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Filmbesprechung: Bahoz ( Der Sturm)

Der Vorhang zwischen der filmischen Kunst und der Realität fließt in der Leinwand. Das Gefühl, das was wir gerade auf der Leinwand sehen, schien jetzt Realität und was war wir im Augenblick erleben, ist wie passive Teilhabe an der Realität. Wir filmen im Augenblick. Die Realität beschränkt sich ausnahmsweise auf 165 Minuten. Das Gefühl erlebte ich im Kino beim Film “Bahoz” auf Deutsch der Sturm.

Der Film ist eine Begegnung mit der unterdrückten Identität der Kurden in der Türkei und in Kurdistan. Die Reise beginnt in einer Stadt, wo die Türkisierung der Kurden vor 70 Jahren blutig beendet worden war. Dersim, eine Stadt, deren Name aus den offiziellen Registern verschwunden ist. Einst lebten Kurden und Armenier in dieser Stadt miteinander. Erst verschwanden die Armenier aus der Region. Im Jahre 1905 wurden über 1 Millionen Armenier im osmanischen Reich massakriert. Der Weg zur Vernichtung und Assimilierung der Kurden wurde durch den Völkermord an den Armeniern geöffnet. Dersim war das letzte Ziel der jungen kemalistischen Republik. Man baute neue Wege in Dersim, um später militärisch besser in dieser Region zu operieren. Schätzungsweise wurden allein über 80.000 Tausende Kurden und Kurdinnen aus Dersim ermordet. Die übrig gebliebenen Kinder wurden in die türkischen Internatschulen geschickt. Keiner traute sich mehr offen zu sagen, dass man selbst Kurde sei. In der Schulen wurde den Kinder beigebracht, dass Kurden nicht existieren und die Kinder selbst prächtige Türken seien.

Die Geschichte unseres Filmes beginnt eben mit einem Jungen namens Cemal aus Dersim, der die Aufnahmeprüfungen der Universität in Istanbul bestanden hat. Es ist in seiner Umgebung alles kurdisch. Die Sprache, Kultur und das Dorf prägen uns Zuschauer mit dem Gefühl, wir hätten es hier mit einer kurdischen Familie zu tun. Wenn eine Sache nicht zu sehen wäre. Das Bild von Mustafa Kemal Atatürk, ist an der Wand. Cemal”s Familie geht davon aus, dass sie Türken seien. Cemal ignoriert erst mal regelrecht die politische Umgebung in der Universität. Es gibt auch eine Welt außerhalb des politischen. Er möchte in dieser Umgebung zuhause sein. Er scheiterte mit seinem Versuch. Alle anderen Mitglieder dieses Kreises kommen aus den Städten des Kleinbürgertums. Cemal kann sich nicht mit solchen Leuten befreunden.

Seine Selbstverleugnung und die damalige politische Atmosphäre münden in einem Widerspruch. Cemal prallte in Istanbul mit Wucht an die anderen kurdischen Studenten und Studentinnen. Er wurde von einer kurdischen Studentin geohrfeigt. Er sah, wie zwei Kurden in einem Bus von anderen Passanten beschimpft und rausgeworfen wurden, weil sie sich auf Kurdisch unterhalten haben. Es begibt sich auf die Reise. Als ein Türke begann er die Reise, als politischer kurdischer Kämpfer schritt er voran. Die Lektüre der Marxisten oder Intellektuellen wie Ismail Besikci sind seine Wegweiser. Ismail Besikci ist ein türkischer Soziologe, der bereits in den 60er Jahren von Kurden und Kurdistan in seinen Büchern geschrieben hat und dafür 17 Jahre im Gefängnis verbringen musste.

Außer kurdischen Jugendlichen sind in der selben Uni auch andere politische Gruppierungen aktiv. Die radikal linken und gemäßigten Linken diskutieren unter sich und polemisieren, wie sie unter Studenten besser politisch arbeiten können. Direkte Aktionen oder Verbesserungen der Alltagssituationen der Studentenschaft ist im Kern die Diskussion der Linken.

Die nächste Gruppe sind die Islamisten. Die bitten bei Kurden um Unterstützung, weil sie für das unterdrückte palästinensische Volk kämpfen. Der Kurde sagt zynisch, ihr sieht aber nicht das unterdrückte Volk vor euren Augen. Dieser Vorwurf gegen die Islamisten betrifft in der Türkei auch die Linken, die vom Kemalismus stark beeinflusst sind.

Die Begegnung mit den Kurden, die felsenfest behaupten, sie seien keine Kurden, ist in der Türkei oder selbst in Deutschland sehr häufig. Es ist nicht die freie Auswahl der Kurden, sich so politisch zu betätigen. Ab dem Moment, wo sie von der staatstreuen Ideologie abweichen und auf ihre wahre Identität aufmerksam werden, werden sie politisch verfolgt und mit wenig Glück sogar umgebracht. Die kurdische Bewegung ist eine Reaktion gegen die türkische Assimilierung. Im Film sehen wir, dass die politische Bewegung des jungen Studenten Cemal nur mit den Leuten zusammenhängt, die dieselbe Sprache sprechen und aus demselben Land “Kurdistan” kommen. Sein Schicksal ist das Schicksal seines Volkes.

Man sah die Bereitschaft und Tapferkeit der kurdischen Jugendlichen. Man sah auch die positive Rolle der Organisation unter den jungen Kurden. Man sah aber auch die Schwächen der kurdischen Jugendlichen. Wenn auch die Reise in die Berge sehr in der Form der Epik erzählt wird, ist die Reise in die Berge das Scheitern in den Metropolen. Die Repression der türkischen Polizei und die Hoffnung, dass die Berge die Rettung seien, vermischen sich in der politischen Atmosphäre, dass die politische Arbeit unter Millionen in der Stadt vernachlässigt werden müsste.

Die Moral der Organisation, dass Liebesbeziehungen in der Partei verboten sein müssen, musste sicher zu Widersprüchen führen. Das sich liebende junge Paar musste durch den Druck der Organisation ihre Beziehung aufgeben. Die Selbstkritik innerhalb der Organisation war für das Paar eher peinlich und schmerzend. In einer Welt, in der sich die Paare ein paar Meter weiter unter einer Brücke im Wald lieben, musste das kurdische Paar für ihre Gefühle Selbstkritik üben.

Der Regisseur Kazim Öz erzählt uns in 165 Minuten eine Geschichte anfangs der 90-er Jahre. Das, was erzählt wird, ist unsere Geschichte. Die Geschichte der vergessenen Völker. Die Wachrüttelung Cemal”s ist die Wachrüttelung einer Generation. Die spielerischen Fähigkeiten von CAHIT GÖK (cemal), FUNDA HAVIN SAC (rojda), ASIYE DINÇSOY (hêlîn), ENGIN EMRE DEGER (özcan), Ali Sürmeli ( Polizist) überzeugen uns von ihrem Können und Talent. Bahoz ist der vierte Film von Kazim Öz. Beim Film „Die Reise in die Sonne“ war er auch als Hilfsregisseur tätig. Die kurdische Filmkunst sucht ihren Yilmaz Güney seit dessen Tod. Es ist nicht sicher, ob Kazim Öz ein zweiter Yilmaz Güney wird, sicher ist Kazim Öz ein großartiger Regisseur, der seine Zukunft selbst und anders gestalten wird.

Bahoz wird am 2. August im Einewelthaus ( Schwanthalerstr. 80) gezeigt. Die Schauspielerin Funda Havin Sac wird auch erscheinen.

Suphi Toprak, 14.07.2009