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Die iranische Protestbewegung

Probleme — Perspektiven

Nach Ansicht des Verfassers sollte bei einer kritisch-solidarischen Analyse der aktuellen politischen Lage in Iran der folgende Aspekt berücksichtig werden. Gemeint sind bestimmte Tendenzen und Bestrebungen, die die iranische Protestbewegung medial ziemlich schief und verzerrt präsentieren. Deshalb erst eine kurze Würdigung der hier zur Debatte stehenden “Medienarbeit” und dann das eigentliche Thema!

Zum Charakteristikum von historisch entscheidenden Ereignissen gehört es, dass sie, wenn sie denn mal die Bühne betreten, neben einer Welle von Anerkennungen, Unterstützungen und Freundschaften auch sehr viel Feindseligkeiten und Verleumdungen mit sich ziehen. Die iranische Protestbewegung im Sommer 2009 ist ohne Zweifel ein Ereignis dieser Kategorie und Freundschaften bzw. Feindschaften, die ihr entgegengebracht werden, machen auch keine Ausnahme von der obigen Regel. Neben großartigen internationalen Sympathiebekundungen für sie, sind auch Äußerungen dieser Art über sie zu lesen, zu sehen und zu hören: Die Proteste seien das Werk einiger Unzufriedener der “oberen Mittelschicht” und nur auf bestimmte Gebiete der Hauptstadt begrenzt gewesen…! Es gibt auch Stimmen, die noch weitergehen und behaupten, sie seien prowestlich und von den USA gelenkt!?

Dank der Protestbewegung ist das Ausmaß der politischen Repression in Iran inzwischen einer größeren Öffentlichkeit bekannt als vor einem Jahr. Die iranische Gesellschaft leidet seit nun mehr als 30 Jahren unter einer mittelalterlich anmutenden und religiös motivierten Diktatur, die das politische Denken - ganz zu schweigen vom politischen Handeln - bis tief in den intimsten Bereichen regelt; d.h. kontrolliert, verfolgt, bestraft!

Es ist dann nur folgerichtig, wenn sich der politische Wille des Volkes in so einem Land regt und daraus ein demokratischer Massenprotest wird, dass dann auch die “obere Mittelschicht” mitmarschiert und ihre Forderungen stellt.

Ebenso richtig ist es, dass die USA, die EU-Staaten, der russische Bär und der chinesische Drache in Iran und in der Nahost-Region um Einfluss ringen und ihr Treiben für die Gegenwart und die Zukunft der Völker Irans und der Region katastrophal ist!

Es ist also - wie man sieht — kein Geheimnis, dass die beiden Teilkomponenten, die iranische Mittelschicht auf der einen Seite und die imperialistische Einflussnahme auf der anderen, bei den Auseinandersetzungen sehr wohl agieren. Trotzdem liegen jene Herrschaften falsch, die behaupten, die Protestbewegung gehe auf das Konto von Teilen der Mittelschicht und werde vom Ausland gelenkt! Ihr Fehler liegt darin, dass sie die Eigendynamik, die von der iranischen Gesellschaft ausgeht, außer Acht lassen, die sehr berechtigten, weil alle Schichten des iranischen Volkes betreffenden, Forderungen übersehen bzw. gering schätzen und vor allem die Kontinuität der Kämpfe gegen das Regime der islamischen Republik ignorieren!...

Mit anderen Worten; Unsere “Medienmacher” schließen die Augen vor der Tatsache, dass erstens die Protestbewegung von allen wichtigen Gruppierungen der iranischen Gesellschaft getragen wird und zweitens sie nicht im Sommer 2009 aus heiterem Himmel fiel, sondern das Bindeglied, der Höhepunkt langwieriger demokratischer Kämpfe ist.

Die Konkretisierung der oben aufgestellten Kernaussagen setzt die Beantwortung folgender Fragen voraus:

  • Wie kam das so genannte “Mullah-Regime” an die Macht?
  • Welche Rolle spielte und spielt die imperialistische Großmachtpolitik in Iran?
  • Wie sieht die Bilanz der 30 jährigen Herrschaft der islamischen Republik in Iran aus?
  • Und schließlich in welchem Zustand befindet sich die Protestbewegung heute?

Vor 30 Jahre überraschte Iran die Welt mit einem politischen Erdbeben:

Millionen von Frauen und Männern übten zwei Jahre lang (1978-1979) den Aufstand und verfolgten dabei folgende Ziele; Sie kämpften für die Verwirklichung politischer Freiheiten und sie wussten, dafür mussten sie das Regime stürzen. Sie versprachen sich mit dem Sturz der korrupten Schah-Clique eine Verbesserung ihrer materiellen Lage.

Das Grundrecht, sich frei zu äußern, sich zu versammeln, sich zu organisieren…war in Iran der “Schah-Zeit” für die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung absolutes Tabu, ebenso Mangelware war ein Minimum an sozialer oder wirtschaftlicher Sicherheit. Die politisch unterdrückten und wirtschaftlich verarmten Schichten und Klasen rebellierten, kämpften, setzten ihr Leben aufs Spiel, um diese Ideale, diese Ziele Wirklichkeit werden zu lassen!

Anderes verhielt es sich mit der religiösen Frage; wie in jedem anderen Land, in dem kapitalistische Gesetzmäßigkeiten und Moralvorstellungen vorherrschen, gab es auch in Iran der damaligen Zeit keinen Mangel an religiösen Einrichtungen und Angebote. Die Menschen hatten also keine Veranlassung, für etwas zu kämpfen, was ihnen reichlich zu Verfügung stand!

Was war dann der Grund für das Desaster? Was führte den Volksaufstand in die islamische Sackgasse?

Auf zwei Faktoren (innen- und außenpolitisch) soll hier kurz hingewiesen werden, die die auffällig reibungslose Machtübernahme durch den schiitischen Klerus ermöglichten.

Innere Bedingungen:

Das Schah-Regime, das im Februar 1979 in Iran gestürzt wurde, gehörte zu den übelsten Ein-Mann-Diktaturen des 20. Jahrhunderts. Außer Jubelvereinen und Clubs, die den Kaiser hochleben ließen, gab es keine andere Möglichkeit der politischen Artikulation — mit einer Ausnahme! Auf Grund ihrer autoritären und hierarchischen Strukturen neigen die monotheistischen Religionen generell dazu, sich mit der jeweiligen Obrigkeit zu engagieren.

Iran ist hierfür ein exemplarisches Beispiel. Der Islam schiitischer Prägung war dort seit Jahrhunderten Staatsreligion und die höheren Geistlichen verfügten entweder als Berater der politischen Elite oder als deren Konkurrenz über erhebliche Machtpositionen.

Mit dem CIA-Putsch von 1953 und der zunehmenden Abhängigkeit des Schah-Regimes vom imperialistischen Ausland monierte der Klerus zwar die zügellose Westanpassung des Regimes und das parasitär-luxuriöse Leben am Hof. Doch gleichzeitig waren schätzungsweise bis ca. 80.000 Mullahs im ganzen Land aktiv und bearbeiteten die Volksseele entsprechend.

Im Augenblick des Umsturzes zeigte der Aufstand erhebliche subjektive Schwächen. Während im Lager der weltlichen, säkularen, liberalen, linken, revolutionären Kräfte als Folge der Unterdrückungspolitik der Pahlawi-Diktatur ein Vakuum herrschte, mischte sich das Gros der Mullahs unters Volk, übernahm die Rolle des Sprachrohrs — und der Untergang, das Scheitern der iranischen Februar-Revolution begann, bevor der Sieg errungen wurde…

Äußere Beeinflussung:

Im Laufe der Monate Sommer/Herbst 1978 müssen sogar “Freunde” des Schah-Regimes einsehen, dass dieses Regime nicht mehr zu halten ist. Speziell zu diesem Thema kommen im Herbst 1978 die Regierungschefs der USA, Englands, Frankreichs und der BRD auf der Karibik-Insel Guade Loupe zusammen und fassen folgenden Beschluss:

  • Schah muss weg!
  • Linke Kräfte und somit sowjetischer Einfluss dürfen nicht ans Ruder!
  • Khomeini und seine Anhänger sind beste Garanten gegen die linke Gefahr!

Vergessen wir nicht; zu jener Zeit herrscht noch der Kalte Krieg und Iran hat mehr als 1000 km gemeinsame Grenze mit dem sowjetischen Machtblock. Aber dieser taktischen Überlegung, die nur im historischen Kontext zu verstehen ist, muss das Grundsätzliche noch hinzugefügt werden; die kapitalistischen Regierungen wissen aus Erfahrung im eigenen Land und weltweit, dass gewisse Teile der frommsten und gottesfürchtigsten Gläubigen zu ihren strategischen Verbündeten zählen, wenn es darum geht, “kommunistische Bedrohung” und “linke Gefahr” abzuwehren!

Begünstigt durch das politische Vakuum im Land und ermutigt durch die logistische und propagandistische Unterstützung der Imperialisten übernimmt eine Gruppierung die politische Macht in Iran, die mit den Zielen und Forderungen des Aufstandes nichts im Sinn hat!

Die neuen Machthaber müssen den Aufstand bekämpfen, ja physisch vernichten, wenn sie denn selber an der Macht bleiben wollen! Dies ist der Grund, warum die Mullahs gemeinsam mit den liberalen islamischen Politikern (wie Bazargan, erster Ministerpräsident, Bani Sadr Staatspräsident, Yazdi Außenminister…) solche ungeheuerlichen Verbrechen gegen das iranische Volk begangen haben.

  • Die iranischen ArbeiterInnen wollten Beteiligung an wirtschaftlichen und politischen Entscheidungen und so gründeten sie die ersten Betriebsräte und Arbeiterkomitees…
  • Die in Iran lebenden Völker hatten entscheidenden Anteil am Sturz des alten Regimes und forderten nun ihre Rechte…
  • Iranische Frauen verlangten die lang ersehnte Gleichberechtigung und standen an der vordersten Front der demokratischen Kämpfe…
  • Inspiriert von den revolutionären Ereignissen setzte sich die iranische Jugend für die Verwirklichung dieser Ziele ein…

Die Reaktion des “neuen” Regimes stellte die Unterdrückungsmethoden des gerade gestürzten Diktators in den Schatten. Die von den ArbeiterInnen gegründeten Räte und Komitees wurden blutig niedergeschlagen und von “islamischen Räten” ersetzt, die als Auge und Ohr des Regimes in den Betrieben fungierten. Noch im Sommer 1979 wurde die von den Industrieländern des Westens und des Ostblocks hochgerüstete Schah-Armee gegen die Demokratiebewegungen der nationalen Minderheiten der Kurden im Westen, der Turkmenen im Norden und der arabisch sprechenden Bevölkerung im Süden des Landes eingesetzt — mit Tausenden von Toten und Verletzten! Die “neue” islamische Regierung versuchte mit Hilfe von Rasiermessern-, Knüppeln-, und Säuere — Attacken die iranische Frauenbewegung vom öffentlichen Leben zu verdrängen. Die Hochschulen und Universitäten des Landes wurden von den bewaffneten Horden der “Imam-Linie” überfallen, viele Studenten und Dozenten kamen ums Leben, wurden ins Gefängnis geworfen — und die Hochschulen blieben mehr als zwei Jahre im ganzen Land geschlossen…

Polizeistaatliche Maßnahmen dieserart sorgen seit nun mehr als 30 Jahren dafür, dass das Regime der islamischen Republik in Iran an der Macht bleibt.

Wirtschaftspolitik:

Die iranische Volkswirtschaft ist chronisch krank. Und ihre Krankheit hat immer weniger Chancen einer Heilung, so lange sie in den Händen der islamischen Republik bleibt.

Mit einem Blick auf die ökonomischen Verhältnisse werden die Dimensionen der Zerstörung klar, die das Ergebnis des herrschenden politischen Systems ist. Das zentrale Element dieses Systems ist das Prinzip der Führerschaft der Schriftgelehrten (“Welayate Faghi”). Ein schiitischer Geistlicher als Führer (Rahbar) steht an der Spitze dieses Systems, der alle Staatsorgane (Parlament, Präsident, Justiz, Militär…) “führt” und niemandem Rechenschaft schuldig ist außer Gott!?... In diesem System entscheidet die Nähe zum Kreis des “Führers” über die Höhe des politischen Einflusses und wirtschaftlichen Reichtums. So reproduziert diese politische Ordnung Vetternwirtschaft, Korruption und Günstlingsmentalität.

Die Bilanz der 30 jährigen Herrschaft der islamischen Republik im sozio-ökonomischen Bereich kann mit folgenden Worten zusammengefasst werden:

  • Zerstörung der sowieso sehr schwach entwickelten sozialen Strukturen des Landes!
  • Verschärfung der wirtschaftlichen Abhängigkeit Irans vom imperialistischen Ausland!

Das Erdöl ist der wichtigste Sektor in der iranischen Wirtschaft. Ein kleiner Erdölexkurs kann auch u. a. eine Antwort auf Irritationen und Unklarheiten sein, die es im arabischen Raum, aber auch in bestimmten linken Kreisen, hinsichtlich der “antiimperialistischen Züge” des iranischen Regimes gibt!

Iran gehört zu den klassischen Erdölexportierenden Ländern; in der Rangfolge der Organisation der Erdölexportierenden Länder (OPEC) steht es auf dem zweiten Platz und im Weltmaßstab hält es die dritte Position. Im Klartext heißt das: Auf der einen Seite bis zu über 90% Prozent Abhängigkeit des iranischen Staatshaushalts von den “segensreichen” Petrodollars, riesiger Kapitalüberschuss für ein parasitäres Regime, das sich bereichert und seine Anhängerschaft mit Almosen bei Laune hält. Auf der anderen Seite monokulturelle Dominanz eines einzigen Wirtschaftszweig und ständige Schwächung und Benachteiligung aller anderen produktiven Teile der Wirtschaft, Überausbeutung der Naturressourcen, deren Ausverkauf - speziell im iranischen Fall oft auf dem Schwarzmarkt und unter dem regulären Preis! Ein vergleichender Blick auf die iranische Öl- bzw. Wirtschaftspolitik von heute zeigt, dass das Regime der islamischen Republik strukturell genau so reaktionär ist und gegen die Wirtschaftsinteressen des Landes handelt, wie sein Vorgängerregime oder die feudalistischen Ölmonarchien in der Golfregion!

Während immer mehr Gelder aus dem Ölgeschäft ins Land fließen, - und dies gilt besonders für die letzten zwei drei Jahre! - verlieren immer mehr Familien wirtschaftlich den Boden unter den Füßen, rutschen in die Armutsfalle und leben unter dem Existenzminimum.

Ein bestimmender Faktor in der lähmenden Wirtschaftsmisere ist der: Die Handels- und Wirtschaftspolitik des Regimes zerstört systematisch die Lebensgrundlagen der einheimischen Produzenten. Konsumgüter werden chaotisch und unkontrolliert importiert. Das führt dazu, dass der iranische Markt seit Jahren von Waren aus dem Ausland überschwemmt ist und die Eigenprodukte verderben, bleiben im Lager und können nicht verkauft werden.

Die Importeure sind alle ohne Ausnahme Würdenträger des Regimes, genießen Sonderprivilegien, zahlen keine Zollgebühren, weil sie eigene Seehäfen, Flugplätze, Transit- und Transportverbindungen in Eigenregie verwalten. Die auf dieser Weise importierte Ware wechselt mehrmals den Besitzer und verursacht ein unproduktives System von Zwischenhändlern, Mittelsmännern und Wiederverkäufern…

Das Regime der islamischen Republik profitiert in erster Linie selbst davon und ist deshalb weder gewillt noch in der Lage, daran etwas zu ändern.

Der “markwirtschaftliche” Beitrag des Regimes zur Linderung des Problems besteht darin, frisches Geld aus dem Öltopf in dieses kranke Wirtschaftssystem zu pumpen oder Almosen zu verteilen — und dies treibt die Inflation in die Höhe. Nach Angaben des Regimes wird für das Jahr 2009 mit einer Inflationsrate von 20-25 Prozent gerechnet. Unabhängige iranische und internationale Beobachter gehen von einer Inflationsrate von 50-60 Prozent für den gleichen Zeitraum aus (Le Monde Diplomatique Juni 2009).

Damit die Disharmonie und Misswirtschaft in der iranischen Volkswirtschaft etwas deutlicher wird, noch eine statistische Zahl: Nach eigenen Angaben hat das Regime in den beiden Jahren 2007-2008 umgerechnet 120 Milliarden Dollar aus dem Ölgeschäft erhalten. Aus diesem Geld hat das Land jährlich (also für die Jahre 2007/08) jeweils ca. 55 Milliarden für Importe ausgegeben. Man sollte nicht den Fehler machen und meinen, diese Gelder würden für High-Tech-Anlagen, Schwere Maschinen, und Schlüsselindustrien… ausgegeben.

Iran ist ein Flächenland mit traditioneller Viehzucht und Landwirtschaft. Seit Urzeiten wurden Produkte dieser Wirtschaftszweige aus Iran exportiert. Heute ist Iran auch landwirtschaftlich extrem importabhängig. Im Jahre 30 der islamischen Republik importiert Iran neben Damenwäsche, Toilettenartikel, Reis, Weizen, Eier, Fleisch, Obstsorten und Molkereiprodukte…

Deutschland gehört neben China, der Schweiz…seit Jahrzehnten zu den engsten Partnern der Mullahs und exportiert dorthin nicht nur Rüstungs- und Schwerindustrie, sondern auch Hähnchen, Käse…!

Angesichts dieser Tatsachen erübrigt sich eigentlich die Frage; welche Geister sind es, die die Politik dieses Regimes mit dieser verheerenden Bilanz als “antiimperialistisch”! einstufen?

Ebenso die “Atomambitionen” des Regimes sind - wie seine andere “antiimperialistischen Züge” - in erster Linie auf dem Gebiet der Propaganda, der Scheingefechte, der Imagepflege und der Ablenkung zu suchen - was darin keinen Platz hat und dabei keine Berücksichtigung findet, sind Fortschrittsgedanken und Interessen des iranischen Volkes.

Sowohl das Regime der islamischen Republik als auch die Gegenseite des Konflikts (“Die internationale Staatengemeinschaft”) missbrauchen die “iranische Atomfrage”.

Das iranische Regime spielt auf Zeit und versucht mit Verzögerungstaktik, sich aus der innenpolitischen Krise und der außenpolitischen Isolation zu retten.

Die Atomfrage bietet den Sechs Ländern (USA, Russland, England, Frankreich, China und Deutschland) die Gelegenheit, als Vertreter und Sprecher der “Staatengemeinschaft” aufzutreten und die Rolle des Schiedsrichters zu spielen. Diese Länder sind in Iran und in der Region aber Teil des Konflikts! Alle Technologien, die für den Bau von der “Bombe” benötigt werden, lieferten und liefern nach wie vor in erster Linie diese sechs Länder nach Iran und in die Region. USA, Russland und Deutschland sind der Reihe nach die größten Waffenproduzenten und Waffenexporteure der Welt. Alle Kriege, die “dort unten” geführt werden, sind in erster Linie amerikanische, russische deutsche…Hegemonialkriege. Diese sechs Länder missbrauchen die “iranische Atomfrage”, weil sie ihnen für ihre jetzigen und künftigen Interventionen in Iran und in der Region als die ideale Entschuldigung und Ausrede dient — hätte es diesen “Konflikt” nicht gegeben, hätten sie ihn (wie im Falle Iraks) erfunden…

Protestbewegung:

Über das politische Leben in Iran seit Sommer 2009 kann folgende Feststellung gemacht werden. Die Kämpfe, die ständig an Radikalität gewinnen, stellen definitiv einen Wendepunkt im politischen Leben der iranischen Gesellschaft dar. Auf der einen Seite verliert das Regime unter dem Druck der demokratischen Bewegung, immer mehr an Stabilität. Es verfolgt, verhaftet und ermordet nicht nur unschuldige Menschen auf offener Strasse, sondern auch Leute aus den eigenen Reihen! Mit den anderen Worten ist das Regime längst nicht mehr in der Lage, so zu regieren wie bisher. Auf der anderen Seite werden dank des rasanten Fortschritts der Demokratiebewegung die Fronten immer deutlicher und klarer. In den unterschiedlichen politischen Lagern werden inzwischen für völlig andere Ziele gekämpft. Während Regierungsoppositionelle wie Moussawi, Karoobi,…immer wieder erklären, dass sie dem “Erbe des Imam Khomeini” treu seien und ihre Forderungen innerhalb der Verfassung der islamischen Republik durchsetzen wollten, sterben auf den Strassen Irans Frauen und Männer für die Verwirklichung demokratischer Grundrechte, die innerhalb dieses Systems mit dem “Führer” an der Spitze nicht zu haben sind.

Bekanntlich kam im vergangenen Sommer (2009) zwischen den verschiedenen Fraktionen an der Spitze der islamischen Republik wegen der Verteilung der Ämter und der Teilhabe am wirtschaftlichen Gewinn zu Streitigkeiten.

Den Gegnerinnen und Gegnern des Regimes gelang es zwar den Streit auf die Strasse zu tragen und daraus eine der mächtigsten Anti-Regime-Kampagne der letzten Jahre zu machen. Dabei ging aber auch ein Teil der Regierungsopposition auf die Strasse.

Die Sprecherinnen und Sprecher der “regierungsnahen grünen Opposition”, haben die Aufgabe, die demokratische Bewegung zu zügeln und in “legalen Bahnen” zu lenken.

Wie sieht aber die “islamische Legalität” nach über 30 jähriger Erfahrung der islamischen Republik in Iran und nach der “reinen Lehre” aus? Abhacken der Körperteile von Dieben, Steinigen von Frauen nach “Ehebruch”, Vergewaltigung von Gefangenen in Gefängnissen,

Terror gegen Andersdenkende auf offener Strasse!...

Inzwischen erfahren die “islamischen Legalisten”, die vergebens versuchen, einem Phänomen aus dem Vormittelalter ein demokratisches Antlitz zu verpassen, Unterstützung aus der Ecke der Geheimdiplomatie. Mehr im imperialistischen Ausland als in Iran selbst sind heftige Anstrengungen hinter verschlossenen Türen und am grünen Tisch im Gange, um Gespräche und Verhandlungen zwischen der Regierung von Putschpräsident Ahmadinejad auf der einen Seite und der Regierungsoppositionen auf der anderen Seite zu vermitteln und es zu einem “guten Ende” zu bringen. Einige ehemalige Kommandanten der Elitetruppe der islamischen Republik (“Wächter-Armee”/Pasdaran) wie “Herr Ganji und Herr Sazegara…, Filmemacher und Künstler, die in ihren Werken den “Imam Khomeini” bewunderten wie Herr Makhmalbaf und islamischer “Theoretiker und Philosoph”, der als einer der Köpfe der “islamischen Kulturrevolution”!? und den Uni-Schließungen der Jahre 1980/81 fungierte wie Herr Soroush, befinden sich im amerikanischen und europäischen Ausland. Ihnen werden global wirksam Medien wie BBC, CNN, ARTE…zu Verfügung gestellt; sie haben die Aufgabe den “liberalen Islam” zu predigen und die Demokratiebewegung zur “Räson” zu bringen, bevor sie “außer Kontrolle gerät”! Amerikanische, britische, deutsche Medien mischen sich dreist in die aktuelle politische Debatte in Iran ein und geben “Herrn Präsident Ahmadinejad” Ratschläge, die Regierung in Teheran solle sich mit der Opposition in Iran und “Teilen der Opposition” im Ausland in Verhandlungen treten und den Weg für eine “Koalitionsregierung” frei machen…(so zu lesen u. a. in der deutschen Wochenzeitschrift “Die ZEIT” in den Monaten September Oktober 2009).

Wie bekannt, gelang es dem putschistischen Flügel des Regimes mit blutiger Unterdrückung die Massenproteste vom vergangenen Sommer taktisch zurückzudrängen. Dabei kam eine unbekannte Zahl von Menschen auf offener Strasse ums Leben, Tausende wurden verhaftet, viele von ihnen sitzen immer noch in den Folterkammern. “Kahrizak” ist der Name einer dieser Folterstätten. Im Kahrizak-Gefängnis, ein Vorort von Teheran, wurden viele junge Protestlerinnen und Protestler bis zum Tode geschlagen, misshandelt, vergewaltigt!

In abscheulichen Schauprozessen werden Gefangene gezwungen, gegen sich selbst auszusagen. Öffentliche Hinrichtungen, die seit Sommer 2009 verstärkt in allen Städten Irans stattfinden, gehören zu weiteren Abschreckungsmassnahmen des Regimes.

Neben solchen Verbrechen versucht das Regime mit Drohungen die iranische Gesellschaft von Demonstrationen und politischen Aktivitäten fern zu halten. Täglich veröffentlichen das staatliche Fernsehen und unter Zensur stehende Zeitungen Verlautbarungen der Polizei; jede Art von Demonstration, jede gerufene Parole gegen die Obrigkeit, jede Menschenansammlung sei verboten, werde verfolgt und strengstens bestraft…

Trotz Terror und Drohung gelingt es der iranischen Demokratie-Bewegung, die wenigen Möglichkeiten klug zu nutzen, um ihren Fortbestand, ihre Stärke zu demonstrieren.

In Iran herrscht inzwischen eine nackte Militärsdiktatur. Sensible Regionen, wie Iranisch Kurdistan, oder wichtige Betriebe, Hochschulen und öffentliche Plätze der Großstädte des Landes werden direkt von Militärs (Pasdaran) und Miliz (Basij) kontrolliert. Dies ist die eine Seite der Medaille! Die andere Seite ist die: Das Regime ist auf öffentliche Auftritte und Aufmärsche angewiesen. Solche Tage und Szenarien braucht das Regime, um zum einen seine immer weniger werdende Anhängerschar zusammenzuhalten und zum anderen sich und dem Rest der Welt “Macht” und “Stärke” zu suggerieren. Dafür sind in Iran der letzten 30 Jahre religiöse und politische Veranstaltungstage für das Regime reserviert. Seit Sommer 2009 gelingt es der demokratischen Protestbewegung in Iran, solche Tage für sich in Anspruch zu nehmen und das Regime ernsthaft in Verlegenheit zu bringen.

Zwischen Anfang November und Ende Dezember 2009 gab es drei “staatliche reservierte” Tage, alle drei Tage wurden Tage der Proteste gegen das Regime:

  • Der 3. November (der 13. Tag des achten iranischen Monats “Aban”) ist vom Regime als Tag der Besetzung der US-Botschaft durch die “Studenten der Imam-Linie” im Jahr 1979 und als “Tag der Schüler” deklariert. Seit 30 Jahren finden an diesem Tag Aufmärsche statt, die den “Imam-Khomeini” und “seine Jünger” hochleben lassen. Zum ersten Mal wurde in diesem Jahr dieser Tag von der ideenreichen iranischen Protestbewegung umfunktioniert, Tausende riefen an diesem Tag “Tod dem Diktator”, “Ahmadinejad verschwinde”…
  • Der 6. Dezember des Jahres 2009 fiel mit dem 16. Tag des neunten iranischen Monats “Azar” zusammen. Seit 1953 gilt der “16. Azar” als Tag der iranischen Studentenbewegung. Nach dem CIA-Putsch im August 1953 kam im Dezember 1953 der damalige Vizepräsident der USA Nixon nach Iran, um die “getane Arbeit”!? zu inspizieren. Gegen diesen Besuch demonstrierten iranische Studenten, die Schah-Armee schoss auf sie und tötete drei von ihnen. Seit 30 Jahren missbraucht das Regime diesen Tag und schickt seine Horden auf die Strasse. In diesem Jahr gehörte der 16. “Azar” tatsächlich den iranischen Studierenden. Dem Regime gelang es trotz Drohung und Überwachung nicht, die Kontrolle aufrechtzuerhalten. In mehr als 30 iranischen Städten wünschten mehrer 100.000 junge Leute den Würdenträgern des Regimes den Tod!
  • Das “Aschura-Fest” ist, für die schiitischen Gläubigen allgemein und für den schiitischen Klerus besonders, einer der wichtigsten religiösen Tage des Jahres. Am Aschura-Tag soll nach schiitischem Glauben Imam Hossein, Enkel des Propheten Mohammad, im Kampf gefallen sein. Das islamische Regime in Iran feiert diesen Tag mit besonderer Inbrunst. Die Aschura-Feierlichkeiten des Jahres 2009 fanden in den Tagen 26.-28. Dezember statt. Internationale BeobachterInnen sind sich einig, dass in diesen Tagen schätzungsweise, wie im Juni 2009, zwischen drei bis fünf Millionen Menschen auf Irans Strassen dem Diktator den Tod wünschten…

Die Weiterentwicklung der Proteste seit Sommer 2009 erlauben auf jeden Fall folgende Schlussfolgerung: Die Demokratie-Bewegung hat längst die Vorstellungen und Forderungen der grünen Protagonisten hinter sich gelassen. Die “Grünen” (Farbe des Islams!) wollen Verbesserungen und Reformen innerhalb des bestehenden Systems. Die Protestbewegung kämpft für soziale Gerechtigkeit und demokratische Grundrechte, die nur mit dem Sturz der islamischen Republik zu verwirklichen sind.

Anfang Februar 2010 ist der Jahrestag der gescheiterten iranischen Februarrevolution und der Machtergreifung des Regimes der islamischen Republik. Vollkommen unabhängig davon, was die Tage im Februar bringen; im Sommer und erst recht im Herbst 2009 hat das iranische Volk durch die Kämpfe sein Selbstbewusstsein und seine Würde zurück gewonnen.

31.12.2009 — Ali Behrokhi(+)


(+) Vorliegende Arbeit ist die aktualisierte Fassung eines Redebeitrages, den der Verfasser am 6.Oktober und 15. Dezember 2009 auf zwei Iran -Veranstaltungen gehalten hat.