Querverweise
Palästina

Artikel und Debatten zu Palästina, Israel und Zionismus

bds-Kampagne
Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen für Palästina
Übergangsforderungen

Artikel und Debatten zum kommunistischen Übergangsprogramm

Problemfall Sozialdemokratie

Marxisten und ihr Verhältnis zur Sozialdemokratie. Eine Auseinandersetzung mit der französischen Gruppe CRI.

W3C-Service

Valid XHTML 1.0 Strict



Dieter Elken:

Zionismus, Faschismus

und die Diskussion über alten und "neuen Antisemitismus"

Lenni Brenners materialreiche und gründlich recherchierte Studie über das Verhältnis des Zionismus zum Faschismus wird der deutschen Leserschaft Material an die Hand geben, das die hierzulande geführten Debatten zum Thema Antisemitismus beeinflussen wird.

Buchdeckel: Zionismus und Faschismus, von Lenni Brenner


So unvermeidlich es ist, daß aktuelle politische Debatten die Sicht auf die Vergangenheit prägen, so unerläßlich ist es, in aktuellen politischen Auseinandersetzungen die jeweiligen Positionen in ihren jeweiligen historischen Kontext einzuordnen, wenn Debatten nicht den Realtitätsbezug verlieren sollen. Lenni Brenners Arbeit beleuchtet einen besonders in der deutschen Diskussion von vielen Autoren tabuisierten Bereich der Geschichte. Die Ergebnisse seiner Forschungensarbeit werden ihren Lesern deutlich machen, daß die aktuelle Debatte in einer Grundfrage zurechtgerückt werden muß: der falschen Annahme, daß die zionistische Bewegung bis 1945 einen ernsthaften Beitrag zum Kampf gegen den Antisemitismus und Faschismus geleistet hat und daß die israelische Politik diesen Kampf fortsetzt. Dieses Buch hält sich an Tatsachen und wird in der aktuellen Debatte gerade deshalb zur Zerstörung vielgepflegter, ahistorischer Mythen beitragen.

Worum geht es in dieser Debatte?

Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts hatte es im Zuge der aufkommenden europäischen Nationalismusmen auch Initiativen gegeben, die Neugründung eines jüdischen Staates in Palästina anzustreben. Erste Kolonialsiedlungsprojekte wurden schon 1848 vorbereitet, erlangten jedoch noch keine große Bedeutung.[1]

Erst, als sich In Europa im späteren 19. Jahrhundert ein damals neuartiger, teils völkisch und teils rassistisch begründeter Judenhaß ausbreitete, sollte sich das ändern. Die Pogrome des Jahres 1882 im zaristischen Rußland und die Dreyfus-Affaire in Frankreich wurden zu Symbolen dieses Antisemitismus. Seine soziale Basis, war zunächst das alte Kleinbürgertum, das durch die aufkommende kapitalistische Industrie ruiniert wurde und seine Existenzängste in Aggression gegen die jüdische Händlerkonkurrenz richtete. Als Reaktion auf den damals zunehmenden Antisemitismus entstand unter anderen eine eigene jüdisch-nationale Bewegung, der Zionismus.[2] Im Anschluß an Leo Pinsker, der in seiner Schrift "Autoemanzipation" 1882 ausgehend von einer biologistischen und rassistischen Sicht des Judentums als erster die "Rückkehr" der Juden nach Palästina als Lösung ihrer nationalen Probleme propagierte, und vor allem an Theodor Herzl in seinem Buch "Der Judenstaat", suchte die zionistische Bewegung die Lösung ihrer Probleme in der Schaffung eines eigenen Staates.

"Der Zionismus ist also eine sehr junge Bewegung, die jüngste der europäischen nationalen Bewegungen. Das hindert ihn aber keineswegs - und zwar weniger als alle anderen Nationalismen - an der Behauptung, daß er seine Substanz aus sehr ferner Vergangenheit ziehe. Während der Zionismus in Wirklichkeit ein Produkt der letzten Phase des bereits morschen Kapitalismus ist, beansprucht er jedoch, seinen Ursprung in einer mehr als zweitausendjährigen Vergangenheit zu haben. Während er realiter eine Reaktion gegen die für Juden so verhängnisvolle Verknüpfung feudalistischer und kapitalistischer Auflösungstendenzen ist, versteht er sich als Reaktion auf die jüdische Geschichte seit der Zerstörung Jerusalems im Jahre 70 der christlichen Zeitrechnung. Seine junge Existenz ist natürlich der beste Beweis für die Unrichtigkeit dieser Behauptung. (...) Wie alle Nationalismen jedoch - und noch weit stärker - betrachtet der Zionismus seine Vergangenheit im Lichte der Gegenwart. Auf diese Weise verzerrt sich das Bild der Gegenwart. (...) so versucht der Zionismus den Mythos des ewigen Judentums zu schaffen, das ständig mit denselben Verfolgungen habe kämpfen müssen."[3]

"All diese idealistischen Konzeptionen sind natürlich untrennbar mit dem Dogma des ewigen Antisemitismus verbunden. 'Solange die Juden in der Diaspora leben, werden sie von den einheimischen Bewohnern gehaßt werden.' Dieser Grundgedanke des Zionismus, sein Gerippe sozusagen, wird natürlich durch diverse Strömungen nuanciert. Der Zionismus überträgt den modernen Antisemitismus auf alle Zeiten."[4] Das trifft auch heute noch zu.[5]

Das Verhältnis des Zionismus zu anderen, feindlichen Nationalismen und zum Antisemitismus ist bei alldem nicht so eindeutig, wie unbefangene Gemüter glauben könnten. Die zionistische Bewegung muß sich einerseits gegen den Antisemitismus wenden, ist aber zugleich auf dessen Existenz als Bedingung für die eigene Existenz angewiesen und benötigt sein reaktionäres Wirken, damit der Zustrom von jüdischen Immigranten nach Israel nicht versiegt. Nathan Weinstock stellte In seinem Buch "Der Zionismus gegen Israel" fest: "Das kausale Band zwischen rassistischen Verfolgungen und dem Fortschritt des zionistischen Nationalismus ist augenscheinlich. Jede Etappe der jüdischen Kolonisation nach Palästina entspricht der Intensivierung des Antisemitismus. Schließlich sind die Emigrationswellen, die 1882 und 1904 begannen, direkte Produkte von Pogromen."[6] Tatsächlich haben führende Repräsentanten des Zionismus dessen gefährlichsten Feind nicht im Antisemitismus erblickt, sondern in der Assimilation von Juden in ihre Völker. So formulierte es Nahum Goldmann, der ehemalige Präsident des "Jüdischen Weltkongresses" und der "Zionistischen Weltorganisation": Die Gefahr der Assimilation der jüdischen Gemeinschaft unter den Völkern, in deren Mitte sie leben, ist sehr viel ernster als die äußere Bedrohung durch den Antisemitismus."[7]

Zionismus und Antisemitismus: Eine feindliche Symbiose

Die Verhältnis von Zionismus und Antisemitismus ist nicht nur das einer Art feindlichen Symbiose.

Der Zionismus hat als als ideologisches Produkt des Nationalismus des neunzehnten Jahrhunderts eine Vielzahl von ideologischen Versatzstücken der seinerzeit herrschenden Ideologien übernommen. Diese ideologischen Anleihen gelten jeweils nicht unbedingt für die gesamte zionistische Bewegung, die von Anfang an eine breites ideologisches Spektrum in sich barg. Dennoch trug die zionistische Bewegung von Anfang an zahlreiche reaktionäre Züge.

Joachim Prinz, Zionist, damals einflußreicher Rabbi in Berlin und nach dem Krieg Führungsmitglied des American Jewish Congress, schwärmte 1934 in Blut- und Bodenromantik:

"Den Nichtjuden band die Bauernschaft immer wieder an den Boden und an das Dorf. Den Juden aber trieb das Schicksal nur in die Städte. Der Jude als Großstadt-Typus ist keine Folge seines eigenen inneren Dranges. Er ist eine?Folge seiner nicht vollendeten Emanzipation (...) In den Großstädten verloren wir vollends das wirkliche Leben, das die Gefahr kennt und das ein Abenteuer ist (...) Asphalt aber schafft nichts Echtes."[8] Und:"Der Grad unserer Entartung kann nur deutlich werden, wenn der Blick zurück uns die Gestalten enthüllt, an denen man uns messen muß, um den Grad der Zerrüttung, aber auch den Weg in die Zukunft zu sehen."[9]

Prinz verachtete Assimilationisten wie Heinrich Heine, Karl Marx oder Kurt Tucholsky. Er hielt den Antisemitismus für eine Art natürlicher Erscheinung und daher für unabänderlich. Folgerichtig erklärte er mit hohlem Pathos: "Weil wir ein Volk sind - wächst überall der Haß gegen uns, überall wo wir -verstreut unter andere Völker - leben. Weil wir ein Volk sind, ein Volk eigenen Blutes, eigener Art, hat man uns besondere Stellungen im Leben der anderen Völker angewiesen.(...) Erst wenn man das begriffen hat, erst wenn man in sich den Jubel dieser Botschaft so verspürt wie es damals die erste Generation der ersten Kämpfer für das jüdische Volkstum empfunden hat, wird der eigene Stolz wieder lebendig, die Rücken werden wieder gerade, die Mimikrysucht schwindet, 'das Kriechen und Bücken' wird uns widerwärtig - und ein neuer Jude entsteht, mit neuer jüdischer Kraft und mit neuem, erfülltem jüdischen Bekenntnis."[10]

Diese Grundhaltung kommt nicht zuletzt auch in den "stereotypen" Bildern zum Ausdruck, in denen zionistische Autoren die Suche nach einer neuen jüdischen Identität beschrieben. Amnon Rubinstein, im Kabinett Rabin während der neunziger Jahre israelischer Minister, schreibt: "...am Anfang wimmelte es in der zionistischen Literatur von solchen Bildern: Der alte Jude im Vergleich mit dem neugeborenen Hebräer; der Jude in der Diaspora gegenüber dem in Israel geborenen Sabra; der Jid von früher gegenüber dem wieder zum Leben erweckten Makkabäer, der untergeordnete Jude gegenüber dem Superjuden." Er resümiert: "Der Zionismus wurde, besonders in Osteuropa, auf dieser vollkommenen Ablehnung der jüdischen Existenz in der Galut[11] gegründet (...) Der Zionismus gibt sich nicht damit zufrieden, daß die Juden ihre verlorengegangene Souveränität wiedererlangen und in ihr niemals vergessenes Heimatland zurückkehren; er will auch die Hebamme sein, die den Juden hilft, einen neuen Menschen zu gebären. Diese Revolution ist - ebensosehr wie das politische Verlangen nach Unabhängigkeit - das Fundament der zionistischen Philosophie."[12]

Umgekehrt implizierte diese Haltung natürlich auch ein gewisses Verständnis des Zionismus für den Antisemitismus. Herzl glaubte erkennen zu können, was "im Antisemitismus roher Scherz, gemeiner Brotneid, angeerbtes Vorurteil, religiöse Unduldsamkeit - aber auch, was darin vermeintliche Notwehr ist"[13] (Anmerkung: gemeint ist die "Notwehr" der Völker gegen die Juden!). Herzl sprach daher folgerichtig auch von "anständigen Antisemiten".[14]

Die Idee von der Schaffung eines neuen und starken Juden, geschaffen im Wege einer Art nationaler Wiedergeburt, wurde durch eine der damals verbreiteten kolonialistisch-rassistischen Weltanschauung entlehnte rassistische Überlegenheitsideologie komplettiert. So äußerte sich der Historiker Joseph Klausner: "Unsere Hoffnung, eines Tages Herr in unserem eigenen Hau? zu sein, stützt sich nicht auf unsere Fäuste oder unsere Schwerter, sondern auf unsere Überlegeneheit über Araber und Türken."[15] Und Jabotinskys Haltung, des Führers der zionistischen Rechten, war ebenso unzweideutig. Er erklärte, der Zionismus wende sich nach Osten, führe aber die Kultur des Westens mit sich: "Wir Juden haben nichts gemein mit dem, was man 'den Osten' nennt und dafür danken wir Gott."[16]

Jabotinsky machte sich dabei über das Verhältnis zu den Arabern die wenigsten Illusionen. Anders als Herzl fabulierte er nicht, Palästina sei ein Land ohne Menschen, sondern formulierte 1923 in seinem Artikel "Die eiserne Wand. Wir und die Araber" ganz offen das Ziel der zionistischen Politik: "Die zionistische Kolonisation, sei sie auch noch so eingeschränkt, muß entweder eingestellt oder unter Mißachtung des Willens der einheimischen Bevölkerung fortgeführt werden. Diese Kolonisierung kann daher nur unter dem Schutz einer von der einheimischen Bevölkerung unabhängigen Kraft fortgesetzt und entwickelt werden - einer eisernen Wand, die von der einheimischen Bevölkerung nicht durchbrochen werden kann. Das ist, kurzgefaßt, unsere Politik gegenüber den Arabern. Sie anders auszudrücken, wäre nichts als Heuchelei."[17]

Bündnisse mit wechselnden imperialistischen Mächten

Es darf daher nicht verwundern, daß die ideologische Nähe der zionistischen Bewegung zu den europäischen nationalistischen Bewegungen sowie die rassistischen Parallelen zu den in ihnen vertretenen antisemitischen Strömungen von Anfang an auch die Projekte der politischen Annäherung des zionistischen Kolonialsiedlungsprojekts an die imperialistischen Mächten begünstigte. So suchte die zionistische Bewegung bis zum ersten Weltkrieg vor allem das Bündnis mit dem aufstrebenden deutschen Kaiserreich, das dazu noch die besten Verbindungen zum ottomanischen Reich hatte. In der Zeit danach wurde die (durchaus spannungsreiche) Zusammenarbeit mit dem britischen Imperialismus forciert, wobei Teile der zionistischen Bewegung in den dreißiger und sogar noch in den vierziger Jahren während des zweiten Weltkrieges mit durchaus unterschiedlicher Motivation auch nach Möglichkeiten eines Arrangements mit dem Faschismus suchten. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Vereinigten Staaten der wichtigste Bündnispartner und sind es bis heute geblieben.

Zionistische Kollaboration mit den Nazis

Die Zionistische Vereinigung für Deutschland (ZVfD), deren Führer in der zionistischen Weltbewegung bis zum Ersten Weltkrieg eine dominante Rolle gespielt hatten und die damals immer noch über starken Einfluß verfügten, war bis 1933 nur eine sehr kleine kleine Minderheit unter den deutschen Juden, mit (1930) bloß 9.059 nicht einmal fest organisierten Mitgliedern. Ihre Führung hatte sich immer ganz bewußt aus der deutschen Innenpolitik herausgehalten und sich auf ihr Kolonialsiedlungsprojekt konzentriert. Der Kampf gegen den Antisemitismus und gegen den aufkommenden Faschismus hatte für sie daher keine wesentliche Bedeutung und wurde vernachlässigt.

Nur der (nichtzionistische und die überwältigende Mehrheit der deutschen Juden repräsentierende) "Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens" hatte vor 1933 jahrelang seine Anstrengungen auf den Kampf gegen den Antisemitismus und zuletzt auch gegen den Nationalsozialismus gerichtet.[18] Die "Reichsvertretung deutscher Juden" sah für sich zwar keine Perspektive für eine? effektiven Widerstand, prangerte am 29. Mai 1933 aber sogar unter der faschistischen Herrschaft ihre Peiniger an: "Vor dem deutschen Judentum steht das Schicksal, zum Entrechteten in der deutschen Heimat zu werden. In ihre Ehre getroffen, können die deutschen Juden als kleine Minderheit im deutschen Volk sich nicht verteidigen."[19]

Das damals wichtigste publizistische Sprachrohr der zionistischen Bewegung in Deutschland, die Jüdische Rundschau, sah in der neuen Lage eine Chance für die zionistische Sache. Am 4. April 1933 hieß es in einem Leitartikel: "Tragt ihn mit Stolz, den gelben Fleck!" Und: "Der 1. April 1933 kann ein Tag des jüdischen Erwachens und der jüdischen Wiedergeburt sein. Wenn die Juden wollen, wenn die Juden reif sind und innere Größe besitzen."[20]

Der einflußreiche Berliner Rabbi Joachim Prinz schrieb: "Das Wesen des Antisemitismus (...) ruht in den Völkern, tief innen, letztlich unausrottbar, letztlich unbekämpfbar.[21] Seine Schlußfolgerung: "Daß aber überall in der Welt die Symptome wachsen, die eine Abkehr von den Grundprinzipien des Liberalismus bedeuten, daß der Wert des Parlamentes und der Demokratie zu wanken beginnt, daß die Überspitzung des Individualismus als ein Fehler eingesehen wird, und daß der Begriff und die Wirklichkeit der Nation und des Volkes allmählich überall mehr und mehr an Boden gewinnen, kann der ruhige und nüchterne Beobachter der Vorgänge in der Welt als Tatsachen verzeichnen, Die Entwicklung vom Menschenbund der Aufklärer zum Völkerbund der Gegenwart enthält in sich das Prinzip der Entwicklung vom Begriff der Menschheit zum Begriff der Nation.(...) Er hat die letzte und kraftvollste Formulierung in der Abwendung vom Internationalismus gefunden, in den Forderungen eines auf der Eigenart jedes Volkes und auf seinen besonderen Erfordernissen aufgebauten Sozialismus, der deshalb ein nationaler Sozialismus ist."[22] Und: "Vergebens haben wir gegen Mimikry, gegen Taufe und Mischehe gekämpft. Stärkere gewalten sind uns zu Hilfe gekommen. (...) Wir wünschen an die Stelle der Assimilation das Neue gesetzt: das Bekenntnis zur jüdischen Nation und zur jüdischen Rasse. Ein Staat, der aufgebaut ist auf dem Bekenntnis der Reinheit von Nation und Rasse, kann nur vor dem Juden Achtung und Respekt haben, der sich zu seiner eigenen Art bekennt."[23]

Die frühe Bereitschaft der Führung des ZVfD zur Kollaboration mit den Nazis war also nicht nur durch die Umstände aufgezwungen. Sie entsprach der Stimmung und Haltung des speziellen zionistischen Mainstreams insgesamt. Nach der sogenannten Machtergreifung der Nazis bemühte sich die ZVfD dementsprechend, sich mit den Nazis zu arrangieren. In ihrer Erklärung vom 21. Juni 1933 äußerte sie sich "zur Stellung der Juden im neuen deutschen Staat" wie folgt:

"Taufe und Mischehe wurden im politischen und im Wirtschaftsleben begünstigt. So kam es, daß zahlreiche Menschen jüdischer Abstammung die Möglichkeit fanden, wichtige Positionen einzunehmen und als Repräsentanten deutscher Kultur und deutschen Lebens aufzutreten, ohne daß ihre Zugehörifkeit zum Judentum in Erscheinung trat.

So entstand ein Zustand, der heute im politischen Gespräch als 'Verfälschung des Deutschtums' und als 'Verjudung' bezeichnet wird.

(...) Der Zionismus täuscht sich nicht über die Problematik der jüdischen Situation, die vor allem in der anormalen Berufsschichtung und in d?m Mangel einer nicht in der eigenen Tradition verwurzelten geistigen und sittlichen Haltung besteht. Der Zionismus erkannte schon vor Jahrzehnten, daß als Folge der assimiliatorischen Entwicklung Verfallserscheinungen eintreten mußten, die er durch Verwirklichung seiner, das jüdische Leben von Grund aus ändernden Forderungen zu überwinden sucht.

(...) Der Zionismus glaubt, daß eine Wiedergeburt des Volkslebens wie sie im deutschen Leben durch Bindung an die christlichen und nationalen Werte erfolgt, auch in der jüdischen Volksgruppe vor sich gehen müsse. Auch für den Juden müssen Abstammung, Religion, Schicksalsgemeinschaft und Artbewußtsein von entscheidender Bedeutung für seine Lebensgestaltung sein. Dies erfordert die Überwindung des im liberalen Zeitalter entstandenen egoistischen Individualismus durch Gemeinsinn und Verantwortungsfreudigkeit.

(...) Wir wollen auf dem Boden des neuen Staates, der das Rassenprinzip aufgestellt hat, unsere Gemeinschaft in das Gesamtgefüge so einordnen, daß auch uns , in der uns zugewiesenen Sphäre, eine fruchtbare Betätigung für das Vaterland möglich ist.

(...) Für seine praktischen Ziele glaubt der Zionismus auch die Möglichkeit einer grundsätzlich judengegnerischen Regierung gewinnen zu können, weil es sich in der Behandlung der jüdischen Frage nicht um Sentimentalitäten, sondern um ein reales Problem handelt, an dessen Lösung alle Völker, und im gegenwärtigen Augenblick besonders das deutsche Volk, interessiert sind.

(...) Boykottpropaganda - wie sie jetzt vielfach gegen Deutschland geführt wird - ist ihrer Natur nach unzionistisch, da der Zionismus nicht bekämpfen, sondern überzeugen und aufbauen will."

Mit dieser Erklärung streckte der deutsche Zionismus dem Nationalsozialismus die Hand aus zur Kollaboration und erteilte jedem Gedanken an antifaschistischen Widerstand eine Absage.[24]

Mit in diesem Boot saß von Anfang an die zionistische Weltbewegung. Ihre Vertreter Chaim Arlosoroff und Dr. Arthur Ruppin von der Jüdischen Agentur für Palästina führten gemeinsam mit jüdisch-palästinensischen Bankenvertretern und Repräsentanten der ZVfD die Verhandlungen[25], die im August zum Haavara (=Transfer)-Abkommen führten. Durch dieses Abkommen konnten auswanderungsbereite deutsche Juden ihr Kapital in Deutschland bei einer Transferbank einzahlen. Palästinensische Importeure konnten dieses Kapital nutzen, um deutsche Exportgüter zu kaufen, die dann in Palästina verkauft wurden. Nach Abzug der entstandenen Kosten erhielten die Auswanderer dort ihr Geldkapital zurück. Außerdem wurde das von der britischen Mandatsmacht für Palästina für die Erteilung von Einreisevisa geforderte Vorzeigegeld durch die Einnahmen des Warentransfers finanziert. Bis zum Kriegsbeginn gelang es dadurch, 66.000 deutschen Juden zur Auswanderung nach Palästina zu bewegen. Dabei dürfte eine nicht geringe Rolle gespielt haben, daß alle anderen Kapitaltransfers von der deutschen Regierung massiv besteuert wurden.[26] 1935 wurde die Durchführung des Abkommens auf zionistischer Seite der Jewish Agency unterstellt.

Dieser Kapitaltransfer war für die zionistische Bewegung der dreißiger Jahre enorm wichtig: Etwa 60% des Kapitals, das zwischen August 1933 und September 1939 in Palästina investiert wurde, kamen dank Haavara ins Land, insgesamt wurde die für die damalige Zeit gigantische Summe von 139,6 Millionen Reichsmark transferiert.[27] Mit diesem Kapital wurden erstmals nennenswerte Investitonen im Berei?h der industriellen Produktion getätigt.[28] Es war daher nur zu folgerichtig, daß sowohl der in Prag stattfindende 18. Zionistische Weltkongreß, auf dem die Frage eines gegen Deutschland gerichteten Boykotts heftig diskutiert wurde, diesen Boykott zugunsten des Transfer-Abkommens ablehnte und der 19. Weltkongreß diese Haltung mit 177 zu 35 Stimmen bestätigte[29]. Die zionistische Weltbewegung stellte sich damit gegen die weltweite Mehrheit aller jüdischen Organisationen, die sich um einen Boykott Nazideutschlands bemühte.[30]

Die Kollaboration erstreckte sich auch auf eine der in Palästina wichtigsten zionistischen Organisationen, die Hagana. Sie war nach Adolf Eichmanns Einschätzung in Palästina eine Art Geheimarmee der zionistischen Verbände, deren Geheimdienst auch international mit sämtlichen zionistischen Organisationen arbeitete und die zugleich über einen weitverzweigten Spionageapprat verfügte. Sie erklärte in von einem ihrer Kommandeure, Feivel Polkes, geführten Verhandlungen mit dem SD ihre Kooperationsbereitschaft, mit dem ausdrücklichen Ziel, die zionistische Kolonisation Palästinas zu verstärken. Zu diesem Zweck, war sie bereit, so Polkes, "die deutschen außenpolitischen Interessen im Vorderen Orient tatkräftig zu unterstützen..., wenn die deutschen Devisenverordnungen für die nach Palästina auswandernden Juden gelockert würden", meldete Eichmanns Referat am 17. Juni 1937.[31]

Soweit sich heute prozionistische Autoren überhaupt darauf einlassen, die Kollaboration zwischen zionistischer Bewegung zu diskutieren, kommen sie ohne wenig dezente Geschichtsfälschungen nicht aus: Stephan Grigat bestreitet z.B. die zionistische Kollaboration mit dem Scheinargument, die Mehrzahl der internationalen jüdischen Organisationen habe sich gegen das Haavara-Abkommen gewandt; "Organisationen wie die 'Zionistische Vereinigung für Deutschland' glaubten zwar, daß ihnen der NS-Antisemitismus helfen könnte, ihre Positionen gegenüber den liberalen Juden Deutschlands besser zu vertreten. Das bedeutet aber nicht, daß sie die NS-Herrschaft begrüßt hätten."[32] Er verschweigt dabei, daß es sich um die traditionelle Sammelbewegung des deutschen Zionismus handelte und verharmlost ihre Kollaborationsbereitschaft. Gleichzeitig suggeriert er, der Tatbestand der Kollaboration sei mit dem Vorwurf gleichzusetzen, die Zionisten seien für die Verbrechen des Nationalsozialismus verantwortlich. Belege dafür präsentiert er nicht, dafür ein gerütteltes Maß an Demagogie: "Die ganze Perfidie antizionistischer Argumentation kommt zum Vorschein, wenn die zentrale Rolle von Auschwitz zwar anerkannt, aber die Massenvernichtung dann gerade deshalb als eine Art Koproduktion von Nazis und Zionisten dargestellt wird."[33]

Andere Autoren verweisen darauf, daß ja nur die revisionistischen Zionisten Jabotinskys Sympathien mit dem Faschismus geäußert hätten, dazu noch in erster Linie mit dem italienischen Faschismus[34] oder prangern wie Thomas Haury empört an, daß die Linke die "Kontakte einiger rechtsextremer Zionisten mit der SS (als diese noch die Auswanderung der Juden betrieb) benutzt"[35], um eine Kollaboration zu belegen. Aber auch das sind nichts als Scheinargumente, weil der Tatbestand der Kollaboration keine direkten Sympathien zwischen den Beteiligten verlangte, wohl aber zumindest eine gewisse ideologische N?#x00E4;he - und die hat es gegeben. Die Bereitschaft zur systematischen Zusammenarbeit mit einem aggressiven, virulent antisemitischen, rassistischen und antidemokratischenTerrorregime wäre auch dann ein reaktionäres politisches Verbrechen gewesen, wenn es keinen NS-Völkermord gegeben hätte. Die Reduktion des Nationalsozialismus auf Auschwitz führt bei diesen Autoren zu einer bedenklichen Relativierung der anderen politischen Verbrechen des Faschismus.

Die heute vielfach geäußerte Überzeugung, die zionistische Bewegung habe einfach nur das tun wollen, was möglich gewesen sei, um die deutschen Juden vor der drohenden Vernichtung zu retten[36] und man müsse die diametral entgegengesetzte Motivation von Zionisten und Faschisten bedenken[37], ist offenkundig falsch bzw. geht an der Sache vorbei.

Im Ziel, die jüdische Auswanderung aus Deutschland zu forcieren, waren sich zionistische Bewegung und die Spitzen des NS-Regimes bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges und sogar noch danach einig.[38] An den künftigen Völkermord dachte 1933 kaum jemand. Im übrigen setzt, wie zu betonen ist, Kollaboration weder weltanschaulich noch programmatisch Übereinstimmung voraus. Der französische Marschall Pétain und das Vichy-Regime haben z.B. nicht deshalb mit der Nationalsozialismus kollaboriert, weil sie selbst Nazis geworden waren, sondern weil sie sich mit den zeitweiligen Beherrschern Frankreichs im eigenen und im Interesse großer Teile der kollaborationsbereiten französischen Bourgeoisie arrangieren wollten.

Die nicht zu leugnende Feststellung, daß die große Masse der zionistischen Bewegung und ihre zentrale Führung in Deutschland wie auch auf internationaler Ebene die Kollaboration mit den Nazis nicht nur gesucht hat, sondern mit dieser auch tatsächlich kollaboriert hat, sollte zumindest nachdenklich machen. Diese Tatsache festzustellen, hat nicht das geringste mit Antisemitismus zu tun - schon deshalb nicht, weil die zionistische Bewegung der dreißiger Jahre weit davon entfernt war, die Mehrheit der Juden zu repräsentieren. Faktisch haben nun einmal fast nur jüdische Kommunisten und Sozialisten Widerstand gegen den deutschen Faschismus geleistet. Der Hauptstrom des bürgerlichen Judentums leistete zwar keinen Widerstand, bemühte sich aber wenigstens nicht um eine aktive Zusammenarbeit mit den Nazis.[39] Nur die zionistische Bewegung hat aktiv mit den Nazis kollaboriert.

Behauptungen wie die, daß damit Juden selbst für den Holocaust verantwortlich gemacht werden, oder Schuldgefühle projiziert werden, sind von Logik und Plausibilität nicht einmal angekränkelt. Es ist nicht antisemitisch, wenn der Anspruch der zionistischen Bewegung, die (in der überwältigenden Mehrheit nichtzionistischen) jüdischen Opfer des nationalsozialistischen Völkermordes zu repräsentieren, in Frage gestellt wird. Es ist auch nicht antisemitisch festzustellen, daß die zionistische Bewegung dazu wegen ihrer Kollaborationsgeschichte von allen politischen Strömungen unter Juden am wenigsten legitimiert ist. Umgekehrt gibt es vor diesem historischen Hintergrund eine Menge Anlässe, allen Versuchen mit Skepsis zu begegnen, die nationalsozialistischen Verbrechen durch die kritiklose Unterstützung des zionistischen Kolonialsiedlerstaates Israel kompensieren zu wollen.

Der Kolonialprojekt Eretz Israel war nie das Produkt eines imaginierten zionistischen Antifaschismus und auch kein Projekt, um die deutschen und europäischen Juden vor der Vernichtung zu retten. Es konnte diesen Charakter schon deshalb nicht haben, weil die zionistische Führung seinerzeit ?eder von drohenden Weltkriegen noch von einem drohenden Völkermord ausgingen. Der Zweite Weltkrieg wurde von ihr selbst dann noch in seiner Bedeutung heruntergespielt, als er schon begonnen hatte. Die zionistische Bewegung bemühte sich auch nicht darum, so viel deutschen Juden wie möglich dabei zu helfen, dem antisemitischen Terror in Deutschland zu entkommen.

So heißt es bezeichnenderweise in einem Papier des deutschen Auswärtigen Amtes vom 25.01.1939: "Dabei ist zu bezweifeln, ob das internationale Judentum überhaupt ernstlich die Massenabwanderung seiner Rassegenossen aus Deutschland und aus anderen Staaten ohne das Äquivalent eines Judenstaats wünscht. Die in den bisherigen jüdischen Vorschlägen eingeschlagene Taktik zielt jedenfalls weniger auf die Massenabwanderung von Juden als auf den Transfer jüdischen Vermögens ab."[40] Die Nazi-Analytiker hatten sich hierin nicht getäuscht. David Ben Gurion, damals und in der Nachkriegszeit einer der wichtigsten zionistischen Politiker, erklärte anläßlich der Reichspogromnacht 1938 (von den Nazis "Reichskristallnacht" genannt), daß, wenn das "menschliche Gewissen" verschiedene Länder dazu bringen könnte. ihre Grenzen für jüdische Flüchtlinge aus Deutschland zu öffnen, dies ein Bedrohung für den Zionismus sei: "Der Zionismus ist in Gefahr!"[41]

Die vom Zionismus zur Kollaboration ausgestreckte Hand wurde also, zumindest für einige Jahre, von den Nazis ergriffen, die hier zunächst eine Chance sahen, die Zionisten für ihre Ziele zu instrumentalisieren. Der im Sicherheitsdienst der SS für die Judenpolitik ursprünglich zuständige Referatsleiter von Mildenstein, der mit der SD-Führung die Auswanderung als Mittel zur Lösung der Judenfrage betrieb, hatte sorgfältig jedes Quentchen Vordringen des Zionismus unter den deutschen Juden registriert: "Jeder zionistische Erfolg dünkte den Männern von II112 wie ein eigener Erfolg, zionistische Niederlagen waren ihnen auch Niederlagen des SD. Es habe erst der NS-Machtübernahme bedurft, hielt II112 nicht ohne Stolz fest, 'um einen Teil der Juden in Deutschland zurückzuführen zum jüdischen Nationalismus'. (...) Und argwöhnisch registrierte ein Zionismus-Beobachter des SD die Unternehmungen der antizionistischen Juden...".[42] Für die Zionisten bedeutete das, daß sie ihre Tätigkeit mit Unterstützung der SS noch weiter führen konnten, daß sie weiter Schulungszentren für Auswanderungswillige betreiben und die zionistischen Jugendorganisationen in ihren Braunhemden weiterarbeiten konnten, als die Arbeit der nichtzionistischen jüdischen Organisationen von den Nazis schon massiv behindert wurde[43] und daß es ihnen mit Hilfe der Nazis gelang, von einer 2%-Minderheit der deutschen Juden zur dominanten Kraft im deutschen Judentum zu werden.

Einigen der deutschen Zionisten ging das noch nicht weit genug.

Georg Kareski, Berliner Bankier, zwischen 1928 und 1930 Vorsitzender der Berliner Jüdischen Gemeinde, der mit der abstinenten Haltung der ZVfD zur Innenpolitik schon länger nicht einverstanden war, schloß sich der rechtszionistischen Bewegung Jabotinskys an. Er bemühte sich um eine intensivere Kollaboration mit den Nazis und gründete die "Staatszionistische Organisation". Mit Hilfe der Nazis wurde er Leiter des Reichsverbandes jüdischer Kulturbünde. In einem Interview mit der von Joseph Göbbels herausgegebenen NS-Zeitung "Angriff", das von der Redaktion mit "Die Nürnber?er Gesetze erfüllen auch alte zionistische Forderungen"[44] übertitelt wurde, äußerte er sich - insofern aber in Übereinstimmung mit dem zionistischen mainstream - zustimmend zu den Nürnberger Gesetzen:

"Ich habe seit vielen Jahren eine reinliche Abgrenzung der kulturellen Belange zweier miteinander lebender Völker als Voraussetzung für ein konfliktloses Zusammenleben angesehen und bin für eine solche Abgrenzung, die den Respekt vor dem Bereich eines fremden Volkstums zur Voraussetzung hat, seit langem eingetreten." Auf die Frage, was er zum Verbot von Mischehen, abgesehen "von der rassenpolitischen Bedeutung" vom "jüdisch-völkischen Standpunkt aus zu sagen habe", erklärte Kareski: "Die ungeheuere Bedeutung eines gesunden Familienlebens bedarf auf jüdischer Seite keiner Erläuterung. Wenn das jüdische Volk sich zwei Jahrtausende nach dem Verlust seiner staatlichen Selbstaändigkeit trotz fehlender Siedlungsgemeinschaft und sprachlicher Einheit bis heute erhalten hat, so ist dies auf zwei Faktoren zurückzuführen: Seine Rasse und die starke Stellung der Familie im jüdischen Leben. Die Lockerung dieser Bindungen in den letzten Jahrzehnten waren auch auf jüdischer Seite Gegenstand ernster Sorge. Die Unterbrechung des Auflösungsprozesses in weiten jüdischen Kreisen, wie er durch die Mischehe gefördert wurde, ist daher vom jüdischen Standpunkt aus rückhaltlos zu begrüßen. Für die Schaffung eines jüdischen Staatswesens in Palästina behalten diese beiden Faktoren, Religion und Familie, eine entscheidende Bedeutung."

Es ist daher nicht verwunderlich, daß vor gut 25 Jahren John Bunzl bezüglich der zionistischen Ideologie treffend schrieb: "Die Kritik (am Zionismus) entspricht auch der Erkenntnis, daß es tatsächlich viele Parallelen zwischen zionistischen und antisemitischen Auffassungen gibt. Man denke nur an die Ablehnung der Assimilation, die von vielen mittel-europäischen Zionisten mit rassistischen Argumnenten begründet wurde. Sie lehnten den Antisemitismus nicht grundsätzlich ab und betrachteten ihn als mobilisierenden Faktor ihrer Bestrebungen. Ja, sie übernahmen sogar die antisemitischen 'Diagnosen', um ihre 'Therapie' zu legitimieren. Man kann das als 'Identifikation mit dem Aggressor' betrachten, die sich bei rechten Zionisten besonders in militaristischem Gehabe und bei linken in Selbsthaß und Autoaggression durch physische Arbeit ausdrückt. Beide wollen den angeblichen 'parasitären' Juden in sich überwinden und einen neuen, sozusagen 'arischen' Juden schaffen, den man dann den Antisemiten als Bestätigung und/oder als Gegenbeweis vorlegen könne. Hier liegt ein Grund für die zweifellos vorhandenen pro-israelischen Sympathien bei vielen Antisemiten.

Daher auch die Übernahme zionistischer Argumente durch heutige reaktionäre Historiker. Auch sie sehen etwa die Assimilation (wie ehedem) als 'grandiosen Irrweg', gelungene Integration als 'Fiktion' und individuelle Bemühungen in diesem Sinn als 'hoffnungslos' und moralisch verwerflichen Versuch, das 'unverlierbare Kainszeichen' abzustreifen. Der Verlust 'jüdischer Substanz', 'völkischer Eigenart' wird als 'Entwurzelung', 'Selbstaufgabe' und 'jüdischer Selbstverrat' charakterisiert. Damit sollen zwei Fliegen auf einmal getroffen werden: Man kann weiterhin die 'Assimilationsjuden' für die Zersetzung der 'abendländischen Kultur' (d.h. im Klartext: alle fortschrittlichen und demokratischen Entwicklungen) verantwortlich machen und gleichzeitig ... die Gründe de? Zerstörung von Integration aus der deutschen Gesellschaft entfernen und in die jüdische Geschichte/Gruppe verlegen - und dazu noch als 'sinnvoll' ausgeben. Kein Wunder, daß auf diesem Weg eine retrospektive-teleologische Rechtfertigung des Zionismus gelingt."[45]

Unkritische Geschichtslosigkeit

Ein nicht geringer Teil der Autoren, die sich mit Zionismus und Antisemitismus beschäftigen, vermeidet heute jede kritische Auseinandersetzung mit der zionistischen Bewegung, ihrer Geschichte und Ideologie wie auch mit der israelischen Politik. Ebenso wird die historische Kontinuität der Verbindung zwischen zionistischer Bewegung und israelischer Politik konsequent ausgeblendet[46].

Typisch für diese Art demagogischen Raisonnements: "Für die planmässige Vernichtung von Millionen von Menschen gibt es keine Gründe. Daher ist die Praxis der Historisierung, der neuen 'Einordnung', der 'Aufhebung von Denkverboten', der 'Entttabuisierung' nichts als Verharmlosung, nur die kleinen Varianten der Auschwitzlüge. Historiker arbeiten am geschichtslosen Bewusstsein, indem sie versuchen zu relativieren und zu vergessen. Aber gerade diese Versuche verstärken die unbewußten Schuldgefühle, die sie ursprünglich motivierten (...) Dies hat die Schuldgefühle der älteren Generation auf die jüngere Nachkriegsgeneration übertragen."[47] Die Beschäftigung mit Geschichte, die Erklärung von Zusammenhängen wird hier zur Geschichtslosigkeit erklärt; Geschichtsschreibung wird ganz im Sinne von George Orwells 1984 gedeutet als die Verweigerung von Erinnerung; Vulgärpsychologie ersetzt Analyse. Das ist der Boden, auf dem ein Henryk Broder so tiefschürfende Erkenntnisse wie die, daß "einer gegen Auschwitz und dennoch Antisemit sein kann"[48] unter großem Beifall als quasi unumstößlichen Beweis für seine These verkünden kann, daß, wer Israel kritisiert, immer schon Antisemit war und ist.

Das israelisch-arabische Verhältnis wird von durch derlei Pseudologik erleuchteten Zeithistorikern nicht in seinem realen Verlauf untersucht, sondern durch die Brille der zionistischen Propaganda betrachtet. Der arabische Widerstand gegen die rassistische Unterdrückungspolitik gegenüber den Arabern mit israelischem Paß wird ignoriert[49], deren faktische Entrechtung und die israelische Apartheidspolitik[50] ausgeblendet und Israel entgegen allen Fakten hartnäckig zur einzigen Demokratie des Nahen und Mittleren Ostens erklärt, die sich bloß gegen den arabischen Terrorismus verteidigt.

Rechtfertigt wird dieser Tunnelblick durchweg damit, daß es sich für Deutsche nicht ziehme, die israelische Politik zu kritisieren. Deutschland sei - natürlich nicht aufgrund der unvertretbaren Kollektivschuldthese, aber durch deren Ersatzkonstrukt, eine Art moralischer Kollektivhaftung, nämlich einer "besonderen Verantwortung" der Deutschen für das Judentum - verpflichtet, das Existenzrecht Israels allzeit zu gewährleisten.

Falsche Lehren aus der Geschichte und die Mär vom zunehmenden Antisemitismus

Nicht das Bekenntnis zu einem universalen Humanismus soll danach die Lehre aus dem Faschismus sein, sondern die faktisch kritiklose und bedingungslose Unterstützung Israels, das aus dieser Sicht die Opfer des Faschismus repräsentiert.

Nicht die Abwehr des wirklichen Antisemitismus der Alt- und Neonazis steht daher im Zentrum der Aufmerksamkeit dieser Autoren, sondern die Denunzierung der kr?tischen Auseinandersetzung mit der israelischen Politik. Selbst offenkundig berechtigter, konkreter Kritik an der israelischen Besatzungspolitik wird nach dem oft geäußerten Motto: "Warum ausgerechnet Kritik an Israel? Warum nicht Kritik an anderen?" vorgeworfen, den "latenten" Antisemitismus der breiten Masse zu bedienen.

Wer, wie 60 Prozent der deutschen Bevölkerung die israelische Politik als Gefahr für den Weltfrieden ansieht, gilt ihnen als antisemitisch verhetzt durch deutsche Medien wie den Spiegel. Erst recht soll das für die mehr als 50 Prozent der Deutschen gelten, die durch die Bildberichte über die israelische Besatzungspolitik in den seit 1967 von Israel besetzten palästinensischen Gebieten an die Verbrechen der nationalsozialistischen Besatzungspolitik in den europäischen Ländern erinnert werden.

Die Mehrzahl der zeitgenössischen Antisemitismusforscher vertritt dementsprechend die These, daß der Antisemitismus in Deutschland (aber nicht nur da) zunimmt. Tatsächlich läßt sich diese oft wiederholte Behauptung nicht empirisch belegen[51]. Die Anhänger dieser These gestehen selbst ein, daß "die Bewertung von Juden als eine mindertige Rasse in Europa gesellschaftlich weitestgehend geächtet ist und sich allenfalls in kleinen neonazistischen Zirkeln finden läßt"[52]. Sie rechtfertigen ihre Einschätzung damit, daß sie rein spekulativ von einem "latenten" oder "sekundären" Antisemitismus ausgehen, der zwar vorhanden sei, aber wegen der Tabuisierung des völkisch-rassistischen Antisemitismus nach 1945 nicht offen geäußert wird. Dieser äußere sich in Deutschland neben Antiisraelismus vor allem darin , daß den Juden vorgeworfen würde, Schuldgefühle auszubeuten.[53] Der vormoderne, klerikal-christliche Antisemitismus des späten europäischen Mittelalters spielt keine bedeutende Rolle mehr und findet kaum noch Erwähnung. Und die von völlig andersartigen Ursachen geprägte Judenfeindschaft von Teilen der arabisch-islamischen Immigranten, kann ebenso schwerlich angeführt werden, um die innere Haltung der hiesigen Bevölkerungsmehrheit zu charakterisieren.

Um die von ihnen übernommene These vom ewigen Antisemitismus zu retten, wird deshalb kurzerhand auf den Nah-Ost-Konflikt rekurriert, dessen vorgebliche Fehlbewertung durch deutsche Medien und islamische Migranten, antizionistische oder antiimperialistische Linke und durch die sich anhängende extreme Rechte die Grundlage eines neuen Antisemitismus sein soll, für den Israel die Rolle eines "kollektiven Juden" einnimmt.[54] Dabei wird immer auf demagogische Weise suggeriert, die Ablehnung eines exklusiv seinen jüdischen Bürgern vorbehaltenen Staates ziele auf die Vernichtung seiner jüdischen Bürger. Die antizionistische Kritik stellt jedoch weder das Existenzrecht der Juden noch das Existenzrecht der jüdischen Büprger Israels in Frage, sondern nur das (im Völkerrecht nicht bekannte) Existenzrecht des Staates Israel, der nicht der Staat seiner nichtjüdischen Bürger sein will und es auch nicht ist.[55]

Dieser blühende Unsinn der Kritiker des Antizionismus gibt sich kaum noch den Anschein von Wissenschaftlichkeit. Da wird den gegensätzlichsten politischen Strömungen unter Berufung auf die vorgebliche Verwendung "traditioneller negativer Stereotype" (die so gut wie nie benannt und schon gar nicht konkret zugeordnet werden) pauschal ein gemeinsamer Antisemitismus unterstellt, den es nicht gibt, der nicht nachge?iesen wird und auch nicht nachgewiesen werden kann. Obwohl marxistische Antizionisten immer wieder betonen, daß der Zionismus zu keinem Zeitpunkt alle politischen Strömungen des europäischen Judentums und schon gar nicht des außereuropäischen Judentums repräsentiert hat[56] und die zugleich darauf hinweisen, daß die Mehrheit des modernen Judentums es entgegen dem zionistischen Traum vorzieht, außerhalb Israels zu leben, wird Antizionisten pauschal (und natürlich ebenfalls ohne die Benennung von Roß und reiter) unterstellt, sie würden Israel als "kollektiven Juden" sehen. Wir haben es dabei offenbar mit einem klassischen Fall von Projektion zu tun.

Zu heftige Kritik an Israel, besonders wenn sie an die Legitimität eines Staatswesens rührt, das nur Staat eines teils seiner Staatsbürger sein will, ist aus der Sicht dieser Autoren folglich "sekundärer Antisemitismus". Empörte Vergleiche der brutalen israelischen Politik in den 1967 besetzten palästinensischen Gebieten mit der Besatzungspolitik der Nazis in Osteuropa im Zweiten Weltkrieg werden ohne jede sachliche Prüfung ihrer jeweils konkreten Berechtigung als Projektion "zur Entlastung der eigenen deutschen Vergangenheit durch die Verharmlosung der Naziverbrechen und die Schuldprojektion auf die Opfer und ihre Nachkommen" denunziert.[57]

Tiefpunkte des deutschen Diskurses
- oder: Wer relativiert die faschistischen Verbrechen?

Daß diese Sorte Polemik nur Sinn macht, wenn über den Verzicht auf eine sachliche Prüfung der jeweiligen Berechtigung dieser Vergleiche hinaus eine gesteigerte Form der Kollektivschuldthese akzeptiert wird, nämlich nicht nur die klassenübergreifende, Herrschende und Beherrschte umfassende Kollektivschuld des deutschen Volkes der dreißiger und vierziger Jahre, sondern darüberhinaus inzwischen auch eine gleich mehrere Generationen übergreifende Erbschuld, markiert einen intellektuellen Tiefpunkt der Auseinandersetzung und verdeutlicht die jämmerliche Qualität der hierzulande geführten Debatte.

Hier dürfte sich ein grundlegender Irrtum und Denkfehler des deutschen politischen Mainstream-Diskurses bezüglich der Verbrechen des Nationalsozialismus auswirken. Meist wird unwidersprochen die These hingenommen, daß Vergleiche mit anderen Völkermorden den Holocausts "relativieren". Vergleiche der Verbrechen des deutschen Faschismus mit den Verbrechen anderer Regime und Epochen relativieren aber weder die Verbrechen des deutschen Faschismus noch die Kriegsgreuel anderer Mächte. Sie können auch niemanden "entlasten", wenn von Schuld gesprochen wird. Mörder bleiben auch dann Mörder, wenn anderswo und zu anderen Zeiten für andere, faschistische und auch demokratische Regime, ebenfalls Völkermorde begangen werden.

Die Tatsache, daß die Nazis nicht nur an den europäischen Juden, sondern auch an den Sinti und Roma mit nahezu denselben Methoden einen weiteren Völkermord begangen haben[58], der unter anderem mit Hilfe des Dogmas von der Einzigartigkeit des Holocaust aus dem Bewußtsein der internationalen Öffentlichkeit verdrängt wird, ist kaum zu leugnen[59]. Dieser Verdrängungsakt, tagtäglich verbunden mit weiterer rassistischer Diskriminierung der Sinti und Roma, ist eine Schande für die europäischen Gesellschaften, aber auch der prozionistischen Propagandisten, die damit unter den Opfern der Nazis noch einmal eine Selektion eigener Art betreiben.

Der zionistische Kampf um die Monopolisierung der Opferstellung[60] ist seinerseits - nicht nur im Hinblick auf Sinti und Roma - eine nicht hinnehmbare Relativierung der Verbrechen des deutschen Faschismus. Relativiert wird nämlich die Schreckensbilanz des von den deutschen Faschisten entfesselten Zweiten Weltkriegs mit 52 Millionen Toten, von denen in der öffentlichen Diskussion auf wundersame Weise nicht mehr die Rede ist. Die historische Verantwortung des kapitalistischen Systems und seiner herrschenden Klassen für den Faschismus, für wiederholte Vernichtungskriege und für wiederholte Völkermorde wird mit der These von der Einzigartigkeit des Holocaust verschleiert. Diese These macht vordergründig nur in Bezug auf seine Massenmordmethoden (scheinbaren) Sinn. Aber auch der Völkermord an den europäischen Juden war nicht einzigartig: Es gab den von den Nazis mit den wesentlich gleichen Methoden betriebenen Völkermord an den Sinti und Roma, dessen grauenvolle Bilanz, 60 bzw. 70 % der deutschen und österreichischen Sinti und Roma wurden aus rassistischen Gründen vernichtet, nicht unterdrückt werden darf.

Abgesehen von der bereits durch Zeitablauf weitgehend erledigten strafrechtlichen Verfolgung nationalsozialistischer Verbrecher kann sich seriöse Geschichtswissenschaft daher nicht moralische (schon gar nicht auf parteilich-verzerrte moralische) und/oder strafrechtliche Bewertungen historischer und zeitgenössischer politischer Entwicklungen beschränken.

Sie muß vergleichen, Ereignisse u.a. sozialpsychologisch, strukturell und historisch einordnen, sie in Beziehung zu anderen Entwicklungen setzen, somit in diesem Sinne (aber auch nur in diesem Sinne!) "relativieren", etc. etc. Weil Politik- und Geschichtswissenschaft darauf abzielen müssen, aktuelle politische Entwicklungen zu verstehen, kann dabei grundsätzlich kein Aspekt ausgeklammert werden.

Relativierung der zionistischen Verbrechen an den Arabern

Es ist im Zusammenhang dieser Debatte in Deutschland üblich geworden, nahezu jede israel- und zionismuskritische Reflexion hiesiger Autoren zum Verhältnis von Zionismus und Antisemitismus, von Zionismus und arabischem Nationalismus sowie zum politischen Islam in Palästina und im Nahen Osten als antisemitisch zu diffamieren. Die Verbrechen des Nationalsozialismus werden damit zugleich mitinstrumentalisiert. Die kritische Auseinandersetzung sowohl mit der israelischen Politik wie mit deren umfassender und bedingungsloser Unterstützung durch die bundesdeutsche Politik wird stigmatisiert. In der Konsequenz heißt das, daß zugleich die israelischen Verbrechen an den Arabern durch die prozionistische Propaganda verharmlost und relativiert werden können, indem der arabische Widerstand gegen die zionistische Kolonisierungspolitik pauschal als antisemitisch etikettiert wird.

Was heute in der deutschen Diskussion über arabischen Antisemitismus ausgeblendet wird

Der arabische Widerstand gegen die zionistische Kolonisationstätigkeit in Palästina hatte mit den gesellschaftlichen Wurzeln des europäischen Antisemitismus nichts zu tun. Letzterer war eine Reaktion auf die Unfähigkeit des Kapitalismus, die gesellschaftlichen Folgen der Auflösung der Feudalgesellschaften durch die Integration der davon Betroffenen in die moderne bürgerliche Gesellschaft erträglich zu machen. Die zionistische Kolonisation zielte von Anfang an auf die Verdrängung und Zerstörung der arabischen Gesellschaft in Palästina.

Die islamische Welt kannte vor Beginn der zionistischen Siedlungstätigkeit in Palästina im 19. Jahrhundert keine antijüdischen Pogrome und keinen religiös begründeten Judenhaß.[61] Juden und Christen konnten in ihr, sofern sie auf jede Form der Missionierung verzichteten, als eine Art zweitk?assiger und sozial benachteiligter religiöser Minderheit jahrhundertelang weitgehend unbehelligt leben. Tatsächlich gab es im arabisch-islamischen Mittelalter eine Art kultureller Symbiose zwischen Judentum und Islam. Nach der christlichen Eroberung Spaniens wanderten viele der dort vertriebenen Juden in den wesentlich toleranteren arabischen Raum aus. Im osmanischen Reich entzündete sich der arabische Widerstand gegen die zionistische Expansion in Palästina erst daran, daß die zionistische Kolonisation nicht auf die Integration der Einwanderer in die palästinensische Gesellschaft abzielte, sondern auf deren systematische Verdrängung und Zerstörung. Darüberhinaus lief dieses Siedlungsprojekt auf die Schaffung einer autonomen, rein jüdisch-zionistischen Enklave im arabischen Raum hinaus. Die Zionisten betrieben als Minderheit eine exklusiv jüdische Staatsgründung und paktierten dabei immer mit den Unterdrückern der arabischen Bevölkerung Palästinas.

Der Widerstand gegen das zionistische Kolonialsiedlungsprojekt war daher von Anfang an legitim. Nach der vom Völkerbund abgesegneten britisch-imperialistischen Besetzung Palästinas reihte er sich ein in die Kette nationaler Befreiungskämpfe gegen den Imperialismus. Der arabisch-palästinensische Befreiungskampf gegen den Imperialismus und den mit ihm zusammenarbeitenden zionistischen Kolonialismus kann daher wegen seiner insoweit emanzipatorischen sozialen Zielsetzung nicht mit den antisemitischen Ausbrüchen und Kampagnen in Europa geleichgesetzt werden, die durch und durch reaktionären Charakter hatten. So weit dieser antiimperialistische Widerstand mit dem europäischen Judenhaß grundsätzlich gleichgesetzt und als antisemitisch diffamiert wird, handelt es sich schlicht um Kampfpropaganda.

Andererseits ist nicht zu bestreiten, daß der Versuch, in Palästina einen exklusiven Staat der Juden zu errichten, auch unter Arabern verbreitet Judenhaß hervorrief. Mangels klarer Analysen der zionistischen Bewegung, ihrer sozialen Ursachen, Ziele, Strategien und Methoden griffen insbesonders rechte, traditionelle arabische Führer sowie den alten, halbfeudalen Gesellschaftsstrukturen verbundene Kräfte auf antisemitische Erklärungsmuster zurück. Die Übernahme der antisemitischen Ideologie und die Suche nach Bündnispartnern erfolgte dabei nach dem simplen Muster "der Feind meines Feindes ist mein Freund", das allerdings auch in der zionistischen Bewegung verbreitet war. In den dreißiger und vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts bemühte sich z.B. der Mufti von Jerusalem, Hadj Amin al-Husseini, (vergeblich) um die Unterstützung der Nazis für die arabische Sache.

Lenni Brenner hat im 8. Kapitel seines Buches am Beispiel der Entwicklung des bekannt-berüchtigten Muftis von Jerusalem beschrieben, in welche politischen Sackgassen dessen reaktionäre und durch nichts zu rechtfertigende Politik die arabische Sache bereits in den dreißiger und vierziger Jahren geführt hatte.[62] Antizionistische Politik wird nur erfolgreich sein können, wenn sie konsequent antiimperialistisch ist und sich von allen Formen reaktionärer Ideologien befreit.

Die zionistische Bewegung hat die Rückgriffe von Teilen des arabischen Widerstands auf antisemitische Ideologien immer auszunutzen verstanden. Diese wurden zu den stärksten und wirksamsten ideologischen Waffen der israelischen und prozionistischen Propaganda in Europa und Nordamerika.

Erhebliche Teile der arabischen Linken haben das verstanden und distanzieren sich sich von allen Versuchen, Judentum und Zionismus gleichzusetzen.

Viele Araber in Palästina und darüberhinaus viele Moslems anderer Länder, einschließlich vieler?muslimischer Immigranten in Europa verhalten sich aber auch heute noch generell antijüdisch. Nicht zuletzt haben einige Propagandisten des politischen Islam Aussagen getätigt, die sich gegen alle Juden richten und nicht nur speziell gegen die israelische Politik und die zionistische Bewegung. In vielen muslimisch geprägten Ländern finden zudem antisemitische Machwerke, wie die vom zaristischen Geheimdienst produzierten Protokolle der Weisen von Zion massive Verbreitung. Wenn Engels Charakterisierung des Antisemitismus des 19. Jahrhunderts als Antikapitalismus der Dummköpfe richtig gewesen ist, könnte man den arabisch-muslimischen Antisemitismus heute als Antiimperialismus der Dummköpfe bezeichnen.

Das ändert jedoch nichts an den Ursachen des Nahostkonflikts, der anhaltenden Kolonisation, dem fortdauenden israelisch-zionistischen Expansionismus und nichts an den tatsächlichen Machtverhältnissen im Nahen Osten. Israel ist die mit Abstand stärkste Militärmacht der Region, die unter dem Schirm ihrer totalen militärischen Dominanz, der andauernden ökonomischen und miltärischen Unterstützung der EU-Länder und der Protektion ihrer US-amerikanischen Schutzmacht ihre aggressive Siedlungspolitik entschlossen vorantreibt. Der Widerstand hiergegen bleibt trotz seiner politischen Schwächen und Fehler legitim.

Es zeugt zudem von einer zynischen Unverfrorenheit, wenn den Opfern dieser Politik vorgeworfen wird, sie würden bei ihrem Widerstand nicht zwischen israelischem Zionismus und Judentum differenzieren. Unverfrorenheit deshalb, weil die zionistische Bewegung in ihrer eigenen Propaganda nicht müde wird zu betonen, daß der Staat Israel der Staat aller Juden ist und weil die zionistische Bewegung immer wieder verkündet, daß sie inzwischen so gut wie alle Juden hinter sich weiß. Man kann den Opfern der zionistischen Politik nicht zum Vorwurf machen, daß sie die Unrichtigkeiten der zionistischen Propagandamythen nicht erkennen. Trotzdem handelt es sich bei derartigen Erscheinungen, die nicht zuletzt auf mangelnder Kenntnis der europäischen Geschichte beruhen, um schwere politische Fehler, die vor allem dem legitimen Widerstand gegen den Zionismus schaden.

Marxisten werden bei aller notwendigen Solidarität mit den Opfern der zionistischen Politik natürlich deren politische Fehler kritisieren. Sie werden aber auch allen Versuchen entgegentreten, diesen Widerstand durch die vordergründige, exklusive Denunzierung dieser Anleihen beim ideologischen Arsenal des europäischen Antisemitismus zu delegitimieren. Erst recht werden sie sich dagegen wenden, diese Fehler zu mißbrauchen, um umgekehrt die zionistische Kolonisation zu legitimieren. Das hieße, Ursache und Wirkung miteinander zu verwechseln.

Zur politischen Aufklärung gibt es daher keine Alternative. Lenni Brenners Buch hat dazu im angelsächsischen Sprachraum bereits stark beigetragen. Es ist dort auf seinem Gebiet bereits ein Klassiker. Es wird auch hierzulande einen wichtigen Beitrag zur wissenschaftlichen und politischen Klärung leisten.


[1]Mathias Mieses, Der Ursprung des Judenhasses, Berlin/Wien 1923, S. 576
[2]derselbe. ebenda S. 570 ff
[3]Abraham Léon, Judenfrage & Kapitalismus, 2. Auflage, München 1973, S. 103 f
[4]derselbe ebenda, S. 105
[5]Siehe z.B. "Warum Hass und Diffamierung, Verachtung und Lüge? Warum gegen Juden?" in: http://www.hagalil.com/judentum/editorial/antisemitismus.htm
[6]Nathan Weinstock, Le sionisme contre Israél, Paris 1969, p. 55
[7]Le Monde, 13.01.1966, zitiert nach Nathan Weinstock, Le sionisme contre Israél, Paris 1969, p. 38
[8]Joachim Prinz: Wir Juden, Berlin 1934, S.38 f
[9]derselbe, a.a.O., S. 75
[10]derselbe, a.a.O., S. 136
[11]Worterklärung: Galut bedeutet Exil. Rubinstein verwendet hier einen ideologisch befrachteten Begriff. Bereits zu Beginn der christlichen Zeitrechnung war die Mehrheit der Juden freiwillig aus Palästina emigriert
[12]Amnon Rubinstein, Geschichte des Zionismus, München 2001, S.25
[13]Theodor Herzl, Der Judenstaat, Zürich 1997, S. 16.
[14]vgl. Rubinstein, a.a.O., S. 46
[15]Joseph Klausner: Hashilo`ah, Bd. 17, Odessa 1907, S.574 - zitiert nach Rubinstein, a.a.O., S. 83
[16]zitiert nach Rubinstein, a.a.O. S. 84
[17]Ze'ev Jabotinsky, The Iron Wall.We and the Arabs", http://www.saveisrael.com/jabo/jabowall.htm
[18]Dolf Michaelis: Die Reaktion der deutschen Juden auf die nationalsozialistische Machtübernahme, in:Werner Feilchenfeld, Dolf Michaelis, Ludwig Pinner, Haavara-Transfer nach Palästina und Einwanderung deutscher Juden 1933-1939, Tübingen 1972, S.16
[19]Zitiert nach Dolf Michaelis, a.a.O.,S. 17
[20]Zitiert nach Dolf Michaelis, a.a.O., S. 17
[21]Joachim Prinz, Wir Juden, Berlin 1934, S. 142
[22]derselbe, a.a.O., S. 151
[23]derselbe, a.a.O., S. 154 - Hervorhebung im Original!
[24]Klaus Polkehn, Die Zusammenarbeit von Zionismus und deutschem Faschismus, Al Karamah Nr. 9, 1988
[25]F. Nicosia, Deutschland und die Palästinafrage 1933-1939, Dissertation, Montral/Québec 1977
[26]vgl. Axel Meier, Das Haavara-Abkommen, www. shoa.de
[27]Klaus Polkehn, Die Zusammenarbeit von Zionismus und deutschem Faschismus, Al Karamah Nr. 9, 1988
[28]Vgl. Ludwig Pinner, Die Bedeutung der Einwanderung aus Deutschland, in: Werner Feilchenfeld, Dolf Michaelis, Ludwig Pinner, Haavara-Tansfer nach Palästina und Einwanderung deutscher Juden 1933-1935, Tübingen 1972, S.98
[29]Ludwig Pinner, Vermögenstransfer nach Palästina 1933-1939, in: Werner Feilchenfeld, Dolf Michaelis, Ludwig Pinner, Haavara-Tansfer nach Palästina und Einwanderung deutscher Juden 1933-1935, Tübingen 1972, S. 146 f
[30]Vgl. Siegfried Moses in der Einleitung des v.g. Buches, S. 10. Moses feiert auch die Früchte der Kollaboration, die von den Nazis in den dreißiger Jahren forcierte Variante der Apartheitheid-Politik: "Errichtung jüdischer Schulen, Schaffung von Einrichtungen für jüdische Erwachsenenbildung und für Berufsumschichtung" (a.a.O., S. 11)
[31]Bericht des SD-Referatsleiters Hagen vom 17. Juni 1937, S 4 , zitiert nach Heinz Höhne, Der Orden unter dem Totenkopf. Die Geschichte der SS, München 1984, 309
[32]Stephan Grigat, "Bestien in Menschengestalt" Antisemitismus und Antizionismus in der österreichischen Linken, in: www.cafecritique.priv.at/bestien.html - 55k
[33]a.a.O.
[34]vgl. Irit Neithardt, Die radikale Linke, Israel und Palästina. Eine Collage, in: http://www.unrast-verlag.de/files/Neidhardt.pdf, dort S.11 f
[35]Thomas Haury, Zur Logik des deutschen Antizionismus, in www. comlink.de/cl-hh/m.blumentritt/agr136s.htm
[36]Dies die Grundthese von Siegfried Moses, a.a.O.
[37]So zB. ein Leserbrief in der Zeitung Gazette, s. www. gazette.de/Archiv/Gazette-Oktober2002/Beduerftig03.html
[38]Vgl. Tom Segev, Die siebte Million, Reinbek bei Hamburg, 1995, S. 30 f.Als es später hierzu im NS-Staat Widerspruch gab, entschied Hitler 1938, daß die bisherige Orientierung des NS-Regimes, weiter auf Auswanderung zu setzen, beibehalten werden sollte.
[39]Vgl. Arno Lustiger, Zum Kampf auf Leben und Tod! Vom Widerstand der Juden in Europa 1933-1945, Köln/Erftstadt 1994, hier insbesonders: Nathan Eck, Jüdischer und europäischer Widerstand (S. 35ff und Werner Jochmann, Zur Problematik des Widerstands deutscher Juden, (S. 44 ff) sowie Arnold Paucker, Jüdischer Widerstand in Deutschland (S. 47 ff)
[40]Poliakoff/Wulff, Das Dritte Reich und?seine Diener, Wiesbaden 1989, S. 149 ff
[41]Zitiert nach Tom Segev, a.a.O., S.43
[42]Heinz Höhne, Der Orden unter dem Totenkopf. Die Geschichte der SS, München 1984, S.307
[43]Adolf Eichmann: "Alles, was der Auswanderung dient, wird erlaubt ... Im ... Altreich hat die zionistische Vereinigung freie Entwicklungsmöglichkeit, haben die religiösen Organisationen freie Betätigungsmöglichkeit, soweit sie sich auch für Auswanderungsfragen einsetzen und interessieren" zitiert nach Friedrich Karl Kaul, Der Fall Eichmann,Berlin, S.50; vgl. auch Klaus Polkehn, Zusammenarbeit von Zionismus und Faschismus, in AL Karamah Nr. 9, 1988;
[44]"Angriff" vom 23.12.1935
[45]J. Bunzl, Überlegungen zu Antisemitismus und Antizionismus. Manuskript, um 1980, zitiert nach Jakob Taut: Judenfrage und Zionismus, Frankfurt/M. 1986, S.29 f
[46]vgl. Hanna Braun, A Basic History of Zionism and ist Relation to Judaism, www.steinbergrecherche.com/hannabraun.htm
[47]homepage von Walter Fruth/Antisemitismus004, www.link-f.org/leute/w.fruth/temas/antisemit004.html
[48]Henryk M. Broder,Der ewige Antisemit, Über Sinn und Funktion eines beständigen Gefühls, Berlin 2005, S. 11f
[49]vgl. hierzu ausführlich Dieter Elken, Zum Existenzrecht Israels, in: www.marxismus-online.eu
[50]Die israelische Politik wurde erstmals 1961 von Hendrik Verwoerd als Apartheidpolitik bezeichnet. Verwoerd war damals südafrikanischer Premierminister und Architekt der seinerzeitigen Apartheitpolitik. In jüngster Zeit wurde diese Charakterisierung vom Alt-US-Präsidenten Jimmy Carter in seinem Buch "Palestine: Peace Or Apartheid" verwendet, erschienen 2006.
[51]Die empirischen Studien, die diese These belegen sollen, verzichten geradezu sorgfältig darauf, eine präzise Unterscheidung zwischen generell judenfeindlichen Aussagen, Akten und Vorfällen einerseits und israelkritischen Positionen andererseits zu treffen. Es mangelt ihnen daher an wissenschaftlicher Seriosität. Ein Beispiel hierfür ist der Antisemitimusbericht der US-Regierung, dort heißt es: "Die Dämonisierung Israels oder Schmähung israelischer Politiker, mitunter durch Vergleiche mit führenden Nazis und unter Verwendung von Nazisymbolen zum Zwecke der Karikatur, weist auf eine antisemitische Haltung hin und nicht auf eine gerechtfertigte Kritik der israelischen Politik in einer kontroversen Angelegenheit." http://www.antisemitismus.net/2005/01/antisemitismus-1p.htm
[52]so z.B. Ralf Balke in: Israel als "kollektiver Jude" "Die Weisen von Zion" sind noch immer unter uns: 31 Autoren analysieren den alten und den neuen ?ntisemitismus, Tagesspiegel vom 15.01.2007, unter Berufung auf : Klaus Faber, Julius Schoeps und Sacha Stawski (Hg.): Neu-alter Judenhass, Berlin 2006
[53]vgl. die vom Leiter des Berliner Zentrums für Antisemitismusforschung und führenden vertreter dieser These Werner Bergmann und von Juliane Wetzel verfaßte Studie im Auftrag des European Monitoring Centre on Racism and Xenophobia/Europäische Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit: EUMC, Manifestations of Antisemitism in the EU, Report 2006, S. 18 f. Die erste Vorgängerstudie 2002 war vom EUMC wegen ihrer fragwürdigen und unklaren Antisemitismusdefinition als unwissenschaftlich kritisiert worden. Die methodisch extrem fragwürdigen Ansätze dieser Autoren sind seither beibehalten worden, siehe: www.antisemitismus.net/europa/antisemitismus-studie.htm
[54]so Ralf Balke unter Berufung auf Lars Rensmann, in: Klaus Faber, Julius Schoeps und Sacha Stawski (Hg.): Neu-alter Judenhass, Berlin 2006
[55]Vgl. Jonathan Cook, Still Jews Only, in: www.weekly.ahram.org.eg/print/2006/824/op12.htm
[56]So schon 1991: Meno Hochschild, Antizionismus , Palästina und Israel, in: www.marxismus-online.eu
[57]vgl. Yves Pallade, Medialer Sekundärantisemitismus, öffentliche Meinung und das Versagen gesellschaftlicher Eliten als bundesdeutscher Normalfall, in: Klaus Faber, Julius Schoeps und Sacha Stawski (Hg.): Neu-alter Judenhass, Berlin 2006, S. 49 ff
[58]vgl. Michail Krausnick, Der Völkermord der unterschlagen wurde http://www.minderheiten.org/roma/textarchiv/texte/krausnick_unterschlagen.htm
[59]Wider die Relativierung des Völkermords an den Sinti und Roma, Stellungnahme des Dokumentationszentrums zu neueren Veröffentlichungen zum Thema, in:http://www.sintiundroma.de/v1/englisch/Start.htm
[60]vgl. dazu die Darstellung bei Tom Segev, Die siebte Million, S. 525ff sowie insbesonders S. 553 ff
[61]Siehe hierzu Bassam Tibi, Der importierte Hass. Antisemitismus ist in der arabischen Welt weit verbreitet. Dabei widerspricht er islamischer Tradition, in: DIE ZEIT 07/2003 (unter Berufung auf das Standardwerk des Islamwissenschaftlers Bernard Lewis, The Jews of Islam, 1992
[62]vgl. hierzu auch: Klaus Polkehn, Zusammenarbeit von Zionismus und deutschem Faschismus. Teil 1, "Der Deutsche" und der Mufti - und die Zionisten, in: AL KARAMAH, Nr. 9, 1988

Querverweise: