die zwei entgegengesetzten Prozesse der eigentlichen Revolution, sie sind der lange Weg der zweiten Menschwerdung.

Wenn wir unsere Welt als kultivierte soziale Vererbung und historische Vorahmung erfassen, haben wir sie im Griff, ist sie leicht begreifbar.

Die Verwirklichung des Kommunismus besteht wesentlich in der Umgestaltung der Wirklichkeit zum Zwecke des Spiels mit ihr, folglich auch eines ihrer wichtigsten Teile, nämlich der Arbeit, womit diese zum ersten Lebensbedürfnis wird. Diese Umögestaltung der Gesellschaft ist die tiefstgehende und folgenreichste Revolution der menschlichen Entwicklung. Sie ist heute nur denkbar, aber nicht vorstellbar.

Wir leben in einer Zeit, wo nur die utopisch erscheinenden Lösungen wirkliche Lösungen sind. Flickschustereien verstolpern nur die Lösungen.

Kurze Zusammenfassung

Wir stehen am Beginn des Übergangs von der Vorgeschichte der Menschheit zu ihrer eigentlichen Geschichte. Das ist der kritische Punkt in unserer geschichtlichen Entwicklung. der einmalige kritische Punkt. Die zweite Menschwerdung, die krönende vollendung unseres Erdendaseins muß von einem bis in sletzte verdorbenen Menschen vollzogen werden. Das ist unvereinbar, das ist ein schrecklicher Widerspruch. Das ist ein historisches Dilemma. Das ist das größte, schlimmste, risikoreichste Dilemma unserer Geschichte. Daher werden die ersten Revolutionen unvermeidlich eine Unterforderung der Geschichte sein und die Tendenz zum Scheitern haben.

Dieses historische Dilemma war das Schicksal Lenins. Und es ist unser Dilemma. Es ist aber auch die einmalige Chance, zu erfahren, was Menschsein ist.