Segeln vor dem Wind der Geschichte

Anmerkung zur Parteitagsrede Oskar Lafontaines

Auf dem letzten Parteitag der Partei “Die Linke” wandte sich Oskar Lafontaine gegen die sprachliche Duckmäuserei vieler Linker. Welcher Marxist hat sich noch nicht über die halblinken Typen geärgert, die ihre Konfusion, ihr mangelndes politisches Selbstbewußtsein und ihre eigene Perspektivlosigkeit auf die Masse der Lohnabhängigen projizieren und behaupten, Linke könnten sich mit unklarer und verwaschener Sprache sowie durch die Anpassung an den bürgerliche Sprachbrei besser verständlich machen? Lafontaine hat den Anhängern dieser Art der Verkleisterung gesellschaftlicher Realitäten eine Lektion erteilt, die sie aller Erfahrung nach leider schnellstmöglich verdrängen werden.

Die Linke, stellt er fest, habe ihre jüngsten Erfolge erzielt, weil sie ihre eigenen, der sozialen Realität und den Erfahrungen ihrer Basis entsprechenden Begriffe gesetzt habe. Dies habe es der “Linken” ermöglicht, vor dem Wind der Geschichte zu segeln. Es sei generell nötig, sich wieder auf die Dialektik zu besinnen. Rückkehr zur Dialektik heiße, den Wind der Geschichte in den Segeln zu haben.

Es gelte also, das Veränderungspotential der Gesellschaft zu ermitteln: “Was wird heute im Schoße unserer Gesellschaft ausgebrütet?” Und: “Wer einen modernen Politikentwurf präsentieren will, muß sich mit dem finanzmarktgetriebenen Kapitalismus auseinandersetzen…”.

Leider endete der Flirt Oskar Lafontaines mit dem Marxismus schon an dieser Stelle. Seine Auflistung von Maßnahmen, die “Die Linke” ausgeheckt hat, um den vorgeblich “finanzmarktgetriebenen Kapitalismus” wieder auf den Boden der ideologischen Idylle eines regulierenden Nationalstaats zurückzuholen, sind bekannt: So propagiert “Die Linke” die Rückkehr zur Kontrolle des grenzüberschreitenden Kapitalverkehrs, die Einführung der Tobinsteuer auf internationale Finanztransaktionen, die Trockenlegung der Steueroasen, die “gesellschaftliche Kontrolle” der Ratingagenturen etc. etc.

Glaubt Lafontaine wirklich, die Rückkehr zu durch von der kapitalistischen Entwicklung überwundenen Formen der Regulierung des Kapitalverkehrs ließe sich im nationalen Alleingang oder gar über einen international herzustellenden Konsens bewerkstelligen? Die Renaissance einer in der Epoche des Imperialismus schon immer illusionären Konzeption des selbstgenügsamen Nationalstaats wird keine neue Blüte des Nationalstaats bewirken. Der Kapitalismus ist nicht gegen das Kapital zu machen. Das hatte zuletzt vor einem Vierteljahrhundert Francois Mitterrands Union der Linken in Frankreich feststellen müssen.

Wo liegt der Denkfehler Lafontaines?

Lafontaine kann oder will nicht begreifen, daß der “finanzmarktgetrieben Kapitalismus” die notwendige Form des überreifen, in der latenten Krise befindlichen Kapitalismus ist. Eine Form, in der die Abstraktion des Kapitals von der realen Basis der Produktion das höchste Ausmaß erreicht und zugleich den Schein der Trennung des auf technisch-rationaler Basis ablaufenden Arbeitsprozesses von den abgehobenen Kapitalverwertungsinteressen der Hedgefonds und anderer international tätiger “Heuschreckenkapitalisten” erweckt.

Daß es dazu kommen würde, hatte bereits Marx festgestellt: “Der Zins an sich drückt gerade das Dasein der Arbeitsbedingungen als Kapital, in ihrem gesellschaftlichen Gegensatz zur Arbeit, und in ihrer Verwandlung in persönliche Mächte gegenüber der Arbeit und über die Arbeit aus. Er stellt das bloße Kapitaleigentum dar als Mittel, sich Produkte fremder Arbeit anzueignen. Aber er stellt diesen Charakter des Kapitals dar als etwas, das ihm außerhalb des Produktionsprozesses zukommt, und das keineswegs das Resultat der spezifisch kapitalistischen Bestimmtheit des Produktionsprozesses selbst ist. Er stellt es dar, nicht im Gegensatz zur Arbeit, sondern umgekehrt, ohne Verhältnis zur Arbeit.”[1]

Weil Lafontaine diesem Schein aufsitzt und das zugrundeliegende Wirken der Kapitalverwertung in seinen modernen Erscheinungsweisen wie Hedgefonds und ähnlichem nicht als ihn nicht als notwendige Form des überreifen und faulenden Kapitalismus begreift, sieht er die Spekulation mit Kapitalien, die keine unmittelbar produktive Anlagesphäre finden, als einen Auswuchs, den es zu bekämpfen gilt.

Wo der reale Kapitalismus tagtäglich Argumente liefert, ihn aufgrund seiner Irrationalität endlich zu überwinden, beschwört Lafontaine und mit ihm “Die Linke” nur die Rückkehr zu einer vorgeblich guten alten Zeit des Kapitalismus — ohne zu sagen, wann es diese gegeben haben soll. Soweit “Die Linke” zur Zeit Rückenwind in den Segeln hat, hat sie ihn deshalb, weil sie sich dank Lafontaine und trotz des anhaltenden Widerstands des Parteiapparates auf Bundesebene als Interessenvertreterin der Arbeiterklasse präsentiert. Aber die Strategie Lafontaines zielt nicht auf die Aufhebung der kapitalistischen Verhältnisse sondern auf deren rückwärtsgewandte Reform. Mit dieser Politik wird das schlingernde Schiff der “Linken” früher oder später auf kapitalistischen Grund laufen.

Vom Kapitalismus zum Sozialismus

Wer danach sucht, welche Elemente der künftigen sozialistischen Gesellschaft im Kapitalismus ausgebrütet werden, muß nur die Augen aufmachen: Schon im Manifest der Kommunistischen Partei von 1848 betonte Marx, daß der Kapitalismus durch die Schaffung des Weltmarktes eine neue internationale Klasse geschaffen hat, das Proletariat, d.h. die Klasse der Lohnabhängigen. Die kapitalistische Entwicklung hat die Mehrheit der Weltbevölkerung verproletarisiert. Die sog. Globalisierung, d.h. die Vertiefung der Arbeitsteilung spitzt die Widersprüche des Kapitalismus immer schärfer zu. Der Kapitalismus bietet immer größeren Teilen davon nur noch Unsicherheit, Armut, Hunger, Kriege und Elend. Zum Sozialismus gibt es deshalb keine vernünftige Alternative.

Mehr denn je gilt, daß der Sozialismus nur als gemeinsame Tat der Mehrheit der Arbeiterklasse der fortgeschrittensten Nationen denkbar ist. Die rasanten Fortschritte der sogenannten Globalisierung unterstreichen, daß die wechselseitige Abhängigkeit aller Produzenten den internationalen Zusammenschluß der Arbeiterklasse erfordert, den Aufbau einer neuen revolutionären Internationale. Diese Entwicklung setzt in allen Ländern den gemeinsamen Kampf für den Sozialismus auf die Tagesordnung.

Dieter Elken, 08.06.2008


[1]Karl Marx, Das Kapital, 3. Bd., MEW 25,395