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Parteiaufbau heute

mit Anmerkungen zum Konzept der RSO

1. Notwendigkeit einer marxistischen Kampfpartei

Die Überwindung bzw. Aufhebung kapitalistischer Verhältnisse ist nur als bewußter Akt der internationalen Arbeiterklasse denkbar. Sie hat als Voraussetzung zunächst soziale Revolutionen wenigstens in den wichtigsten kapitalistischen Ländern und das gezielte und koordinierte Handeln des Proletariats auf je nationaler und dann auf internationaler Ebene.

Da die Mehrheit der Arbeiterklasse bis in die soziale Revolution hinein (die immer wesentlich als politische Revolution beginnt) in bürgerlichen Verhältnissen und Traditionen lebt und befangen bleibt und somit ihr Bewußtsein immer noch bürgerlich (wenn nicht gar vorbürgerlich) geprägt ist, kann die Arbeiterklasse sozialistisches Bewußtsein nur im Verlauf ihrer Kämpfe entwickeln. Weil das immer noch kapitalistische, gesellschaftliche Sein das Bewußtsein der großen Masse des Proletariats bestimmt, entwickelt die Arbeiterklasse nicht spontan sozialistisches Bewußtsein. Es gibt also keinen Automatismus, der dafür sorgt, daß revolutionäres Klassenbewußtsein spontan entsteht. Es bedarf einer Kraft, die der Arbeiterklasse ihre eigenen Erfahrungen verdolmetscht, einer marxistischen Organisation bzw. Partei. Anders als noch vor dem Ersten Weltkrieg sind Marxisten heute aber in aller Regel Teil der Arbeiterklasse. Ihre Aufgabe besteht darin, die Arbeiterklasse insgesamt dabei zu unterstützen, sich ihrer Rolle und Stellung in der kapitalistischen Gesellschaft bewußt zu werden, sich ihrer Kraft zu besinnen und ihr zu helfen, sich für die Durchsetzung ihrer Klasseninteressen zu organisieren. Dazu müssen sich die Marxisten selbst in geeigneter Weise organisieren

Der Prozeß der Revolutionierung des Bewußtseins verläuft aber weder linear, noch gleichförmig und schon gar nicht gleichzeitig ab. Er ist auch nicht unmittelbar Ausdruck der Klassenkampfentwicklung. Erfahrungen können unter dem Einfluß verschiedenster reaktionärer Kräfte auch fehlverarbeitet werden und die gegenwärtige zahlenmäßige Schwäche und Marginalisierung marxistischer Kräfte verhindert, daß das der Klassenkampflage entsprechende Potential für die Schaffung einer marxistischen Partei ausgeschöpft werden kann.

2. Aufgaben der organisierten Marxisten

Wir befinden uns tatsächlich weit vor dem Stadium eines Parteiaufbaus, in dem wir auch nur einen so relevanten Teil der Arbeiterklasse ansprechen können, daß wir von dieser als politischer Faktor wahrgenommen werden könnten. Dennoch gilt, was Trotzki im sog. Übergangsprogramm schrieb, dem Gründungsprogramm der Vierten Internationale: Wir befinden uns in einer vorrevolutionären Periode der Agitation, Propaganda und Organisierung.

Die Möglichkeiten zur Agitation sind angesichts unserer geringen Mitgliederzahlen notwendig sehr begrenzt. Dennoch ist die Teilnahme an Bewegungen ohne die bewußte Entwicklung von Agitation nicht denkbar. Sie ist als Gradmesser für die realistische Beurteilung der Massenstimmungen und des Massenbewußtseins unentbehrlicher Bestandteil der politischen Arbeit auch kleinster Kaderkerne. Propagandistische Beiträge haben ihre inhaltliche Erheblichkeit grundsätzlich in der Massenarbeit zu beweisen. Propaganda hat sich mithin in der Agitation zu bewähren.

So, wie der Wert der marxistischen Propaganda nicht zuletzt daran gemessen wird, inwieweit sie hilft, die massenorientierte Agitationsarbeit zu stützen und zu verbessern, so muß sie vorrangig darauf abzielen, den Aktivisten in diesen Bewegungen zu helfen, sich in jeder Lage des Klassenkampfs zu orientieren, sich über die zu verfolgenden Ziele klar zu werden und den effektivsten Weg zu ihrer Realisierung anzustreben. Die theoretischen Lehren der Vergangenheit sind dabei zu berücksichtigen. Sie ersetzen aber nicht die Aufgabe, das sozialistische Programm und die zu verfolgende Strategie aus der Analyse der konkreten Situation und aus den von den Aktivisten der Bewegungen gemachten Erfahrungen abzuleiten. Konkrete und überzeugende Propagandaarbeit ist daher nur möglich durch und über die Teilnahme am Klassenkampf in allen seinen Ausformungen.

Die Aufgabe der Organisierung betrifft nicht nur Vorschläge für Mobilisierungs- und Kampfstrukturen, sondern auch den Organisations- bzw. Parteiaufbau. Nur, wenn es gelingt, eine lebendige, mit dem realen Klassenkampf verzahnte Propagandaarbeit zu entwickeln, werden wir tatsächlich die natürliche Avantgarde der Arbeiterklasse, d.h. die Aktivisten in den Gewerkschaften und den diversen politischen und sonstigen sozialen Protestbewegungen, Initiativen etc., auf marxistischer Grundlage organisieren können. Die Aufarbeitung und Vermittlung des theoretischen Erbes der marxistischen Bewegung einschließlich ihrer Geschichte sehen wir im wesentlichen als Schulungsaufgabe für Mitglieder und Sympathisanten im Umfeld der marxistischen Organisation.

3. Vom Zirkelwesen zur Partei

Wir, die Marxistische Initiative, sind leider nur ein kleiner überörtlich organisierter marxistischer Zirkel. Wir lösen uns nicht in einer größeren Partei auf, weil wir die bestehenden größeren Parteien weder als wirkungsvolle Instrumente zur Durchsetzung der aktuellen Interessen der Arbeiterklasse sehen noch der historischen Ziele der sozialistischen Arbeiterbewegung. Aus dem historischen Bankrott des Stalinismus ist nach unserer Kenntnis bzw. Einschätzung ebenfalls keine Organisation hervorgegangen, die es Marxisten erlauben würde, auf eine eigenständig organisierte Arbeit für eine neue revolutionäre proletarische Partei zu verzichten.

Unsere Möglichkeiten zu praktischer Arbeit bleiben zwar weit hinter dem zurück, was wir als notwendig erachten. Für diverse politische Organisationsansätze und Organisationen, die meisten davon größer und älter als wir, gilt aber dasselbe. Alle sind nach 1990/91 von der Krise der sozialistischen Bewegung betroffen und niemand kann für sich in Anspruch nehmen, für alle Probleme fertige Lösungen anbieten zu können. Obwohl wir der Ansicht sind, daß wir uns wertvolle und solide programmatische Grundlagen für einen erfolgreichen Parteiaufbau geschaffen haben, gehen wir nicht davon aus, daß eine neue marxistische Partei anders als durch einen komplexen Prozeß der Zusammenarbeit, des organisierten Meinungsstreits und politisch-programmatischen Kampfes entstehen kann. Dies gilt sowohl in der BRD wie auch darüberhinaus auf internationaler Ebene. Wir wollen uns nach Kräften an diesem Prozeß beteiligen und vertrauen darauf, hierfür praktisch und theoretisch wertvolle Beiträge leisten zu können.

Ebenso, wie es zwischen Agitation und Propaganda auf einzelstaatlicher Ebene keine Trennlinie bzw. kein zeitliches Nacheinander geben kann, kann es zwischen dem Parteiaufbau auf nationaler und internationaler Ebene irgendeine Form von Etappenkonzept geben. Keine marxistische Organisation kann im 21. Jahrhundert auf eine internationale Lageeinschätzung und auf eine daraus fußende internationalistische Politikkonzeption verzichten. In Europa sorgt bereits die Einbindung der diversen Staaten in die Europäische Union und die NATO dafür, daß sich revolutionäre Politik ohne die Perspektive einer internationalen Partei der Lächerlichkeit preisgibt. Da wir den Beginn revolutionärer Politik nicht in eine ferne Zukunft verschieben wollen, suchen wir bereits heute die internationale Kooperation mit anderen subjektiv revolutionären Kräften. Das schließt nach Möglichkeit auch feste organisatorische Verbindungen ein — bei aller gebotenen Vorsicht gegenüber kleinen und ungefestigten Gruppen bzw. Organisationen.

4. Kritische Anmerkungen zum organisatorischen Konzept der RSO

a) Das Papier der RSO zum Organisationsaufbau hat einerseits den Vorteil, z.T. sehr konkrete Aussagen darüber zu treffen, welche Arbeiten die RSO in Angriff nehmen will und welche nicht. Andererseits erscheint ein Teil der organisatorischen Festlegungen nicht aus einer politischen Analyse abgeleitet sondern aus einer speziellen Einschätzung der kapitalistischen Gesellschaft. Hinzu kommt, daß die Arbeitsformen nicht mit politischen Inhalten gefüllt sind, sondern allein der organisatorische Erfolg Maßstab der Festlegungen zu sein scheint.

b) Bestimmte Festlegungen (im Bereich der Jugendarbeit und der Betriebsarbeit bzw. der Arbeit in der Arbeiterklasse) deuten auf politisch-analytische und politisch-konzeptionelle Voraussetzungen hin, die einer tieferen und gesondert geführten Diskussion bedürften. Hierzu haben wir wohl Meinungsverschiedenheiten.

Andere Festlegungen sind aus nicht-österreichischer Sicht nur schwer zu kommentieren: So das prinzipielle Bekenntnis zur Teilnahme von Revolutionären an Wahlen, das aber von einer festen Absage an die Möglichkeit einer derzeitigen eigenen Wahlteilnahme begleitet wird. Das ist natürlich konsequent, wenn man sich aus organisatorischen Gründen nicht in der Lage sieht, eine breitere Massenagitation betreiben zu können. Andererseits ist die RSO jedoch in Wien die stärkste trotzkistische Organisation. In Wien stellt sich deshalb doch die naheliegende Frage, wann daran zu denken sein könnte, diese Ablehnung zu überdenken, zumal die Stärkung der RSO in Wien zum primären strategischen Ziel erklärt wird (was richtig ist).

c) Umgekehrt ergeht sich das Papier jedoch auch in Aussagen, die wenig oder überhaupt nicht konkret sind, so die, daß der Eintritt in reformistische Organisationen (welche?) prinzipiell möglich ist — je nach Lage des Klassenkampfs, aber daß dabei die eigene politische Unabhängigkeit gewahrt werden muß.

Eine andere ist die Aussage, daß es Perioden gibt, in denen “die Ausbildung und die Aneignung, Verbreitung und Weiterentwicklung marxistischer Theorie im Vordergrund stehen und Perioden, in denen Marxisten nicht abseits der Entwicklungen des Klassenkampfs stehen dürfen.” Dabei käme es natürlich auf die Einschätzung der “Perioden” an. Aber wir haben dennoch massive Zweifel, ob Marxisten dort, wo sie die reale Möglichkeit haben, Klassenkämpfe zu beeinflussen, das moralische Recht haben, abseits stehen zu bleiben. Wir sind davon überzeugt, daß eine Organisation im Klassenkampf aufgebaut werden sollte.

d) Es fällt uns schwer, Eure Haltung zur Frage des Aufbaus einer Internationale nachzuvollziehen.

Die Einschätzung, daß zumindest keine der bestehenden großen internationalen Tendenzen schon als “der” Kern der künftigen revolutionären Masseninternationale angesehen werden kann, teilen wir offensichtlich. Daß die Fusion von Kleingruppen zu neuen Strömungen ein dorniger Weg ist, auf dem immer auch mit Rückschlägen gerechnet werden muß, ist eine Einschätzung der ihr zustimmen dürftet. Wenn sich solche kleinen Tendenzen nach dem Muster der Liga für die Fünfte Internationale selbst schon zu der neuen Internationale proklamieren, entbehrt das in der Tat nicht einer gewissen unfreiwilligen Komik. Solche Strömungen vermögen offenbar nicht zwischen eigenen Wünschen und Überzeugungen sowie ihrer Außenwirkung zu unterscheiden. Aber welchen anderen Weg als den der Schaffung einer internationalen Tendenz gibt es, wenn man mit der internationalen Organisierung nicht warten will, bis man selbst eine Massenpartei hat? Die Antwort darauf bleibt ihr letztlich schuldig.

Einerseits wollt Ihr gewissermaßen eine revolutionär-marxistische, pangermanische Organisation des deutschen Sprachraums schaffen, mit Wien als Zentrum. Das ist wenig durchdacht. Das Konzept zu benennen bedeutet zudem, seine Absurdität offen zu legen. Bezogen auf den Aufbau einer internationalen Strömung ist es konfliktträchtig.

Nach wie vor vertreten wir das Konzept “ein Staat - eine Organisation”. Hinzu kommt, daß die Fusion einer bundesdeutschen Organisation mit Ortsgruppen einer österreichischen Organisation praktisch schwer vorstellbar ist, weil dann bei einer Fusion in der BRD informelle Strukturen an gewählten Leitungen vorbei und Loyalitätskonflikte vorprogrammiert sind. Es ist unverständlich, daß Ihr den Aufbau von Ortsgruppen in der BRD und der Schweiz (was ist mit Südtirol und Ostbelgien?) ins Auge faßt, ohne daß diese eine eigene Sektionsführung schaffen.

Jede marxistische Organisation bzw. Partei muß aus sich heraus eine selbständig tätige politische Führung entwickeln, die auf internationaler Ebene eine prinzipiell gleichberechtigte Kooperation verwirklichen muß. Die Vierte Internationale ist nicht zuletzt daran gescheitert, daß sie dieses kooperative Konzept (siehe ihr Statut von 1938), das anerkennt, daß der demokratische Zentralismus auf nationaler Ebene nicht derselbe sein kann, wie auf internationaler Ebene, nicht praktiziert hat bzw. nicht praktizieren konnte und wollte, sondern sich nach dem 2. Weltkrieg faktisch am sinowjewistischen Modell der Komintern orientierte.

Euer Bekenntnis dazu, daß eine künftige Weltpartei aus Umgruppierungs- und Fusionsprozessen in Wechselwirkung mit (zugespitzten) Klassenkämpfen hervorgehen wird, macht die Sache nicht viel besser. Es ist jedenfalls wenig aussagekräftig. Einerseits ist es ein Allgemeinplatz; denn die meisten der bestehenden internationalen Strömungen sind aus Konflikten um Brennpunkte der internationalen Revolution hervorgegangen. Dasselbe gilt für Versuche, Tendenzen zu fusionieren. Andererseits sagt es nicht das Geringste darüber aus, welche Rolle Ihr dabei zu spielen gedenkt, welche Grundsätze Ihr dabei verfolgt und ob Ihr überhaupt bereit seid, diesen Prozeß voranzutreiben. Eure Aussage, daß Ihr in diesen Prozeß “mit einer möglichst starken Organisation eintreten” wollt, wird durch Eure Aussage konterkariert, daß Euch dafür die derzeit die Übersetzungskapazitäten fehlen — was bei einer Organisation Eurer numerischen Stärke und Eurem Potential an Akademikern als Begründung einfach nicht tragfähig ist. Eine Intervention in einen solchen Prozeß ist etwas anderes als “die Form eines losen Austausches”. Uns scheint, daß Ihr in dieser Frage noch einigen Klärungsbedarf habt.