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Palästina wird aufgelöst

von Jennifer Loewenstein[1], Oxford/England

An diejenigen, die es noch nicht bemerkt haben: Israel widersetzt sich der Zwei-Staaten-Lösung. Es hat alles in seiner Macht stehende getan, um die Entstehung eines palästinensischen Staates zu verhindern. Und es wird so weitermachen, solange es auf die Komplizenschaft seiner mächtigen Freunde zählen kann und auf die offenkundige Gleichgültigkeit der Weltöffentlichkeit.

Unter diesen Umständen haben wir die Frage aufzuwerfen, weshalb die Hamas aufgefordert wird - und zwar von Israel und seinen mächtigen Freunden - die "Zwei-Staaten-Lösung" zu akzeptieren. Dies nicht zuletzt deswegen, weil sie im Gegensatz zu Israel wiederholt klar Stellung bezogen hat, daß sie einen palästinensischen Staat in den Grenzen des von Israel im Krieg von 1967 besetzten Landes akzeptieren würde, d.h. auf der Westbank , dem Gazastreifen und in Ostjerusalem. In diesem Sinne haben sich tatsächlich alle prominenten Sprecher der Hamas geäußert: Zahar, Haniye, Meshal sowie Yassin und Rantisi, bevor sie ermordet wurden.

Judäa und Samaria sind, oder besser waren, die nördlichen und südlichen Teile der Westbank. Sie sind jahrzehntelang immer wieder geteilt und parzelliert worden zu Gunsten des Häuserbaus für jüdische Siedler, ihrer Obstplantagen und Gärtnereien. Sie wurden kreuz und quer von Straßen durchschnitten und umgeben, die diese Ländereien mit Israel verbinden und ausschließlich von Juden befahren werden dürfen. Sie werden von Wachposten und Schützen flankiert, von Panzern unter blau-weißen isarelischen Fahnen, die die Siedler, ihre Häuser, Plantagen und Gärten verteidigen, schützen und absichern und so dafür sorgen, daß sie auch hier Teil eines einzigen und ungeteilten israelischen Staatswesens sind.

Das besiedelte Land mit seinen Siedlerfamilien, seinen Häusern und Gärten, Läden und Schulen, Clubs, Cafés und Swimming Pools wurde den Arabern der umliegenden Dörfer weggenommen, beschlagnahmt, den Siedlern zugesprochen und von diesen in Besitz genommen. Ihrer Lebensgrundlage beraubt, leben diese jetzt außerhalb der beschützten Kolonien arm und schäbig angezogen in den angrenzenden, mehr und mehr herunterkommenden Dörfern oder sie wurden dahin vertrieben.

Der Verlauf der geplanten künftigen Grenzen ist davon abhängig, daß diese Araber verschwinden. Ihr Verschwinden wird sehnlichst erwartet und man versucht, ihnen Beine zu machen. Der größte Teil der Ostgrenze des gegewärtigen israelischen Staates ist eine handfeste Mauer, die jede Sicht auf die Seite der Anderen versperrt, von denen man in guter Gesellschaft nicht spricht. Die östliche Grenzmauer wird bald die westliche Grenzmauer sein, weil der geschäftsführende israelische Premierminister Ehud Olmert gerade angekündigt hat, daß der noch nicht in den israelischen Staat einverleibte Teil der Westbank in Kürze von Israel annektiert werden wird: Das Jordantal, der an das jordanische Staatsgebiet angrenzende Landstreifen, wird dann Israels Ostgrenze sein. Auch dieser Streifen wird durch die Mauer gesichert werden und für "Nichtisraelis" Sperrgebiet sein. Die Palästinenser werden dann in ihren stagnierenden Reservaten eingeschlossen sein, ohne direkten Zugang zur äußeren Welt.

Im selben Atemzug, mit dem er einseitig erklärte, daß der jüdische Staat neue Gebiete annektieren werde, kündigte Olmert ein Sanktionsregime gegen die Palästinenser der besetzten Gebiete an, die nicht akzeptieren wollen, daß diese Landnahmen, durch die die eine Gesellschaft gestärkt wird und expandiert und die andere in Tausende voneinander getrennte Teile zerstückelt wird, tatsächlich die Zwei-Staaten-Lösung darstellen.

Israel nimmt für sich das vorrangige Nutzungsrecht an den natürlichen Ressourcen der von ihm besetzten Gebiete (vor allem am Wasser) in Anspruch, und zwar sowohl an denjenigen der schon angeeigneten wie der eingeschlossenen Ländereien. Eine ganze Armee von Dieben und Plünderern hat den Rest - schlaglochübersäte Straßen, brachliegende Olivenhaine und Felder, Häuser, Schulen, Moscheen und Kirchen, Krankenhäuser, Universitäten, Läden und die wenigen verbliebenen zivilen Institutionen - in einen unpassierbaren Irrgarten verwandelt, in eine unendliche Vielzahl legaler Niemandsländer, in denen Reisebeschränkungen, erforderliche Passierscheine, kodierte Ausweise, Pässe, willkürliche Leibesvisitationen, Hausdurchsuchungen und willkürliche Anklagen aus den Einwohnern stets verdächtige, namen- und gesichtslose Wesen machen, ohne sicheren Wohnsitz, ohne Rechte.

Sie werden zum kollektiven Schurken, der umerzogen werden muß, dem man die nationale Identität nehmen muß, und den man vielleicht eines Tages deportieren kann - um der Sache der israelischen Daseinsberechtigung willen. Für ausländische Reisende ist es fast genauso schwierig, die besetzten Gebiete zu bereisen, wie für die rechtmäßigen Bewohner, sich frei im eigenen Land zu bewegen. Für Außenstehende ist es deshalb nicht ohne weiteres ersichtlich, daß die Gefahren, vor denen sie gewarnt werden, unmittelbar von Israel ausgehen und nicht von dem unglückseligen Volk, das von ihm unterjocht wird. Die Gefahr für Leben und Eigentum wächst anstatt sich zu verringern.

Leider gibt es nicht die geringsten Anzeichen dafür, daß dieser Prozeß zu einem Ende kommt. Wir erleben stattdessen, als Draufgabe zur bizarren Forderung, daß die Hamas die Zwei-Staaten-Lösung akzeptiert, die Israel kategorisch ablehnt und geographisch immer unmöglicher macht, daß zwei weitere Forderungen gestellt werden: Die Hamas soll Israel anerkennen, und es soll auf Gewalt verzichten. Mit anderen Worten: Sie soll einen Staat anerkennen, dessen Politik und dessen Führer seit Jahrzehnten unermüdlich daran arbeiten, die Existenz der Palästinenser und Palästinas - und zwar nicht nur in Gegenwart und Zukunft sondern sogar durch die Auslöschung der Vergangenheit zu leugnen, zunichte zu machen, zu verhindern und abzulehnen.

Das alles hindert unsere Medien nicht daran, der Welt anstelle der Realität einen Zerrspiegel mit grotesken Entstellungen vorzuhalten. Er zeigt eine demokratisch gewählte Regierung ohne Staat und mit einem bitter notleidenden und niedergeworfenen Volk, die die Gangster in Geiselhaft genommen haben soll, die in Wirklichkeit dabei sind, seine Lebensgrundlagen in Grund und Boden zu zerstampfen.

Obwohl sie gedemütigt werden, auf sie geschossen wird, sie geschlagen und ermordet werden, sie belästigt und beleidigt werden, ihre Häuser niedergewalzt, sie beraubt, ausgehungert, vertrieben und enteignet werden, obwohl gegen sie mit Kugeln, Raketen, gepanzerten Bulldozern, Panzern, Kampfhubschraubern, Splitterbomben, Kampfbombern, halbautomatischen Maschinenpistolen, Lärmbeschallung, Tränengas, Elektrozäunen, Blockaden, Sperren und Mauern vorgegangen wird, sollen sie der Gewalt abschwören, damit den Gangstern nichts passiert. Wenn sie sich wehren, verlieren sie. Wenn sie sich beklagen, sind sie unzuverlässig. Wenn sie nach Gegenleistungen fragen, sind sie nicht vertrauenswürdig. Wenn sie Fairness fordern, wirft man ihnen vor, unzumutbare Bedingungen zu stellen. Wenn sie blindwütig um sich schlagen, sind sie Terroristen. Wenn die Wut über die Tausende von Toten, die Zehntausende von Verwundeten und Inhaftierten und der Millionen Gefesselter und Geknebelter sich zu einem Sturm des Protests vereint, wird man dies empört als Beweis dafür nehmen, daß es sich bei ihnen um ein unausrottbares Erzübel handelt, das zu Recht eingesperrt und unter Besatzungskontrolle gestellt gehört und sich darüber beklagen, daß es Finanzhilfe wie ein Faß ohne Boden verschlingt

Die Hamas ist gerade rechtzeitig an die Regierung gekommen, um den Möchtegern-Scharons auf dem Silbertablett den perfektesten Vorwand für die Fortsetzung ihrer nur allzu gewohnten Vergeltungspolitik zu liefern. Die Kadima, das ist in Israel die Partei der Zukunft, belohnt die Hamas für ihren Sieg mit der Ankündigung, daß sie die Palästinenser auf eine Hungerration setzt, weil sie versucht haben, von ihren Rechten Gebrauch zu machen. Hamas Belohnung für die durchschlagende Verwirklichung des israelischen Ziels der Zerstörung der Fatah, besteht darin, von ihr zu fordern, daß sie alle bisher geschlossenen Abkommen, Verträge und Pakte einhält, die Fatah im Namen der palästinensischen Autonomiebehörde geschlossen hat, aber Seite für Seite von Israel in den Schredder gesteckt wurden.

Mit jedem neuen Baustein für die Siedlungen, mit jeder neuen Straße nach Ariel, Maale Adumim, Illit, Gush Etzion und anderen Siedlungen, mit jeder Versagung einer Arbeitserlaubnis, mit jedem Ausbildungsverbot, jeder verweigerten medizinischen Hilfe und jedem Reiseverbot, mit jedem LKW, der vor einer Straßensperre vor Sufa und Karni warten muß, bis die von ihm transportierte Ladung an Gemüse und Obst verdorben ist, mit jeder Sondersteuer, mit allen Zöllen, mit jedem Dollar, der einem Volk gestohlenen wird, das im eigenen Land interniert ist, stellt Israel seine Mißachtung für die menschliche Würde zur Schau und erntet damit Beifallsstürme im US-Kongreß und anderswo.

Als Osama Bin Laden die Ansicht vertrat, daß es für Al-Qaida legitim sei, Amerikaner zu töten, weil sie als Bürger eines demokratischen Landes für ihre Regierung verantwortlich seien, war die "zivilisierte" Welt richtigerweise empört. Als Dov Weinglass und seine selbstgefälligen, sadistischen Kumpane erschreckende Varianten kollektiver Bestrafung forderten, weil die Palästinenser die Frechheit hatten, die gescheiterte Fatah auf demokratische Weise durch die Hamas zu ersetzen, schüttelte die "zivilisierte" Welt mißbilligend ihre frömmelnden Köpfe.

Noch einmal für die, die es noch nicht begriffen haben: Israel widersetzt sich der Zwei-Staaten-Lösung. Es widersetzt sich auch der Ein-Staat-Lösung. Es widersetzt sich auch einem binationalen Staat. Genauso, wie es sich einem föderalen säkularen Staat und den Zig-Trillionen Zwischenlösungen widersetzt, die vorgeschlagen, diskutiert und über die Jahre erörtert wurden.

Es widersetzt sich alldem, weil es gegen die Anwesenheit eines anderen Volkes auf dem Territorium ist, das es als exklusives Erbe der Juden für sich beansprucht. Davon muß man ausgehen, wenn man irgendetwas Wirksames gegen die rassistische und hegemoniale Vision unternehmen will, die Israel umsetzt und die von den Vereinigten Staaten abgesichert wird, und nicht von abseitigen Diskussionen über die idealste Lösung. Wirksamer Widerstand darf auch nicht in den Dornröschenschlaf verfallen oder in tödliche Indifferenz verfallen.

Übersetzung: Dieter Elken

[1]Jennifer Loewenstein ist Gastforscherin am Studienzentrum für Flüchtlingsfragen an der Universität Oxford. Sie hat in Gaza Stadt, Jerusalem und in Beirut gelebt und den ganzen nahen und Mittleren Osten als freiberuflich arbeitende Journalistin und Menschenrechtsaktivistin bereist. Der Artikel erschien erstmals in der US-amerikanischen Zeitschrift Counterpunch.