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Zum 30. Jahrestag der iranischen Revolution

Von Torab Saleth[1]

Die iranische Revolution von 1979 war eine der wichtigsten Revolutionen des 20. Jahrhunderts. Ihre Folgen prägen auch heute noch, 30 Jahre später, den Iran und den Mittleren Osten. Obwohl sie eine unmittelbare Reaktion auf die Weiße Revolution des letzten Schahs zu Anfang der 60-er Jahre gewesen war, hatte sie tiefergehende historische Ursachen, die bis zur Konstitutionellen Revolution von 1906 zurückreichten. Natürlich fand die zweite iranische Revolution unter ganz anderen historischen Bedingungen statt; und in ihr gab es zwischen den gesellschaftlichen Kräften ganz andere Frontstellungen und historische Aufgaben, aber sie war auch von all den ungelösten Problemen der ersten Revolution geprägt. Nach der ersten Revolution riefen die Herrschenden des Iran die russische Kosakenarmee zu Hilfe, um das neu errichtete Parlament zu versklaven. Dadurch sorgten sie dafür, daß alle wichtigen historischen Aufgaben, vor der die iranische Gesellschaft zu Beginn des 20. Jahrhunderts stand, ungelöst blieben. Die iranische Gesellschaft insgesamt blieb bis zur zweiten Revolution rückständig und litt weiter unter einem absolutistischen System, das schon fast ein Jahrhundert vorher gestürzt worden war.

Als die zweite Revolution stattfand, war der Iran jedoch ein Land, in dem der Kapitalismus zum herrschenden System geworden war. Nicht nur, daß er die vorherrschende Produktionsweise geworden war, sondern in dem Sinne, was entscheidend war, es hatte sich der Klassencharakter des Staates qualitativ transformiert. Wie immer man den Iran vor der Konstitutionellen Revolution einschätzt — bei Ausbruch der zweiten Revolution hatte der Iran eine kapitalistische Wirtschaft und einen bürgerlichen Staat. Der Schlüsselfaktor in der modernen iranischen Geschichte war somit eben diese Transformation, die nach der Unterdrückung des revolutionären Wandels von unten mit brutaler Gewalt von oben durch den Staat betrieben wurde. Wie wurde es möglich, daß die herrschenden Klassen des Iran, die sich schon 1906 einer revolutionären Herausforderung gegenübersahen, dennoch die Kräfte sammeln konnten, die nötig waren, weiter zu herrschen und dieses Jahrhundert der Transformation von oben anzuführen? Die Antwort ist natürlich, daß ihnen dieses Kunststück nicht aus eigener Kraft gelang! Die zweite hervorstechende Tatsache der iranischen Geschichte ist, daß diese gesamte Periode der Transformation von oben gleichzeitig die Geschichte ausländischer Einmischung in den Iran ist (bis 1917 gemeinsam durch den russischen und britischen Imperialismus, von 1917-1953 durch den britischen Imperialismus, von 1953-1979 durch den amerikanischen).

Das direkte Ergebnis dieser Einmischungen war die widersprüchliche Lage, in der sich der Iran während der zweiten Revolution befand. Der Kapitalismus herrschte 1979, aber mit einem politischen Regime, dessen Form dem Asiatischen Despotismus näher war als dem Parlamentarismus. Das war nicht nur ein einfaches Relikt der asiatischen Vergangenheit, sondern ein neu, nach Art von Frankenstein zusammengestückeltes System, dessen Versatzstücke vom Müllhaufen der iranischen Geschichte gekramt worden waren und dem durch die imperialistische Vorherrschaft über den Iran Leben eingehaucht worden war. Überdies war der Despotismus des Schah nicht einfach eine Anomalie am Körper einer ansonsten sprudelnden, modernen kapitalistischen Wirtschaft. Die Art der Transformation von oben wäre ohne dieses Monster an seiner Spitze gar nicht möglich gewesen. Das erstere war die Vorbedingung für das letztere. Der Kampfruf der Konstitutionalisten in einer iranischen Gesellschaft, in der es noch gar keine bedeutende kapitalistische Klasse gab, lautete: “Freiheit, verfassungsmäßige Ordnung und Sicherheit für alle Bürger”. Im kapitalistischen Iran des Schah von 1979 herrschte der Schah noch immer ohne irgendeine Bindung an Gesetze. Kein Bürger, sogar Mitglieder der herrschenden Klassen eingeschlossen, genoß irgendeine Freiheit oder Sicherheit. So, wie einst die Mogul-Könige an ihre gläubigen Diener Provinzen verschenkten, so räumte das Schah-Regime einer Gruppe von Günstlingen am kaiserlichen Hof kapitalistische Monopolrechte im Handel ein, während die tatsächlichen Verkäufer, die internationalen Monopolkapitalisten, das ganze als Weiße Revolution feierten. Der Schah hielt sich demzufolge nicht deshalb an der Macht, weil die kapitalistischen Verhältnisse im Iran so stark entwickelt waren, sondern weil der Iran eine Stellung innerhalb der kapitalistischen Weltordnung einnahm, die dort einen Polizeistaat nötig machte.

Noch bevor die zweite iranische Revolution richtig Fahrt aufnahm, trug sie bereits die Totenmaske der ersten. Das war als solches nichts Neues. In ähnlicher Weise schleppen die meisten Revolutionen in rückständigen Ländern den Ballast vorangegangener gescheiterter Revolutionen mit sich. In Iran hielt die Geschichte jedoch eine neue Wendung bereit. Als 1976-77 die revolutionäre Krise ausbrach, standen die fortschrittlichen revolutionären Kräfte nicht nur dem “verwestlichten” Schah und der von den USA unterstützten kapitalistischen Klasse gegenüber (die allerdings eher “asiatisch” denn “westlich” waren, sondern auch den iranischeren, sehr “traditionalistischen” vor-kapitalistischen Klassen, den mächtigen Händlern der iranischen Basare und der mit ihnen über Jahrhunderte wie mit Zwillingsbrüdern verbündeten schiitischen Hierarchie. Beide waren bis zur Weißen Revolution Teil des herrschenden politischen Blocks gewesen, hatten sich aber seitdem der Opposition gegen das Schah-Regime angeschlossen.

Man hüte sich davor, diese Klassen mit der sogenannten Nationalen Bourgeoisie zu verwechseln — nebenbei bemerkt eine der am meisten Verwirrung stiftenden Kategorien des 20. Jahrhunderts. Diese sogenannten traditionellen Klassen sind im Verlauf der iranischen Geschichte immer wieder durch ihre unverblümt krasse Verteidigung ihrer Eigeninteressen gegenüber allen anderen sozialen Klassen in Erscheinung getreten, für ihre ewig wechselnden Bündnisse mit den verschiedenen ausländischen oder einheimischen Herrschern auf der politischen oder ökonomischen Ebene. Seit dem Fall des savidischen Reiches im 17. Jahrhundert haben sie bei jeder Wende auf dem langen Weg des Übergangs zum Kapitalismus ihre Hände im Spiel. Sie sind verantwortlich für jede Niederlage. Sie waren diejenigen, die sich der konstitutionellen Revolution widersetzten und später dem Schah halfen, die russische Kosakenarmee ins Land zu holen, um sie zu zerschlagen. Ein halbes Jahrhundert später, 1953, wäre die Bewegung für die Nationalisierung der Ölindustrie um Mossadegh nicht durch den Putsch der CIA zu Fall gebracht worden, hätten sie nicht wieder ihre Hände im Spiel gehabt. Der sich danach Schah-in-Schah (König der Könige) nennende Mohammed Reza Pahlevi hätte 1953 ohne diese nicht wieder an die Macht gelangen können.

In gewisser Weise läßt sich sagen, daß diese gesellschaftlichen Klassen in Iran immer die Kompradoren-Gene früherer Kollaborateure in sich trugen! Wenn man sich mit der jüngeren Geschichte des Iran beschäftigt, stellt man fest, daß sich in diesen Klassen stets mächtige Lobbyistennetzwerke fanden, die amerikanische, britische, französische und sogar russische bzw. sowjetische Interessen unterstützt haben. Neben diesen Netzwerken, bzw. teilweise deckungsgleich mit diesen Netzwerken, gab es immer auch mafiöse Geschäftsstrukturen, die nicht nur den größten Teil des Landbesitzes in ihre Hände brachten, sondern jahrhundertelang den Handel dominierten. Die vom Schah betriebene kapitalistische “Modernisierung” führte natürlich dazu, daß die wirtschaftliche und gesellschaftliche Macht dieser Klassen eingeschränkt wurde, über die sie zuvor verfügten. Das deformierte und amerikanisch beherrschte bzw. unterstützte kapitalistische Wachstum führte jedoch nicht nur zur Schwächung dieser Klassen. Sie konnten auch genügend Finanzkraft akkumulieren, um den Schah und seine imperialistischen Unterstützer herauszufordern, als deren Art und Weise des kapitalistischen Wachstums an seine Grenzen geriet.

Betrachtet man das historische Ergebnis dieses Prozesses, besteht die Tragödie der iranischen Revolution darin, daß es ihr gelang, 1979 den Schah und seine von den USA gestützten kapitalistischen Günstlinge zu stürzen, nur, um die Macht an sogar noch reaktionärere Teile derselben herrschenden Klasse auszuliefern, die die Nachfolge der Konterrevolution von 1906 verkörpert. Die vereinten Kräfte des iranischen und des russischen Despotismus benötigten 5 Jahre, um die erste Revolution zu besiegen. Als sich die zweite in eine islamische Revolution verwandelte, trug sie ihre eigene Niederlage bereits auf der Stirn. Als sie ihren Sieg proklamierte, war bereits das aus ihr geworden, was man nur als konterrevolutionäre Revolution bezeichnen kann, als eine Revolution gegen die Geschichte. Dreißig Jahre später kann es keinen Zweifel daran geben, daß sie gesellschaftliche Klassen an die Spitze der iranischen Gesellschaft spülte, die aus noch dunkleren Ecken der iranischen Geschichte hervorgekrochen waren als jene, die gestürzt worden waren. Die Veränderungen, die sie in der kapitalistischen Wirtschaft mit sich brachte, haben es ermöglicht. Daß eine noch viel despotischere, monopolistischere, korruptere und abhängigere Form des todgeweihten Kapitalismus entstand, als man es sich vor dreißig Jahren vorstellen konnte.

Die Geschichte der iranischen islamischen Revolution ist deshalb vor allem anderen die Geschichte einer wirklichen Volksrevolution, die von einer an ihre Spitze gespülten konterrevolutionären Führung entführt wurde. War dieser geschichtliche Rückfall eine einzigartige Besonderheit des Iran? Oder wird er mit der Kraft des Islam erklärt? Khomeiny selbst behauptete, die unsichtbare Hand Gottes sei im Spiel gewesen. Aber wir brauchen nichts weiter zu betrachten als das kapitalistische Weltsystem und seine Vormacht, den US-Imperialismus, um zu sehen, daß ohne ihn ein solches Szenario nicht möglich gewesen wäre. Es ist eine einfache und inzwischen gut dokumentierte Tatsache, daß der US-Imperialismus, nach dem Scheitern aller anderen Versuche zur Rettung des bürgerlichen Staates, auf den theokratischen Faschismus setzte, um in der Stunde höchster Not dessen Haut zu retten. Nach 1906 bedurfte es des direkten imperialistischen Eingreifens, um die Revolution zu zerschlagen. 1979 war der US-Imperialismus “klüger”, weil er sich auf die Loyalität ihm treu ergebener politischer und militärischer Instrumente stützen konnte, dem Geheimdienst des Schah, den SAVAK, und die königlichen Armee. Er schloß ein Abkommen mit der islamischen Konterrevolution und überzeugte sowohl seine Verbündeten im Westen, wie seine Lakaien im Iran, dieser zum Sieg zu verhelfen.

Durch die Unterstützung der Islamisierung der iranischen Revolution gelang es dem Imperialismus, der wirklichen Revolution eine Niederlage beizubringen und die kapitalistische Ordnung im Iran zu retten, aber um den Preis der Schaffung eines theokratischen Monsters, das die iranische Gesellschaft politisch noch vor das 19. Jahrhundert zurückgeworfen hat und dazu noch eine Hauptkraft der Reaktion gegen alle fortschrittlichen und säkularen Bewegungen von Südostasien bis Nordafrika ist, insbesondere im Mittleren Osten. Sie fordert sogar die US-Interessen heraus, zu deren Absicherung sie einst an die Macht gebracht wurde. Aber das ist nicht der erste Fall, in dem ein tollwütiger Hund sein Herrchen beißt. Angesichts der Stärke der anti-US-amerikanischen Stimmungen im Nahen und Mittleren Osten, wird sie um so stärker je häufiger sie zubeißt. Wenn schon wichtige Sektoren der antikapitalistischen Linken im Westen den theokratischen Faschismus als Vorkämpfer antiimperialistischer Kämpfe feiern, was kann man dann von den unterdrückten palästinensischen Massen des Nahen Ostens erwarten, die der Gnade eines anderen fanatischen Hundes des US-Imperialismus ausgeliefert sind?

Diese Niederlage wirft ein neues Schlaglicht auf einen allem Anschein nach Grundzug unserer Epoche. Der Kapitalismus wächst und herrscht auch in der Phase seines historischen Niedergangs weiter, aber diese Vorherrschaft produziert zugleich krebsartig wuchernde Rückfälle in die vorkapitalistische Vergangenheit. Das iranische Beispiel zeigt, daß das kapitalistische Weltsystem zwar auch noch in seiner Niedergangsphase in der Lage ist, in seinen Metropolen den Anschein von Demokratie zu wahren, aber nur um den Preis der Unterstützung des theokratischen Faschismus in seiner Peripherie. Der imperialistische Kapitalexport kann heute nur noch mit dem Export von Barbarei verbunden sein. 30 Jahre nach der Niederlage der Revolution sammelt sie erneut Kräfte, um die herrschenden Klassen des Iran herauszufordern. Aber der Teufelskreis ist immer noch da. Die imperialistischen Sanktionen und die Drohungen mit einer Militärintervention in den Iran stärken die reaktionärsten Teile der herrschenden Klassen des Iran und gleichzeitig schwächen und entpolitisieren sie die fortschrittlichen Kräfte. Kann sich jemand ernsthaft vorstellen, daß die jüngsten imperialistischen Pläne für einen neuen Regimewechsel im Iran irgend etwas besseres produzieren als 1979?

Übersetzung : Dieter Wilhelmi


[1]Der Autor gehört der Organisation “Linke Arbeitereinheit des Iran” an.