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Thesen zur Entwicklung des Kapitalismus

in seiner Phase des Niedergangs

I.

Der Widerspruch zwischen dem Entwicklungsstand der Produktivkräfte und dem Charakter der Produktionsverhältnisse (gesellschaftliche Produktion versus private Aneignung) ebenso wie der Widerspruch zwischen nationalstaatlicher Verfaßtheit der kapitalistischen Entwicklung und internationalem Charakter der Produktiventwicklung (Schaffung eines Weltmarkts und internationale Arbeitsteilung) konnte und kann im Kapitalismus nicht aufgehoben werden.

Die ersten kapitalistischen Länder nutzten ihre kolonialen Eroberungen als Katalysatoren ihrer eigenen Entwicklung, zerstörten oder blockierten jedoch die einsetzende kapitalistische Entwicklung ihrer Kolonien. Die um 1900 im wesentlichen abgeschlossene Aufteilung der Welt verschärfte die innerimperialistischen Gegensätze und führte in den ersten Weltkrieg. Dessen Ergebnisse, die neue Vormachtstellung der USA besonders in Lateinamerika, im pazifischen Raum und in Europa, die russische Revolution im Osten und die (gescheiterten) Revolutionen in Mitteleuropa, die Schwächung Deutschlands bei Beibehaltung der anderen Kolonialreiche reproduzierte die innerimperialistischen Widersprüche und entfaltete erneut das destruktive Potential des Imperialismus. Der 2. Weltkrieg war die Folge.

II.

Die Erschöpfung Europas während des ersten Weltkrieges, die Einengung des Weltmarktes durch die Oktoberrevolution und die übermächtige Konkurrenz des US-Imperialismus stürzten insbesondere den europäischen Imperialismus in eine Phase der Stagnation mit sich zuspitzenden gesellschaftlichen Widersprüchen. Im Anschluß an die gescheiterte Revolution 1918-1923 bereitete das Versagen der Führungen von SPD und KPD dem Sieg des Faschismus den Weg. Gestützt auf die Niederwerfung des inneren Feindes, der Arbeiterklasse, konnte die deutsche Bourgeoisie einen weiteren Anlauf unternehmen, ihre Probleme durch eine aggressive Expansionspolitik zu lösen.

Der 2. Weltkrieg ließ in Europa den zweiten Versuch des deutschen Imperialismus scheitern, Europa gewaltsam zu unterwerfen und in seinem Interesse neu zu ordnen, um so seine Weltmachtambitionen zu verwirklichen. Der deutsche Imperialismus übernahm sich dabei in erster Linie an seinem Vorhaben, die UdSSR schnell zu zerschlagen, um, gestützt auf deren Ressourcen, den angelsächsischen Imperialismus zu besiegen. Japan scheiterte an seinem 3-Frontenkrieg (China, USA und Indochina/Hinterindien) im asiatisch-pazifischen Raum, mit dem es sich dort auf Kosten der USA, Englands, Frankreich und der Niederlande zur einzigen asiatischen Macht machen wollte.

III.

Der 2. Weltkrieg, der nicht zuletzt als Klassenkrieg gegen den Arbeiterstaat Sowjetunion geführt wurde, endete mit einer gewaltigen Schwächung des Imperialismus insgesamt: Zerrüttung der kapitalistischen Staaten in Ost- und Südosteuropa, Schwächung Frankreichs, der Niederlande und Englands, Zerrüttung Chinas und anderer Länder Südostasiens, Ausschaltung Deutschlands und Japans als eigenständige Faktoren der Weltpolitik. Trotz der Verwüstung des europäischen Teils der UdSSR stieg diese zur Weltmacht auf. Die Kommunistischen Parteien blieben aber der Linie der friedlichen Koexistenz verpflichtet und halfen - in Griechenland, Italien und Frankreich sehr erfolgreich - den Kapitalismus zu stabilisieren. Der neuen Macht der UdSSR stand zwar die überwältigende Macht des US-Imperialismus gegenüber, doch war dieser trotz zunächst gewaltiger Hilfestellung der stalinistischen Parteien nicht in der Lage, den Sturz des Kapitalismus in China, Nordkorea und Osteuropa und damit die geographische Einengung des Weltmarkts zu verhindern.

Gleichwohl hatte der 2. Weltkrieg auch die Voraussetzungen für eine neue Boomperiode der imperialistischen Weltwirtschaft geschaffen:

Die gigantischen Zerstörungen des 2. Weltkriegs hatten jene “bereinigende” Funktion, die selbst die Weltwirtschaftskrise 1929-33 nicht in ausreichendem Maße hatte. Endlich war so viel überakkumuliertes Kapital vernichtet, war die Arbeiterbewegung so geschwächt, daß wieder profitabel investiert werden konnte. Die Erschöpfung aller Konkurrenten des US-Imperialismus (auch der Alliierten) ermöglichte es dem US-Imperialismus, seine gewaltigen, während des Krieges akkumulierten Mengen an Geldkapital zu exportieren, die in den USA nicht profitabel angelegt werden konnten (Marshall-Plan bzw. European Recovery Program).

Hinzu kam die permanente Rüstungsexpansion durch neue Kriege (Korea, Vietnam). Die extreme Schwäche der Konkurrenten ließ diese die Kapitalhilfe (Marshall-Plan) willkommen heißen, da ohne diese der Verfall drohte. Die Schwächung der westeuropäischen Konkurrenten ermöglichte es dem US-Imperialismus auch, seine Freihandelspolitik in Form der “Entkolonisierung” durchzusetzen. Die geschwächten Konkurrenten waren teils nicht in der Lage, ihre alten Kolonien militärisch zu halten, teils drängten die USA auf zeitgemäße neokoloniale Lösungen, um das Hinüberwachsen der antikolonialen Bewegungen in sozialistische Revolutionen zu verhindern. Die Verschiebungen in den innerimperialistischen Kräfteverhältnissen erfolgten daher friedlich. Die USA erschienen den alten imperialistischen Mächten als Retter, nicht als übermächtiger Gegner. Der Klassengegensatz zur UdSSR und den RGW-Staaten überschattete und überlagerte alle innerimperialistischen Widersprüche.

IV.

Die Schwächung des imperialistischen Systems insgesamt verschärfte zugleich den Gegensatz zur Sowjetunion. Der zugespitzte Ost-West-Gegensatz und die Furcht, Westeuropa könnte zum Schauplatz sozialistischer Revolutionen werden, zwang die Vereinigten Staaten, die alten imperialistischen Mächte wiederzubeleben, sie zu stabilisieren, ihnen ökonomische Spielräume nicht nur zu lassen, sondern sogar zu öffnen. Der US-Imperialismus befürwortete und förderte deshalb die Schaffung der Europäischen Gemeinschaft mit der Schaffung eines gemeinsamen Marktes und als Mittel der gesellschaftlichen Stabilisierung sogar die Errichtung des durch hohe Schutzzölle geschützten Agrarmarktes. Ein entwicklungsfähiger, aufnahmebereiter innerer Markt, die breitestmögliche Anwendung neuer Technologien in großem Maßstab und die permanente Rüstungswirtschaft ermöglichten einen Boom der imperialistischen Wirtschaft. Damit konnte der Lebensstandard der Arbeiterklasse gesteigert und die Grundlage für eine stabile Burgfriedenspolitik der Arbeiterbewegung der imperialistischen Metropolen gelegt werden ( bei Sozialdemokratien und Stalinisten, z.B. in Frankreich und Italien).

Die Europäische Gemeinschaft schuf die Bedingungen nicht nur für die Stabilisierung der nationalen kapitalistischen Gesellschaften Europas, sondern auch für den Wiederaufstieg des deutschen Imperialismus, der so auf friedlichem Wege zur ökonomisch führenden Macht Europas werden konnte. Das bedeutete zugleich, daß ein neuer Interessenkonflikt zwischen einem Europa, das seinen Einigungsprozeß voranbringt, und den USA auf die Dauer unvermeidlich ist, auch, wenn sich die Form eines solchen Konflikts und sein Verlauf derzeit nicht klar bestimmen lassen.

V.

Die Erfolge des Booms der imperialistischen Wirtschaft untergruben den Boom selbst. Schon Ende der sechziger Jahre hatte sich die absolute Hegemonie des US-Imperialismus auf wirtschaftlichem, politischem und militärischem Gebiet durch den wirtschaftlichen Aufstieg Japans und Europas (Industrieproduktion und Handel schlossen zum US-Imperialismus auf) in eine relative verwandelt. Gesättigte Märkte und latente Überproduktion verschärften die innerimperialistische Konkurrenz und verlangsamten das Wirtschaftswachstum. Sie drückten auf die Profitrate und zwangen die imperialistischen Bourgeoisien, die auch unter dem Aspekt der Systemkonkurrenz betriebene Politik der materiellen Zugeständnisse an die Arbeiterklasse seit den siebziger Jahren einzuschränken. Damit begann eine neue Etappe der allgemeinen Krise des Kapitalismus.

Schließlich beeilten sich seit Beginn der achtziger Jahre alle imperialistischen Bourgeoisien, in einen Wettstreit zur schnellstmöglichen Wiederherstellung besserer Kapitalverwertungsbedingungen einzutreten und die bis dahin erreichten Errungenschaften der Arbeiterklasse immer massiver abzubauen.

Dem Übergang in die neue Phase der Stagnation der imperialistischen Weltwirtschaft entsprach auf der Ebene der Politik der Bruch mit den keynesianischen Rezepten der Wirtschaftspolitik. Neue Kreditaufnahmen für Programme zur staatlichen Investitionsförderung galten plötzlich als kontraproduktiv und als Hemmnis für private Investitionen, da sie private Kreditaufnahmen erschwerten. Gefordert wurde eine Wirtschaftspolitik, die die schnelle Profitmaximierung ermöglichte, um die Eigenkapitalbildung für neue Investitionen zu befördern. Die Staaten sollten sich dazu u.a. aus der Wirtschaft zurückziehen, staatliche Daseinsvorsorge zugunsten weitreichender Privatisierungen stoppen und so dem Kapital neue Anlagesphären erschließen, im Namen eines neuen und aggressiven Marktradikalismus, des Neoliberalismus.

Die Kapitalkonzentration insgesamt nahm im Vergleich mit der Periode von 1945 bis 1975 deutlich zu. Die sich seitdem abzeichnende Stagnationsphase entwickelte sich aber auf einer deutlich erweiterten industriellen Grundlage, was bewirkte, daß der Rhythmus der Kapitalakkumulation immer noch deutlich schneller ist, als während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Dennoch reicht dieser Rhythmus nicht aus, die Krisentendenzen des imperialistischen Systems zu überwinden.

VI.

Die anfangs unter dem Stichwort "Reaganomics" betriebene Politik des Neoliberalismus, die kapitalistische Antwort auf den offiziellen Bankrott des Keynesianismus in den siebziger Jahren, markierte keine neue "Epoche der Globalisierung".

Die Vertiefung und Weiterentwicklung der weltweiten Arbeitsteilung und dadurch die Schaffung neuer Anlagesphären für das Kapital sind charakteristisch für die gesamte imperialistische Epoche. Neu sind im wesentlichen die Entwicklungen zur "schlanken Produktion", d.h. die Ausgliederung von Teilen der Produktion, verbunden mit einer Verfeinerung der Arbeitsteilung, Perfektionierung der Logistik und erheblicher Steigerung des Konkurrenzdrucks innerhalb der Arbeiterklasse "(outsourcing", ebenso die enorm gesteigerte Kapitalkonzentration, die durch die in diesem Ausmaß neue Überproduktion von Kapital angefeuert wird und neu ist der mangels profitabler industrieller Anlagemöglichkeiten damit verbundene Anstieg der Spekulation sowie der Kapitalkonzentration bzw. Monopolisierung. Das spekulative Kapital und der Spekulationsgewinn erhalten im Verhältnis der Kapitale einen qualitativ neuen Stellenwert, der die Geldwertstabilität und damit die Stabilität des Weltmarktes zusätzlich bedroht. (Die wesentlichen Aspekte dieser Etappe der imperialistischen Wirtschaft wurden von Ernest Mandel bereits in den siebziger Jahren in seinem Werk "Spätkapitalismus" analysiert).

Die Monopolisierung hat die großen Monopole jedoch nicht "heimatlos" werden lassen. Von Nationalstaaten völlig losgelöste, selbständige Monopole, das sog. "transnationale Kapital", gibt es ebenso wenig, wie einen US-dominierten Supraimperialismus. Der US-Imperialismus übt keine weltumspannende absolute Hegemonie aus. Er ist aufgrund des Verlusts seiner absoluten wirtschaftlichen Hegemonie nicht einmal in der Lage, den Anforderungen seiner eigenen Militärdoktrin gerecht zu werden. Die Einführung neue Technologien hat kein neues goldenes Zeitalter des Kapitalismus eröffnet, sondern nur eine Umverteilung des Reichtums in der Weltbourgeoisie bewirkt und massive Strukturkrisen verursacht. Die innerimperialistschen Konflikte um den Irakkrieg 2003 haben erneut die Fehlerhaftigkeit der Auffassungen vom "transnationalen Kapitalismus" bewiesen, die u.a. von der KP Kubas und der DKP vertreten werden.

Erstes Opfer dieser Politik wurden die Länder der 3. Welt, die, nachdem sie in den siebziger Jahren in die Schuldenfalle des Imperialismus gerieten, seit den achtziger Jahren auf dem Weg des Schuldenmanagements durch IWF und Weltbank gezwungen wurden, ihre Märkte zu öffnen, Schutzzölle abzuschaffen und so eine Politik der Entindustrialisierung und des Ausverkaufs ihrer Infrastruktur sowie ihrer Ressourcen zu betreiben. Der Reichtumstransfer in die Metropolen reichte jedoch bei weitem nicht, der imperialistischen Wirtschaft eine neue Aufwärtsdynamik zu verleihen. Er hat aber eine massiven Verelendung großer Teile der Arbeiterklasse, der armen Bauern und der Mittelschichten der 3. Welt schon seit den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts verursacht. In diesen Ländern herrscht seitdem ein Krisenzustand, der jede langandauernde Stabilität ausschließt.

VII.

Der Begriff der "Globalisierung" ist in jeder Hinsicht irreführend. Allenfalls kann von einem ideologischen Reflex des Übergangs von der extensiv erweiterten Reproduktion des Weltmarkts zu seiner intensiv erweiterten Reproduktion gesprochen werden. Der Begriff aber will aber fälschlich suggerieren, daß die weltweite Arbeitsteilung, die Ausbeutung und Devastierung der Dritten Welt sowie die damit verbundenen Phänomene historisch völlig neuartig sind, aber durch Reformen ebenso sozial gerecht gestaltet werden könnten. So wie angeblich der Kapitalismus in den imperialistischen Metropolen, wenn die Entscheidungsträger nur den Willen hätten, mehr Gerechtigkeit walten zu lassen und sich der Logik der ungezügelten Konkurrenz entzögen. Der auf Geschichtslosigkeit beruhende Begriff und die mit ihm verbundene reformistische Ideologie abstrahieren von der Realität der internationalen Klassengesellschaft und den treibenden Kräften der kapitalistischen Entwicklung, d.h. ihren inhärenten Widersprüchen. Es bleibt ein vergebliches Unterfangen, dem Kapitalismus egalitäre Moral predigen zu wollen.

VIII. Exkurs zur Ökonomie der Arbeiterstaaten im RGW, ihrem Aufstieg und Zusammenbruch

Die russische Revolution konnte nach der Konzeption Lenins und der der Kommunistischen Internationale im Anschluß an Marx nur die erste Etappe der Weltrevolution sein. Doch nach dem 1. Weltkrieg scheiterten die Revolutionen in Ungarn und Deutschland. Die verhältnismäßig rückständige russische Wirtschaft mußte eine weitgehende Isolation von der internationalen Arbeitsteilung verkraften. Hinzu kam die Zerrüttung und der Niedergang aufgrund des Krieges und des nachfolgenden Bürgerkrieges und der Kämpfe gegen die imperialistischen Interventionsarmeen.

Die Verstaatlichung der Industrie und des Handels, das Außenhandelsmonopol des Arbeiterstaates und die Einführung staatlicher Planung ermöglichten es nach 1917, den baldigen Zusammenruch der Revolution abzuwenden. Die extrem widrigen Bedingungen des beginnenden sozialistischen Aufbaus und die durch diese Bedingungen bewirkte Erschöpfung der Arbeiterklasse begünstigten die Bürokratisierung des Arbeiterstaates und schließlich auf dem Weg der Bürokratisierung der KPdSU die Verselbständigung der bürokratischen Macht von der Arbeiterklasse sowie die Ausschaltung der Arbeiterklasse als eigenständigem politischem Faktor im Arbeiterstaat. Der Begriff des Stalinismus bezeichnet diese Bürokratisierung und die im Interesse dieser Bürokratie betriebene Politik.

Obwohl die Partei- und Staatsbürokratie einen beachtlichen Teil des gesellschaftlichen Mehrprodukts unproduktiv verbrauchte, obwohl sie die Motivation und Kreativität der Arbeiterklasse als wichtigstem ökonomischen Stimulus erdrosselte, bewies die Geschichte des nachrevolutionären Rußland, daß bereits die Einführung erster Elemente einer sozialistischen Ökonomie gewaltige Aufbauleistungen ermöglichte, die in der kapitalistischen Weltwirtschaft unerreicht blieben. Es gelang in kürzester Zeit, eine nachholende Entwicklung unter widrigsten Bedingungen zu realisieren. Gestützt auf diesen Aufbau und den damals immer noch gegebenen Elan der mit der Revolution verbundenen Massen gelang es der UdSSR, trotz der ökonomischen und militärischen Fehlleistungen der von Stalin geführten Bürokratie vor und zu Beginn des Krieges, und trotz der Zerstörung der Industrie im europäischen Teil Rußlands, der 1939 stärksten europäischen Militärmacht Europas zu widerstehen.

Die phantastisch zügigen Aufbauleistungen nach dem 2. Weltkrieg in der UdSSR, aber auch in anderen kriegsverwüsteten Staaten, bewiesen erneut die grundsätzliche Überlegenheit einer geplanten Ökonomie über den Kapitalismus - trotz des bürokratischen Würgegriffs hinsichtlich proletarischer Masseninitiative und der fehlenden realen Vergesellschaftung der Wirtschaft. Aber die anhaltende bürokratische Ausschaltung der Arbeiterklasse von allen wichtigen Entscheidungen auf gesamtwirtschaftlicher wie betrieblicher Ebene erwies sich dann als zunehmendes Hemmnis für die Weiterentwicklung der Produktivkräfte. In die gleiche Richtung wirkte die Verstaatlichung von Wirtschaftssektoren, die für eine Sozialisierung noch nicht reif waren. Mit letzterem verbunden war das mangelnde Verständnis für die Notwendigkeit des vom Arbeiterstaat gestalteten Nebeneinanders verschiedener Eigentumsformen.

Die Handhabung moderner Technologien verlangt nach aktiver Teilhabe der Produzenten an wirtschaftlichen Entscheidungen, nach Initiative und angewandter Kreativität im Detail. Stattdessen dominierte eine generalisierte Verantwortungslosigkeit, die das Korrelat der bürokratischen Alleinverantwortlichkeit der Spitze der Hierarchie war und die durch Proletkult wie Intelligenzfeindlichkeit gleichermaßen nur bedingt kaschiert wurde. Der bürokratisch-hierarchische Zentralismus der Wirtschaftverwaltung wurde so zum Hemmschuh einer entwickelt arbeitsteiligen und daher ihrer Natur nach kollektivistischen Ökonomie, die nach horizontaler Kooperation und nach umfassender Information anstelle von monopolisiertem Herrschaftswissen verlangt. Hinzu kam, daß die mit echtem Sozialismus völlig unvereinbare Abschottung der nationalen Volkswirtschaften voneinander selbst im Vergleich mit dem Kapitalismus ein historischer Rückschritt war.

Der Stalinismus, d.h. hier im engeren Sinne zunächst die Herrschaft der Bürokratie in den Arbeiterstaaten (zur Klarstellung: Personenkult und Massenverbrechen waren historische Bedingung der Machteroberung und des Machterhalts der Bürokratie; sie waren aber kein dauernd notwendiges Wesenselement bürokratischer Herrschaft), wurde deshalb zur Bremse der Entwicklung der Produktivkräfte wie der Produktionsverhältnisse in den Arbeiterstaaten.

Die verzweifelten Reformversuche der stalinistischen Ökonomen scheiterten ausnahmslos. Die Stagnation der bürokratisch beherrschten Volkswirtschaften durch die teilweise Dezentralisierung von Entscheidungen auf die betriebliche Ebene und die Einführung marktwirtschaftlicher Elemente waren nicht geeignet, das Problem des Ausschlusses der Masse der Arbeiterklasse von allen ökonomischen Entscheidungsprozessen zu bewältigen. Die Arbeiterklasse war der bürokratischen Bevormundung müde und verlor angesichts des konzeptlosen Bürokratismus ihr Vertrauen in die sozialistische Vision.

Unter dem äußeren Druck der militärischen Hochrüstung der NATO und dem inneren Druck der unzufriedenen Arbeiterklasse andererseits wuchsen die gesellschaftlichen Verhältnisse über die Stalinisten hinaus. Getrieben durch eine gesellschaftliche Entwicklung, die bis zuletzt (und bis heute) in aller Regel unverstanden blieb, entschlossen sich die demoralisierten und desorientierten stalinistischen Führungen in allen RGW-Staaten mehrheitlich, den Kapitalismus selbst oder gemeinsam mit Oppositionellen zu restaurieren. Andere waren angesichts der Entwicklung gelähmt und blieben handlungsunfähig. Ein großer Teil auch der stalinistischen Bürokraten und der Mitglieder der stalinistischen Parteien hatte angesichts der gescheiterten Reformkonzepte und geblendet vom (schon zu Ende gehenden) Boom der imperialistischen Wirtschaft ihre subjektive Bindung an die Arbeiterstaaten verloren.

IX.

Auch der Zusammenbruch der UdSSR und der RGW-Staaten sowie die damit verbundene geographische Ausdehnung des Weltmarktes haben keine nachhaltigen Impulse zur Wiederbelebung der imperialistischen Weltwirtschaft geliefert. Stattdessen wurden die Länder der ehemaligen UdSSR zum Hort der Instabilität des internationalen Kapitalismus. Je ärmer die Nachfolgestaaten der UdSSR sind, desto größere gesellschaftliche Spannungen gibt es und desto mehr findet sich der Imperialismus dort mit autoritären Regimes und politischen Diktaturen ab.

Die Hoffnungen des internationalen Finanzkapitals auf die Restauration des Kapitalismus in China und dadurch geschaffene neue Anlagesphären drohen bereits jetzt zum Alptraum des US-Imperialismus zu werden, der um seine Konkurrenzfähigkeit bangt und sich veranlaßt sieht, seine Anstrengungen zu intensivieren, über die Kontrolle der Weltenergieressourcen China auf kleinere Ration zu setzen. Auch ein expandierender chinesischer Markt vermag die Stagnationstendenz des Imperialismus nicht zu überwinden. Jede imperialistische Bourgeoisie wird deshalb dazu getrieben, im eigenen Land den Klassenkampf von oben zu verschärfen. Der US-Imperialismus unternimmt es gleichzeitig, den Klassenkampf im eigenen Land durch eine deutlich rücksichtslosere Politik auch gegenüber seinen Konkurrenten zu exportieren.

X.

Die Zuspitzung der innerimperialistischen Gegensätze, der Kampf um Einflußsphären, der Kampf um die Kontrolle strategisch wichtiger Ressourcen, allen voran Öl und Gas, verschärft auch die Auseinandersetzungen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft: Die Kernmächte Deutschland und Frankreich setzen darauf, Europa politisch zu einigen, um es zum unabhängigen Partner des US-Imperialismus zu machen, der auch in der Lage ist, seine eigenen Interessen militärisch selbst zu sichern. Britannien schwankt zwischen Europa und der Juniorpartnerschaft mit den USA. Politisch will es Europa daher wie die USA auf eine Freihandelszone reduzieren. Die Mehrzahl der kleinen Mitgliedsstaaten schwankt entsprechend ihrer jeweiligen ökonomischen Hauptabhängigkeiten und ihrem Wunsch, sich starken Nachbarn zu entziehen, ohne große eigene geostrategischen Interessen, weil es für sie nur um die freie Auswahl zwischen verschiedenen Abhängigkeiten geht und sie internationale Ambitionen nur unter den Fittichen stärkerer Mächte sichern können.

Die Stagnationskrise des Imperialismus und die dadurch gesteigerte innerimperialistische Konkurrenz zwingt aber die führenden europäischen Mächte (Deutschland und Frankreich) dazu, die Europäische Union zu festigen und auszubauen, um so als eigenständiger Faktor gegenüber dem US-Imperialismus bestehen zu können. Nur so können sie ihre Handlungsspielräume vergrößern.

Zugleich erzwingen die verengten Verteilungsspielräume den Kampf um die Neuverteilung der Ressourcen der Europäischen Union. Besonders die Erweiterung der Europäischen Union macht die Fortsetzung der bisherigen Form “historischer Kompromisse” zwischen den nationalen Bourgeoisien nicht mehr tragbar. Mehrheitsentscheidungen und damit die Straffung von politischen Entscheidungsprozessen in der EU werden vor diesem Hintergrund zur Überlebensfrage der Union. Die Reduktion der EU auf eine bloße Freihandelszone ist mit den strategischen Interessen der europäischen Führungsmächte Deutschland und Frankreich unvereinbar. Das EU-Europa wird daher entweder unter deren gemeinsamer Führung konsolidiert werden oder in zwei unterschiedliche Machtblöcke (der zweite Block unter britischer Führung) zerfallen, wobei sich bereits in den achtziger Jahren gezeigt hatte, daß eine europäische Freihandelszone unter britischer Dominanz, außerhalb eines Kerneuropa unter deutsch-französischer Führung, kaum lebensfähig wäre. Die wahrscheinlichste Variante ist daher eine Fortsetzung der bremsenden britischen Politik innerhalb der EU, gestützt auf die Kooperation mit den USA und mit den Mitgliedsländern, die auf deren Militärmacht als Schirm nicht verzichten wollen.

Auch eine erfolgreiche imperialistische Einigung Europas könnte die Stagnationskrise des Imperialismus nicht überwinden, nicht einmal in Europa. Ebensowenig, wie der Anschluß Österreichs und die Annektion des Sudetenlandes 1938 geeignet gewesen sind, die Probleme des deutschen Imperialismus zu lösen, würde heute die friedliche Konsolidierung der Europäischen Union Europa in die Lage versetzen, seine wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Probleme zu lösen. Die kapitalistische Einigung Europas ist noch gar nicht vollendet, da zeichnet sich ab, daß das vereinte Europa zum weltweiten Akteur, zum "global player" auch auf militärischem Gebiet werden wird, weil seine führenden Bourgeoisien es nicht zum völlig abhängigen Vasallen des US-Imperialismus herabsinken lassen wollen. Insofern ist nicht ausgeschlossen, daß die imperialistische Einigung Europas im Feuer außereuropäischer Schlachtfelder geschmiedet wird.

Die Einbeziehung der Türkei in die EU wird so zum Etappenziel der Einflußnahme auf die Ölregionen im Kaukasus und im Nahen und Mittleren Osten, die dann vor der Haustür der so erweiterten EU lägen. Auch wenn absehbar ist, daß damit die geographische Ausdehnung in Richtung der südöstlichen Ölregionen wohl im wesentlichen abgeschlossen würde, ist klar, daß sich dort bereits der Konflikt mit den USA abzeichnet, die die erweiterte Golf-Region als ihre erstrangige Einflußsphäre ansehen (s. schon die Carter-Doktrin). Umgekehrt drängen die USA auf eine schnelle Mitgliedschaft der Türkei, weil sie hoffen, daß eine noch nicht konsolidierte und gestraffte Europäische Union sich am Brocken Türkei verschluckt und auf globaler Ebene nicht handlungsfähig wird.

XI. Schlußfolgerungen und Perspektiven für die Arbeiterbewegung

1. Kriegsgefahren

Ein atomarer dritter Weltkrieg wäre auch deshalb unwahrscheinlich, weil ein solcher Krieg die Menschheit in den Untergang führen würde, kann aber theoretisch und auf lange Sicht nicht ausgeschlossen werden. Aber auch Weltkriege unterhalb dieser Schwelle, besonders in Form von größeren Regionalkriegen könnten, als Stellvertreterkriege wenigstens auf einer Seite geführt, bereits die Schrecken des 2. Weltkrieges erreichen und übertreffen. Selbst atomar geführte Regionalkriege sind denkbar.

Ein derartiger Kriegskurs der imperialistischen Großmächte hätte jedoch zur Voraussetzung, daß die Arbeiterklasse der wichtigsten imperialistischen Mächte eine Kette katastrophaler Niederlagen erleidet, ähnlich wie 1933 oder 1989/90. Die verbündeten europäischen Bourgeoisien könnten es selbst auf große Stellvertreterkriege mit dem US-Imperialismus nur ankommen lassen, wenn es ihnen gelänge, Europa, d.h. seine Gesellschaften, politisch gleichzuschalten und es militärisch in ähnlicher Weise aufzurüsten wie die USA, einschließlich der nächsten Weltraumrüstungsgeneration. Um ein solches Projekt in Europa durchzusetzen, müßten die europäischen Bourgeoisien die Arbeiterklasse zuvor von nahezu allen historisch erreichten Errungenschaften enteignen und die Arbeiterbewegung für Jahrzehnte als eigenständigen Faktor ausschalten. Das gilt aber auch für die USA, die ihre Hochrüstung ohne die willige Kreditfinanzierung durch das internationale Finanzkapital und ohne die Aufrechterhaltung eines internationalen Kapitalmarktes nicht ohne weiteres fortsetzen könnten. Dieser wäre aber womöglich das erste Opfer eines großen innerimperialistischen Konflikts. Auch der US-Imperialismus wäre dann gezwungen, zuerst einmal brachial gegen die eigene Arbeiterklasse vorzugehen.

Der aktuelle Vorsprung des US-Imperialismus auf militärischem Gebiet läßt eine solche Perspektive noch unwahrscheinlich erscheinen. Aber Europa als der inzwischen stärkste Wirtschaftsraum der Welt ist potentiell in der Lage, innerhalb weniger Jahre den technologischen Rüstungsvorsprung der USA aufzuholen. Daß eine entwickelte kapitalistische Wirtschaft innerhalb weniger Jahre fähig ist, eine hochmoderne Aufrüstung zu bewältigen, zeigt das Beispiel Deutschlands von 1933 bis 1939. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Arbeiterklasse gegen eine solche Politik keinen Widerstand leistet.

Das aktuelle Rüstungsprogramm der europäischen Mächte, die Schaffung einer internationalen Eingreiftruppe, zielt vorerst nur darauf ab, neben den USA die Fähigkeit zu eigenständigen, weltweit zu führenden Militäreinsätzen zu entwickeln. Dabei ist zunächst nur an kleinere Feuerwehreinsätze gedacht. Aber die Logik der Entwicklung, vor allem das Vorhaben, eigene logistische Grundlagen zu schaffen, zielt darauf, selbständig und unabhängig größere regionale Kriege führen zu können. Daran ändert auch nichts, daß die europäischen Mächte aus jahrhundertelangen kolonialen Erfahrungen heraus viel stärker als die USA auf die Einflußnahme mit zivilen Instrumenten setzen und auf gigantische Rüstungsprojekte vorerst noch verzichten. Die kurzfristigen Ziele stellen vielmehr nur Etappenziele im Rahmen einer langfristigen Konzeption dar.

Der Kampf gegen den Krieg beginnt bereits jetzt. Er ist zu führen als Kampf gegen die laufende Militarisierung der Außenpolitik, gegen NATO, WEU und gegen die europäische Aufrüstung. Er ist eng verbunden mit dem Kampf gegen Sozialraub, Lohndrückerei, gegen die Zerstörung sozialstaatlicher Errungenschaften, gegen die Kapitulation der Gewerkschaften und Parteien vor dem Neoliberalismus. Der Kampf gegen Kriegsgefahren ist vom Kampf gegen den Kapitalismus nicht zu trennen. Er fordert nicht nur eine kompromißlos klassenkämpferische Haltung, sondern ebenso eine klare Absage an alle Konzeptionen, den derzeit aggressivsten Imperialismus, den US-Imperialismus, durch die Unterstützung der Konsolidierung der Europäischen Union eindämmen zu wollen. Das läuft nur darauf hinaus, unter welchem ideologischen Deckmantel auch immer, z.B. "humanitäre Interventionen", die aggressive neokoloniale Politik des europäischen Imperialismus zu unterstützen. Eine wirkliche Friedenspolitik muß sich die internationale Solidarität der Arbeiterklasse und die Unterstützung des Kampfes unterdrückter Nationen gegen jeden imperialistischen Interventionismus auf ihre Fahnen schreiben.

2. Zuspitzung der Klassenkämpfe

Die Zuspitzung der innerimperialistischen Widersprüche und die damit notwendig verschärften Klassenkämpfe im Innern verweisen alle Gedanken der Wiederbelebung klassischer Reformstrategien ins Reich der Utopie.

Nachdem die neoliberale Politik bereits zuvor in der 3. Welt getestet wurde, haben die Bourgeoisien der imperialistischen Metropolen unter den Stichworten Globalisierung und Neoliberalismus die Klassenkompromisse der Nachkriegszeit in ihren Ländern unwiderruflich aufgekündigt. Dies ist auch das Resultat der neokolonialen Politik der vergangenen Jahrzehnte. Jetzt wird es aus imperialistischer Sicht immer häufiger notwendig, die verelendeten Volksmassen Afrikas, Asiens und Lateinamerikas in Schach zu halten. Der Kampf um neue und um die Sicherung bereits erkämpfter Weltmarktanteile ist ohne eine Politik der Verarmung auch größter Teile der Arbeiterklasse der reichen Länder nicht zu gewährleisten. Das erfordert die Zerstörung sozialer Netze, die Aufrechterhaltung einer permanenten industriellen Reservearmee und sogar die Schaffung eines marginalisierten Sektors der Arbeiterklasse. Damit wird die 3. Welt in die imperialistischen Metropolen geholt.

Die Frage ist, ob sich die Arbeiterklasse auf Dauer gegen die Offensiven der Bourgeoisien erfolgreich verteidigen und ihre Lösung der Krise durchsetzen kann, die Abschaffung des Kapitalismus.

Die schweren Rückschläge der internationalen Arbeiterbewegung seit den achtziger Jahren sind nicht zuletzt den ideologischen Folgen sowohl des langen Booms der imperialistischen Nachkriegswirtschaft, wie den Folgen des Zusammenbruchs der Sowjetunion geschuldet: Breiteste Schichten der Arbeiterklasse glauben infolgedessen daran, daß ihre soziale Lage im Kapitalismus dauerhaft gesichert, wenn nicht sogar noch kontinuierlich gebessert werden kann. Der Zusammenbruch der Arbeiterstaaten hat diese Illusionen in den Kapitalismus sogar noch verstärkt. Im Osten des europäischen Kontinents wurde angesichts der eigenen Stagnation nur der Boom des Imperialismus wahrgenommen, nicht die sich abzeichnende Stagnation. Hinzu kommt die scheinbare Alternativlosigkeit zum Kapitalismus. Alles das hat zu einer tiefen Desorientierung und Demoralisierung geführt.

Es sollte nach 1989/90 in Europa mehr als zehn Jahre dauern, bis die Arbeiterklasse seit 2003 wieder die Kraft zu ersten großen Massenmobilisierungen entwickelte. Ein Umstand, der in seiner Tragweite nicht hoch genug eingeschätzt werden kann, zumal, wenn bedacht wird, daß sich die Gewerkschaften, die traditionellen politischen Parteien der Arbeiterbewegung, aber auch die Grünen fast geschlossen den kapitalistischen Zwängen ("Sachzwängen") untergeordnet haben.

Aber die nachhaltige Offensive der Bourgeoisie gegen die Errungenschaften der Arbeiterklasse, zwingt diese, auf den Klassenkampf von oben zu reagieren. Sogar die Teile des Proletariats, die ohne jede sozialistische Zielsetzung nur ihren eigenen sozialen Status quo verteidigen wollen, werden gezwungen, an Kämpfen teilzunehmen. Die Teilnahme an Widerstandsaktionen ermöglicht neue Erfahrungen und neue Einsichten. Angesichts sich verengender Verteilungsspielräume kann somit selbst der verbreitete proletarische Konservativismus saturierter Schichten der Arbeiterklasse zu einem Ausgangspunkt für neue Klassenkämpfe werden.

3. Notwendigkeit einer neuen, revolutionäre Arbeiterpartei

Die Entwicklung der kommenden Klassenkämpfe wird davon abhängen, inwieweit es der Arbeiterklasse gelingt, sich im Verlauf ihrer Kämpfe von den Illusionen in das Reformpotential des Kapitalismus zu befreien, sich unabhängig von der Bourgeoisie und ihren Ideologen in Bewegung zu setzen, national wie international zu organisieren und dabei eine revolutionäre, marxistische Partei zu schaffen, die diesen Kampf aktiv und initiativ führen kann, in Gewerkschaften und politischen Bewegungen. Es bedarf einer neuen Partei, weil bisher jede historische Strömung der Arbeiterbewegung an dieser Aufgabe gescheitert ist.

Die Sozialdemokratie hat ihre früheren sozialistischen Grundsätze offen verraten und ist auf die Seite der bürgerlichen Ordnung übergegangen, die Kommunistischen Parteien wurden stalinisiert und ordneten sich bedingungslos zuerst der sowjetischen Bürokratie, später einige Parteien auch anderen Parteien an der Macht unter. Nach dem Zusammenbruch der Arbeiterstaaten in Europa gingen die größten stalinistischen Parteien ebenfalls offen auf die Seite der bürgerlichen Ordnung über, andere befinden sich in der ideologischen Dauerkrise und pflegen ihre haltlose Mythen, ohne die Fähigkeit an den Tag zu legen, die Ursachen ihres ideologischen und politischen Zusammenbruchs zu analysieren.

Die trotzkistische Bewegung, deren politisches Erbe einschließlich desjenigen der letzten Jahrzehnte für jeden Neuanfang unverzichtbar ist, ist letztlich daran gescheitert, daß sich der Imperialismus, aber auch der Stalinismus nach dem 2. Weltkrieg für Jahrzehnte stabilisieren konnten. Dies mußte jede revolutionäre Bewegung marginalisieren. Sektierertum, aber auch opportunistische Tendenzen, entwickelte sich zwangsläufig. Spaltungen und die Zersplitterung der Trotzkistischen Bewegung waren die Folge. Dennoch bleibt die Vitalität der trotzkistischen Bewegung erstaunlich. Sie ist das Ergebnis des fortschrittlichen Charakters der programmatischen Traditionen, die die trotzkistische Bewegung trotz ihrer Schwächen verteidigt hat. Neue revolutionäre Parteien und die neu zu schaffende revolutionäre Internationale werden nicht ohne große Teile der trotzkistischen Bewegung und ohne ein Anknüpfen an deren politischen Traditionen aufgebaut werden können.

XII. Imperialismus und Charakter der Epoche

Die fortschrittliche Rolle des Kapitalismus war für Marx zu dem Zeitpunkt beendet, in dem der Weltmarkt hergestellt sein würde, auf der Grundlage einer weltweiten Arbeitsteilung und mit der Schaffung einer neuen, weltweiten Arbeiterklasse.

Mit dem Eintritt der kapitalistischen Gesellschaftsformation in die Epoche des Imperialismus war der Kapitalismus insgesamt reif für die soziale Revolution. Die Epoche seines Niedergangs hatte begonnen. Lenin bezeichnete deshalb den Imperialismus als höchstes und letztes Stadium des Kapitalismus.

Das bedeutete für Marxisten jedoch niemals, daß im Rahmen dieser Niedergangsphase Wachstum einzelner Branchen, Länder und Regionen unmöglich war, auch nicht Wachstum in ungekanntem Ausmaß. Ein derartiges Wachstum muß jedoch zu Lasten des Wachstums anderer Branchen und Länder gehen und neue destruktive Potentiale entstehen lassen. Trotzki erklärte 1928, daß nach großen katastrophalen Niederlagen der internationalen Arbeiterklasse und einem neuen Weltkrieg nicht einmal ausgeschlossen sei, daß es einen neuen allgemeinen kapitalistischen Fortschritt der mächtigsten und führenden Länder geben könnte.

Der revolutionäre Charakter der imperialistischen Epoche kommt, wie wir heute feststellen können, sogar in seiner Boomperiode nach dem 2. Weltkrieg dadurch zum Ausdruck, daß das imperialistische System immer explosivere Widersprüche entwickelt, daß seine destruktiven Tendenzen wachsen, und daß es seine weitere Entwicklung nur auf Kosten der Arbeiterklasse, unter Inkaufnahme unsinniger Opfer der Mehrheit der Weltbevölkerung sichern kann, unter Inkaufnahme der Gefährdung der natürlichen Existenzgrundlagen der Menschheit.

"Der revolutionäre Charakter der Epoche besteht nicht darin, daß die Revolution jederzeit vollbracht werden kann, daß die Eroberung der Macht jederzeit möglich ist. Ihr revolutionärer Charakter kommt in den tiefgreifenden und scharfen Entwicklungssprüngen und in den abrupten und häufigen Übergängen zu unmittelbar revolutionären Situationen zum Ausdruck; mit anderen Worten, zu Situationen, die es einer Kommunistischen Partei ermöglichen, die Machteroberung anzustreben" (Trotzki). Dabei werden die kurzfristigen und plötzliche Veränderungen der politischen Lage nicht durch grundlegende Veränderungen im ökonomischen Bereich verursacht, sondern häufig nur durch Überbauphänomene rein politischen und ideologischen Charakters. In der Phase der Stagnationskrise beginnen sich die Widersprüche zuzuspitzen und es häufen sich die gesellschaftlichen Erschütterungen und die politischen Wechsel. Die Gesellschaft wird instabil. Gerade deshalb benötigt jede revolutionäre Politik eine klare strategische Konzeption und ein Verständnis des Charakters der Epoche und der sich hieraus ergebenden Aufgaben.

XIII. Der subjektive Faktor in der Epoche des kapitalistischen Niedergangs

Die internationale Arbeiterklasse, die aufgrund ihrer Stellung berufen ist, Totengräber des Kapitalismus zu werden, war sich entgegen revisionistischer Legenden dieser Berufung zu keinem Zeitpunkt insgesamt bewußt.

Marx und Engels hofften, daß die nach der Schaffung des Weltmarktes beginnende Epoche der sozialen Revolutionen schnell zur Aufhebung des Kapitalismus führen würde. Sie hatten im Manifest der Kommunistischen Partei von 1848 aber richtig beschrieben, daß die zunehmende Vereinigung der Arbeiterklasse und ihre Bewußtwerdung kein geradliniger Prozeß ist, sondern daß diese Entwicklung auch mit Rückschlägen verbunden ist: "Diese Organisation der Proletarier zur Klasse, und damit zur politischen Partei, wird jeden Augenblick wieder gesprengt durch die Konkurrenz unter den Arbeitern selbst. Aber sie entsteht immer wieder, stärker, fester, mächtiger." Engels spätere Hoffnung, daß bereits eine starke und verläßliche revolutionäre Partei geschaffen sei, erwies sich jedoch als illusorisch. Parteien entwickeln sich nicht außerhalb der Klassengesellschaft und des Klassenkampfs. Sie können, wie wir sehen mußten, versagen, scheitern, degenerieren. Revolutionäre marxistische Parteien können aber auch neu erstehen und sich im Klassenkampf zu proletarischen Massenparteien entwickeln. Das bleibt die Hauptaufgabe kommunistischer Politik.

Diese kann nur dadurch erfüllt werden, daß die Kommunisten die grundlegende Aufgabe erfüllen, in den Mobilisierungen und Bewegungen der internationalen Arbeiterklasse die gemeinsamen Interessen der Arbeiter und das Interesse der Gesamtbewegung zu vertreten und als entschiedenster Teil der Bewegungen dafür einzutreten, die Mobilisierungen voranzutreiben. Anders ausgedrückt: "Die strategische Aufgabe der nächsten Periode - der vorrevolutionären Periode der Agitation, Propaganda und Organisation - besteht darin, den Widerspruch zwischen der Reife der objektiven Bedingungen der Revolution und der Unreife des Proletariats und seiner Vorhut (Verwirrung und Entmutigung der alten Generation, mangelnde Erfahrung der jungen) zu überwinden" (Trotzki). Revolutionäre marxistische Politik ist deshalb keine Zukunftsaufgabe, sondern bereits heute möglich und notwendig.

Die modernen Ideologen der Sozialdemokratie versprechen, die heute möglichen Verbesserungen durchzusetzen. Sie möchten an das Ziel des Sozialismus als Aufhebung des Kapitalismus nicht erinnert werden. Die Reformisten unserer Zeit, bürgerliche Reformer und Modernisierer des Kapitalismus, brandmarken Marxisten als weltfremde Sektierer. Aber die Differenz zwischen ihnen und revolutionären Marxisten besteht nicht darin, daß revolutionäre Marxisten hier und heute unter allen Umständen alle Probleme mit einer sofort ins Werk zu setzenden sozialistischen Revolution zu lösen gedenken und die Reformisten das heute mögliche tun. Die Differenz besteht darin, daß die Reformstrategen darauf verzichten, die grundlegende Veränderung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse zur strategischen Achse ihrer Politik zu machen und statt dessen nur Politik im Rahmen des gegebenen gesellschaftlichen Kräfteverhältnisses machen wollen.

Zu erinnern ist dabei daran, daß sich die Kommunistischen Parteien in den kapitalistischen Ländern, im Interesse der von der KPdSU gewollten friedlichen Koexistenz zwischen den Systemen, den gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen in ihren jeweiligen Ländern jahrzehntelang klaglos unterordneten. Sie unterscheiden sich in der Praxis nicht von bürgerlichen und sozialdemokratischen Reformern und, wurden, wie z.B. die französische KP im Mai 1968, zur Stütze der bürgerlichen Ordnung. Für sie hatten die technologischen Revolutionen die soziale Revolution von der Tagesordnung abgesetzt. Die Stalinisten wurden deshalb in der BRD von den Grünen in den achtziger Jahren weit rechts liegengelassen. Sie unterschieden sich lediglich darin von der Sozialdemokratie, daß sie sich immer noch zum sozialistischen Fernziel bekannten.

Die Reformer aller Couleur ersetzen heute z.T. das sozialistische Endziel durch lange Kataloge von wahllos nebeneinander gestellten gesellschaftlichen Wunschvorstellungen, die ohne jeden realen Bezug zu gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen zu Papier gebracht werden, aber auch ohne ernsthafte Durchsetzungsabsicht. Dementsprechend brauchen sich Reformdemagogen keine Gedanken um das Vorhandensein von Bündnispartnern innerhalb wie außerhalb der Parlamente zu machen, mit denen die vorgeblich gewollten tiefgreifenden Reformen auf parlamentarischen Wege durchgesetzt werden sollen. An Strategien zur Veränderung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse wird ebenso kein Gedanke verschwendet. Im Vorfeld der Aufstellung von Wahllisten werden bei ihnen politische Programme zu Wunschzetteln für den Weihnachtsmann. Soziale Demagogie wird als konkrete sozialistische Utopie verkauft. Für gewöhnlich ignorieren sie dabei die realen Abwehrkämpfe gegen die tatsächliche Offensive der Bourgeoisie und schweigen dazu, wie wenigstens diese unmittelbaren Angriffe abgewehrt werden können. Reformprogramme erhalten so den Charakter pfäffischer Trostreichungen für die Opfer der neoliberalen Politik. Wo die parlamentsfixierten Reformer, die ihren Wählern versprechen, Sprachrohr der Bewegung zu sein, versuchen, ihre Repräsentanz in den Parlamenten in realen Einfluß umzumünzen, enden sie als Handlanger des Neoliberalismus und stellen sich gegen soziale Protestbewegungen.

Revolutionäre marxistische Politik besteht darin, am Widerstand gegen den Sozialraub teilzunehmen und ihn zu entfalten. Das verlangt nach einer außerparlamentarischen Kampfstrategie zur Veränderung von Kräfteverhältnissen. Das ist zugleich der einzige realistische Weg, in der Phase der imperialistischen Stagnation wenigstens vorübergehend einzelne Reformen durchzusetzen. Ohne schonungslose und realistische Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse ist das nicht möglich. Nur mit entschlossenem Kampf und mit Einsicht in die Entwicklungsbedingungen des Klassenkampfs kann das gesellschaftliche Kräfteverhältnis zu Gunsten der Arbeiterklasse geändert werden. Das ist zugleich der Weg zum Aufbau einer revolutionären Partei und zur realen Vorbereitung der sozialen Revolution.

XIV. Schwierigkeiten der Linken mit dem Charakter der Epoche

Marxistische Politik heute muß sowohl dem Umstand gerecht werden, daß es für den Großteil der gesellschaftlichen Probleme keine anderen Ausweg gibt, als den über die soziale Revolution, als auch der Tatsache, daß dies der Masse der internationalen Arbeiterklasse als weit entfernte und völlig unrealistische Utopie erscheint. Eine marxistische Arbeiterpartei muß deshalb immer wieder geduldig die Notwendigkeit des Sozialismus erklären und zugleich in der Praxis beweisen, daß sie besser als andere auf plötzliche Veränderungen der politischen Lage reagieren kann und als einzige wirklich realistische Konzepte für die Entwicklung der Kämpfe der unter dem Druck der bürgerlichen Offensive stehenden Massenbewegung hat. Eine Übergangskonzeption ist hierfür unabdingbar.

1. Das Konzept der unmittelbar bevorstehenden Revolution

Dabei muß jeder Schematismus vermieden werden. Das gelang in der Vergangenheit allenfalls punktuell. Das hängt natürlich damit zusammen, daß die gesellschaftliche Entwicklung revolutionären Konzeptionen objektive Schwierigkeiten bereitete und alle linken Strömungen Mühe hatten, die Charakteristika des Spätkapitalismus subjektiv zu erfassen:

Die imperialistische Epoche erwies sich nach dem 2. Weltkrieg lange als gesellschaftlich stabil. So stabil, daß bis zum französischen Generalstreik 1968 und bis zur ersten Welle "wilder Streiks" 1967-1969 in der BRD, sowie dem schleichenden Generalstreik in Italien 1968/69 sogar die Existenz der Arbeiterklasse geleugnet wurde. Die Periode kapitalistischer Stabilität mußte den Niedergang des Klassenbewußtseins verursachen, revolutionäre Kräfte besonders in den imperialistischen Ländern zwangsläufig marginalisieren, in die Krise treiben und theoretisch-konzeptionell in unterschiedlichem Ausmaß degenerieren lassen. Aber auch der Übergang in eine Periode neuerlicher Stagnation hat die Massen nicht überall und anhaltend in Bewegung gesetzt und schnell radikalisiert. Das war auch in der Stagnationsperiode zwischen den Weltkriegen nicht der Fall. Es gibt keine lineare Entwicklung des Klassenkampfs.

Den subjektiv revolutionären Kräften ist es bisher nicht gelungen, ihre in der Periode des imperialistischen Booms entwickelten Defizite, Schwächen und Degenerationserscheinungen zu überwinden.

Große Teile der 1968 und danach entstehenden neuen bzw. erneuerten revolutionären Organisationen im Westen haben sich durch ihr Sektierertum unfreiwillig, aber nach Kräften bemüht, sich in die Zerrbilder zu verwandeln, die reformistische Kritiker des revolutionären Marxismus vom Kommunismus zeichnen.

Der Mai 1968 in Frankreich, der erfolgreiche Widerstand gegen den US-Imperialismus in Vietnam und der Prager Frühling und die Kulturrevolution in China und mit der kubanischen Revolution verknüpften Hoffnungen wurden zum Ausgangspunkt für Erwartungen, daß die soziale Revolution im Westen und antistalinistische sozialistische Erhebungen im Osten unmittelbar bevorstanden.

Diese Endzeiterwartungen begünstigten nicht nur bei Anhängern Castros, Guevaras und bei Maoisten, sondern auch bei erheblichen Teilen der trotzkistischen Bewegung, die es aufgrund ihrer programmatischen Traditionen hätten besser wissen müssen, die Entstehung von Sektierertum und die Neuinfektion mit jeder Art von linksradikalen Kinderkrankheiten des Kommunismus. In den imperialistischen Metropolen begünstigte die Ungleichzeitigkeit der politischen Radikalisierungsprozesse mit ihrem Schwerpunkt an Universitäten und Schulen die Herausbildung hyperaktivistischer Sekten, deren Fundament bzw. Daseinsberechtigung die Konzeption der unmittelbar bevorstehenden Revolution war. Die politischen Charakterzüge der imperialistischen Epoche in der Phase der Stagnation wurden dabei nicht erfaßt. Stattdessen erhielt die ganze politische Strategie dieser extremen Linken einen maximalistischen Charakter.

Als deutlich wurde, daß sich soziale Revolutionen nicht in einem einzigen Sturmlauf bis zum Sieg entwickeln, sondern neben Erfolgen und Siegen auch Rückschläge und Niederlagen erleiden können, und nicht zuletzt das imperialistische System trotz seiner Krisensymptome erheblich stabiler blieb als angenommen, gerieten die meisten Organisationen der extremen Linken in die Krise. Einige brachen zusammen. Viele der ehemaligen Mitglieder dieser Organisationen schlossen sich den neoreformistischen Grünen an oder kehrten in den Schoß der Sozialdemokratie zurück.

2. Zur Epochendiskussion nach 1990

- die Neoreformisten verabschieden sich vom Sozialismus

Der Zusammenbruch der Arbeiterstaaten war der schwerste Rückschlag, den die Arbeiterklasse seit der Oktoberrevolution erlitten hat. Obwohl alle großen Niederlagen der Arbeiterbewegung zur Demoralisierung und Desorientierung großer Teile der Arbeiterklasse geführt haben, hatten nun auch viele ehemalige Linke den Eindruck, es gebe zum Kapitalismus keine Alternative.

Die Ideologen des Imperialismus verkündeten das Ende der Geschichte. Andere, wie die Gründer von attac, verkündeten, es gelte jetzt die Globalisierung des Kapitalismus sozial und gerecht zu gestalten. Der Neoreformismus will dementsprechend von sozialen Revolutionen nicht mehr sprechen und beschränkt sich in der Manier utopischer Sozialisten auf Massenappelle an die Herrschenden, den Kapitalismus verteilungsgerechter zu gestalten.

Da die Verteilungsspielräume zwischen den Hauptklassen der kapitalistischen Gesellschaft in der Phase der imperialistischen Stagnation immer enger werden, ist diese Politik, die ignoriert, daß jede sozialökonomische Gesellschaftsformation in der Geschichte entsteht, sich entfaltet, ihren Niedergang hat und schließlich verschwinden muß, zum Scheitern verurteilt. Nichts ist irrealer als eine Politik, die auf die Durchsetzung einer Kette von Sozialreformen durch kontinuierliche parlamentarische Arbeit setzt. Reformisten enden deshalb für gewöhnlich als neoliberale Sozialdemagogen.

Noch andere behaupten, es habe mit dem Zusammenbruch des "sozialistischen Lagers" einen "Epochenbruch" gegeben.

Diese These beruht auf einem völligen Mißverständnis hinsichtlich der Grundlagen des marxistischen Epochenbegriffs. Dieser bezieht sich auf die Entwicklung sozialökonomischer Formationen selbst, nicht auf die singulären politischen Ereignisse, an denen die Geschichtsschreibung Epochenwechsel festmacht.

Außerdem blieb der Imperialismus auch nach 1917 das dominante Weltsystem. Ebensowenig, wie die französische Revolution den Beginn der nationalen, geschweige denn der internationalen kapitalistischen Entwicklung markiert, kennzeichnet die Oktoberrevolution das Ende der imperialistischen Epoche, allenfalls war sie der allererste Schritt auf dem Weg zu einer nachkapitalistischen Epoche. Der Sieg der Oktoberrevolution bewies insofern, daß der bereits damals "globalisierte" Kapitalismus bereits in seine Niedergangsphase bzw. Niedergangsepoche eingetreten war. Mit Rosa Luxemburg ist daher zu betonen, daß es in der Geschichte keine "verfrühten Revolutionen" geben kann. Daß die Revolution in weiteren Ländern damals erst einmal den Kräften der Konterrevolution unterlag, widerlegt das nicht.

Der Zusammenbruch der Arbeiterstaaten mehr als 70 Jahre später beweist erst recht nicht, daß die Organisierung der Oktoberrevolution zu früh kam und ein Fehler war. Die Entwicklung der UdSSR hat vielmehr sogar gezeigt, daß die Revolution in der Lage war ebenso wie der Imperialismus Spitzentechnologien zu entwickeln (Weltraumtechnik) und das Land zu industrialisieren. Der Zusammenbruch der UdSSR zerstört im Gegenteil die Ergebnisse einer siebzigjährigen und trotz aller bürokratischen Deformationen fortschrittlichen Entwicklung und verwandelte das poststalinistische Rußland in ein Armenhaus mit fast halbkolonialer Gesellschafts- bzw. Klassenstruktur. Der Kollaps führte somit im Großteil der Ex-UdSSR zur Entwicklungsblockade und nicht etwa in eine neue Blüteperiode der gesellschaftlichen Entwicklung. Auch nicht zur Überwindung der Stagnationskrise des Weltimperialismus. Wenn der Zusammenbruch überhaupt etwas bewiesen hat, dann die Richtigkeit der alten Leninschen These, daß die Internationalisierung der sozialen Revolution ihre Überlebensbedingung ist und daß es keine andauernde Koexistenz zwischen Imperialismus und Sozialismus geben kann.

Die Befürworter der These vom Epochenbruch sind in Wirklichkeit befangen in einer Weltsicht, die als Weiterentwicklung des Konzepts der Theorie des Sozialismus in einem Lande bis 1990/1991 von einer Theorie der zwei Welten bzw. einem Konzept der Systemkonkurrenz zwischen zwei getrennten und unabhängig voneinander zu betrachtenden Lagern ausging und die Frage der Überlegenheit des einen oder anderen Systems an dessen Untergang bzw. Überleben festmacht.

Sie schließen aus dem Zusammenbruch der UdSSR und der anderen Arbeiterstaaten, daß der Kapitalismus damit nicht nur für einen historisch begrenzten Zeitraum in der Epoche des Niedergangs der kapitalistischehn Gesellschaftsformation (zugleich des Übergangs zur sozialistischen Gesellschaftsformation) gesiegt hat, sondern auch seine Vitalität und seine weitere fortschrittliche Entwicklungsfähigkeit auf technologischem und gesellschaftlichen Gebiet unter Beweis gestellt hat. Tatsächlich beweist der Zusammenbruch der UdSSR lediglich den politischen und theoretischen Bankrott des Stalinismus.

Hinsichtlich der dem modernen Kapitalismus angedichteten Eigenschaften beweisen diese Theoretiker, daß sie über keinerlei Analyse der Widersprüche des Imperialismus verfügen. Einen neuen "sozialistischen Versuch" halten sie für sinnlos. Ihn wollen sie daher künftigen Generationen überlassen. In der Zwischenzeit beschränken sie sich, weil für sie der Sozialismus nicht auf der Tagesordnung steht, auf Reformpolitik und predigen die Notwendigkeit des demokratischen Fortschritts. Dieser soll durch die Zurückdrängung des Einflusses der Monopole im bürgerlichen Staat errungen werden. Das praktisch zu nichts verpflichtende Bekenntnis zum Sozialismus brauchen sie dabei gar nicht aufzugeben. Das ist der Grund weshalb viele der Altstalinisten neben kapitalistischen Modernisierern gut in einer Organisation leben können.

Eine weitere Variante, die historische Niederlage der Arbeiterbewegung zu verarbeiten wird z.B. in Frankreich auch von Teilen der trotzkistischen Bewegung vertreten. Sie besteht darin, die Auswirkungen der Niederlage von 1989-1991 so zu verabsolutieren, daß nunmehr nicht mehr wie vor 1990 von einer Periode der unmittelbar bevorstehenden Revolution, sondern von einer Phase der langandauernden Depression ausgegangen wird. Für die Arbeiterklasse gelte es demzufolge in erster Linie, angesichts der neoliberalen Offensive die Demokratie zu verteidigen - und zwar einschließlich der nationalen, republikanisch-demokratischen Institutionen, die gegen die undemokratischen Brüsseler Beschlüsse der Europäischen Union zu verteidigen seien.

Damit wird faktisch ebenfalls die Notwendigkeit einer neuen, demokratischen Zwischenetappe des Klassenkampfs behauptet und eine Übergangsperspektive durch ein Minimal- und Maximalprogramm ersetzt. Der Arbeiterklasse in den imperialistischen Metropolen wird dabei anempfohlen, sie müsse die historischen Aufgaben der bürgerlich-demokratischen Revolution noch einmal lösen, die der Kapitalismus der vorimperialistischen Etappe der kapitalistischen Gesellschaftsformation bereits gelöst hatte. Weiter kann die theoretisch-konzeptionelle Konfusion kaum noch gehen.

Daß die Aushöhlung demokratischer Freiheiten im modernen Imperialismus nach deren energischer Verteidigung durch die Arbeiterklasse verlangt, rechtfertigt jedoch keinen Kampf für eine ideale bürgerliche Demokratie. Auch, wenn dieser Kampf besonders die Mittelschichten anspricht, ist die Erwartung illusionär, nennenswerte Teile der Bourgeoisie könnten sich zu einer echten Demokratie bekehren. Die herrschende Klasse schränkt demokratische Freiheiten ein, um ungehindert ihren Klassenkampf von oben führen zu können. Der Kampf für die Verteidigung demokratischer Rechte und Freiheiten muß daher mit dem Kampf für sozialistische Perspektiven verbunden werden. Defensive und politische Offensive sind in der imperialistischen Epoche nicht voneinander getrennte Entwicklungsetappen, sondern nur Fragen der konjunkturellen Taktik.