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Religion ist Privatsache

Worum geht es beim Streit um den Werte-Unterricht in Berlin?

Worum geht es eigentlich bei dem jüngst ausgebrochenen Streit um den Werte-Unterricht in Berlin? Einen ähnlichen Unterricht gibt es im Land Brandenburg als LER (Lebensgestaltung-Ethik-Religion) schon länger. Dort gibt es neben LER auch noch Religionsunterricht, wer dort hingeht, kann sich beim staatlichen Pflichtfach LER abmelden ( Wahlpflichtfach ) ähnliche Wahlmöglichkeiten gibt es auch in den anderen neuen Ländern. Die Kirche hat zwar hier auch gemeckert, aber was jetzt in Berlin abgeht, steht dazu in keinem Verhältnis.

Warum also die Aufregung? Eben weil in Berlin neben der Einführung des neuen staatlichen Unterrichtsfaches der staatliche Zwangsunterricht in Religion ersatzlos wegfällt. Wenn die Schülerinnen und Schüler trotzdem Religion lernen möchten, können sie das gerne tun —aber in ihrer Freizeit. Der Besuch von Religion ist kein Ersatz mehr für die Teilnahme am staatlichen Werte-Unterricht, Religion (egal welche) ist somit endgültig Privatsache.

Und da liegt des Pudels Kern. Die Pfaffen aller Couleur regen sich genau darüber auf, bei einer Fernsehdiskussion zum Thema vor ein paar Tagen flippte ein teilnehmender katholischer Pfaffe geradezu aus, als ein Mitarbeiter des Humanistischen Verbandes, mit Verweis auf die große französische Revolution, nachdrücklich die Trennung von Staat und Kirche einklagte und das Teufelswort von der “Privatsache” aussprach.

Genau das wollen nämlich die Vertreter der in Deutschland durch das Grundgesetz privilegierten christlichen Sekten nicht. Aus ihrem vermeintlichen “öffentlichen” Auftrag leiten sie nämlich ihre Sonderrechte ab: daß der Staat den Mitgliedsbeitrag ihres Vereins kostenlos für sie einzieht (Kirchensteuer), daß sie in den Aufsichts- und Kontrollgremien öffentlich-rechtlicher Körperschaften vom Arbeitsamt bis zum Rundfunkrat Sitz, Stimme und Einfluß haben und nicht zuletzt ihr “Recht” auf staatlichen Zwangsunterricht in Religion.

Nun ist der Beschluß der Berliner SPD wahrlich keiner, der um der Emanzipation des Staates von der Kirche willen gefaßt wurde, also ein Mehr an bürgerlicher Freiheit verwirklichen soll, sondern Ausdruck einer Zwangslage. Man wollte aus rassistisch motivierten Gründen einen Islam-Unterricht an den deutschen Schulen, der dem christlichen Religionsunterricht rechtlich gleichgestellt ist, um jeden Preis verhindern. Nachdem das trotz aller Tricksereien des Berliner Schulsenators am Gleichbehandlungsgrundsatz unserer Verfassung gescheitert ist, wurde halt auch der staatliche Zwangsunterricht in christlicher Religion für freiwillig erklärt und ein staatlicher Werte-Unterricht eingeführt; - um für die Moslems keinen Präzedenzfall zu schaffen, der die Werte des “christlichen Abendlandes” in Gefahr bringen könnte. Verschärfend kam hinzu, daß nur noch 31% der Berliner Einwohnerschaft den beiden christlichen Großsekten anhängen, im Osten sind es weniger als 5%, und damit die Akzeptanz eines staatlichen Zwangsunterrichts in Religion immer mehr abnimmt.

Sozialistinnen und Sozialisten sind natürlich generell gegen Religionspropaganda an staatlichen Schulen (oder was das betrifft, Theologie-Ausbildung an staatlichen Universitäten), sei es nun im Rahmen eines Religions-“Unterrichts” oder im Rahmen des staatlichen Werte-Unterrichts — und wir sind uns damit einig mit vielen Liberalen und Demokraten, von denen uns sonst vieles trennt. Schon seit der Aufklärung des 18. Jahrhunderts sind die Trennung von Staat und Kirche, sowie der Rückzug des Religiösen in den privaten Raum (Säkularisierung des öffentlichen Raumes) eine Grundforderung für jeden Demokraten.

Warum? Der mündige Staatsbürger, der sich in Freiheit entscheiden will, muß wissen, z.B. um Möglichkeiten und Alternativen, denn erst dieses Wissen erlaubt ihm die freiheitliche Entscheidung. Der religiöse Mensch aber soll nicht wissen, sondern glauben. Wissen und Glauben sind schon immer der Gegensatz schlechthin gewesen, durch nichts miteinander vermittelbar (auch wenn uns die Pfaffen einreden wollen, der Glaube sei “geoffenbartes" Wissen” und damit höher stehend als das Wissen, das sich aus unserer alltäglichen Erfahrung speist.)

Wer glaubt, muß gehorsam sein, denn er muß auch an Dinge glauben, die sich seiner Überprüfung entziehen oder seiner Erfahrung widersprechen. Er muß glauben an irrsinnige Dinge wie: Wunder, die Jungfrauengeburt Marias, die Erschaffung der Welt in sieben Tagen, daß Gott durch den Propheten Mohammed zu den Menschen sprach, daß Selbstmordattentäter im Paradies von 70 (!) Jungfrauen verwöhnt werden oder an die Unfehlbarkeit des Papstes, um nur mal ein paar Unsinnigkeiten aufzuzählen.

Glaube und Gehorsam gehören untrennbar zusammen, ebenso wie Wissen und Freiheit der Entscheidung. Sie sind nicht nur zwei unterschiedliche Weltanschauungen, sondern auch zwei völlig entgegengesetzte Erziehungsziele. Deshalb haben sich die siegreichen Kapitalisten nach ihren erfolgreichen antifeudalen Revolutionen sich wieder der vorher so verhaßten Kirche und Religion bedient, der gläubig-gehorsame Untertan läßt sich leichter regieren und manipulieren, als der wissenschaftlich gebildete und dadurch mündige Staatsbürger.

Wir unterstützen kritisch die Berliner SPD bei ihrer Politik zur Ersetzung des staatlichen Zwangsunterrichts in Religion zugunsten eines pluraleren Lehrfachs. Mögen sich dahinter auch andere Absichten verbergen, die Wirkung ist eine entschieden emanzipatorische. Und der wochenlange Fernsehterror im Zusammenhang mit dem Tod und der Neuwahl eines Sektenführers in Rom zeigt überdeutlich, daß die “Dunkelmänner” immer noch großen Einfluß haben und ihr Ziel, uns in das geistige Mittelalter zurück zu führen, nicht freiwillig aufgeben werden.

Korrespondent aus Berlin - April 2005