Dieter Elken:

Internationalismus
und die Notwendigkeit
der Internationale bei Marx und Lenin

"Der Kommunismus ist empirisch nur als die Tat der herrschenden Völker 'auf einmal' und gleichzeitig möglich", schrieb Marx 1845 in der Deutschen Ideologie[1]. "Die große Industrie", begründete Engels 1847 in den Grundsätzen des Kommunismus diese Auffassung, hat "in allen zivilisierten Ländern die gesellschaftliche Entwicklung soweit gleichgemacht, daß ... Bourgeoisie und Proletariat die beiden entscheidenden Klassen der Gesellschaft, der Kampf zwischen beiden der Hauptkampf des Tages geworden" ist. Die kommunistische Revolution wird daher keine bloß nationale, sie wird in allen zivilisierten Ländern, d.h. in England, Frankreich und Deutschland gleichzeitig vor sich gehende Revolution sein."[2]

Im Manifest der Kommunistischen Partei wird diese Grundauffassung 1848 gestützt auf die damals noch summarische, aber im Manifest mitreißend formulierte Analyse, daß die Entwicklung der kapitalistischen Produktivkräfte sich so beschleunigt hatte, daß der von der Bourgeoisie geschaffene Weltmarkt alle Nationen voneinander abhängig gemacht, die internationale Arbeitsteilung entfaltet und gleichzeitig eine ungeheure Konzentration und Vermehrung des materiellen Reichtums herbeigeführt hatte. Daß 150 Jahre später Ideologen glauben, sie hätten die Globalisierung durch Neubenennung entdeckt, mutet da schon komisch an.

Kaum entwickelt, stieß die bürgerliche Entwicklung bereits an ihre nationalstaatlichen Grenzen. Die Bourgeoisie konnte die von ihr entwickelten internationalen Produktivkräfte, Produktions- und Verkehrsmittel nicht mehr dauerhaft beherrschen. Dies gilt insbesondere für die Hauptproduktivkraft, die Arbeiterklasse: "Aber die Bourgeoisie hat nicht nur die Waffen geschmiedet, die ihr den Tod bringen, sie hat auch die Männer erzeugt, die diese Waffen führen werden - die modernen Arbeiter, die Proletarier. In demselben Maße, wie sich die Bourgeoisie entwickelt, in demselben Maße entwickelt sich das Proletariat."[3]

"Die Proletarier haben in allen Ländern ein und dasselbe Interesse, einen und denselben Feind und denselben Kampf vor sich; die Proletarier sind der großen Masse nach schon von Natur ohne Nationalvorurteile, und ihre ganze Bildung und Bewegung ist wesentlich humanitarisch und antinational"[4], hatte Engels schon sehr früh formuliert. Marx schrieb in der Einleitung zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, vom Proletariat als einer Klasse, die "die Auflösung aller Stände ist, einer Sphäre , welche einen universellen Charakter durch ihre universellen Leiden besitzt."[5] Dem schloß sich später die bekannte Formulierung an, daß die Arbeiter kein Vaterland haben, daß der Klassenkampf des Proletariats zwar seiner Form nach national ist, nicht aber nach seinem Inhalt.

Marx und Engels haben ihre Überzeugung vom universellen Charakter der kommunistischen Revolution gestützt auf die Analyse der ersten universellen Produktionsweise, des Kapitalismus und damit auf die Analyse, daß die Arbeiterklasse bereits eine internationale Klasse ist, die sich nicht befreien kann, ohne gegen jede Form der Unterdrückung und Ausbeutung zu kämpfen und so die Emanzipation der Menschheit einzuleiten.

Beide haben ihre Erwartung einer internationalen Revolution wenigstens der fortgeschrittensten Länder jedoch nicht zuletzt mit der Angleichung der Lebensverhältnisse in den Zentren des internationalen Kapitalismus und der Beschleunigung und Intensivierung der Kommunikation begründet. Die wechselseitige Beeinflussung revolutionärer Bewegungen verschiedener Länder haben sie dabei nicht erfunden, sondern sie haben sie in den aufeinanderfolgenden revolutionären Unruhen und Wellen der Klassenkämpfe des 19. Jahrhunderts studieren und analysieren können. Dies wird von vielen übersehen, die glauben, die Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus hätten sich einfach nur von unsubstantierten Hoffnungen zu völlig unbegründeten Prognosen verleiten lassen. Hier sei angemerkt, daß bis in die jüngste Vergangenheit noch jede Revolution die unterdrückten Volksmassen anderer Länder ermutigt hat, ebenfalls in Aktion zu treten, nicht zuletzt gilt das auch für die russische Revolution. Dies wird auch künftig nicht anders sein.

Der Internationalismus ist demnach aus marxistischer Sicht eine der strategischen Grundlagen kommunistischer Politik.

Der revolutionäre Zusammenschluß der Volksmassen ist in den meisten Ländern ohne eine internationalistische Haltung zur nationalen Frage gar nicht möglich. Revolutionen in einzelnen Staaten werden von der internationalen Reaktion nicht in Ruhe gelassen: Seit der französischen Revolution mußte jede national siegreiche Revolution mit bewaffneten Interventionen äußerer Mächte rechnen. Schutz hiervor bietet nur die internationale Solidarität der Arbeiterklasse und deren Mobilisierung. Je isolierter die in einem Land siegreiche Revolution, desto gefährdeter und anfälliger für imperialistische Boykottmaßnahmen ist der sozialistische Aufbau. Der Zusammenbruch der Sowjetunion und der RGW-Staaten hat überdies die alte marxistische Binsenweisheit bewiesen, daß der Sieg der kommunistischen Revolution nur nach einer Kette von Siegen in den wichtigsten kapitalistischen Zentren endgültig gesichert sein wird.[6]

Der internationalen Arbeiterklasse stellen sich deshalb von Anfang an internationale Aufgaben. Das war schon Marx und Engels klar, die im Manifest der Kommunistischen Partei erläuterten, daß "die Kommunisten von den übrigen proletarischen Parteien sich dadurch unterscheiden, daß sie einerseits in den verschiedenen nationalen Kämpfen der Proletarier die gemeinsamen, von der Nationalität unabhängigen Interessen des gesamten Proletariats hervorheben und zur Geltung bringen, andererseits dadurch, daß sie in den verschiedenen Entwicklungsstufen, welche der Kampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie durchläuft, stets das Interesse der Gesamtbewegung vertreten."[7] Kommunisten werden zu beidem nur in der Lage sein, sofern sie tatsächlich durch die materialistische Analyse der heutigen sozioökonomischen und politischen Verhältnisse und durch die Verarbeitung der historischen Erfahrungen der Arbeiterbewegung vor der übrigen Masse des Proletariats die Einsicht auch in die internationalen Bedingungen, den Gang und die allgemeinen Resultate der proletarischen Bewegung voraus haben. Andererseits hatten sich bereits in der frühen Arbeiterbewegung spontan Tendenzen entwickelt, sich international zu organisieren.[8] Bereits der Bund der Gerechten, aus dem 1847 der Bund der Kommunisten hervorging, war eine internationale Organisation geworden. Sein Programm endete mit dem Schlachtruf: Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!

In der Inauguraladresse der Internationalen Arbeiter-Assoziation (der I. Internationale) schrieb Marx 1864: "Die vergangene Erfahrung hat gezeigt, wie Mißachtung des Bundes der Brüderlichkeit, welches die Arbeiter der verschiedenen Länder verbinden und sie anfeuern sollte, in allen ihren Kämpfen für Emanzipation fest beieinanderzustehen, stets gezüchtigt wird durch die gemeinschaftliche Vereitlung ihrer zusammenhanglosen Versuche. Es war dies Bewußtsein, das die Arbeiter verschiedener Länder in dem Meeting zu St. Martin's Hall, London, anspornte zur Stiftung der Internationalen Assoziation."[9]

Es ist heute bei vielen linken Strömungen in Vergessenheit geraten, daß die sehr demokratisch strukturierte I. Internationale letztlich nicht nur über einen heftigen politisch-programmatischen Streit zwischen Marxisten einerseits und Anarchisten und Reformisten andererseits zerbrach, sondern auch an der Organisationsfrage:: "Gesellschaften oder Personen, welche sich weigern, die Kongreßbeschlüsse anzuerkennen, oder wissentlich die durch die Statuten und Verwaltungsanordnungen auferlegten Pflichten verabsäumen, stellen sich selbst außerhalb der Internationalen Arbeiter-Assoziation und hören auf, Mitglieder derselben zu sein."[10] Der Kampf für eine konsequente proletarische Politik kann ohne demokratische und zugleich verbindliche Organisation nicht geführt werden. Marx und Engels hatten schon in der Ansprache der Zentralbehörde an den Bund vom März 1850 betont, daß eine Arbeiterpartei "möglichst organisiert, möglichst einstimmig und möglichst selbständig auftreten muß".[11]

Die 1889 gegründete II. Internationale erfüllte diese Anforderungen nur sehr bedingt. "Sie war", wie Lenin schrieb, "eine internationale Organisation der proletarischen Bewegung, deren Wachstum in die Breite ging, was nicht ohne zeitweilige Senkung des revolutionären Niveaus, nicht ohne zeitweiliges Erstarken des Opportunismus ablief, was schließlich zum schmählichen Zusammenbruch dieser Internationale führte."[12]

Lenins Auseinandersetzung mit dem Kollaps der II. Internationale war alles andere als ein Bruch mit dem Marx’schen Konzept der international orientierten Revolution. Ihm ging es um die revolutionäre Erneuerung der Arbeiterbewegung und des Internationalismus. Lenin wandte sich gegen solche Sozialisten, die "seit langem jeden Rekord geschlagen (haben) in puncto unglaublich geschwollener und tönender pazifistischer und internationalistischer Phrasen, die verbunden sind mit einem unerhört schamlosen Verrat am Sozialismus und an der Internationale, mit dem Eintritt in die den imperialistischen Krieg führenden Regierungen."[13]

Er betonte: "Es gibt nur einen Internationalismus der Tat: Die hingebungsvolle Arbeit an der Entwicklung der revolutionären Bewegung und des revolutionären Kampfes im eigenen Lande, die Unterstützung (durch Propaganda, durch moralische und materielle Hilfe) einer ebensolchen Linie und nur einer solchen allein in ausnahmslos allen Ländern. Alles andere ist Betrug". [14]

Dies erforderte für Lenin zugleich den unversöhnlichen politischen Kampf der Internationalisten der Tat gegen die auf die Seite der Bourgeoisie übergegangenen Sozialisten in Worten, gegen "die Bourgeoisie in der Arbeiterbewegung" und gegen das "Zentrum", die schwankenden Elemente der sozialistischen Arbeiterbewegung, die im entscheidenden Moment immer wieder prinzipienlose Kompromisse mit den Sozialchauvinisten suchen. Das bedeutete zugleich, daß Lenin den Bruch mit der zentristischen Mehrheit der Zimmerwalder Linken forderte und folgerichtig die Gründung einer neuen, der III. Internationale propagierte[15]: "Wir müssen ... ohne Zeit zu verlieren, eine neue, revolutionäre, proletarische Internationale gründen". Und, fügte Lenin hinzu: "Mag die Zahl solcher Sozialisten auch klein sein, so soll doch jeder russische Arbeiter fragen, ob es in Rußland am Vorabend der Februar-März-Revolution 1917 viele bewußte Revolutionäre gegeben hat. Es kommt nicht auf die Zahl an, sondern auf den richtigen Ausdruck der Ideen und der Politik des wirklich revolutionären Proletariats. Das Wesentliche besteht nicht in der "Proklamierung" des Internationalismus, sondern in der Fähigkeit, selbst in den schwierigsten Zeiten Internationalist der Tat zu sein."[16]

1919 schrieb er: "Das Kapital ist eine internationale Kraft. Um sie zu besiegen, bedarf es des internationalen Bündnisses der Arbeiter, ihres internationalen brüderlichen Zusammenschlusses"[17]. Lenin betonte in diesem Zusammenhang die Pflicht des Proletariats der imperialistischen Metropolen, einen revolutionären Kampf für die Befreiung der Kolonien und der abhängigen Völker von der eigenen imperialistischen Bourgeoisie zu führen und die revolutionären Bewegungen dort systematisch zu unterstützen. Wer hier seinen Aufgaben nicht gerecht werde, sei ein Lump und Verräter.[18] Er zollte insoweit der Tatsache Tribut, daß wegen der Transformation des Kapitalismus in Imperialismus und der durch den Weltkrieg begonnenen Ära der sozialistischen Revolution revolutionäre Bewegungen auch in den abhängigen Ländern eine wichtige Rolle im weltrevolutionären Prozeß zu spielen begannen.

"In der Zeit, in der das Proletariat der fortgeschrittenen Länder damit beschäftigt ist, die Bourgeoisie zu stürzen und ihre konterrevolutionären Anschläge abzuwehren, werden die unentwickelten und unterdrückten Nationen nicht untätig warten, nicht aufhören zu leben, nicht verschwinden. Wenn sie schon eine solche, im Vergleich zur sozialen Revolution geringfügige Krise der imperialistischen Bourgeoisie wie den Krieg 1915/16 zu Aufständen ausnutzen (Kolonien, Irland), dann werden sie zweifellos um so mehr die große Krise des Bürgerkriegs in den fortgeschrittenen Ländern zu Aufständen ausnutzen.

Die soziale Revolution kann nicht anders vor sich gehen als in Gestalt einer Epoche, in der der Bürgerkrieg des Proletariats gegen die Bourgeoisie in den fortgeschrittenen Ländern mit einer ganzen Reihe demokratischer und revolutionärer Bewegungen verbunden ist, darunter auch mit nationalen Befreiungsbewegungen der unentwickelten, rückständigen und unterdrückten Nationen."[19] Diese internationale Perspektive macht nach Auffassung Lenins auch revolutionäre Erhebungen in kleinen Ländern sinnvoll: "Die Dialektik der Geschichte", schreibt Lenin, "ist derart, daß die kleinen Nationen, die als selbständiger Faktor im Kampf gegen den Imperialismus machtlos sind, die Rolle eines Ferments, eines der Bazillen spielen, die dem wahren Gegenspieler des Imperialismus, dem sozialistischen Proletariat, auf den Plan zu treten helfen."[20]

Nach dem Sieg der Oktoberrevolution bekräftigte Lenin bis zu seinem Tod immer wieder seine internationale und internationalistische Perspektive. So erklärte er auf dem 4. Weltkongreß der III. Internationale Ende 1922:

"Als wie seinerzeit die internationale Revolution begannen, taten wir das nicht aus der Überzeugung heraus, daß wir ihrer Entwicklung zuvorkommen könnten, sondern weil eine ganze Reihe von Umständen uns bewog, diese Revolution zu beginnen. Wir dachten: Entweder wird uns die internationale Revolution zu Hilfe kommen, dann sind unsere Siege vollauf gesichert, oder aber wir werden unsere bescheidene revolutionäre Arbeit weiter tun, im Bewußtsein, daß wir im Falle einer Niederlage trotzdem der Sache der Revolution dienen...

Schon vor der Revolution und auch später haben wir gedacht: Gleich oder doch wenigstens sehr bald wird die Revolution in den übrigen kapitalistischen Ländern beginnen, anderenfalls sind wir verloren. Trotz dieser Einsicht taten wir alles, um unter allen Umständen und um jeden Preis das Sowjetsystem zu halten, da wir wußten, daß wir nicht nur für uns allein arbeiten, sondern auch für die internationale Revolution. Wir wußten das, wir haben diese Überzeugung wiederholt ausgesprochen, vor der Oktoberrevolution wie auch unmittelbar nach ihr, wie auch in der Zeit des Brest-Litowsker Friedensschlusses. Und das war, allgemein gesprochen, richtig."[21]

Dementsprechend formulierte übrigens auch Stalin noch 1924 in "Lenin und der Leninismus": "Für den Sturz der Bourgeoisie genügen die Kräfte eine einzelnen Landes. Aber für den endgültigen Sieg des Sozialismus, für die Organisierung der sozialistischen Produktion, sind die Kräfte eines Landes, und besonders die Kräfte eines Agrarlandes wie Rußland, nicht ausreichend. Dafür braucht man die Kräfte der Arbeiter einer gewissen Anzahl entwickelter Länder."[22] Diese Formulierung fand sich noch in der ersten Ausgabe von Stalins "Fragen des Leninismus".

Später wurde diese Auffassung höchst offiziell revidiert. In der Geschichte der KPdSU (B), Kurzer Lehrgang, heißt es dazu: "Bei der Untersuchung des vorimperialistischen Kapitalismus gelangten Engels und Marx zu der Schlußfolgerung, daß die sozialistische Revolution in einem einzeln genommenen Lande nicht siegen kann., daß sie nur bei einem in allen oder den meisten zivilisierten Ländern gleichzeitig erfolgenden Schlag siegen kann .. Diese Schlußfolgerung wurde später zum Leitsatz für alle Marxisten. ... Auf Grund der Untersuchung des imperialistischen Kapitalismus gelangte Lenin, ausgehend von der marxistischen Theorie, zu der Schlußfolgerung, daß die alte Formel von Engels und Marx der neuen historischen Situation nicht mehr entspricht, daß die Revolution sehr wohl in einem einzeln genommenen Land siegen kann."[23]

In diesen wenigen Sätzen schaffen es die Autoren, sowohl die Auffassungen von Marx und Engels, wie auch die Auffassungen Lenins zu verfälschen. Sie rechtfertigen damit die unter Stalin vorgenommene grundlegende Umorientierung der Politik der KPdSU auf die vorgeblich mögliche Vollendung des Sozialismus in einem Land und die faktisch vorgenommene Unterordnung der Kommunistischen Internationale unter die außenpolitischen Interessen der Sowjetunion und ihre taktischen Wendungen.

Dies beinhaltete u.a. den Verzicht auf eine revolutionäre Politik seitens diverser Kommunistischer Parteien, um ein Bündnis der Sowjetunion mit dem Imperialismus zu ermöglichen oder nicht zu gefährden. Konsequenterweise wurde die Kommunistische Internationale 1943 aufgelöst - ohne die Einberufung ihres höchsten statutarischen Organs, des Weltkongresses. Dabei blieb es bekanntlich auch während der Periode des Kalten Krieges. Die Führung der KPdSU erwartete keine Revolutionen und sah daher keinen Bedarf für eine revolutionäre Internationale.

Der Zusammenbruch der Sowjetunion hat inzwischen die Positionen von Marx, Engels, Lenin und Trotzki als wichtigstem Verteidiger Lenins gegen die Stalinschen Revisionen des marxistischen Internationalismus bewiesen. Der notwendige Aufbau des Sozialismus kann nur vollendet werden, wenn die soziale Revolution der Abeiterklasse in den wichtigsten kapitalistischen Ländern gesiegt hat und wenn dem Imperialismus die Kontrolle über die Hauptmasse der Produktivkräfte entrissen ist. Die Aktualität Lenins ergibt sich jedoch aus einem viel wichtigeren Grund:

Trotz des Zusammenbruchs der RGW-Staaten ist es dem Imperialismus nicht gelungen, seine sich seit den siebziger Jahren abzeichnende Stagnationskrise zu überwinden. Wir sind mit einer zunehmenden Aggressivität des Imperialismus, einer neuen Phase der Militarisierung der internationalen Politik und wachsender sozialer Instabilität auch in den imperialistischen Metropolen konfrontiert. Dies bei einer immer noch anhaltenden tiefen Krise und politischen Desorientierung der sozialistischen und kommunistischen Kräfte nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Will die Linke ihre Krise überwinden, wird sie an einer Wiederaneignung der Marx’schen bzw. Leninschen Positionen nicht herumkommen.

Dies bedeutet sicher nicht, von heute auf morgen die Proklamation einer neuen revolutionären Internationale durch den additiven Zusammenschluß von Linkskräften auf internationaler Ebene oder gar nur in der Europäischen Gemeinschaft zu verkünden. Das ist auch auf nationaler Ebene kein Königsweg. Hierfür fehlen derzeit die politischen Voraussetzungen, nicht zuletzt fehlt die elementarste Voraussetzung hierfür, eine klar erkennbare revolutionäre Politik der sich für ein solches Projekt anbietenden Parteien, Organisationen und Gruppen. Was heute schon für marxistische Zirkel möglich ist, ist der Übergang zu einem Internationalismus der Tat, wie ihn Lenin im April 1917 forderte. Möglich ist auch die Entwicklung internationaler Kontakte, die verstärkte Kooperation und Verständigung mit marxistischen Kräften anderer Länder.

Dieter Elken, Mai 2003


[1]Karl Marx, Deutsche Ideologie, MEW 3, 374
[2]Friedrich Engels, Grundsätze des Kommunismus, MEW 4, S.374
[3]Karl Marx/Friedrich Engels, Manifest der Kommunistischen Partei, MEW 4, S.468
[4]Friedrich Engels, Das Fest der Nationen in London, MEW 1, S.614
[5]Karl Marx, Einleitung zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, MEW 1, S. 390
[6]vgl. Karl Marx, Ansprache der Zentralbehörde an den Bund von 1850, MEW 7, 244 (247 f
[7]Marx/Engels, Manifest der Kommunistischen Partei, MEW 4, S. 474
[8]I.A. Bach;, L. I. Golman, W. E. Kunina, Die erste Internationale, TEIL !, Moskau 1981, S.46 ff
[9]Karl Marx, Inauguraladresse der Internationalen Arbeiterassoziation, S. 5 (12 f)
[10]Beschluß des Generalrats vom 26.1. 1873, in: MEW 18, S. 691 f
[11]Karl Marx, Ansprache der Zentralbehörde an den Bund vom März 1850, MEW 7, S. 244 (245)
[12]W. I. Lenin, LW 29, S. 294 (295)
[13]W. I. Lenin, Die Aufgaben des Proletariats in unserer Revolution, 23.April 1917, LW 24, 41 (60)
[14]W. I. Lenin, a.a.O.
[15]W. I. Lenin, a.a.O., S. 63
[16]W. I. Lenin, a.a.O., S. 68
[17]W. I. Lenin, Brief an die Arbeiter und Bauern der Ukraine, LW 30, 232f
[18]W. I. Lenin, Über die Aufgaben der III. Internationale, 14.07.1919, LW 29,S. 485 (497)
[19]W. I. Lenin, Die Ergebnisse der Diskussion über die Selbstbestimmung, Juli 1916, LW 22, S. 365
[20]W. I. Lenin, a.a.O.
[21]W. I. Lenin, zit. nach Jakob Moneta, Aufstieg und Niedergang des Stalinismus, Frankfurt, o.Jhg., S. 81. Die Rede Lenins ist in der Werkausgabe nicht abgedruckt, ebenso, wie das Protokoll des Kongresses in der DDR nie wiedder aufgelegt wurde.
[22]J. W. Stalin, Lenin und der Leninismus, zit. nach E. Mandel, Zur Geschichte der KPdSU, Frankfurt, o. Jhg. S.161
[23]Geschichte der KPdSU (Bolschewiki), Kurzer Lehrgang, S.444