Fettfreie Tage

Es war Winter. Oh ja, es war so kalt das ich nur zwei bis drei Züge an meiner Zigarette machen konnte und dann die Kippe in die andere Hand wechseln musste um die andere in meiner Jackentasche zu wärmen. Mir lief die Nase. Mir wars recht. Es war Wochenende. Die Zeiten in denen ich zum Doc lief wegen einer laufenden Nase waren Montag bis Freitag. Am Wochenende konnte man mir mit einem Hammer gegen die Kniescheibe hämmern und ich lief trotzdem wie ein geöltes Uhrwerk zur Party um die Ecke oder weiter. Wenn Werktags die Schläfen vom zu viel Rauchen mehr pochten als mir lieb war. Dann gönnte ich mir den gelben Urlaub meines griechischen Arztes. Dr. Apoliantius hatte zwar ein offenes Ohr für mich wenn’s mir wirklich mal dreckig ging aber er winkte auch schnell ab wenn der Schuh der mich drückte ihm in frischem Mief in die Nase stieg. Dann fragte er meist nur wie lange ich daheim bleiben will. Wenn ihm mein Angebot angemessen schien stieg er noch mal aus seinem Ledernen Sessel auf und kam auf mich zu. Setzte sich mit einer Arschbacke auf seinen Massiven Doktor Tisch und starrte mir in die Augen. Kein bewertender Blick einfach nur ein starrender Blick von einem Doc der auf seinem Tisch hockt und sich fragt wieso er sich mit dem Gesindel abgibt. Hatte er wirklich dafür studiert um dann hier zu sein und sich die Neurosen von Bandarbeitern, Maurern, Angestellten und Saftschubsen anzuhören. Ich glaube nicht! Ich denke wer die Zeit hat über sich und die Zukunft nachzudenken und den Entschluss fasst einen sozialen Beruf zu erlernen der geht blauäugig und ersoffen in ideologischen Traumphrasen aus der Kindheit ans Werk. Er schnappte nach einem meiner Arme und kramte ein Stethoskopende aus seiner Brusttasche. Pfriemelte es durch das Loch an meinem Hemd an dem ein Knopf fehlte und war am Ziel als das Kühle Metall seines Horchgerätes auf meiner rechten Brustwarze ankam.

Seine Uhr hatte er auch schon hervorgekramt aus seinem Ärmel. Da hing eine von zwei Lederbändern zusammengehaltene Mittel wertvolle Uhrwerksrarrität die sich locker mit jeder Flohmarkt Antiquität messen konnte. Offensichtlich war auf jedenfall, dass er nicht gern über Wertvolle Dinge sprach sie scheinbar nicht besaß aber Qualität zu schätzen wusste. Er hing mit einem Arm auf meiner Brust und mit der anderen befummelte er mich anstarrend den Puls. Ich hoffte das er etwas hörte was ihm nicht gefiel.

Also gut. Also gut. Gut, gut. Also gut. Das ist so. Also gut. Wenn sie das befolgen was ich ihnen sage dann sind sie in drei Tagen wieder gesund

Aber Herr Doktor ich bin mindestens so krank als wenn ich eine Woche daheim bleiben müsste. In drei Tagen ist das nicht verheilt.

Sind sie der Arzt oder ich?

Es ist aber mein Body!

Ja das ist er aber ihr Body ist mein Job. Drei Tage, nicht mehr!

Doc heute ist Montag, Drei Tage ab Morgen oder ab heute bis Mittwoch?

Ab heute? Mittwoch? Bin ich auf einem Basar?

Bis Mittwoch mit Option wieder zu kommen!?

Damit kann ich leben aber ich will nicht wieder zu ihnen rein, ich hole mir den Rest der Woche bei ihrer Helferin ab. Das ist mein letztes Angebot!

Sie machen keine Angebote!

Sorry ok aber ich will nicht wieder in ihrem Wartezimmer hocken und das drei Stunden lang.

Was stimmt mit dem Zimmer nicht? Die Zeitschriften und der Wasserfall den ich hab einbauen lassen sind doch super oder?

Ja schon aber nicht wenn man sooft hier ist wie ich.

Ok kein Wartezimmer dafür unsere Frühsprechstunde um viertel vor Sieben!

Was?

Such dir halt einen besseren Arzt oder geh arbeiten.

Ok Doc. Ok Mittwoch sechs fünfundvierzig. Ich bin da. Und dann nur ihre Helferin am Tresen. Ihr Gesicht zweimal die Woche ertrage ich nicht.

Dann ist ja gut. Nehmen sie es nicht persönlich aber ich muss abklären wie ernst es ihnen ist mit dem Daheimbleiben.

Mir ist es sehr ernst. Ich würde dafür sogar wie eine französische Nutte sprechen für sie. Und sogar dafür so rumlaufen wie eine.

Aber nicht in meinem Wartezimmer hocken?

Das ist dann ein anderes Thema.

Ich komme zurück auf die Nutte!

Kann ich arrangieren.

Jetzt raus hier sie Simulant.

Ok Sie Quacksalber.

Daheim war es herrlich. Es war früh morgens und kuschelig warm. Ich hatte mir Brötchen gekauft und wie immer zu viele. Ich schaffte es selten meinen Bedarf einzuschätzen. Entweder zu wenig oder zu viel. Wenn ich zu viel hatte dann hoffte ich das ich Besuch bekam. Manchmal telefonierte ich sogar rum und lud Freunde ein. Ich band es ihnen natürlich nicht auf die Nase das sie zum Restefressen kommen sollten aber dafür sollten sie eigentlich kommen. Rührte aus der Zeit her in der ich Pfandflaschen aus den Mülltonnen fischte und Kippenstummel an U-Bahnstationen aus Regenrinnen buddelte.

Einmal wurde ich vom Amt in einem Garni Hotel untergebracht. Ein Vierbettzimmer von denen zwei von Stammgästen belegt waren und zwei von meistens Wochenendgästen. Freigängern aus dem Knast und Wärmebedürftigen Obdachlosen. Ich war ein Stammgast. Wer länger als drei Tage hier schlief gehörte bereits zum Inventar. Ich und ein Irakischer Fernsehmechaniker. Dessen größte Leidenschaft es war rote Marlboro zu rauchen. Meine war es lediglich Hunger zu haben und auf die Kippen zu scheißen.

Er bemerkte irgendwann beim Pfandflaschen abgeben das der Pfandautomat auch eine aus Versehen untergemischte Einwegflasche annahm. Mit dieser Sensation kam er dann zurück ins Zimmer und packte eine Packung Toast und eine Zehner Packung Chester-Käse aus seiner malträtierten Einkaufstüte aus und erzählte mir die Neuigkeit.

In meinem Schädel blitzte diese Idee die letzten Reserven Hirnaktivität leer und ich folgte ihm Stockwerk für Stockwerk und kramte die Mülltonnen leer und stopfte mir alle Flaschen in die Taschen die ich finden konnte. Wir hatten die Lücke im System entdeckt und es kam in uns die Stimmung des Aufbruchs auf. Wir dachten nicht daran das es uns unheimliche Mühe kostete auch nur eine brauchbare Flasche zu finden.

Kamen dann in unser Zimmer zurück und leerten die Tüten auf einem der nicht besetzten Betten aus. Zählten unsere Ernte und der Iraker als Fachmann sortierte mit einem Zigaretten Stummel im Mundwinkel unbrauchbare Flaschen aus. Da er mir nicht verraten hatte wo dieser Pfandautomat stand und ich ihn meinerseits nicht gefragt hatte war es klar das er gehen würde um den Tausch perfekt zu machen.

Wir hatten genau sechs Mark zusammengesucht und ich trug ihm mein Wünsche auf. Kauf bitte drei oder vier Packungen Nudeln und eine Packung billiges Toastbrot. Uns gingen die Kippen aus. Ich dachte auch an Tabak aber das müssten wir uns am Munde abstottern und uns blieb ohnehin immer noch die Regenrinne in der U-Bahnstation. Ich bat ihn Zigaretten Papier zu kaufen. Er hörte mit einem Ohr hin und stopfte die Flaschen in die Tüten zurück.

Ich fragte ihn wie lange er braucht und setzte Nudelwasser auf. So einen Hunger in dieser Stadt. Na ja. Die Straßen in der Stadt sind schön aber was gehen mich die Parks und Wege an wenn ich Löcher in den Schuhen habe. Er ging und ich nahm unseren einzigen Topf und setzte ihn auf die Herdplatte. Tropfte fünf unserer letzten Zehn Tropfen Öl ins Wasser und streute Salz hinterher und beobachtete das noch kühle Wasser. Rührte um und wartete. Es kam mir vor als wäre er schon Ewigkeiten weg.

Setzte mich auf mein Bett und stieg energisch auf um wieder im Topf rumzustochern so als würde ich ein Gourmet Fraß für elitäre Säcke zubereiten. Wie gern hätte ich jetzt Zwiebeln geschält und Tomaten geschnitten. Und als ob ich nicht schon hundert mal in den Schränken nach Essbarem gesucht hätte ging ich meinem Gedächtnis auf den Leim und stieß die Schränke wieder auf. Alles leergefressen. Der muss jetzt aber langsam wieder hier sein. Nudeln mit Butter zwischen den Zähnen. Die Gabel in den Teller stoßen und vielleicht verschwenderisch ein Stück Toastbrot mit Käse dazu essen. Mir stieg der Saft in den Mund und ich trank schnell einen Schluck Wasser direkt aus dem Hahn.

Drehte den Herd wieder runter und schob den Vorhang zur Seite und blickte hinunter auf die Straße. Gerade in diesem Moment ging die Türe auf. Mein Irakischer Freund hatte seine leere Tüte in der Hand und lächelte mich an. Und? Fragte ich ungeduldig mit der einen Hand in der Luft und der anderen mittlerweile wieder den Löffel im Topf rührend. Was und? Er tat so als wäre er die letzten Stunden woanders gewesen.

Man hat es geklappt oder nicht? Fragte ich und sah auf seinen Mund und wartete auf seine verdammte Antwort.

Setz dich erst mal wieder hin!

Was hinsetzen Alter? Ich hab scheißhunger Mann.

Willste eine Rauchen? Er kramte eine frische neue Schachtel, eine scheißvolle Schachtel rote Marlboros aus seiner Jackentasche und grinste mich an.

Ne oder? Ne Mann. Du hast doch den verdammte scheiß Arsch offen Mann. Du verdreckter Nikotin Junkie. Ne, nein kotz die Wand an. Du...Penner du

Ich grub mein Gesicht in meine Hände und pflanzte mich aufs Bett. Wollte gerade noch einmal ausholen und ihm die Meinung geigen aber ich brachte keine Worte aus dem Mund. Ich stand auf und ging zum Herd dreht ihn runter und schnorrte eine Kippe von meinem Mitbewohner. Er gab mir Feuer und ich atmete den Qualm der Zigarette tief in mich hinein. Pustete aus und pfefferte dem Iraker eins in die Fresse. Zog meine Jacke an und ging in den Park Enten füttern.

Der Wasserkocher pfiff das Wasser heiß und ich nahm mir eine Tasse aus dem Schrank goss sie mir voll und nahm drei Stück Zucker zum Tee.

Breitete die Zeitung auf dem Fensterbrett aus und starrte auf die Überschriften. Well done Alter Junge, jetzt hockst du in deiner eigenen Bude mit fünf Packungen Nudeln, einem Fernseher und genug Tütensoße für zwei Wochen Nudelorgien.

Ich blätterte die Zeitung durch und las eine kurze Schlagzeile. Obdachloser beim Zigarettenstehlen erwischt. Scheiß süchtiger.